Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 3a V 8/92
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 701/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rutscht ein Unterschenkelamputierter auf Glatteis aus und zieht er sich dadurch eine Schenkelhalsfraktur zu, die eine Hüftgelenksendoprothese notwendig macht, so sind die Schädigungsfolgen in der Regel neben den Straßen Verhältnissen gleichwertige Mitursache für den Unfall. Das gilt insbesondere dann, wenn bei dem Beschädigten neben dem Unterschenkelverlust schädigungsbedingt außergewöhnliche Nerven- und Phantomschmerzen bestehen.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. Juni 1993 aufgehoben. Unter Aufhebung des Bescheides vom 22. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1991 wird der Beklagte verurteilt, bei dem Kläger als weitere, mittelbare Schädigungsfolge eine "Hüftgelenksendoprothese links nach Schenkelhalsbruch” festzustellen und ihm ab 1. Februar 1991 Beschädigtenrente gemäß § 30 Abs. 1 und Abs. 2 BVG nach einer MdE von 90 v.H. zu gewähren.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung einer Hüftgelenksendoprothese links nach Schenkelhalsfraktur als weiterer, mittelbarer Schädigungsfolge und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 90 v.H. nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Bei dem 1913 geborenen Kläger sind zuletzt mit Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamtes vom 25. Juni 1984 als Schädigungsfolgen festgestellt worden:
1) "Verlust des linken Beines im Bereich des Unterschenkels bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke,
2) geringgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits,
3) kleine Narben und kleine Weichteilstecksplitter in der linken Gesäßhälfte, in beiden Oberschenkeln und in der vorderen Bauchwand, 4) Neuromknoten und über das üblicherweise zu erleidende Maß an Schmerzhaftigkeit hinausgehende Nerven- und Phantomschmerzen.”
Die Gesamt-MdE für die anerkannten Schädigungsfolgen war in diesem Bescheid mit 70 v.H. bemessen. Dem lagen Einzel-MdE für die Schädigungsfolge zu 1) von 50 v.H., für die Schädigungsfolge zu 2) von 15 v.H., für die Schädigungsfolge zu 3) von 0 v.H. und für die Schädigungsfolge zu 4) von 20 v.H. zugrunde. Beschädigtenrente wurde dem Kläger unter Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG nach einer MdE von 80 v. H, gewährt.
Am 16. März 1990 hat der Kläger beim Versorgungsamt einen Antrag auf Gewährung höherer Beschädigtenrente wegen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen gestellt und diesen damit begründet, daß sich die Beschwerden im rechten Oberschenkel und im Stumpfbereich verschlimmert hätten.
Gleichzeitig hat er Antrag auf Pflegezulage gemäß § 35 BVG gestellt. Im Verwaltungsverfahren hat das Versorgungsamt ein nervenärztliches, ein internistisches und ein chirurgisches Gutachten bei der Versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle in eingeholt. Bei der chirurgischen Untersuchung durch Dr. K. am 29. November 1990 hat der Kläger erstmals angegeben, daß er im Jahr 1987 gestürzt sei und sich dabei eine Schenkelhalsfraktur zugezogen habe. Daraufhin sei ihm eine Hüftgelenksendoprothese links eingesetzt worden. Mit Bescheid vom 16. Januar 1991 hat das Versorgungsamt den Verschlimmerungsantrag zurückgewiesen. Mit Bescheid vom 17. Januar 1991 hat es den Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 17. Januar 1991 hat das Versorgungsamt beim Kläger angefragt, weswegen er im Jahr 1987 ausgerutscht und gefallen sei. Mit Schriftsatz vom 19. Februar 1991 hat der