Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 19 Ar 2602/87
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 Ar 995/88
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juni 1988 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 1987 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 17. November 1986 bis 2. Mai 1987 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger vom 17. November 1986 bis 2. Mai 1987 Arbeitslosengeld (Alg) zusteht.
Der 1964 geborene Kläger war vom 1. August 1980 bis zum 30. August 1986 als Meß- und Regelmechaniker bei der Firma GmbH in beschäftigt. Am 17. November 1986 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt arbeitslos und beantragte Alg. Auf dem Formular erklärte er, seit dem 22. September 1986 am Aufbaukurs der Heimvolkshochschule teilzunehmen. Die liegt in der Nähe von.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 1986 lehnte die Beklagte die Leistungsgewährung mit der Begründung ab, angesichts seiner Teilnahme am Aufbaukurs der stehe der Kläger der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung. Der Kläger widersprach am 2. Januar 1987 mit der Erklärung, er sei bereit, den Lehrgang im Falle einer Arbeitsaufnahme sofort abzubrechen und außerdem bei Einladungen des Arbeitsamtes sofort zur entsprechenden Dienststelle zu fahren. Telefonisch und postalisch sei er jederzeit erreichbar.
Mit Bescheid vom 17. Februar 1987 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Teilnahme an Kursen von Heimvolkshochschulen könne Verfügbarkeit nur anerkannt werden, wenn die betreffende Heimvolkshochschule zumindest im Nahbereich des Arbeitsamtes liege. Dies sei angesichts der Entfernung zwischen dem Arbeitsamtsbezirk und nicht der Fall. Hinzukomme, daß der Kläger an einem Aufbaukurs teilnehme für den eine ausnahmsweise Anerkennung der Verfügbarkeit im Gegensatz zu den lediglich sechs Wochen dauernden Grundkursen ohnehin nicht möglich sei. Der Bescheid wurde am 23. Februar 1987 durch Niederlegung an die Adresse des Klägers bei der zugestellt.
Am 6. Juli 1987 hat der Kläger beim Sozialgericht Osnabrück Klage erhoben und ausgeführt, erstmals am 11. Juni 1987 von dem Widerspruchsbescheid erfahren zu haben. In der Sache legte er dar, die Entfernung zwischen dem Arbeitsamtsbezirk und der Heimvolkshochschule betrage ca. 250 km und diese Distanz zum Arbeitsamtsbezirk hätte er aufgrund seiner Mobilität jederzeit überwinden können.
Auf Antrag des in der Zwischenzeit nach umgezogenen Klägers wurde der Rechtsstreit vom Sozialgericht Osnabrück durch Beschluss vom 24. Juli 1987 an das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) verwiesen.
Mit Urteil vom 14. Juni 1988 wies das SG die Klage ab. Sie sei zwar infolge nicht ordnungsgemäß erfolgter Niederlegung fristgerecht erhoben, jedoch unbegründet, da der Kläger wegen des Besuchs des Aufbaukurses in nicht verfügbar im Sinne des § 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gewesen sei. Auf die Entscheidungsgründe im einzelnen wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 9. August 1988 zugestellte Urteil richtet sich die am 5. September 1988 eingelegte Berufung des Klägers. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte hätte ihn über die Folgen der Teilnahme an dem Kurs in einem 250 km entfernten Ort konkret aufklären müssen, denn dann hätte er den Kurs sofort abgebrochen und somit der Arbeitsvermittlung in subjektiver und in objektiver Hinsicht zur Verfügung gestanden. Nach den Bestimmungen, nach denen der Aufbaukurs absolviert worden sei, wäre er zu nichts verpflichtet gewesen, was einem sofortigen Abbruch im Wege gestanden hätte. Der Kläger sei deshalb im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er den Aufbaukurs sofort abgebrochen und damit die Verfügbarkeit hergestellt. Ferner erklärt der Kläger, sein familiärer Lebensmittelpunkt habe in gelegen; dort habe seine Verlobte und seine Tochter gelebt. Er habe jedes Wochenende in verbracht und sei im übrigen auch des öfteren während der Woche dorthin gefahren. Die Fahrzeit mit seinem Pkw habe rund 2,5 Stunden betragen. Des weiteren beruft sich der Kläger auf das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 8. Juni 1989 (S-10/Ar-235/86).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juni 1988 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 1987 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld vom 17. November 1986 bis zum 2. Mai 1987 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, der Kläger sei nicht objektiv verfügbar im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG gewesen, weil die Bereitschaft des Betroffenen, bei dem Angebot einer zumutbaren Beschäftigung die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme abzubrechen, nicht ausreichend sei. Der Kläger könne auch nicht verlangen, im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe er im Zeitpunkt der Antragstellung der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden, denn weder sei ein ursächlicher Beratungsfehler festzustellen, noch sei Raum für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Ein Beratungsfehler scheide nämlich aus, weil der Kläger auch nach Kenntnis der Rechtslage durch den ablehnenden Bescheid vom 9. Dezember 1986 die Maßnahme nicht abgebrochen habe. Das Fehlen der Verfügbarkeit könne auch nicht durch eine rechtmäßige Amtshandlung der Beklagten ersetzt werden. Im übrigen macht sich die Beklagte die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen.
