L 2 An 472/87

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 13 An 397/85
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 An 472/87
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. Januar 1987 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der 1947 geborene Kläger ist von Beruf Bankkaufmann. Er leidet seit etwa 1973 an der sog. Bechterew’schen Erkrankung im Stadium der Wirbelsäulenbeteiligung. Auf Grund dieses Krankheitsbildes führte der Kläger 1981 und 1983 eine jeweils vierwöchige Heilbehandlung auf Kosten der Beklagten in der Rheumaklinik O. durch. Für die vom 10. Februar bis 10. März 1983 erfolgte Heilmaßnahme begehrte die Beklagte von dem Kläger die Zuzahlung von je 5,– DM für 14 Kalendertage.

Im November 1984 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Heilmaßnahme wegen seiner chronischen Erkrankung. Dem entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 18. Dezember 1984, mit welchem sie dem Kläger eine erneute Heilmaßnahme in der Rheumaklinik O. für die Dauer von vier Wochen bewilligte. Gleichzeitig machte die Beklagte die Zuzahlung von 10,– DM kalendertäglich für die Dauer der Heilmaßnahme gegenüber dem Kläger geltend. Mit Schreiben vom 23. Januar 1985 bat der Kläger um Überprüfung der angeordneten Zuzahlung. Die bevorstehende Heilmaßnahme sei mit der letzten Kur absolut identisch; für die letzte Kur seien lediglich je 5,– DM für 14 Kalendertage zuzuzahlen gewesen.

Während der Zeit vom 19. Februar bis 19. März 1985 fand die Heilmaßnahme in der Rheumaklinik O. statt. Innerhalb der letzten zwölf Monate vor Aufnahme der Heilbehandlung war der Kläger nicht arbeitsunfähig gewesen. Während des Heilverfahrens bezog der Kläger kein Übergangsgeld. Er verfügte im Jahre 1985 über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.700,– DM im Durchschnitt.

Mit Bescheid vom 31. Juli 1985, aufgegeben zur Post mittels eingeschriebenem Briefs am 19. August 1985, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18. Dezember 1984 zurück. Der Kläger sei nach § 20 Angestelltenversicherungsgesetz –AVG– zur Zuzahlung von 10,– DM kalendertäglich für die Dauer der Heilmaßnahme verpflichtet. Eine stationäre Heilbehandlung, die einer Krankenhauspflege vergleichbar gewesen sei, habe nicht stattgefunden. Die Rehabilitationsmaßnahme habe nicht infolge einer ernsthaften Erkrankung besonders intensiv durchgeführt werden müssen. Die während der Heilbehandlung durchgeführten Behandlungen seien nicht mit einer Krankenhausbehandlung vergleichbar. Auch habe sich die stationäre Heilbehandlung nicht an eine Krankenhausbehandlung ergänzend angeschlossen. Auf Grund neuer medizinischer Gesichtspunkte sei bei einer Wiederholungsheilbehandlung nicht automatisch eine Befürwortung des § 20 Abs. 2 AVG gegeben.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 6. September 1985 Klage. Er machte geltend, es sei unzutreffend, daß die Rehabilitationsmaßnahme nicht infolge einer ernsthaften Erkrankung besonders intensiv habe durchgeführt werden müssen. Auch sei die Behandlung einer Krankenhausbehandlung gleichzusetzen gewesen. Außerdem habe die Beklagte für die 1983 durchgeführte Heilbehandlung lediglich je 5,– DM für 14 Kalendertage als Zuzahlung geltend gemacht; diese Kur sei mit der 1985 durchgeführten Kur absolut identisch gewesen. Er legte ein Schreiben des Chefarztes der Rheumaklinik O. Dr. A. vom 9. September 1985 vor.