Kläger über seine Prozeßbevollmächtigten deshalb einen Antrag auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen gestellt. Diesem Antrag fügte er Fotokopien eines Schriftsatzes seines Prozeßbevollmächtigten an das Landgericht und Fotokopien der Niederschrift über die öffentliche Verhandlung der Zweiten Zivilkammer des Landgerichts vom 5. Mai 1988 (Aktenzeichen: 2 0 /87) bei. Aus diesen Fotokopien ergibt sich, daß der Kläger von der Stadt Schadensersatz mit der Begründung verlangt hat, er sei am 22. März 1987 auf einem vereisten Fußweg gestürzt. Aus den Fotokopien der Niederschrift über die öffentliche Verhandlung des Landgerichts ergibt sich, daß die Zweite Zivilkammer am 5. Mai 1988 die Zeugin I. und F. P., A. G., W. S. und R. B. gehört hatte. Der Zeuge F. P. hatte angegeben, er habe am Unfalltag aus dem Fenster gesehen und dabei bemerkt, daß sein Vater auf dem Gehweg vor dem Haus gestürzt sei. Am Unfalltag hätten ca. fünf bis acht Zentimeter Neuschnee gelegen. "Das Schlimme sei gewesen, daß sich Eis unter der Schneedecke befand.” Der Zeuge G. hatte bekundet, am Unfalltag habe eine Schneedecke von vielleicht zwei bis drei Zentimeter gelegen. An der Stelle, an welcher der Kläger gefallen sei, habe sich eine kleine Mulde befunden und dort sei Eis unter dem Schnee gewesen. Er habe das Glatteis an der Unfallstelle selbst gesehen. Durch den Sturz des Klägers sei der Schnee beiseite geschoben gewesen und man habe das darunterliegende Eis erkennen können. Die Zeugin I. P. hatte im wesentlichen die Angaben der Zeugen F. P. und A. G. bestätigt und ergänzend bekundet, auch die Sanitäter, die den Kläger abgeholt hätten, seien beinahe ausgerutscht, denn es sei auf dem Parkplatz glatt gewesen. Aufgrund dieser Beweisaufnahme haben die Parteien im Zivilprozeß einen Vergleich geschlossen, wonach sich die Stadt ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zur Abgeltung aller etwaigen Ansprüche verpflichtete, an den Kläger 3.000,– DM zu zahlen.
Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hat das Versorgungsamt mit Bescheid vom 22. März 1991 den Antrag mit der Begründung abgelehnt, daß der Kläger aller Wahrscheinlichkeit nach am 22. März 1987 auch gestürzt wäre, wenn die anerkannten Schädigungsfolgen nicht vorgelegen hätten. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 25. April 1991 Widerspruch eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es sei zwar richtig, daß auch ein "Beingesunder” auf der mit Schnee bedeckten Glatteisfläche ausgerutscht wäre. Bei einem Gesunden wäre jedoch ein besseres Abfedern und Abstützen möglich gewesen, so daß dieser sich keinen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hätte. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1991 hat der Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt, daß bei der Plötzlichkeit des Unfallhergangs bei Berücksichtigung aller Begleitumstände auch ohne den schädigungsbedingten Unterschenkelverlust eine entsprechende Abstützreaktion mit einer Milderung der Unfallfolgen nicht mehr möglich gewesen wäre. Auch ohne die Schädigungsfolgen wäre es somit zu diesem Unfall gekommen. Unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Lebensalters des Klägers handele es sich bei dem erlittenen Oberschenkelhalsbruch um eine typische Verletzungsfolge nach einem Glatteisunfall. Der schädigungsbedingte Unterschenkelverlust links habe bei der Verursachung des Unfalls mit seinen Folgen ursächlich jedenfalls nicht wesentlich mitgewirkt. Bei dieser Sachlage sei es nicht erforderlich gewesen, ein fachärztliches Gutachten einzuholen.