Der Senat hat noch eine Auskunft bei der eingeholt, in der mitgeteilt wurde, daß ein Abbruch der Maßnahme für den Kläger jederzeit folgenlos möglich gewesen wäre.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und auch begründet.
Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung schließt sich der Senat zunächst den überzeugenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil an. Soweit das SG jedoch den Anspruch des Klägers wegen fehlender objektiver Verfügbarkeit verneinte, ist der Senat anderer Auffassung. Anspruch auf Alg hat gemäß § 100 AFG wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Von diesen Voraussetzungen ist im vorliegenden Fall lediglich die Verfügbarkeit im Streit. Die Begriffsbestimmung der Verfügbarkeit enthält § 103 Abs. 1 Satz 1 AFG. Danach steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer
1) eine längere als kurzzeitige zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf,
2) bereit ist, - jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf, sowie
3) an zumutbaren Maßnahmen zur beruflichen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung, zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten sowie zur beruflichen Rehabilitation teilzunehmen sowie - das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und für das Arbeitsamt erreichbar ist.
Der Formulierung dieser Bestimmung ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber zwischen objektiver Verfügbarkeit (Nrn. 1 und 3) und subjektiver Verfügbarkeit (Nr. 2) unterscheidet, was einem seit jeher anerkannten Grundsatz entspricht. Alg soll nämlich nur derjenige Arbeitslose erhalten, der dem Arbeitsmarkt aktuell zur Verfügung steht und sich subjektiv zur Verfügung hält, weil nur so eine sofortige Vermittlung in Arbeit möglich ist, durch die die Arbeitslosigkeit in erster Linie beendet werden soll. Dem entspricht die Vorschrift des § 5 AFG, wonach unter anderem der Vermittlung in Arbeit Vorrang vor der Gewährung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zukommt (so Bundessozialgericht –BSG– SozR 4100 § 103 Nr. 46).
An der subjektiven Verfügbarkeit des Klägers bestehen keine Zweifel. Entgegen der Auffassung des SG sieht der Senat jedoch auch das Erfordernis der sogenannten objektiven Verfügbarkeit als erfüllt an. Objektive Verfügbarkeit bedeutet, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, daß der Arbeitslose durch nichts gehindert sein darf, ohne Verzug eine gemäß § 103 AFG zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Er muß sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes aktuell zur Verfügung halten.
Aufgrund der Ermächtigung des § 103 Abs. 5 AFG hat die Bundesanstalt für Arbeit Einzelheiten zu den den Arbeitslosen treffenden Obliegenheiten in der "Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über den Aufenthalt von Arbeitslosen während des Leistungsbezuges (Aufenthalts-Anordnung-Aufenthalts –AO–)” bestimmt. Sie hat dabei auch, wozu sie nach § 103 Abs. 5 Satz 2 AFG berechtigt ist, Ausnahmen zugelassen und dabei insbesondere die Situation von Arbeitslosen berücksichtigt, die an einer Bildungsmaßnahme teilnehmen. So bestimmt § 4 Buchstabe b in Verbindung mit § 3 der Aufenthalts-AO, daß die Teilnahme des Arbeitslosen an einer Veranstaltung, die staatspolitischen, kirchlichen oder gewerkschaftlichen Zwecken dient oder sonst im öffentlichen Interesse liegt, der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung nicht entgegensteht, wenn der Arbeitslose während der Teilnahme für das Arbeitsamt zur üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar ist, die Teilnahme jederzeit abbrechen kann und sich vor der Teilnahme für den Fall eines Arbeitsangebots durch das Arbeitsamt glaubhaft zum jederzeitigen Abbruch bereiterklärt hat. Gemäß § 6 Aufenthalts-AO findet diese Ausnahmebestimmung keine Anwendung, wenn sich der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes aufhalten will.
