L 23 B 170/08 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 50 SO 1420/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 170/08 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2008 geändert und wie folgt neu gefasst: Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Mai 2008 wird insoweit wiederhergestellt, als der Bescheid vom 01. August 2007 mit Wirkung vom 30. April 2008 bis 21. Mai 2008 rückwirkend aufgehoben worden ist. Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers abgelehnt. Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ein Zehntel seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin J E, P Straße , B, beigeordnet. Hinsichtlich der Prozesskostenhilfegewährung für das erstinstanzliche Verfahren verbleibt es bei dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2008.

Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 01. August 2007 stellte der Antragsgegner die Hilfe zum Lebensunterhalt für den Antragsteller ab dem Monat Juli 2007 neu fest. In der Anlage zu dem Bescheid werden die Zahlbeträge "bis auf weiteres" geregelt. In der Sache handelte es sich um einen nach § 28 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch SGB XII bestimmten Bedarf. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 13. September 2007 Widerspruch ein und begehrte die Anerkennung eines fiktiven monatlichen Mietanteils. Über den Widerspruch ist soweit ersichtlich noch nicht entschieden.

Mit Bescheid vom 22. Mai 2008, den Bevollmächtigten des Antragstellers am selben Tage zugegangen, hob der Antragsgegner, gestützt auf § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch SGB , den Bescheid vom 01. August 2007 mit Wirkung ab 30. April 2008 auf. An diesem Tage vollende der Antragsteller das 15. Lebensjahr und sei dem Grunde nach anspruchsberechtigt auf Leistungen nach Sozialgesetzbuch Zweites Buch SGB II. Leistungen nach dem SGB XII seien ab diesem Tage aufgrund der Sonderregelung des § 21 SGB XII ausgeschlossen. Zugleich ordnete der Antragsteller die sofortige Vollziehung des Bescheides gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz SGG an. Es überwiege das öffentliche Interesse an der Gewährung von Leistungen in rechtmäßiger Höhe das mögliche private Interesse des Antragstellers, die Geldleistung in bisheriger Höhe weiter zu beziehen.

Mit Schreiben vom 27. Mai 2008 bezog sich der Antragsgegner auf den Bescheid vom 22. Mai 2008 und ergänzte die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung wie folgt:

"Durch die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes erwachsen Ihrem Mandanten keine Nachteile. Er gehört nach § 7 SGB II eindeutig zum anspruchsberechtigten Personenkreis auf Leistungen nach diesem Gesetz. Soweit er noch keinen Antrag beim JobCenter gestellt hat, könnte er bei unverzüglicher Antragstellung im Anschluss an die Einstellung der SGB XII Leistungen Arbeitslosengeld vom JobCenter Charlottenburg-Wilmersdorf beziehen.

Auch unter Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt. Es besteht kein privates Interesse daran, von einem bestimmten Sozialleistungsträger Leistungen zu beziehen. Soweit ein anderer Sozialleistungsträger verpflichtet und bereit ist Leistungen, die den Lebensunterhalt sichern zu gewähren, kann auf diesen verwiesen werden.

In einem heutigen Telefonat mit dem JobCenter konnte nicht festgestellt werden, ob ein Antrag Ihres Mandanten dort vorliegt. Dass grundsätzlich ein Anspruch besteht wurde jedoch bestätigt."

Bereits am 19. Mai 2008 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Ziel, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab Eingang des Antrags vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 28 Abs. 5 SGB XII in Höhe von 547,22 EUR monatlich zu bewilligen.

Mit Beschluss vom 27. Juni 2008 hat das Sozialgericht Berlin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den ausdrücklichen Bescheid des Antragsgegners vom 22. Mai 2008 angeordnet. Darüber hinaus hat es den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens beginnend ab der Leistungseinstellung am 30. April 2008 Leistungen gemäß dem Bescheid vom 01. August 2007 zu gewähren. Im Übrigen hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich das Begehren des Antragstellers entsprechend der veränderten prozessualen Situation nunmehr zuvorderst auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs richte. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei schon formell rechtswidrig. Ein Abstellen auf den Einzelfall in der Begründung des Sofortvollzugs fehle gänzlich. Ein Nachholen bzw. eine Ergänzung dieser Begründung sei ausgeschlossen. Selbst wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig wäre, ergebe sich bei der Interessenabwägung ein überwiegendes Interesse des Antragstellers. Dies folge aus dem Umstand, dass der Bescheid vom 22. Mai 2008 rechtswidrig sei. Es fehle an einer Anhörung, auch sei der bewilligende Bescheid nicht rechtswidrig. Ob die Leistung aus einer analogen Anwendung der §§ 33, 39 Sozialgesetzbuch Achtes Buch SGB VIII folge oder aus § 28 Abs. 5 SGB XII, könne offen bleiben, da jedenfalls die gesetzlichen Voraussetzungen der Abs. 2 bis 4 des § 45 SGB X nicht vorliegen. Das Vertrauen des Antragstellers sei schutzwürdig. Die Verpflichtung des Antragsgegners im Tenor sei lediglich aus Klarstellungsgründen erfolgt.

