L 12 J 1294/87

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 J 72/86
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 J 1294/87
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Weigerung eines geschiedenen Ehemannes, eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen, um seiner ehemaligen Ehefrau nicht unterhaltspflichtig zu werden, läßt den Schluß zu, daß er aus gleichen Gründen nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die Rentenantragstellung unterlassen hat. Für die Bestimmung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes ist dann eine fiktive Versichertenrente zugrunde zu legen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Oktober 1987 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Hinterbliebenenrente an die geschiedene Ehefrau.

Die 1940 geborene Klägerin ist gelernte Einzelhandelskauffrau. Sie war mit dem Versicherten seit dem 5. Februar 1960 verheiratet. Aus der Ehe sind 3 Töchter hervorgegangen, die am 1960, 1961 und 1963 geboren sind. Die Ehe wurde aus Alleinschuld des Versicherten am 27. November 1968 geschieden. Der Versicherte, der sich nicht wieder verheiratet hat, ist am 13. Dezember 1983 gestorben. Zur Zeit der Scheidung lag sein Nettoverdienst als Maler bei ca. 1.000 DM monatlich. Nach 1972 hat er nur noch gelegentlich gearbeitet. Er wohnte bei seiner Mutter und wurde von dieser auch unterhalten. Am 29. November 1978 erging gegen den Versicherten ein Versäumnisurteil auf Unterhalt an die Klägerin in Höhe von 400 DM monatlich. Tatsächlich geleistet hat er keinen Unterhalt.

Die Klägerin, die zur Zeit der Scheidung nicht und 1969 kurzfristig als Montiererin gearbeitet hatte, war danach bis September 1978 nicht mehr erwerbstätig. Von September 1978 bis Juli 1980 erwarb sie am Abendgymnasium die Mittlere Reife, daneben arbeitete sie halbtags im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beim Finanzamt von Oktober 1979 bis Juli 1980. Von August 1980 bis Juni 1981 besuchte sie eine einjährige Berufsfachschule und ab Oktober 1981 studierte sie im Fachbereich Sozialwesen an der Gesamthochschule. Im Rahmen dieses Studiums, das sie 1986 erfolgreich abschloß, absolvierte sie von August 1982 bis März 1983 ein Blockpraktikum bei der Stadt. Während des übrigen Studiums erhielt sie Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög).

Am 18. Januar 1984 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2. Mai 1984 ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 4. Juni 1984 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1986 zurück. Der Versicherte sei wegen seiner schlechten wirtschaftlichen Lage und wegen seiner Erkrankung im letzten Jahr vor seinem Tod nicht in der Lage gewesen, Unterhalt zu leisten, so daß die Voraussetzungen für eine Hinterbliebenenrente nicht vorlägen.

Dagegen hat die Klägerin am 3. März 1986 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben, das die Schwester und den Bruder des Versicherten als Zeugen zu dessen Unterhaltsfähigkeit gehört hat. Mit Urteil vom 23. Oktober 1987 hat es der Klage stattgegeben, weil der Versicherte während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tod unterhaltspflichtig gewesen sei. Er habe sich seiner Unterhaltsleistung absichtlich entzogen, indem er keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen sei, obwohl er dazu die Möglichkeit gehabt habe. Erst nach Ausbruch seiner Krebserkrankung habe er kein Einkommen mehr erzielen können, die Zeit der Krankheit müsse aber unberücksichtigt bleiben.

Gegen das ihr am 13. November 1987 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. November 1987 Berufung eingelegt. Der Senat hat die Schwester des Klägers, , nochmals zu den persönlichen Verhältnissen des Versicherten in der Zeit vor seinem Tode als Zeugin vernommen und Unterlagen der Städtischen Kliniken über die Krebserkrankung des Versicherten beigezogen. Weiterhin hat der Senat eine fiktive Rentenberechnung des Versicherten zum Zeitpunkt seines Todes veranlaßt und eine Auskunft des Landesarbeitsamtes zu der Beschäftigungssituation von Einzelhandelskaufleuten in der Zeit von 1980 bis 1983 eingeholt.