Legt man diese Normen der Prüfung des vorliegenden Sachverhalts zugrunde, war der Kläger objektiv verfügbar, denn er nahm an einer Veranstaltung im Sinne dieser Vorschrift teil und er war auch während der Teilnahme für das Arbeitsamt zur üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus der Tatsache, daß er bei Antragstellung auf seine Teilnahme an der Bildungsmaßnahme in der Heimvolkshochschule ausdrücklich hingewiesen hat. Daß hier in Eilfällen etwa eine unter Umständen sogar telefonische Kontaktaufnahme nicht möglich gewesen wäre, kann nach Meinung des Senats ausgeschlossen werden. Nach den eingeholten Auskünften steht ferner fest, daß der Kläger die Bildungsmaßnahme jederzeit sanktionslos abbrechen konnte. Daß der Kläger schließlich auch zu einem sofortigen Abbruch der Maßnahme ernsthaft bereit war, steht für den Senat aufgrund der Begründung seines Widerspruchs fest.
Allerdings muß der Arbeitslose sich vor der Teilnahme für den Fall eines Arbeitsangebotes durch das Arbeitsamt glaubhaft zum jederzeitigen Abbruch bereit erklärt haben. Diese Bereitschaft hat der Kläger zwar erst in der Begründung seines Widerspruchs erklärt, dies kann ihm die Beklagte wegen fehlender Beratung jedoch nicht entgegenhalten. Der Kläger ist unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vielmehr so zu stellen, als wäre die Erklärung rechtzeitig erfolgt. Dem Kläger steht schließlich auch nicht die Vorschrift des § 6 der Aufenthalts-AO entgegen. Danach findet § 4 keine Anwendung, wenn sich der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes aufhalten will. Zwar dauerte die Bildungsmaßnahme an der länger als sechs Wochen, jedoch rechtfertigt dies nicht zwingend den Schluß, der Kläger habe sich zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes aufhalten wollen. Vielmehr hat der Kläger glaubhaft erklärt, mindestens wöchentlich, unter Umständen sogar mehrmals pro Woche in den Nahbereich des Arbeitsamtes zurückgekehrt zu sein und dies auch von vornherein stets vorgehabt zu haben.
Bei der Auslegung des § 6 der Aufenthalts-AO ist grundsätzlich vom Wortlaut auszugehen. Verbietet demnach diese Vorschrift einen über sechs Wochen hinausgehenden Aufenthalt des Arbeitslosen außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes nicht von vornherein völlig, sondern nur unter der einschränkenden Voraussetzung, daß dies von vornherein für länger als sechs Wochen zusammenhängend gewollt sei, so kann genau dies vorliegend nicht festgestellt und erst recht nicht unterstellt werden. Im übrigen bleibt festzuhalten, daß die Fahrzeit vom Ort der Bildungsmaßnahme bis zu einem möglichen Vermittlungsadressaten mit 2,5 Stunden kaum wesentlich länger sein dürfte, als die entsprechende Anmarschzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, insbesondere in strukturschwachen Gebieten.
Zutreffend beruft sich die Beklagte jedoch auf die Rechtsprechung des BSG, daß die Teilnahme von Arbeitslosen an beruflichen Bildungsmaßnahmen, die aus ganztägigem Unterricht bestünden, gegen das Vorliegen objektiver Verfügbarkeit spräche, weil eine abhängige Beschäftigung zur selben Zeit nicht ausgeübt werden könne (so BSG SozR 4100 § 103 Nr. 46).