Hiergegen hat der Kläger am 8. Januar 1992 vor dem Sozialgericht Fulda Klage erhoben. Er hat die Ansicht geäußert, er sei aufgrund des schädigungsbedingten Tragens einer Unterschenkelprothese erheblich sturzgefährdeter gewesen als ein "Beingesunder”. Ohne die anerkannten Schädigungsfolgen hätte er das Hinfallen durch entsprechende Abstützreaktionen wohl abwenden können. Die Folgen des Unfalls vom 22. März 1987 seien deshalb als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Akten des beim Landgericht in anhängigen Zivilverfahrens (Aktenzeichen: 2 0 /87). Weiterhin hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Amts wegen bei Dr. T., Institut für medizinische Begutachtung in Dr. T. hat in seinem Gutachten vom 9. März 1993 die Ansicht geäußert, daß bei einem gleichartigen Sturz auch ein Nichtamputierter im selben Alter sich wahrscheinlich einen Schenkelhalsbruch zugezogen hätte. Solche Brüche würden vorzugsweise in höherem Lebensalter auftreten. Es sei jedoch fraglich, ob ein Gesunder auch gestürzt wäre. Grundsätzlich gelte, daß Gesunde über eine Vielzahl von Nervenendigungen in den Fußsohlen beim Gehen eine Fülle von wichtigen Informationen erhalten würden, die ein Amputierter nicht erhalte könne. So könne ein Gesunder bei einem Wegrutschen auf unebenem Boden blitzartig reflektorisch reagieren und gegebenenfalls den Sturz noch vermeiden. Dies könne ein einseitig Amputierter wahrscheinlich nicht. Im konkreten Fall des Klägers sei noch zu berücksichtigen, daß bei ihm wegen eines Neuromknotens eine verstärkte Schmerzempfindlichkeit bestehe und außerdem eine Verminderung der Muskelkraft des linken Oberschenkels diagnostiziert worden sei. Deshalb könne man in der Tat grundsätzlich argumentieren, daß er einer erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt sei. Dies treffe jedoch nur für den Fall zu, daß er mit dem Prothesenbein auf eine Bodenunebenheit trete. Im streitigen Fall hätten jedoch gänzlich andere Bodenbedingungen vorgelegen. Aus den Akten gehe hervor, daß es an der Unfallstelle "spiegelglatt” gewesen sei. Beim Ausrutschen auf Glatteis komme es jedoch zu einem blitzartigen Verlust des Bodenkontaktes, der in der Regel auch von Beingesunden nicht mehr aufgefangen werden könne, da das zentrale Nervensystem dann nicht mehr in der Lage sei, mit einer entsprechenden Körperreaktion gegenzusteuern. Dem entspreche auch die allgemeine Lebenserfahrung, daß bei Glatteis eine große Zahl besonders älterer Menschen zu Fall komme und sich Knochenbrüche zuziehe. Dabei sei der Schenkelhalsbruch eine typische Sturzverletzung. Ob dennoch dem angeschuldigten Ereignis die Bedeutung einer rechtlich wesentlichen Teilursache zukomme, könne nicht abschließend seitens des medizinischen Sachverständigen entschieden werden. Dies sei Sache des Gerichts. Sollte ein rechtsrelevanter Zusammenhang angenommen werden, so sei für den endoprothetischen Hüftersatz eine Einzel-MdE von 30 v.H. zu bemessen. Die Gesamt-MdE bei gleichzeitiger Berücksichtigung des beruflichen Betroffenseins sei dann auf 90 v.H. zu erhöhen.
Mit Urteil vom 8. Juni 1993 hat das Sozialgericht Fulda die Klage abgewiesen. In seinen Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, daß nach der im Versorgungsrecht geltenden Ursachenlehre Gesundheitsstörungen schon dann als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen seien, wenn bei ihrem Zustandekommen eine schädigungsbedingte Gesundheitsstörung wesentlich mitgewirkt habe. Hätten mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so seien sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig seien. Komme hingegen einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, sei dieser Umstand allein Ursache im Sinne des BVG. Die anerkannten Schädigungsfolgen seien im vorliegenden Fall nicht annähernd gleichwertig und deshalb nicht ursächlich gewesen. Zwar habe Dr. T. in seinem Gutachten festgestellt, daß Unterschenkelamputierte und Prothesenträger im Vergleich zu Beingesunden grundsätzlich einer erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt seien. Diese Überlegungen würden, wie Dr. T. weiter ausgeführt habe, ihre Gültigkeit nur für das Gehen auf normalen Wegen haben. Im streitigen Fall hätten jedoch gänzlich andere Bodenbedingungen vorgelegen, denn der Kläger sei auf einer Glatteisstelle ausgerutscht. Dabei sei zusätzlich zu berücksichtigen, daß diese Glatteisstelle durch Neuschnee verdeckt gewesen sei und der Kläger deshalb plötzlich und völlig unerwartet ausgerutscht sei. Deshalb sei davon auszugehen, daß jeder andere 79-jährige beingesunde Mann an dieser Stelle auch ausgerutscht wäre und sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hätte.