Die Beklagte, die den Versicherten in der Zeit vor seinem Tode für nicht unterhaltsfähig hält, beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Oktober 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin, die die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen Einzelheiten der Beweiserhebung und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere dem Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 146, 151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Sachlich ist sie jedoch unbegründet, denn das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin Hinterbliebenenrente beanspruchen kann.

Nach § 1265 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dessen Tod Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder sonstigen Gründen zu leisten hatte.

Neben der grundsätzlichen Unterhaltspflichtigkeit des Versicherten aus § 58 Abs. 1 i.V.m. § 59 Abs. 1 des Ehegesetzes a.F. (EheG) ergibt sich die Unterhaltsberechtigung der Klägerin aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 29. November 1978 ). Der Versicherte hätte zwar im Wege einer Abänderungs- oder Vollstreckungsgegenklage (§§ 323, 767 der Zivilprozeßordnung – ZPO –; vgl. auch BSG, Urteil vom 26. August 1987 – 11 a RA 54/86 in SozR 2200 § 1265 RVO Nr. 86) ab dem Zeitpunkt seiner Krebserkrankung den Unterhaltsbetrag vermindern, nicht jedoch grundsätzlich beseitigen können.

Zuvor hätte das Unterhaltsurteil Bestand gehabt, obwohl der Kläger keinen Arbeitsverdienst erzielt hat. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden (Urteil vom 11. November 1986 – 4 a RJ 61/85 in SozR 2200 § 1265 RVO Nr. 82), daß die Unterhaltsfähigkeit des geschiedenen Ehemannes grundsätzlich nicht entfällt, wenn er es unterläßt, einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der Versicherte hat sich absichtlich seiner Unterhaltspflicht entzogen und seit seiner Scheidung nur noch gelegentlich und seit 1978 fast gar nicht mehr versicherungspflichtig gearbeitet. Seine Alkoholabhängigkeit war nach den glaubhaften Zeugenaussagen seiner Schwester nicht so ausgeprägt, daß sie ihn an einer Arbeitsaufnahme in seinem Beruf als Maler gehindert hätte. Es gibt keinen Hinweis, daß diese Krankheitswert gehabt hätte. Behandlungen haben nicht stattgefunden. Es sind auch keine anderen objektiven Hindernisse ersichtlich, die einer Vermittelbarkeit als Maler, Spritzlackierer oder auch einer ungelernten beruflichen Tätigkeit entgegen gestanden hätten. Wenn, wie die Beklagte vorträgt, in der fraglichen Zeit im Baubereich nicht ausreichend viele Arbeitsplätze zur Verfügung standen, wäre dem Versicherten auch ein Berufswechsel zuzumuten gewesen (BSG, a.a.O.). Mit 46 Jahren war der Kläger im Jahre 1982 auch noch nicht zu alt, um eine Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Der Senat, der sich der Rechtsprechung des BSG anschließt, sieht es nach den Gesamtumständen und insbesondere der Zeugenaussage der Schwester als bewiesen an, daß die schlechte wirtschaftliche Lage des Versicherten auf dessen innerer Haltung beruhte, lieber nicht zu arbeiten, als einen größeren Teil seines möglichen Verdienstes an seine Familie weiterzugeben.

Nach der Zeugenaussage der Schwester war der Versicherte nach ihrem Eindruck schon im Mai 1982 wegen der beginnenden Auswirkungen der Krebserkrankung arbeitsunfähig. Dies sieht der Senat nicht als bewiesen an. Er folgt insoweit nicht der Zeugenaussage. Als Zeitpunkt der Erstmanifestation der Krankheit ist der November 1982 anzusetzen. Nach dem beigezogenen Krankenhausbericht über die Behandlung der Krebserkrankung begannen damals die Beschwerden. Der Versicherte selbst muß bei der ärztlichen Anamneseerhebung ein besseres Erinnerungsvermögen gehabt und es besser gewußt haben, als die Zeugin acht Jahre später. Für gegenteilige Gesichtspunkte gibt es keinerlei Anhalt. Im November 1982 ist auch der Beginn der endgültigen Arbeitsunfähigkeit anzusetzen, denn zu diesem Zeitpunkt wäre, hätte sich der Kläger rechtzeitig einem Arzt vorgestellt, schon eine Strahlenbehandlung notwendig gewesen. Diese hat dann auch ca. 10 Wochen später stattgefunden.