Es mag dahinstehen, ob diese Rechtsprechung für allgemeinbildende Maßnahmen wie im vorliegenden Fall entsprechend gilt, zumal vorliegend noch ein Ausnahmefall i.S. der Aufenthalts-AO gegeben ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten hält der Senat diese Rechtsprechung jedoch nur bei Bildungsmaßnahmen für zutreffend, die mit einer tatsächlichen oder rechtlichen Bindung und Verpflichtung zur Teilnahme verbunden sind. Fehlt es jedoch an derartigen tatsächlichen oder rechtlichen Bindungen des Arbeitslosen, dann beeinträchtigt die Bildungsmaßnahme nach Auffassung des Senats die Verfügbarkeit des Arbeitslosen ebensowenig wie andere zulässige Freizeitbeschäftigungen. Der Arbeitslose, der während einer Bildungsmaßnahme zum Briefkasten oder seinem Postfach geht, unterscheidet sich nicht von einem anderen Arbeitslosen, der ebenfalls eine andere Tätigkeit unterbricht. Insoweit verweist der Senat ergänzend auf die seiner Ansicht nach überzeugenden Erwägungen des Sozialgerichts Mannheim im Urteil vom 27. Juli 1990 (S-2/Ar-2298/89), daß die Folgerung des 7. Senats des BSG, der Arbeitslose müsse sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes aktuell zur Verfügung halten und damit werde folglich ein Zustand der Verhältnisse des Arbeitslosen beschrieben, wie er von vornherein täglich vorhanden sein muß, logisch nicht haltbar erscheint. Denn diese Verpflichtung des Arbeitslosen wirft stets erst die Frage auf, ob und wie sie als erfüllt anzusehen ist und diese Frage kann entgegen der Auffassung des 7. Senats gerade nicht "folglich” schon beantwortet sein (siehe ferner die überzeugende Kritik an dieser Rechtsprechung des 7. Senats demnächst bei Steinmeyer in: Gagel u.a., Kommentar zum AFG, § 103 a Anm. 33 ff.).
Im übrigen sprechen für die Auffassung des erkennenden Senats noch folgende Erwägungen: Soll § 103 AFG die Interessen der Versichertengemeinschaft an einer unverzüglichen Beendigung der Arbeitslosigkeit schützen und ist eine Gefährdung dieser Interessen bei lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen, dann ist nämlich kein Grund ersichtlich, die Teilnahme des Arbeitslosen an einer Bildungsmaßnahme durch Verweigerung des Alg zu bestrafen. Im Gegenteil ist festzustellen, daß die solchermaßen aktiv verbrachte Zeit der Arbeitslosigkeit sogar den Interessen der Versichertengemeinschaft entspricht. So ist durch eine Vielzahl einschlägiger Studien ausreichend belegt, daß Arbeitslosigkeit zu schwersten psychischen und sozialen Belastungen führen kann, was sich nicht zuletzt in einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Krankheiten, in Streß, Alkoholismus, Schlafstörungen oder Depressionen niederschlagen kann (vgl. z.B. Arbeitslosigkeit – Krankheit – Krankenversicherung, in SKV 1989, Nr. 4, S. 27 bis 33; Heinelt u.a., Arbeitslosigkeit in den 70er und 80er Jahren, Archiv für Sozialgeschichte 27, S. 259 bis 317 (1987); Brinkmann, Die individuellen Folgen langfristiger Arbeitslosigkeit, MittlAB 1984, S. 454 bis 473; Kaufmann, Quitmann, Welche sozialen Folgen hat die Arbeitslosigkeit, in Arbeitslosigkeit 1984, S. 189 bis 207). Lassen sich demnach die Interessen der Versichertengemeinschaft und die Interessen des Arbeitslosen durch Bildungsmaßnahmen der vorliegenden Art ohne jegliche Probleme auf einen Nenner bringen, dann verbieten im übrigen die Grundrechte des Klägers aus Art. 2 und 12 Grundgesetz – (GG), nämlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Ausbildung, eine Auslegung des Rechtsbegriffs der Verfügbarkeit in dem Sinn, der auf einen Zwang zur Passivität von Arbeitslosen hinausläuft.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger vom 17. November 1986 bis 2. Mai 1987 Arbeitslosengeld (Alg) zusteht.
