L 2 J 315/88

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 315/88
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. Juli 1987 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 300,– DM nach § 1291 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) auf eine wieder aufgelebte Witwenrente anzurechnen ist.

Die 1921 geborene Klägerin bezog aus erster Ehe mit dem am 17. Juli 1944 gefallenen R. K. Witwenrente. Ihre am 22. Dezember 1958 geschlossene Ehe mit dem Versicherten H. S. wurde am 6. Oktober 1981 rechtskräftig geschieden. Im Rahmen des Versorgungsausgleichs wurden der Klägerin Rentenanwartschaften aus der Ehezeit in Höhe von 144,65 DM übertragen. Außerdem verpflichtete sich die Klägerin anläßlich der Scheidung vergleichsweise im Hinblick auf ihre eigenen Einkünfte, zum damaligen Zeitpunkt gegen den Antragsteller keine Unterhaltsansprüche geltend zu machen und demgemäß auch keine Rechte aus dem Teilanerkenntnisurteil des Amtsgerichts S. vom 15. November 1979 (Az.: F 178/79) herzuleiten. Nach diesem Urteil war der Versicherte verpflichtet, ab 1. Oktober 1979 der Klägerin eine monatliche Unterhaltsrente von 350, DM zu zahlen. Ein weitergehender Unterhalt war durch Schlußurteil vom 6. März 1980 abgelehnt worden. Seit 4. März 1980 war die Klägerin im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei der Stadt R. beschäftigt und hatte einen monatlichen Nettolohn von 1.496,76 DM. Demgegenüber hatte der Versicherte ein Einkommen von monatlich 1.900,– DM bei 300,– DM Kreditbelastung monatlich.

Auf Antrag der Klägerin vom 23. November 1981 bewilligte die Beklagte ihr durch Bescheid vom 28. April 1982 ab 1. November 1981 wieder aufgelebte Witwenrente aus der Versicherung des 1. Ehemannes (ab 1. November 1981 DM 667,60; ab 1. Januar 1982 DM 706,10). Nach den getroffenen Feststellungen sei zur Zeit ein Unterhaltsanspruch nicht anzurechnen.

Seit 1. September 1982 bezog die Klägerin von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vorzeitiges Altersruhegeld in Höhe von 1.030,90 DM monatlich. Über ihren Rentenbezug informierte die Klägerin die Beklagte erst mit Schreiben vom 6. Mai 1984. Mit Bescheid vom 21. Juni 1985 rechnete die Beklagte auf die wieder aufgelebte Hinterbliebenenrente einen Versorgungsanspruch aus übertragenen Rentenanwartschaften in Höhe von damals monatlich 179,10 DM an und hob den Bescheid vom 28. April 1982 mit Wirkung vom 1. Juli 1985 insoweit auf. Weiter ermittelte die Beklagte die Einkommensverhältnisse des Versicherten und der Klägerin. Dabei ergab sich ein monatlicher durchschnittlicher Arbeitsverdienst des Versicherten in Höhe von 2.189,– DM gegenüber Renteneinkünften der Klägerin in Höhe von monatlich 1.423,– DM (1.107,– DM BfA-Rente, 587,– DM Witwenrente und 316,– DM ZVK) Mit Schreiben vom 14. März 1986 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß von der. Differenz der beiderseitigen Einkünfte in Höhe von 766,– DM der Versicherte 2/5 = ca. 300,– DM als Unterhalt zu zahlen habe. Es sei beabsichtigt, diesen Betrag auf die wieder aufgelebte Hinterbliebenenrente anzurechnen. Dies erfolgte durch Bescheid vom 2. Juni 1986, mit dem die Beklagte den Bescheid vom 21. Juni 1985 nach § 48 SGB X mit Wirkung ab 1. Juli 1986 aufhob. Des weiteren rechnete sie ab 1. Januar 1986 wegen Änderung der gesetzlichen Bestimmungen den auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Versorgungsanspruch in Höhe von 179,10 DM nicht mehr an und nahm den Bescheid vom 21. Juni 1985 gemäß § 44 SGB X insoweit für die Vergangenheit zurück.

Die Klägerin erhob Widerspruch gegen die Anrechnung eines Anspruchs von 300,– DM auf die wieder aufgelebte Hinterbliebenenrente und legte eine Klageschrift gegen den Versicherten vor dem Amtsgericht S. auf Unterhalt in Höhe von 300,– DM vor; der Beklagten verkündete sie den Streit. Durch Urteil des Amtsgerichts S. (Familiengericht Az.: 1 F 177/86) vom 28. Juli 1986 wurde die Unterhaltsklage abgewiesen. Im Urteil heißt es u.a.: "Die Klägerin hat während der gesamten Ehe gearbeitet und hatte zum Zeitpunkt der Scheidung einen gesicherten Arbeitsplatz bei der Stadt R., wo sie angemessenes Einkommen erzielt hat. Auch für die Zukunft war ihr Unterhalt gesichert. Schon zum Zeitpunkt der Scheidung bestand zwischen den Parteien Einigkeit, daß die Witwenrente der Klägerin Wiederaufleben würde, so daß sie über weiteres Einkommen verfügen konnte. Die Parteien haben den angemessenen Unterhalt der Klägerin auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben für gesichert angesehen, weil sie zu der Hinterbliebenenrente eine Rente aus eigener Versicherung, die noch durch den Versorgungsausgleich erhöht worden ist, beanspruchen konnte. Diese zum Zeitpunkt der Scheidung objektiv vorhandene nachhaltige Sicherung des Unterhalts der Klägerin kann jetzt nicht nachträglich dadurch beseitigt werden, daß die Landesversicherungsanstalt unterstellt, die Klägerin habe einen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann und mit dieser Begründung die Hinterbliebenenrente um 300,– DM kürzt.” Die Beklagte ermittelte noch die Einkommensverhältnisse des Versicherten in der Zeit zwischen November 1985 bis Oktober 1986. Mit Einverständnis der Klägerin leitete dann der Widerspruchsausschuß den Widerspruch dem Sozialgericht Frankfurt am Main als Klage zu (Eingang 19. März 1987).

Durch Urteil vom 31. Juli 1987 hob das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 1986 auf, soweit ein Unterhaltsanspruch im Sinne von § 1291 Abs. 2 RVO angerechnet wurde. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, die Klägerin habe keinen erneuten Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten erworben. Sie habe alles unternommen, um einen möglichen Unterhaltsanspruch zu realisieren. Sie habe ihren früheren Ehemann erfolglos auf Unterhalt verklagt. Die Beklagte könne sich über dieses Urteil des Amtsgerichts S. nicht einfach hinwegsetzen und behaupten, es bestünde dennoch ein Unterhaltsanspruch.

Gegen das ihr am 7. März 1988 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. März 1988 Berufung eingelegt. Sie meint, daß gemäß § 1291 Abs. 2 RVO auf die wieder aufgelebte Hinterbliebenenrente der Klägerin ein fiktiver (hypothetischer) Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann in Höhe von monatlich 300,– DM anzurechnen sei. Das Sozialgericht sei ebenso wie sie – die Beklagte – an die Klageabweisung im Unterhaltsprozeß des Familiengerichts nicht gebunden, weil es die Wiederauflebensrente – dem Subsidiaritätsprinzip zuwider – bei der Berechnung des Unterhaltsanspruchs berücksichtigt habe. Deswegen habe die Klägerin das Urteil des Familiengerichts auch nicht rechtskräftig werden lassen dürfen. Die Streitverkündung gemäß § 72 Zivilprozeßordnung (ZPO) in dem Verfahren vor dem Familiengericht sei unzulässig und daher unwirksam gewesen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. Juli 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt u.a. aus, die Beklagte verkenne die Anspruchsvoraussetzungen für Ehegattenunterhalt nach rechtskräftiger Scheidung, insbesondere § 1573 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Von einer Verletzung des Subsidiaritätsprinzips könne keine Rede sein. Die Beklagte irre sich auch, wenn sie meine, eine Streitverkündung im Verfahren vor dem Amtsgericht S. sei nicht möglich gewesen. Im übrigen sei auch das Bundessozialgericht zur Erkenntnis gelangt (BSGE 62, 50 ff.), daß ein rechtskräftiges Urteil Tatbestandswirkung gegenüber den Trägern der Rentenversicherung entfalte.

Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakten, die vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist sachlich unbegründet.

Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, daß der Klägerin ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente ohne Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs im Sinne von § 1291 Abs. 2 RVO zusteht.

Die mit Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 1986 erfolgte Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs in Höhe von monatlich 300,– DM auf die wieder aufgelebte Hinterbliebenenrente ab 1. Juli 1986 wegen wesentlicher Änderung der dem Bescheid vom 21. Juni 1985 zugrunde liegenden Verhältnisse nach § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) ist rechtswidrig. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die zur Anrechnung berechtigen würde, liegt nicht vor.