Die Unterhaltsfähigkeit des Klägers bestimmt sich nach seinem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand. Das Bundessozialgericht hat hinsichtlich der Frage, ob der letzte wirtschaftliche Dauerzustand grundsätzlich mit dem Tod des Versicherten endet, oder ob er auch in einen früheren Lebensabschnitt vorverlegt werden kann, eine starre schematische Handhabung abgelehnt und Billigkeitserwägungen Raum gegeben. So kann es insbesondere unbillig sein, die dem Tod des Versicherten vorausgehende Zeit einer Erkrankung und einer dadurch bedingten Verschlechterung der Unterhaltslage bei der Bestimmung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes heranzuziehen. Verhältnismäßig kurze Krankheitszeiten können unberücksichtigt bleiben, im übrigen ist jedoch auf die besonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen und vor allem zu beachten, ob die Krankheit spätere Todesursache gewesen ist und den Tod in absehbarer Zeit hätte herbeiführen müssen (BSG, Urteil vom 1. Juni 1982 – 1 RA 87/80 in SozR 2200 § 1265 RVO Nr. 64). In einer früheren Entscheidung (Urteil vom 15. Mai 1975 – 4 RJ 149/73) ist ausgeführt, daß eine Krankheitszeit nicht schon deshalb außer Betracht bleiben kann, weil sie in weniger als einem Jahr zum Tode geführt hatte; bei längerer Dauer dürfe jedoch die Krankheitszeit nicht ausgeklammert werden. Auf den zweiten Teil dieser Aussage nimmt die spätere Rechtsprechung keinen Bezug mehr und zitiert dieses Urteil auch nicht. Möglicherweise will das BSG – unausgesprochen – nach neuerer Rechtsprechung auch eine länger als 1 Jahr dauernde Krankheitszeit Billigkeitserwägungen unterwerfen.

Würde man diese Ansicht vertreten, so ließe sich im vorliegenden Fall trotz der 13 Monate dauernden Erkrankung ein Hinterbliebenenrentenanspruch nach Billigkeitserwägungen begründen. Die Krankheitszeit müßte als "Vorstufe zum Tode” unberücksichtigt bleiben, denn es hat sich nicht um eine chronifizierte, auf sehr lange Dauer angelegte Erkrankung gehandelt, sondern um einen sich ständig verschlimmernden und in absehbarer Zeit zum Tode führenden Prozeß. Es wäre unbillig, den Hinterbliebenenrentenanspruch von der zufälligen Dauer der Erkrankung abhängig zu machen.