Mit Urteil vom 26. Januar 1987 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 18. Dezember 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 1985 insoweit aufzuheben, als sie darin eine Beteiligung des Klägers an den Aufwendungen des vom 19. Februar bis 19. März 1985 durchgeführten stationären Heilverfahrens über 5,– DM kalendertäglich, begrenzt auf 14 Tage, hinaus, vom Kläger gefordert habe. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei lediglich verpflichtet, sich in Höhe von 5,– DM kalendertäglich, begrenzt auf 14 Tage, nach § 20 Abs. 2 AVG an den Kosten des durchgeführten Heilverfahrens zu beteiligen. Die durchgeführte Heilmaßnahme sei einer Krankenhauspflege vergleichbar gewesen. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Vergleichbarkeit einer Krankenhauspflege sei nicht von dem eigentlichen Begriff der Krankenhauspflege auszugehen. Bereits aus dem Begriff der Vergleichbarkeit ergebe sich, daß keine originäre Krankenhauspflege erforderlich sei. Unter Beachtung von Sinn und Zweck der Vorschriften der §§ 13, 14 AVG sei nicht entscheidend die Art der Behandlung; vielmehr sei, um eine Vergleichbarkeit zu bejahen, darauf abzustellen, ob die Behandlung einer schweren chronischen Erkrankung notwendig sei. Maßgeblich sei also die Art der Erkrankung und deren Behandlungsbedürftigkeit. Daneben sei eine Vergleichbarkeit auch dann gegeben, wenn die Heilbehandlung auf Grund einer Indikation durchgeführt worden sei, für die im Regelfall eine Anschlußheilbehandlung erfolge. Bei der Erkrankung des Klägers handele es sich um eine schwere chronische Erkrankung, deren Behandlung notwendig sei und deren Indikation eine Anschlußheilbehandlung rechtfertigen würde. Die durchgeführte Heilbehandlung sei auch im konkreten Einzelfall mit einer Krankenhauspflege vergleichbar. Die während des Heilverfahrens hauptsächlich durchgeführte physikalische Therapieform sei geeignet, um das Leiden des Klägers zu lindern und den Prozeß des Fortschreitens zu verlangsamen.

Gegen das ihr am 6. April 1987 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. April 1987 Berufung eingelegt. Nach ihrer Auffassung war die Heilbehandlung einer Krankenhauspflege nicht vergleichbar. Die für eine Anschlußheilbehandlung maßgeblichen Indikationsgruppen dienten in den Fällen, in denen eine Anschlußheilbehandlung nicht stattgefunden habe, nur als Entscheidungshilfe, ersetzten aber nicht die Einzelfallprüfung. Nach dem Wortlaut von § 20 Abs. 2 AVG könne nur von der Art der Behandlung als Tatbestand ausgegangen werden, wenn der unbestimmte Rechtsbegriff der Krankenhauspflege vergleichbar inhaltlich fixiert werden solle. Die Krankenhauspflege im Sinne von § 184 Reichsversicherungsordnung –RVO– unterscheide sich von anderen Formen der stationären Behandlung dadurch, daß bei ihr die intensive ärztliche Behandlung im Vordergrund der Maßnahme stehe. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nach dem Entlassungsbericht der Rheumaklinik O. nicht der Fall gewesen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. Januar 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und legt ein Schreiben des Dr. A. vom 21. Januar 1987 vor.

Der Senat hat die Krankenunterlagen des Klägers von der Barmer Ersatzkasse zum Verfahren beigezogen.

Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 11. Juni 1986 – Az.: 1 RA 51/85). Sie ist auch sachlich begründet.

Entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts ist der Kläger zur Zuzahlung von 10,– DM kalendertäglich für die Dauer der Heilmaßnahme vom 19. Februar bis 19. März 1985 verpflichtet. Der Bescheid vom 18. Dezember 1984 und der Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1985 sind nicht rechtswidrig.

Nach § 20 Abs. 1 AVG zahlt der Versicherte zu den Aufwendungen einer stationären Heilbehandlung für jeden Kalendertag der stationären Heilbehandlung 10,– DM zu, wenn die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die Heilbehandlung nur für ihn durchführt. Nach Abs. 2 der Bestimmung gilt § 184 Abs. 3 RVO entsprechend, wenn sich der Betreute in einer stationären Heilbehandlung befindet, die der Krankenhauspflege vergleichbar ist oder sich an diese ergänzend anschließt. In § 184 Abs. 3 RVO ist bestimmt, daß der Versicherte vom Beginn der Krankenhauspflege an innerhalb eines Kalenderjahres für längstens 14 Tage 5,– DM je Kalendertag an das Krankenhaus zu zahlen hat.