Der 1964 geborene Kläger war vom 1. August 1980 bis zum 30. August 1986 als Meß- und Regelmechaniker bei der Firma GmbH in beschäftigt. Am 17. November 1986 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt arbeitslos und beantragte Alg. Auf dem Formular erklärte er, seit dem 22. September 1986 am Aufbaukurs der Heimvolkshochschule teilzunehmen. Die liegt in der Nähe von.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 1986 lehnte die Beklagte die Leistungsgewährung mit der Begründung ab, angesichts seiner Teilnahme am Aufbaukurs der stehe der Kläger der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung. Der Kläger widersprach am 2. Januar 1987 mit der Erklärung, er sei bereit, den Lehrgang im Falle einer Arbeitsaufnahme sofort abzubrechen und außerdem bei Einladungen des Arbeitsamtes sofort zur entsprechenden Dienststelle zu fahren. Telefonisch und postalisch sei er jederzeit erreichbar.
Mit Bescheid vom 17. Februar 1987 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Teilnahme an Kursen von Heimvolkshochschulen könne Verfügbarkeit nur anerkannt werden, wenn die betreffende Heimvolkshochschule zumindest im Nahbereich des Arbeitsamtes liege. Dies sei angesichts der Entfernung zwischen dem Arbeitsamtsbezirk und nicht der Fall. Hinzukomme, daß der Kläger an einem Aufbaukurs teilnehme für den eine ausnahmsweise Anerkennung der Verfügbarkeit im Gegensatz zu den lediglich sechs Wochen dauernden Grundkursen ohnehin nicht möglich sei. Der Bescheid wurde am 23. Februar 1987 durch Niederlegung an die Adresse des Klägers bei der zugestellt.
Am 6. Juli 1987 hat der Kläger beim Sozialgericht Osnabrück Klage erhoben und ausgeführt, erstmals am 11. Juni 1987 von dem Widerspruchsbescheid erfahren zu haben. In der Sache legte er dar, die Entfernung zwischen dem Arbeitsamtsbezirk und der Heimvolkshochschule betrage ca. 250 km und diese Distanz zum Arbeitsamtsbezirk hätte er aufgrund seiner Mobilität jederzeit überwinden können.
Auf Antrag des in der Zwischenzeit nach umgezogenen Klägers wurde der Rechtsstreit vom Sozialgericht Osnabrück durch Beschluss vom 24. Juli 1987 an das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) verwiesen.
Mit Urteil vom 14. Juni 1988 wies das SG die Klage ab. Sie sei zwar infolge nicht ordnungsgemäß erfolgter Niederlegung fristgerecht erhoben, jedoch unbegründet, da der Kläger wegen des Besuchs des Aufbaukurses in nicht verfügbar im Sinne des § 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gewesen sei. Auf die Entscheidungsgründe im einzelnen wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 9. August 1988 zugestellte Urteil richtet sich die am 5. September 1988 eingelegte Berufung des Klägers. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte hätte ihn über die Folgen der Teilnahme an dem Kurs in einem 250 km entfernten Ort konkret aufklären müssen, denn dann hätte er den Kurs sofort abgebrochen und somit der Arbeitsvermittlung in subjektiver und in objektiver Hinsicht zur Verfügung gestanden. Nach den Bestimmungen, nach denen der Aufbaukurs absolviert worden sei, wäre er zu nichts verpflichtet gewesen, was einem sofortigen Abbruch im Wege gestanden hätte. Der Kläger sei deshalb im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er den Aufbaukurs sofort abgebrochen und damit die Verfügbarkeit hergestellt. Ferner erklärt der Kläger, sein familiärer Lebensmittelpunkt habe in gelegen; dort habe seine Verlobte und seine Tochter gelebt. Er habe jedes Wochenende in verbracht und sei im übrigen auch des öfteren während der Woche dorthin gefahren. Die Fahrzeit mit seinem Pkw habe rund 2,5 Stunden betragen. Des weiteren beruft sich der Kläger auf das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 8. Juni 1989 (S-10/Ar-235/86).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juni 1988 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 1987 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld vom 17. November 1986 bis zum 2. Mai 1987 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, der Kläger sei nicht objektiv verfügbar im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG gewesen, weil die Bereitschaft des Betroffenen, bei dem Angebot einer zumutbaren Beschäftigung die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme abzubrechen, nicht ausreichend sei. Der Kläger könne auch nicht verlangen, im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe er im Zeitpunkt der Antragstellung der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden, denn weder sei ein ursächlicher Beratungsfehler festzustellen, noch sei Raum für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Ein Beratungsfehler scheide nämlich aus, weil der Kläger auch nach Kenntnis der Rechtslage durch den ablehnenden Bescheid vom 9. Dezember 1986 die Maßnahme nicht abgebrochen habe. Das Fehlen der Verfügbarkeit könne auch nicht durch eine rechtmäßige Amtshandlung der Beklagten ersetzt werden. Im übrigen macht sich die Beklagte die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen.