Der Senat braucht jedoch nicht endgültig zu entscheiden, ob er die Rechtsprechung des BSG in dieser Weise auslegen soll, denn auch nach der anderen Auslegungsmöglichkeit ergibt sich ein Hinterbliebenenrentenanspruch. Zwar würde dann der letzte wirtschaftliche Dauerzustand in die Zeit der Erkrankung fallen. Allerdings ist der Versicherte auch während dieser Zeit als unterhaltsfähig anzusehen, denn er hatte einen realisierbaren Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Zwar hatte er keinen Rentenantrag gestellt, im Hinblick auf seine Unterhaltsfähigkeit ist er aber so zu behandeln, als wäre dies geschehen. Ebenso wie sich die Unterhaltsfähigkeit nicht nach dem tatsächlichen Verdienst, sondern nach dem fiktiv zu erzielenden bemißt (BSG, Urteil vom 11. November 1986, a.a.O.), ist sie auch aufgrund eines fiktiven Rentenantrags und einer fiktiven Rente zu bestimmen, in der genannten Entscheidung führt das Bundessozialgericht aus, daß die Unterhaltsfähigkeit des geschiedenen Ehemannes grundsätzlich nicht entfällt, wenn er es unterläßt, einer nach den Verhältnissen des Einzelfalles ihm zuzumutenden, sich bietenden Erwerbstätigkeit nachzugehen, und er allein aus diesem Grund über kein Einkommen verfügt, von dem er den Unterhalt an die geschiedene Ehefrau zahlen kann. Bei entsprechender Arbeitsfähigkeit muß er sich Einkünfte anrechnen lassen, die er bei gutem Willen unter Verwendung seiner Fähigkeiten und Kräfte hätte erzielen können. Entsprechend hat das BSG dann auch in der Entscheidung vom 28. Februar 1990 (8 RKn 3/89) darauf hingewiesen, daß eine fiktive Erwerbsunfähigkeitsrente bei der Feststellung der Unterhaltsfähigkeit berücksichtigt werden kann, wenn der Versicherte die Rentenleistung allein deswegen nicht oder zu spät beantragte, um der geschiedenen Ehefrau gegenüber nicht unterhaltspflichtig zu werden. Solche Umstände liegen nach Überzeugung des Senates hier vor, denn der Versicherte hat, wie oben schon ausgeführt, gegenüber seiner Schwester geäußert, daß er wegen der drohenden Unterhaltsverpflichtung nicht habe arbeiten wollen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß sich diese innere Haltung zur Zeit der Krebserkrankung geändert hatte, so daß sie auch als Grund für die fehlende Rentenantragstellung zu sehen ist. Eine Antragstellung war für den Versicherten auch zumutbar, denn sie war mit keinen versicherungsrechtlichen oder sonstigen Nachteilen verbunden. Sie wäre auch begründet gewesen. Im November 1982 wäre jedenfalls der Versicherungsfall für einen Rentenanspruch auf Zeit eingetreten, spätestens im April 1983 ein Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer. Aus dem Arztbrief des Städtischen Krankenhauses vom 25. November 1983 ist zu entnehmen, daß es zu dieser Zeit zu einer Halslymphknotenmetastase links gekommen und die Erkrankung als inkurabel anzusehen war. Seit dieser Zeit fanden stationäre Behandlungen zunächst in Intervallen und ab 1. Juni 1983 auf Dauer statt. Mit einer fiktiven Rentengewährung spätestens im April 1983 wäre ein neuer wirtschaftlicher Dauerzustand eingetreten, nach dem die Unterhaltsfähigkeit zu bestimmen ist.

Nach der vom Senat veranlassten fiktiven Rentenberechnung hätte der Versicherte zu dieser Zeit eine Rente in Höhe von 952 DM erhalten, ab 1. Juli 1983 von 1.005,60 DM. Die Unterhaltshöhe beträgt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (Urteil vom 28. November 1963 – 12/RJ 98/62 in SozR § 1265 RVO Nr. 16), die der Senat sich zu eigen macht, 1/3 bis 1/4 des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen. Dabei muß jedoch sein eigener Notbedarf gewährleistet sein (BSG, Urteil vom 28. November 1963 – 11 RA 50/75 in SozR § 1265 RVO Nr. 15). Als Notbedarf haben die Zivilgerichte im Jahre 1982 bei einem Nichterwerbstätigen einen Betrag von 825,– DM angesehen (NJW 1982, 19). Da es keine Gründe dafür gibt, im Sozialversicherungsrecht von anderen Grundsätzen als im Zivilrecht auszugehen, übernimmt der Senat diese Rechtsprechung. Gründe für eine Erhöhung des Notbedarfs wegen der Erkrankung des Versicherten sind hier nicht ersichtlich. Es ist nicht zu erkennen, welche besonderen unüblichen Aufwendungen der Versicherte gehabt haben sollte, zumal er sich während der meisten hier fraglichen Zeit in stationärer Behandlung befand. Zur Bestimmung der Unterhaltshöhe verlangt das Bundessozialgericht grundsätzlich eine Projektion der wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung auf den Zeitpunkt des Todes des Unterhaltspflichtigen. Davon kann hier jedoch abgesehen werden, weil die Verhältnisse gleich geblieben sind (BSG, Urteil vom 13. August 1981 – 11 RA 49/80 in SozR 2200 § 1265 RVO Nr. 56). Der Unterhaltsanspruch der Klägerin hätte also ab Juli 1983, als der letzte wirtschaftliche Dauerzustand beim Versicherten eingetreten ist, 180,60 DM betragen. Dies ist mehr als 25 % des damals geltenden Regelsatzes für die Sozialhilfe in Höhe von 347 DM (vgl. Bundesarbeitsblatt 1981, 21).