Gegen den ihm am 03. Juli 2008 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 08. Juli 2008 Beschwerde erhoben. Der Antragsteller hat gegen den ihm am 03. Juli 2008 zugestellten Beschluss am 25. Juli 2008 Beschwerde erhoben und begehrt weiterhin die einstweilige Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen in Höhe von 547,22 EUR monatlich.

Der Antragsteller hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin hat im Wesentlichen Erfolg (siehe unten a). Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg (siehe unten b).

a) Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das Gesetz unterscheidet hierbei anders als die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht danach, ob ein gesetzlicher Fall des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 86 a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG) oder ein Fall der behördlichen Vollziehungsanordnung (§ 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG) vorliegt. Liegt wie hier ein Fall der behördlichen Vollziehbarkeitsanordnung entsprechend § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG vor, ist die Befugnis des Gerichts nicht auf eine Aufhebung der Vollzugsanordnung beschränkt, sondern umfasst die Gestaltung der Rechtslage durch Anordnung (in der Sache Wiederherstellung) der aufschiebenden Wirkung. Das Gericht prüft eigenständig, ob nach seiner Beurteilung aller Umstände die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes in der Hauptsache oder aus anderen Gründen anzuordnen (wiederherzustellen) ist. Daher kommt es für die gerichtliche Überprüfung nicht entscheidend darauf an, ob die Begründung der Behörde für die Anordnung der sofortigen Vollziehung zutreffend ist und diese die Anordnung sachlich zu rechtfertigen vermag.

Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung (Wiederherstellung der durch die sofortige Vollzugsanordnung des Antragsgegners entfallenen) aufschiebenden Wirkung hat lediglich in geringem Umfang Erfolg. Das Gericht wägt bei der Entscheidung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG zwischen dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs und dem Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung ab. Dabei haben sich die Gerichte vorrangig an den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu orientieren. Dies schon deshalb, weil bei offener Interessenabwägung die Gerichte oftmals an ihre Funktionsgrenzen stoßen, da ihnen die Breite der fachbehördlichen Erfahrung fehlt und ihnen verwaltungspolitische Erwägungen untersagt sind (so zutreffend Finkelnburg/Dombert/Köbmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage, Rdnr. 965). Das vorrangige Abstellen auf die Erfolgsaussichten auf der Grundlage einer summarischen Prüfung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn keine schweren und unzumutbaren Beeinträchtigungen drohen (BVerfG, NJW 2004, 2297).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22. Mai 2008 nur insoweit anzuordnen (wiederherzustellen) als mit diesem die Bewilligungsentscheidung im Bescheid vom 01. August 2007 auch für die Vergangenheit aufgehoben worden ist. Insoweit wird der Rechtsbehelf offensichtlich erfolgreich sein. Im Übrigen ist der Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Mai 2008 offensichtlich erfolglos.