Da sich im vorliegenden Fall die Heilbehandlung nicht ergänzend an eine Krankenhauspflege angeschlossen hat, ist maßgeblich für die Frage, in welchem Umfang sich der Kläger an den Aufwendungen der stationären Heilbehandlung zu beteiligen hat, ob die durchgeführte Heilbehandlung in der Rheumaklinik O. einer Krankenhauspflege vergleichbar gewesen ist. Krankenhauspflege setzt nach § 184 Abs. 1 RVO voraus, daß die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist, um die Krankheit zu erkennen oder zu behandeln oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Begrifflich erfordert die Krankenhauspflege eine im Vordergrund stehende intensive ärztliche Behandlung von Personen, die an einer akuten Krankheit leiden sowie deren anstaltsmäßige Pflege zur Wiederherstellung der Gesundheit (vgl. BSG, Urteil vom 27. November 1980 – Az. 8 a/3 RK 60/78). Die Krankenhauspflege unterscheidet sich danach von anderen Formen der stationären Behandlung dadurch, daß jede intensive ärztliche Behandlung im Vordergrund der Bemühungen um den Kranken steht. Unter Berücksichtigung dessen ist eine stationäre Heilbehandlung einer Krankenhauspflege vergleichbar, wenn schwerwiegende Befunde bestehen, die eine wenigstens krankenhausähnliche Behandlung erfordern. Mithin kommt es für die Entscheidung der Frage, ob eine stationäre Heilbehandlung einer Krankenhauspflege vergleichbar ist, auf die Art der gestellten Diagnose und die festgestellten Befunde sowie die Art und die Notwendigkeit einer bestimmten Therapie an. Eine Vergleichbarkeit wird dabei grundsätzlich zu bejahen sein, soweit das Heilverfahren auf Grund von Indikationen durchgeführt worden ist, bei denen auch eine Anschlußheilbehandlung gewährt worden wäre, im Einzelfall jedoch nicht zur Durchführung gekommen ist (Kommentar des Verbandes der Rentenversicherungsträger, § 1243 RVO Anm. 8 ff). Zu den Indikationen gehören unter anderem der akute Herzmuskelinfarkt, der Reininfarkt, die Behandlung nach Herzoperationen, die chronische Polyarthritis, degenerative rheumatische Erkrankungen und Zustände nach Operationen und Unfallfolgen an den Bewegungsorganen sowie akute Hirngefäßerkrankungen nach Abklingen der akuten Erscheinungen. Wie aus dem Katalog ersichtlich ist, werden Anschlußheilbehandlungen regelmäßig bei Abklingen eines schweren akuten Krankheitsbildes durchgeführt. Die Bechterew'sche Erkrankung, an welcher der Kläger leidet, ist eine chronisch verlaufende Krankheit, die im schubweisen Auftreten der mit der Krankheit verbundenen Symptomen verläuft (vgl. Thiele, Handlexikon der Medizin, 1980, S. 2302). Eine krankenhausähnliche Pflege kann bei diesem Krankheitsbild nach einem akuten Schub notwendig sein.

Vorliegend erforderte der Gesundheitszustand des Klägers, wie er sich aus dem Heilverfahrensentlassungsbericht der Rheumaklinik O. ergibt, während der Dauer des Heilverfahrens vom 19. Februar bis 19. März 1985 jedoch keine einer Krankenhauspflege vergleichbare Behandlung. Der Kläger hatte keinen akuten Krankheitsschub erlitten. Er war vor Antritt des Heilverfahrens nicht arbeitsunfähig. Daneben wird im Entlassungsbericht ausgeführt, daß im Vordergrund der Therapiemaßnahmen eine gezielte krankengymnastische Behandlung gestanden hat. Dies folgt darüber hinaus aus den im Entlassungsbericht angegebenen Maßnahmen, die im einzelnen zur Anwendung gekommen sind. Daraus ergibt sich, daß im vorliegenden Fall nicht eine (intensive) ärztliche Behandlung des Klägers erforderlich war, sondern die Durchführung von Maßnahmen eigens dafür ausgebildeter Fachkräfte wie Krankengymnasten, Therapeuten, Masseure, ohne ärztliche Anleitung und Behandlung. Damit kann von einer Vergleichbarkeit der Heilbehandlung mit einer Krankenhauspflege vorliegend nicht gesprochen werden. Etwas anderes folgt nicht aus den vom Kläger vorgelegten Schreiben des Chefarztes der Rheumaklinik O. Dr. A. Vielmehr geht insbesondere aus dem Schreiben vom 21. Januar 1987 hervor, daß es in der Rheumaklinik O. auch Spezialkrankenhausbetten für Rheumakranke gibt, also hier ebenfalls zwischen verschiedenen Krankheitszuständen unterschieden wird. Dagegen ist gerade nicht ausgeführt, daß auch der Kläger zu den Fällen gehörte, die wegen eines akuten Krankheitsbildes zur besseren Versorgung in eine Rheumaklinik statt in ein Akutkrankenhaus aufgenommen werden mußten.

Unerheblich ist schließlich, daß die Beklagte für das im Jahre 1983 durchgeführte Heilverfahren nur je 5,– DM für 14 Kalendertage an Zuzahlung geltend gemacht hat. Die Zuzahlungsverpflichtung ist bei jeder Heilverfahrensgewährung neu zu prüfen, da jeweils auch die Voraussetzungen für das Heilverfahren neu festzustellen sind.

Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4 und 5 AVG, unter welchem eine Zuzahlung nicht zu leisten ist, liegen nicht vor.

Nach alledem konnte das erstinstanzliche Urteil nicht aufrechterhalten werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision aus den Gründen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved