L 20 AS 378/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 100 AS 859/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 378/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1959 geborene Kläger begehrt für den Zeitraum 1. August 2005 bis 28. Februar 2006 höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Kläger ist Vater der 1984 geborenen Tochter M., die bis zum 20. Februar 2006 in der Wohnung des Klägers wohnte. Die Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse - hatte dem Kläger bis einschließlich Februar 2006 Kindergeld für seine Tochter M. bewilligt.

Mit Bescheid vom 6. Juli 2005, geändert durch die Bescheide vom 13. Oktober 2005 und vom 28. Dezember 2005 und mit Bescheid vom 6. Oktober 2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 1. August 2005 bis 31. März 2006 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II u. a. unter Anrechnung des für die Tochter M. gezahlten Kindergeldes in Höhe von monatlich 154,00 EUR als Einkommen. Die u. a. hiergegen gerichteten Widersprüche des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 2006 zurück.

Gegen vorgenannte Bescheide hat der Kläger am 25. Januar 2006 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben und zur Begründung u. a. geltend gemacht, er sei gegenüber seiner Tochter unterhaltsverpflichtet, auch wenn kein Unterhaltstitel vorliege. Seit der Scheidung 1993 sei er allein erziehender Vater. Seine Tochter müsse das Kindergeld bei allen Anträgen für die Universität u. s. w. als ihr Einkommen angeben, sodass es zu einer Doppelanrechnung käme. Ohne die Weiterleitung des Kindergeldes wäre es der Tochter nicht möglich gewesen, ein Studium aufzunehmen. Er habe ein Merkblatt zum Kindergeld erhalten, in dem von den Aufgaben und Verpflichtungen der volljährigen Kinder die Rede gewesen sei. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass das volljährige Kind selbst einen Anspruch auf Kindergeld habe. Aus diesem Grund habe er das Kindergeld in Höhe von 154 EUR bereits seit Januar 2003 auf das Konto seiner Tochter überwiesen. Ab Erhalt des Arbeitslosengeldes II habe er das Kindergeld nicht mehr an die Tochter weitergeleitet, sondern zum Ausgleich des von der Tochter zu tragenden Mietanteils von 200 EUR verwendet. Anträge auf Abzweigung des Kindergeldes seien von der Familienkasse abgelehnt worden, obwohl seine Tochter nach dem - in dem hier streitigen Zeitraum - geltenden Recht eine eigene Bedarfsgemeinschaft gebildet hätte. Schließlich habe der Kläger keine Freibeträge auf das Kindergeld erhalten.

Weitere Änderungsbescheide hinsichtlich des streitbefangenen Zeitraums hat der Beklagte am 6. Februar 2006, 20. März 2006, 12. Oktober 2006, 13. Oktober 2006 und 28. November 2006 erlassen. Der Kläger hat u. a. eine schriftliche Erklärung seiner Tochter M. vom 12. März 2006, einen Bescheid der Familienkasse Berlin Mitte vom 20. März 2006 sowie einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Berlin Nord, Familienkasse, vom 9. März 2006 zur Gerichtsakte (GA) gereicht (Bl. 34 , 41 f. GA).

Der Kläger hat beantragt,

die Bescheide vom 6. Juli 2005 und 6. Oktober 2005 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 13. Oktober 2005 und 28. Dezember 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2006 sowie der Änderungsbescheide vom 6. Februar 2006, 20. März 2006, 12. und 13. Oktober 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. August 2005 bis 31. März 2006 höhere Grundsicherungsleistungen zu gewähren ohne Anrechnung des für die Tochter M. gezahlten Kindergeldes als Einkommen und unter Berücksichtigung höherer Beiträge für die Riester-Rente bereits für die Monate Januar und Februar 2006.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Gerichtsbescheid vom 1. Februar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt, das Kindergeld sei als Einkommen des Klägers zu berücksichtigen gewesen. Der Gesetzgeber habe keine Möglichkeit zur Absetzung von Unterhaltszahlungen eröffnet, denn es sei nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende, dem Hilfebedürftigen Unterhaltsverpflichtungen abzunehmen.

Gegen den dem Kläger am 12. Februar 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 9. März 2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, das Gericht lasse außer Acht, dass seiner Tochter Barunterhalt zustehe. Auf ihren zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch werde das Kindergeld angerechnet. Dem entsprechend zahle die Mutter Unterhalt nach Tabelle abzüglich 154 EUR Kindergeld.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. Februar 2007 und die Bescheide vom 6. Juli 2005 und 6. Oktober 2005 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 13. Oktober 2005 und 28. Dezember 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2006 sowie der Änderungsbescheide vom 6. Februar 2006, 20. März 2006, 12. und 13. Oktober 2006 sowie vom 28. November 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 1. August 2005 bis 28. Februar 2006 höhere Grundsicherungsleistungen zu gewähren ohne Anrechnung des für die Tochter M. gezahlten Kindergeldes als Einkommen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Entscheidungsform ausdrücklich einverstanden erklärt haben (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Klage - soweit noch streitgegenständlich - zu Recht abgewiesen.

Streitgegenstand ist bei sachgerechter Auslegung des Berufungsantrages des Klägers die von ihm begehrte Verurteilung des Beklagten, ihm für den Zeitraum 1. August 2005 bis 28. Februar 2006 noch zusätzlich Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II in Höhe von monatlich 154,00 EUR zu gewähren. Die angegriffenen Bescheide, zuletzt in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13. Oktober 2006 für den Zeitraum 1. August 2005 bis 30. September 2006 und des Änderungsbescheides vom 28. November 2006 für den Zeitraum 1. Oktober 2005 bis 31. März 2006 sind jedoch - bezogen auf den hier zu prüfenden streitgegenständlichen Zeitraum - rechtmäßig. Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass dem Kläger für den genannten Zeitraum keine höheren Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II zustanden.

Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB II SGB in der - hier maßgeblichen - bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung (a. F.) ist nur Kindergeld für minderjährige Kinder bei dem jeweiligen Kind zuzurechnen, soweit es bei diesem minderjährigen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Diese Regelung knüpft daran an, dass gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II a. F. nur minderjährige Kinder zur Bedarfsgemeinschaft gehören konnten. Nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er nunmehr auch in § 1 Nr. 8 Alg II-V in der ab 1. Oktober 2005 geltend Fassung zum Ausdruck kommt, ist also das Kindergeld für volljährige, im Haushalt lebende Kinder dem Kindergeldberechtigten als Einkommen zuzurechnen (vgl. BSG, Urteil vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS 54/06FamRZ 2008, 886, Urteil vom 23. November 2006 – B 11 b AS 1/06 R – SozR 4-4200 § 20 Nr. 3).

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Kläger das Kindergeld an seine Tochter weitergeleitet bzw. zur Tilgung der auf seine Tochter entfallenden Kosten der Unterkunft verwendet hat. Steuerrechtlich steht nach § 62 EStG der Anspruch auf Kindergeld "für Kinder im Sinne des § 63" anders als nach § 1 Abs. 2 BKGG für den dort bezeichneten Sonderfall nicht dem Kind für sich selbst zu, sondern einem mit dem Kind, für das Kindergeld gewährt wird, nicht identischen Anspruchsberechtigten. Da Kindergeld für jedes Kind nur einem Berechtigten gezahlt wird (§ 64 Abs. 1 EStG), beurteilt sich bei mehreren Berechtigten nach § 64 Abs. 2 EStG, wem von ihnen das Kindergeld gezahlt wird. In Sonderfällen sieht § 74 EStG (vergleichbar §§ 48 f. SGB I) vor, dass das Kindergeld an Dritte ausgezahlt werden kann beziehungsweise auszuzahlen ist. An Kinder des Kindergeldberechtigten kann es nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG in angemessener Höhe ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihnen gegenüber seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht nachkommt. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 EStG kann Kindergeld zudem an Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigt werden, bis zur Höhe des Betrages, der sich bei entsprechender Anwendung des § 76 EStG ergibt, ausgezahlt werden. Dies gilt auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Schließlich ist auf Antrag das Kindergeld an ein unterhaltsberechtigtes Kind auszuzahlen, wenn der gesetzlich unterhaltspflichtige Kindergeldberechtigte auf Grund richterlicher Anordnung länger als einen Monat in einer Anstalt oder Einrichtung untergebracht ist (§ 74 Abs. 2 EStG). Aus dem Zweck des Kindergeldes folgt keine von der Auszahlung unabhängige Zuordnung als Einkommen des Kindes. Nach der steuerrechtlichen Regelung des Kindergeldes in §§ 31, 62 ff. EStG fällt wegen eines Kindes in Höhe des Kindergeldes weniger Steuer an oder ist das Kindergeld eine Leistung zur Förderung der Familie und fließt in dieser Höhe Einkommen zu (BVerwGE 114, 339 (340)). Daraus kann aber nicht geschlossen werden, die Zweckbindung des Kindergeldes bestehe nach § 31 EStG darin, das Existenzminimum des Kindes abzudecken. Vielmehr ist ein Zweck des Kindergeldes, die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes zu bewirken (§ 31 EStG). Mit diesem Zweck wird Kindergeld nicht dem Kind selbst (vertreten durch die Eltern) als Einkommen zur Sicherung seines Existenzminimums gewährt, sondern es bleibt der Teil des elterlichen Einkommens steuerfrei, den diese zur Existenzsicherung ihres Kindes benötigen. Eine Steuerfreistellung kann zu einem höheren Nettoeinkommen des Anspruchsberechtigten, nicht dagegen zu Einkommen des Kindes selbst führen, für das Kindergeld gewährt wird. Zum anderen dient das Kindergeld, soweit es für den Zweck der steuerlichen Freistellung nicht erforderlich ist, "der Förderung der Familie" und nicht etwa allein oder vorrangig der Förderung des Kindes, für das Kindergeld gewährt wird (Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 17. Dezember 2003 - 5 C 25/02 - NJW 2004, 2541).

Auch das Zivilrecht ordnet Kindergeld nicht abweichend vom Steuerrecht dem Kind als Einkommen zu. § 1612b BGB regelt allein die Anrechnung von Kindergeld in Bezug auf den Unterhalt für das Kind. Im Kinder- und Jugendhilferecht erklärt § 39 Abs. 6 SGB VIII für den Fall, dass das Kind oder der Jugendliche im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach § 31 EStG bei der Pflegeperson berücksichtigt wird, nicht Teilbeträge des Kindergeldes als Einkommen des Kindes oder Jugendlichen, sondern bestimmt eigenständig eine gewisse Anrechnung solcher Beträge auf die laufenden Leistungen zum Unterhalt (vgl. BVerwG, a. a. O., m. w. N.).

Neben den Absetzungen vom Erwerbseinkommen nach §§ 11 Abs. 2, 30 SGB II a. F., § 3 Nr. 1 Alg II-V kamen weitere Absetzungen vom Einkommen aus Kindergeld nicht in Betracht. Sonstige Gründe für einen Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen der Grundsicherung sind für den streitgegenständlichen Zeitraum sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG – und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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