Der Senat hat noch eine Auskunft bei der eingeholt, in der mitgeteilt wurde, daß ein Abbruch der Maßnahme für den Kläger jederzeit folgenlos möglich gewesen wäre.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und auch begründet.
Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung schließt sich der Senat zunächst den überzeugenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil an. Soweit das SG jedoch den Anspruch des Klägers wegen fehlender objektiver Verfügbarkeit verneinte, ist der Senat anderer Auffassung. Anspruch auf Alg hat gemäß § 100 AFG wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Von diesen Voraussetzungen ist im vorliegenden Fall lediglich die Verfügbarkeit im Streit. Die Begriffsbestimmung der Verfügbarkeit enthält § 103 Abs. 1 Satz 1 AFG. Danach steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer
1) eine längere als kurzzeitige zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf,
2) bereit ist, - jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf, sowie
3) an zumutbaren Maßnahmen zur beruflichen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung, zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten sowie zur beruflichen Rehabilitation teilzunehmen sowie - das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und für das Arbeitsamt erreichbar ist.
Der Formulierung dieser Bestimmung ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber zwischen objektiver Verfügbarkeit (Nrn. 1 und 3) und subjektiver Verfügbarkeit (Nr. 2) unterscheidet, was einem seit jeher anerkannten Grundsatz entspricht. Alg soll nämlich nur derjenige Arbeitslose erhalten, der dem Arbeitsmarkt aktuell zur Verfügung steht und sich subjektiv zur Verfügung hält, weil nur so eine sofortige Vermittlung in Arbeit möglich ist, durch die die Arbeitslosigkeit in erster Linie beendet werden soll. Dem entspricht die Vorschrift des § 5 AFG, wonach unter anderem der Vermittlung in Arbeit Vorrang vor der Gewährung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zukommt (so Bundessozialgericht –BSG– SozR 4100 § 103 Nr. 46).
An der subjektiven Verfügbarkeit des Klägers bestehen keine Zweifel. Entgegen der Auffassung des SG sieht der Senat jedoch auch das Erfordernis der sogenannten objektiven Verfügbarkeit als erfüllt an. Objektive Verfügbarkeit bedeutet, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, daß der Arbeitslose durch nichts gehindert sein darf, ohne Verzug eine gemäß § 103 AFG zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Er muß sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes aktuell zur Verfügung halten.
Aufgrund der Ermächtigung des § 103 Abs. 5 AFG hat die Bundesanstalt für Arbeit Einzelheiten zu den den Arbeitslosen treffenden Obliegenheiten in der "Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über den Aufenthalt von Arbeitslosen während des Leistungsbezuges (Aufenthalts-Anordnung-Aufenthalts –AO–)” bestimmt. Sie hat dabei auch, wozu sie nach § 103 Abs. 5 Satz 2 AFG berechtigt ist, Ausnahmen zugelassen und dabei insbesondere die Situation von Arbeitslosen berücksichtigt, die an einer Bildungsmaßnahme teilnehmen. So bestimmt § 4 Buchstabe b in Verbindung mit § 3 der Aufenthalts-AO, daß die Teilnahme des Arbeitslosen an einer Veranstaltung, die staatspolitischen, kirchlichen oder gewerkschaftlichen Zwecken dient oder sonst im öffentlichen Interesse liegt, der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung nicht entgegensteht, wenn der Arbeitslose während der Teilnahme für das Arbeitsamt zur üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar ist, die Teilnahme jederzeit abbrechen kann und sich vor der Teilnahme für den Fall eines Arbeitsangebots durch das Arbeitsamt glaubhaft zum jederzeitigen Abbruch bereiterklärt hat. Gemäß § 6 Aufenthalts-AO findet diese Ausnahmebestimmung keine Anwendung, wenn sich der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes aufhalten will.