Die Klägerin war auch noch im Jahre 1983 unterhaltsbedürftig, so daß auch insoweit eine Abänderungs- oder Vollstreckungsgegenklage des Versicherten keinen Erfolg hätte haben können. Zunächst ist davon auszugehen, daß grundsätzlich die Unterhaltsberechtigung besteht, solange ein Kind unter 16 Jahren zu erziehen ist (BSG, Urteil vom 26. Juni 1973 – 4 RJ 131/72 in SozR § 1265 RVO Nr. 68). Die Klägerin hatte schon mit einer Ausbildung begonnen, als ihre jüngste Tochter 15 Jahre alt geworden war. Bei den schlechten beruflichen Chancen von Frauen, die wegen einer Kindererziehung für längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, lag letztlich die qualifizierte Berufsausbildung der Klägerin auch im Interesse des Versicherten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie eine Berufstätigkeit unterließ, um in den Genuß von Unterhalt zu kommen, zumal tatsächlich kein Unterhalt gezahlt wurde. Offensichtlich hat sie sich auch während ihrer Ausbildung um Arbeit bemüht. Dies steht fest, wenn auch der Senat beim zuständigen Arbeitsamt keine Vorgänge mehr ermitteln konnte. Aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag mit dem Finanzamt ergibt sich nämlich, daß die Klägerin dort befristet nach einer Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung – also unter Mitwirkung des Arbeitsamtes – beschäftigt war. Ihre Einlassungen vor dem Senat sind glaubhaft. Aus der Auskunft des Landesarbeitsamtes vom 28. November 1990 über die Beschäftigungssituation von Einzelhandelskaufleuten ist ferner zu entnehmen, daß für die Zeit ab 1981 ein deutlicher Überhang von Arbeitslosen bei fehlenden offenen Stellen bestand, so daß auch die Wahrscheinlichkeit einer Vermittlung im erlernten Beruf als gering einzuschätzen ist.

Während ihrer Ausbildung erhielt die Klägerin Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Nach § 11 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 dieses Gesetzes und i.V.m. § 2 und § 22 des Einkommensteuergesetzes war auch nach dessen damaliger Fassung der Unterhalt auf die Ausbildungsförderung anzurechnen, so daß die Unterhaltsbedürftigkeit von solchen Leistungen nicht berührt wurde. Die Ausbildungsvergütung schließlich, die die Klägerin während des Blockpraktikums von August 1982 bis März 1983 erhielt, ist in gleicher Weise wie ein befristetes Arbeitsverhältnis (BSG, Urteil vom 10. Juli 1986 – 11 RA 6/85 in SozR 2200 § 1265 RVO Nr. 80 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 31. Juli 1968 – 11 RA 227/67 in SozR Nr. 46 zu § 1265 RVO) für die Bestimmung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes nicht in Betracht zu ziehen. Im übrigen begann auch mit Ende des Praktikums ein neuer wirtschaftlicher Dauerzustand, der für die Unterhaltsbedürftigkeit zugrunde zu legen ist.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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