Zunächst ist die Vollzugsanordnung im Bescheid vom 22. Mai 2008 nicht aufgrund formeller Mängel rechtswidrig. Insbesondere ist die Begründung des Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes nicht zu beanstanden. Dabei ist, anders als das Sozialgericht meint, auf die Begründung der Vollziehungsanordnung unter Berücksichtigung der ergänzenden Begründung im Schreiben vom 27. Mai 2008 abzustellen. Eine unzureichende Begründung der Vollziehungsanordnung kann geheilt werden, was schon aus dem Rechtsgedanken des § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X folgt, der es der Behörde erlaubt, unzureichende Begründungen von Verwaltungsakten nachträglich zu geben. Würde eine unzureichend begründete Vollziehungsanordnung wegen eines formalen Mangels in einem ersten Eilverfahren aufgehoben, müsste der obsiegende Antragsteller nach Erlass einer neuen, ordnungsgemäß begründeten Vollziehungsanordnung, zu deren Erlass die Behörde befugt ist, alsbald ein zweites Eilverfahren betreiben. Den Beteiligten ist mit einer gerichtlichen Sachentscheidung somit besser gedient als mit einer Aufhebung wegen eines formalen Fehlers (Finkelnburg/Dombert/Köbmann, a. a. O., Rz. 751; anderer Ansicht Meyer Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 a Rz. 21 c m. w. N.). Die gegenteilige Auffassung sieht aus diesem Grunde in der Nachholung bzw. im Nachschieben der Begründung regelmäßig den Erlass einer neuen Vollzugsanordnung (Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O.). Die Vollzugsanordnung im Bescheid vom 22. Mai 2008 ergänzt durch die Ausführungen im Schreiben vom 27. Mai 2008 entspricht den formellen Anforderungen an die Begründung eines besonderen Vollzugsinteresses. Der Antragsgegner hat das besondere öffentliche Vollzugsinteresse im Einzelfall unter Berücksichtigung der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe damit begründet, dass kein privates Interesse daran bestehe, von einem bestimmten Sozialleistungsträger Leistungen zu beziehen und es dem Antragsteller möglich wäre, durch Antragstellung beim JobCenter dort Leistungen zu erlangen.

Soweit der Antragsgegner mit Bescheid vom 22. Mai 2008 den Bescheid vom 01. August 2007 auch für vergangene Zeiträume aufgehoben hat, liegt ein nach dem oben Gesagten formal fehlerfrei begründetes Vollzugsinteresse jedoch nicht vor. Insoweit erscheint der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig; das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt das Sofortvollzugsinteresse der Behörde.

Bei dem Bescheid vom 22. Mai 2008 handelt es sich anders als in der Begründung ausgeführt um einen Bescheid nach § 48 Abs. 1 SGB X, d. h. um die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse. Der Bescheid vom 01. August 2007 stellt wie schon der zuvor ergangene Bescheid vom 12. Juli 2007 einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar, denn er bewilligt Leistungen "bis auf weiteres". Dies wird ersichtlich auch von den Beteiligten so gesehen, ansonsten hätte für den Antragsgegner kein Anlass bestanden, den Bescheid - nach § 45 SGB X - aufzuheben. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, stellen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII keine rentengleichen Dauerleistungen dar, sondern Hilfen in einer bestimmten Notsituation (vgl. zu den Leistungen nach dem BSHG: Bundesverwaltungsgericht BVerwG vom 30. November 1996, V c 29.66, BVerwGE 25, 307; vom 15. November 1967, V c 71.67, BVerwGE 28, 216). Die Leistungen werden grundsätzlich in Abhängigkeit von der Bedarfssituation nur für die nächstliegende Zeit bewilligt. Die Einstellung oder Verringerung der Hilfe stellt daher in der Regel auch keinen Widerruf, keine Rücknahme oder Aufhebung eines fortwirkenden (Dauer )Bewilligungsbescheides dar, sondern die Versagung einer weiteren Bewilligung für die Zukunft. Der Senat hat jedoch auch entschieden, dass, soweit der Grundsatz der Nothilfeleistung nicht negativen Vorabscheidungen mit Dauerwirkung für den zukünftigen Leistungsbezug über den nächstliegenden Zahlungszeitraum hinaus entgegensteht, es dem Sozialhilfeträger nicht verboten ist, einen Sozialhilfefall auch für einen längeren Zeitraum zu regeln (vgl. BVerwG vom 19. Januar 1972, V c 10.71, BVerwGE 39, 261, 265, vom 26. September 1991, 5 C 14/87). Trifft er in einem Sozialhilfefall eine Regelung zur Höhe der Leistungen nicht nur für den nächstliegenden Zeitraum, sondern darüber hinaus für einen längeren Zeitraum, muss sich der Sozialhilfeträger daran festhalten lassen. Änderungen greifen dann in eine zuerkannte (Dauer )Leistung ein. Die Vornahme von Änderungen im Leistungsbezug hat dann nach den weiteren Regeln des Sozialverwaltungsverfahrens über die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (§§ 44 ff. SGB X) zu erfolgen.

So liegt der Fall auch hier. Die Beklagte hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 01. August 2007 "bis auf weiteres" und damit nicht nur für den nächstliegenden Zeitraum, sondern ausdrücklich darüber hinaus für einen nicht näher bestimmten Zeitraum Leistungen gewährt. Gegenüber dem Antragsteller als Empfänger des Verwaltungsaktes ist dieser Regelungscharakter durch die weitere Leistungsgewährung in Höhe des mit dem Bescheid verfügten Leistungsbetrages ohne weiteren Verwaltungsakt bestätigt worden. Auch der Antragsgegner ist davon ausgegangen, dass er dem Antragsteller Leistungen nicht nur für den nächstliegenden Zeitraum gewährt hat. Dies ergibt sich daraus, dass er mit dem Bescheid vom 22. Mai 2008 gerade den Leistungsbezug aufhebt und nicht eine (Neu )Bewilligung ablehnt.

Der Bescheid vom 01. August 2007 erweist sich auch nicht von Anfang an als rechtswidrig, so dass eine Aufhebung nach § 45 SGB X infrage käme. § 45 Abs. 2 SGB X setzt die "ursprüngliche Rechtswidrigkeit" zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes voraus. Der bewilligende Bescheid vom 01. August 2007 war jedoch im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig und blieb es auch für den Folgezeitraum. Erst durch die Vollendung des 15. Lebensjahres des Antragstellers wurde der Verwaltungsakt rechtswidrig. Dass dem Antragsgegner die Vollendung des 15. Lebensjahres des Antragstellers bereits bei Erlass des Bescheides vom 01. August 2007 bekannt war und er den Bescheid nicht auf diesen Zeitpunkt befristet hat, macht den Bescheid nicht von Anfang an rechtswidrig. Im Hinblick auf den offenen Regelungszeitraum war für den Antragsgegner nicht absehbar, ob der Bescheid zu diesem Zeitpunkt, der bei Erlass des Bescheides noch acht Monate in der Zukunft lag, noch Regelungswirkung entfalten würde. Vielmehr ist erst durch die Vollendung des 15. Lebensjahres durch den Antragsteller eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X eingetreten.

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheides vom 01. August 2007 für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X liegen jedoch nicht vor. Allein in Betracht kommende Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides ab Änderung der Verhältnisse ist hier § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X, der voraussetzt, dass der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Eine Kenntnis des Antragstellers davon, dass sein Anspruch mit Vollendung des 15. Lebensjahres wegfallen könnte, lässt sich nicht feststellen. Eine Unkenntnis aufgrund schwerer Sorgfaltspflichtverletzung scheint ebenfalls ausgeschlossen. Der Antragsteller ist vom Antragsgegner nicht darauf hingewiesen worden, dass sein Anspruch mit Vollendung des 15. Lebensjahres entfällt. Vielmehr ist ihm ein Formblatt übersandt worden, das darauf hindeuten könnte, dass Leistungen, wie sie dem Antragsteller bewilligt worden sind, auch für Angehörige der Altersstufe 15 bis 18 Jahre in Betracht kommen. Die Aufhebung der Bewilligung für den Zeitraum vor Zugang des Bescheides vom 22. Mai 2008 erweist sich demnach als offensichtlich rechtswidrig, der hiergegen gerichtete Rechtsbehelf als offensichtlich erfolgreich. Insoweit überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers das Sofortvollzugsinteresse der Behörde, denn es besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes (BVerwG, NVwZ 2006, 214, 215; NVwZ 2006, 597). Insoweit war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.

Die Anordnung (Wiederherstellung) der aufschiebenden Wirkung war jedoch abzulehnen, soweit nach summarischer Prüfung der Widerspruch offensichtlich erfolglos bleiben wird. Insoweit war die Entscheidung des Sozialgerichts aufzuheben. Der angegriffene Bescheid vom 22. Mai 2008 erweist sich hinsichtlich der Aufhebung des Bescheides vom 01. August 2007 für die Zukunft als offensichtlich rechtmäßig. Rechtsgrundlage ist insoweit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft vorsieht, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wie bereits ausgeführt ist in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass des bewilligenden Bescheides am 01. August 2007 vorgelegen haben, durch die Vollendung des 15. Lebensjahres durch den Antragsteller eine Änderung eingetreten. Damit liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 SGB X vor. Der Rechtmäßigkeit des Bescheides steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner die maßgebende Ermächtigungsgrundlage in § 45 SGB X gesehen hat. Beide Vorschriften unterscheiden sich hinsichtlich der hier streiterheblichen Fragen im Wesentlichen nur im tatsächlichen Ausgangspunkt, d. h. hinsichtlich der Frage, ob der leistungsbewilligende Verwaltungsakt schon im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen ist Fall des § 45 SGB X oder ob wie vorliegend erst nach dem Erlass des Verwaltungsaktes eine wesentliche Änderung eingetreten ist, die zur Aufhebung des Bescheides führt. Dass sich die genannten Ermächtigungsnormen hinsichtlich der Ermessenseinräumung unterscheiden nach § 45 Abs. 3 SGB X "kann" unter den dort geregelten Voraussetzungen ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zurückgenommen werden, während dies in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu geschehen hat , steht der Heranziehung des § 48 SGB X gleichfalls nicht entgegen. Die Ausübung eines nicht erforderlichen Ermessens mit dem Ergebnis der Entscheidung zur Aufhebung des Bescheides erweist sich insoweit als unschädlich (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Dezember 2007 16 A 2919/03 , Behindertenrecht 2008, Seite 89 ff.).

Der Bescheid vom 01. August 2007 erweist sich auch durch die Vollendung des 15. Lebensjahres durch den Antragsteller als rechtswidrig. Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 28 Abs. 5 SGB XII ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu. Dem steht § 21 SGB XII entgegen, wonach Personen, die nach dem SGB II leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Diese Vorschrift ist auch auf den Anspruch nach § 28 Abs. 5 SGB XII anwendbar. Nach § 28 Abs. 5 SGB XII wird in der Regel der notwendige Lebensunterhalt abweichend von den Regelsätzen in Höhe der tatsächlichen Kosten der Unterbringung bemessen, wenn jemand in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil untergebracht ist. Für diesen Personenkreis wären grundsätzlich in jedem Einzelfall Ermittlungen zu den "tatsächlichen Kosten der Unterbringung" erforderlich. Die Behörden wenden insoweit wie auch der Antragsgegner hier regelmäßig jedoch die nach § 39 SGB VIII entwickelten Sätze für Leistungen zum Unterhalt zur Bestimmung der Hilfe zum Lebensunterhalt an. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass es sich um eine Leistung nach § 39 SGB VIII handelte. Die Auffassung des Antragstellers, dass die Altersregelungen des SGB VIII hier Anwendung fänden, findet deshalb keine Grundlage.

Der Anwendung des § 21 SGB XII steht auch nicht das Rundschreiben I Nr. 19/2005 der Senatsverwaltung entgegen, in dem ausdrücklich eine Regelung für die Durchführung von § 28 Abs. 5 SGB XII auch für die Altersstufe III (Beginn des 15. Lebensjahres bis Vollendung des 18. Lebensjahres) enthält. Eine derartige Regelung macht durchaus Sinn, denn es gibt einen Personenkreis, der auch nach Vollendung des 15. Lebensjahres nicht dem Grunde nach nach dem SGB II leistungsberechtigt ist, nämlich insbesondere solche Personen, die nicht erwerbsfähig sind.

Auch ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, weitere Ausnahmen von der Anwendbarkeit des § 21 SGB XII als die dort genannten - hier nicht einschlägigen - vorzusehen. Soweit für einen Personenkreis ein Unterhaltsbedarf besteht, der vom SGB II nicht erfasst ist, führt dies allenfalls zu einer Erweiterung, ggf. auch über eine analoge Anwendung des SGB XII im SGB II, was weitere SGB XII Unterhaltsleistungen entbehrlich macht (Brühl in LPK SGB XII, § 21 Rz. 11).

Die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 28 SGB XII erweist sich mithin für die Zukunft als offensichtlich rechtmäßig. Der Anordnung (Wiederherstellung) der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bedarf es hier nicht. § 86 b Abs. 1 SGG dient dem Schutz individueller Rechte und ihrer Durchsetzung durch Widerspruch und Anfechtungsklage. Dieses Schutzes bedarf derjenige nicht, dessen Rechtsbehelf in der Hauptsache ohnehin erfolglos bleiben wird (vgl. zu § 80 Abs. 5 VwGO: OVG Lüneburg, NVwZ 1999, 1130). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Sozialgericht war insoweit aufzuheben und der diesbezügliche Antrag des Antragstellers abzulehnen.

b) Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Diese ist gerichtet auf die Gewährung höherer Leistungen als sie mit dem Bescheid vom 01. August 2007 bewilligt worden sind. Insoweit liegt kein Fall des Absatzes 1 des § 86 b SGG vor, weshalb das Gericht der Hauptsache insoweit eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen kann, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG).

Soweit der Antragsteller höhere Leistungen für die Vergangenheit, d. h. ab Eingang des Antrags bei dem Sozialgericht bis zur Entscheidung des erkennenden Senates, begehrt, scheidet dies schon deshalb aus, als insoweit ein Anordnungsgrund nicht feststellbar ist. In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a. a. O., Rz. 431). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, das im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz GG darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im grundsätzlich vorrangigen Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 1 BvR 1586/02 , NJW 2003, Seite 1236 und vom 12. Mai 2005 1BvR 569/05 , Breithaupt 2005, Seite 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Für zukünftige Leistungszeiträume hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Wie bereits ausgeführt ist der Antragsteller nach Vollendung des 15. Lebensjahres nicht mehr anspruchsberechtigt nach dem SGB XII.

Einer Beiladung des SGB II Trägers bedurfte es hier schon deshalb nicht, weil der Antragsteller bisher dort Leistungen nicht beantragt hat und dies nach seinem Vorbringen auch ausschließt. Eine Verpflichtung des Trägers in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG kommt damit nicht in Betracht.

Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe entsprechend § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung ZPO zu bewilligen. Die Erfolgsaussichten waren im Hinblick auf die Beschwerde des Antragsgegners nicht zu prüfen (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Eine teilweise Ablehnung von Prozesskostenhilfe für den erfolglosen Teil des Beschwerdeverfahrens kam nicht in Betracht (so schon Beschluss des Senats vom 21. Mai 2008 - L 23 B 103/08 SO PKH -¬). Soweit in der Literatur vertreten wird, dass eine Rechtsverfolgung oder -verteidigung auch lediglich teilweise Aussicht auf Erfolg bieten kann und dies im Rahmen eines Bewilligungsbeschlusses über die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu berücksichtigen sei (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage Rn. 415; Philippi in: Zöller, ZPO, 26. Auflage 2007 § 114 Rn. 20; Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Auflage 2006 § 114 Rn. 102), kann dem jedenfalls für das hier vorliegende Verfahren nicht gefolgt werden. Die Auffassung in der Literatur beruht darauf, dass im zivilgerichtlichen Verfahren bei einem abgrenzbaren Streitgegenstand der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse auch nur nach einem Teilgegenstandswert zu bemessen ist (OLG München vom 28. Oktober 1994 - 11 WF 979/94 - m.w.N.). Dieser Gedanke kann auf sozialgerichtliche Verfahren wie das vorliegende, in dem das Gerichtskostengesetz – GKG – keine Anwendung findet (§ 197a SGG i.V.m.§ 183 SGG) und Rahmengebühren nach § 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG für die Instanz anfallen, grundsätzlich nicht übertragen werden. Eine Abgrenzung von Teilen des geltend gemachten Anspruchs führt nicht generell zu einer Verringerung der Rahmengebühr. Die Rahmengebühr ist nämlich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG anhand des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers bzw. Klägers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Daher kann nicht über eine Quotelung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe anhand des Wertes eines Teils des Streitgegenstandes der Vergütungsanspruch über § 48 Abs. 1 RVG abweichend von §§ 3, 14 RVG bestimmt werden. Eine hinreichende Erfolgsaussicht, die bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren führt, ist mithin auch dann anzunehmen, wenn die Rechtsverfolgung zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Bewilligungsgesuch nur teilweise Aussicht auf Erfolg hat. In diesem Fall ist dann Prozesskostenhilfe vollumfänglich zu gewähren (vgl. Entscheidung des Senats vom 8.10.2007, L 23 B 108/07 SO PKH, juris Rn. 11; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 21. Februar 2007, L 7 B 189/06, juris; LSG Hamburg vom 08. März 2007, L 5 B 118/06 ER AS, juris; LSG Niedersachsen-Bremen vom 03. August 2007, L 7 B 232/05 AS, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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