Legt man diese Normen der Prüfung des vorliegenden Sachverhalts zugrunde, war der Kläger objektiv verfügbar, denn er nahm an einer Veranstaltung im Sinne dieser Vorschrift teil und er war auch während der Teilnahme für das Arbeitsamt zur üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus der Tatsache, daß er bei Antragstellung auf seine Teilnahme an der Bildungsmaßnahme in der Heimvolkshochschule ausdrücklich hingewiesen hat. Daß hier in Eilfällen etwa eine unter Umständen sogar telefonische Kontaktaufnahme nicht möglich gewesen wäre, kann nach Meinung des Senats ausgeschlossen werden. Nach den eingeholten Auskünften steht ferner fest, daß der Kläger die Bildungsmaßnahme jederzeit sanktionslos abbrechen konnte. Daß der Kläger schließlich auch zu einem sofortigen Abbruch der Maßnahme ernsthaft bereit war, steht für den Senat aufgrund der Begründung seines Widerspruchs fest.
Allerdings muß der Arbeitslose sich vor der Teilnahme für den Fall eines Arbeitsangebotes durch das Arbeitsamt glaubhaft zum jederzeitigen Abbruch bereit erklärt haben. Diese Bereitschaft hat der Kläger zwar erst in der Begründung seines Widerspruchs erklärt, dies kann ihm die Beklagte wegen fehlender Beratung jedoch nicht entgegenhalten. Der Kläger ist unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vielmehr so zu stellen, als wäre die Erklärung rechtzeitig erfolgt. Dem Kläger steht schließlich auch nicht die Vorschrift des § 6 der Aufenthalts-AO entgegen. Danach findet § 4 keine Anwendung, wenn sich der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes aufhalten will. Zwar dauerte die Bildungsmaßnahme an der länger als sechs Wochen, jedoch rechtfertigt dies nicht zwingend den Schluß, der Kläger habe sich zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes aufhalten wollen. Vielmehr hat der Kläger glaubhaft erklärt, mindestens wöchentlich, unter Umständen sogar mehrmals pro Woche in den Nahbereich des Arbeitsamtes zurückgekehrt zu sein und dies auch von vornherein stets vorgehabt zu haben.
Bei der Auslegung des § 6 der Aufenthalts-AO ist grundsätzlich vom Wortlaut auszugehen. Verbietet demnach diese Vorschrift einen über sechs Wochen hinausgehenden Aufenthalt des Arbeitslosen außerhalb des Nahbereichs des Arbeitsamtes nicht von vornherein völlig, sondern nur unter der einschränkenden Voraussetzung, daß dies von vornherein für länger als sechs Wochen zusammenhängend gewollt sei, so kann genau dies vorliegend nicht festgestellt und erst recht nicht unterstellt werden. Im übrigen bleibt festzuhalten, daß die Fahrzeit vom Ort der Bildungsmaßnahme bis zu einem möglichen Vermittlungsadressaten mit 2,5 Stunden kaum wesentlich länger sein dürfte, als die entsprechende Anmarschzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, insbesondere in strukturschwachen Gebieten.
Zutreffend beruft sich die Beklagte jedoch auf die Rechtsprechung des BSG, daß die Teilnahme von Arbeitslosen an beruflichen Bildungsmaßnahmen, die aus ganztägigem Unterricht bestünden, gegen das Vorliegen objektiver Verfügbarkeit spräche, weil eine abhängige Beschäftigung zur selben Zeit nicht ausgeübt werden könne (so BSG SozR 4100 § 103 Nr. 46).