Nach § 1291 Abs. 2 RVO ist ein infolge Auflösung der letzten Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch auf die Witwenrente anzurechnen. Dabei können sich anrechenbare Ansprüche aus dem Gesetz – hier §§ 1569 ff. BGB – oder aus Vertrag ergeben. In die Bemessung eines Unterhaltsanspruchs darf die Wiederauflebensrente nicht einbezogen werden (vgl. BGH NJW 1979, 815), denn der Anspruch ist subsidiär. Er soll lediglich eine nach Auflösung der 2. Ehe möglicherweise entstandene Versorgungslücke schließen und eine Versorgung der Witwe aus ihrer ersten Ehe nur insoweit wiedereinsetzen lassen, als ihre Versorgung aus der 2. Ehe geringer ist. Die Witwe soll nach Auflösung der 2. Ehe also finanziell zwar nicht schlechter, aber auch nicht besser als vor der Wiederheirat gestellt werden (BSGE 30, 220, 222 = SozR Nr. 29 zu § 1291 RVO und BSG in SozR 2200 § 1291 Nr. 30).

Bei Beachtung der Entscheidung des Amtsgerichts S. vom 28. Juli 1986, das die Unterhaltsklage der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann rechtkräftig abgewiesen hat, steht der Klägerin kein Unterhaltsanspruch zu, den sie sich auf die wieder aufgelebte Witwenrente anrechnen lassen muß. An dieses rechtskräftige Urteil ist auch die Beklagte zumindest im Sinne einer Tatbestandswirkung gebunden (vgl. dazu BSG Urteile vom 24. Juni 1987, Az.: 5 a RKn 2/86 und vom 23. November 1988, Az.: 5/4 a RJ 37/87), wenn man mit der Beklagten die von Seiten der Klägerin im Unterhaltsprozeß gemäß § 72 ZPO erfolgte Streitverkündung vor dem Familiengericht für unzulässig und daher folgenlos hält. Da die Beklagte an einem Unterhaltsprozeß zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann nicht beteiligt ist und die Rechtskraft eines Urteils sich auch auf sie nicht erstreckt, besteht durchaus das Bedürfnis, in den Fällen, wie § 72 ZPO es vorsieht, einer Partei – hier der Klägerin –, die bei ihr ungünstigem Ausgang des Rechtsstreites einen Anspruch auf Schadloshaltung gegen einen Dritten – hier den Versicherungsträger – erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, der Partei die Streitverkündung an den Dritten zu gestatten, damit der Dritte für die Zeit der Möglichkeit seines Beitritts gemäß §§ 74 Nr. 3, 68 ZPO nicht unter Hinweis auf die grundsätzlich nur zwischen den Parteien wirkende Rechtskraft behaupten kann, der Rechtsstreit sei unrichtig entschieden (zur Nebenintervention vgl. auch LG Bochum in DAngVers 1969 S. 227). Die Möglichkeit der Streitverkündung im Unterhaltsprozeß dürfte daher der materiellen Gerechtigkeit wie auch der Prozeßökonomie entsprechen. Dies bedarf vorliegend aber keiner abschließenden Entscheidung, denn geht man gleichwohl nur von einer Tatbestandswirkung des amtsgerichtlichen Urteils vom 28. Juni 1986 aus, dann fordert auch sie grundsätzlich eine Respektierung dieses Urteils von allen Behörden bei der Entscheidung über Ansprüche. Einschränkungen können sich aus den unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen – das zivilgerichtliche Verfahren wird nicht vom Amtsermittlungsprinzip beherrscht – ergeben. Behörden sind daher nicht gehindert, ihnen zusätzlich mitgeteilte oder bei Ermittlungen bekannt gewordene Tatsachen zu berücksichtigen, die das rechtskräftige Urteil mangels eines entsprechenden Vertrags nicht berücksichtigen konnte und nicht berücksichtigt hat (vgl. BSG Urteil vom 23. November 1988, Az.: 5/4 a RJ 37/87).

Vorliegend hat aber die Beklagte die Nichtberücksichtigung des amtsgerichtlichen Urteils nicht mit neuen Tatsachen oder Ermittlungsergebnissen begründet. Vielmehr wendet sie sich gegen das Urteil, weil sie es wegen Verkennung des Subsidiaritätsprinzips der wieder aufgelebten Witwenrente für rechtlich falsch hält. Dadurch wird aber die Rechts- und Tatbestandswirkung des amtsgerichtlichen Urteils nicht beeinträchtigt (BSG a.a.O.). Die Klägerin war auch nicht zur Einlegung einer Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil verpflichtet. Dies wäre bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit sicherlich erforderlich gewesen (vgl. BSGE 22, 78, 80; 27, 171, 176). Davon kann vorliegend aber keine Rede sein. Im übrigen wäre auch von der Beklagten im Hinblick auf ihre Kenntnis vom Unterhaltsprozeß eine aktive Unterstützung ihres Versicherungsmitglieds zu erwarten gewesen, um einen tatsächlichen oder vermeintlichen Unterhaltsanspruch verfahrensrechtlich durchzusetzen, wenn sie eine Berufung für hinreichend aussichtsreich angesehen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG fehlt.
Rechtskraft
Aus
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