Es mag dahinstehen, ob diese Rechtsprechung für allgemeinbildende Maßnahmen wie im vorliegenden Fall entsprechend gilt, zumal vorliegend noch ein Ausnahmefall i.S. der Aufenthalts-AO gegeben ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten hält der Senat diese Rechtsprechung jedoch nur bei Bildungsmaßnahmen für zutreffend, die mit einer tatsächlichen oder rechtlichen Bindung und Verpflichtung zur Teilnahme verbunden sind. Fehlt es jedoch an derartigen tatsächlichen oder rechtlichen Bindungen des Arbeitslosen, dann beeinträchtigt die Bildungsmaßnahme nach Auffassung des Senats die Verfügbarkeit des Arbeitslosen ebensowenig wie andere zulässige Freizeitbeschäftigungen. Der Arbeitslose, der während einer Bildungsmaßnahme zum Briefkasten oder seinem Postfach geht, unterscheidet sich nicht von einem anderen Arbeitslosen, der ebenfalls eine andere Tätigkeit unterbricht. Insoweit verweist der Senat ergänzend auf die seiner Ansicht nach überzeugenden Erwägungen des Sozialgerichts Mannheim im Urteil vom 27. Juli 1990 (S-2/Ar-2298/89), daß die Folgerung des 7. Senats des BSG, der Arbeitslose müsse sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes aktuell zur Verfügung halten und damit werde folglich ein Zustand der Verhältnisse des Arbeitslosen beschrieben, wie er von vornherein täglich vorhanden sein muß, logisch nicht haltbar erscheint. Denn diese Verpflichtung des Arbeitslosen wirft stets erst die Frage auf, ob und wie sie als erfüllt anzusehen ist und diese Frage kann entgegen der Auffassung des 7. Senats gerade nicht "folglich” schon beantwortet sein (siehe ferner die überzeugende Kritik an dieser Rechtsprechung des 7. Senats demnächst bei Steinmeyer in: Gagel u.a., Kommentar zum AFG, § 103 a Anm. 33 ff.).
Im übrigen sprechen für die Auffassung des erkennenden Senats noch folgende Erwägungen: Soll § 103 AFG die Interessen der Versichertengemeinschaft an einer unverzüglichen Beendigung der Arbeitslosigkeit schützen und ist eine Gefährdung dieser Interessen bei lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen, dann ist nämlich kein Grund ersichtlich, die Teilnahme des Arbeitslosen an einer Bildungsmaßnahme durch Verweigerung des Alg zu bestrafen. Im Gegenteil ist festzustellen, daß die solchermaßen aktiv verbrachte Zeit der Arbeitslosigkeit sogar den Interessen der Versichertengemeinschaft entspricht. So ist durch eine Vielzahl einschlägiger Studien ausreichend belegt, daß Arbeitslosigkeit zu schwersten psychischen und sozialen Belastungen führen kann, was sich nicht zuletzt in einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Krankheiten, in Streß, Alkoholismus, Schlafstörungen oder Depressionen niederschlagen kann (vgl. z.B. Arbeitslosigkeit – Krankheit – Krankenversicherung, in SKV 1989, Nr. 4, S. 27 bis 33; Heinelt u.a., Arbeitslosigkeit in den 70er und 80er Jahren, Archiv für Sozialgeschichte 27, S. 259 bis 317 (1987); Brinkmann, Die individuellen Folgen langfristiger Arbeitslosigkeit, MittlAB 1984, S. 454 bis 473; Kaufmann, Quitmann, Welche sozialen Folgen hat die Arbeitslosigkeit, in Arbeitslosigkeit 1984, S. 189 bis 207). Lassen sich demnach die Interessen der Versichertengemeinschaft und die Interessen des Arbeitslosen durch Bildungsmaßnahmen der vorliegenden Art ohne jegliche Probleme auf einen Nenner bringen, dann verbieten im übrigen die Grundrechte des Klägers aus Art. 2 und 12 Grundgesetz – (GG), nämlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Ausbildung, eine Auslegung des Rechtsbegriffs der Verfügbarkeit in dem Sinn, der auf einen Zwang zur Passivität von Arbeitslosen hinausläuft.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
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