Gegen das am 2. Juli 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Juli 1993 Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, daß das Tragen einer Prothese den Sturz verursacht habe. Auf dem öffentlichen Fußweg, auf dem es zum Unfall gekommen sei, seien am gleichen Tag und zur selben Zeit mehrere Leute verschiedener Altersgruppen zum Gottesdienst gegangen, ohne daß einer von ihnen ausgerutscht oder hingefallen wäre. Daß man mit einer Prothese aber wesentlich schlechter und unsicherer gehen könne, wisse er aus eigener Erfahrung. In Wintermonaten traue er sich deshalb nicht mehr auf die Straße, so groß sei seine Angst vor einem Sturz. Im übrigen sei das Sozialgericht in seinem Urteil fälschlicherweise davon ausgegangen, daß er im Zeitpunkt des Sturzes 79 Jahre alt gewesen sei. Tatsächlich sei er zu diesem Zeitpunkt erst 73 Jahre alt gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. Juni 1993 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 22. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Dezember 1991 zu verurteilen, die Hüftgelenksendoprothese links nach Schenkelhalsbruch als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen und ihm ab 1. Februar 1991 Versorgungsleistungen nach einer MdE von 90 v.H. nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 BVG zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, aus dem in erster Instanz bei Dr. T. eingeholten Gutachten ergebe sich, daß der erlittene Unfall mit seinen Folgen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den schädigungsbedingten Unterschenkelverlust ursächlich zurückzuführen sei. Im übrigen bezieht er sich zur Begründung auf seine erstinstanzlichen Schriftsätze vom 16. November 1992 und 29. März 1993.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Klage- und Beschädigtenakte des Klägers Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist statthaft gemäß § 151 Abs. 1; §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung ist sachlich auch begründet. Der angefochtene Bescheid vom 22. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1991 ist rechtswidrig. Deshalb hätte das Sozialgericht diese aufheben und der Klage stattgeben müssen.
Gemäß § 1 Abs. 1 BVG erhält auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Wenn – wie hier – über Versorgungsleistungen durch Verwaltungsakt schon entschieden worden ist, können diese mit Wirkung für die Zukunft gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß dieses Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Dabei ist eine wesentliche Änderung immer dann anzunehmen, wenn neue Schädigungsfolgen festzustellen sind oder wenn sich die MdE der festgestellten Schädigungsfolgen um mindestens 10 v.H. ändert. Bei der Feststellung der MdE ist von den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz auszugehen. Neue Schädigungsfolgen in diesem Sinne können auch Gesundheitsstörungen sein, die zwar unabhängig von dem schädigenden Vorgang selbst entstehen, bei deren Zustandekommen die anerkannten Schädigungsfolgen aber ursächlich mitgewirkt haben. Dies sind sogenannte mittelbare Schädigungsfolgen. Nach der auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm sind jedoch nicht alle Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Erfolg entfiele, auch ursächlich im Sinne des Kriegsopferversorgungsrechtes; maßgeblich in diesem Sinne sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen, die im Verhältnis zu anderen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 1957 – 9 RV 114/55 –; BSGE 1, 72; BSGE 11, 50; Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, § 1 BVG Erl. V. 3). Eine durch einen Unfall eingetretene Gesundheitsstörung ist danach als mittelbare Schädigungsfolge immer dann anzuerkennen, wenn die anerkannten Schädigungsfolgen wesentlich an der Entstehung des Unfalls mitgewirkt haben (BSG in Breithaupt 1977, 340). Haben mehrere Bedingungen in gleicher Weise – gleichwertig – zu dem Erfolg beigetragen, so sind sie auch rechtlich nebeneinander stehende Mitursachen (vgl. insoweit bereits BSG, Urteil vom 23. März 1961 – 11 RV 1484/59 –; Urteil vom 22. Februar 1967 – 8 RV 431/64 –; zuletzt: BSG in Breithaupt 1993, 219 ff.). Nur wenn einer Bedingung gegenüber den anderen überwiegende Bedeutung zukommt, so ist diese rechtlich allein die Ursache (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1991 – 11 RV 1484/59 –).
Im vorliegenden Fall liegen zwei Ursachen für den Sturz des Klägers vor. Zum einen der schädigungsbedingte Verlust des linken Unterschenkels mit Neuromknoten und über das üblicherweise zu erleidende Maß an Schmerzhaftigkeit hinausgehenden Nerven- und Phantomschmerzen. Zum anderen steht aufgrund der Zeugenaussagen im Zivilprozeß vor dem Landgericht fest, daß der Kläger auf Glatteis ausrutschte. Diese Glatteisschicht war für ihn auch vorher nicht erkennbar, weil sie von einer dünnen Schneeschicht bedeckt war. Zur Überzeugung des erkennenden Senats haben diese beiden Ursachen zumindest gleichwertig zu dem Eintritt des Schadens geführt.
Zwar reicht das Vorliegen einer Gehbehinderung allein nicht aus, damit sie ohne nähere Feststellungen bei Eintritt eines Schadensfalls im Straßenverkehr als Unfallursache angenommen werden kann. Vielmehr sind an Hand von Einzelfeststellungen entscheidungserhebliche Verhaltensweisen genauer zu untersuchen und zu prüfen (vgl. BSG in Breithaupt 1977, 340). Diese konkreten Feststellungen führen hier aber dazu, daß die Schädigungsfolgen durchaus gleichwertige Ursache neben dem Glatteis für den streitigen Unfall gewesen sind. Bei Unterschenkelamputierten und Prothesenträgern besteht im Vergleich zu Beingesunden nämlich generell eine erhöhte Sturzgefahr. Insoweit kann der Senat dem in erster Instanz bei Dr. T. eingeholten Gutachten folgen. Dieser hat festgestellt, daß Prothesenträger durch die Amputation einer Gliedmaße einer wichtigen Informationsquelle beraubt sind, die das Gehirn benötigt, um alle Bewegungsabläufe optimal steuern zu können. Demzufolge kann er gar nicht in der Lage sein, blitzartig reflektorisch zu reagieren, um beispielsweise durch ein rasches Vorsetzen oder Seitversetzen des amputierten und prothesenversorgten Beines den Sturz zu vermeiden. Denn an diesem Bein sind eben die entsprechenden Kontrollmechanismen stark eingeschränkt, die zur Aufrechterhaltung der Körperbalance notwendig sind, d.h. also die Empfindung der Tiefensensibilität, die durch die Fußsohle vermittelt wird, aber auch die balancierende Steuerung der Muskelgruppen. Dadurch ist das Zentralnervensystem am amputierten Bein nie in der Lage, eine perfekte Kontrolle über die Ausrichtung des Beines und die Stellung des Beines in Räumen auszuüben, es sei denn durch ständige Blickkontrolle. Der Prothesenträger wird also zwangsläufig immer unsicherer laufen und sehr begrenzt in der Lage sein, ein drohendes Sturzgeschehen auch tatsächlich abzuwenden. Zu Recht hat der Sachverständige weiter darauf hingewiesen, daß sich diese Situation beim Kläger durch den bestehenden Neuromknoten und die verstärkte Schmerzempfindlichkeit noch wesentlich schlechter darstellt, als bei anderen Prothesenträgern.
Die Schlußfolgerungen des Sachverständigen, daß diese Gehbehinderung nur auf normalen Wegen zu einer erhöhten Sturzgefahr führen würde, sind für den Senat jedoch nicht überzeugend. Hierzu führt Dr. T. aus, daß es bei einem Ausrutschen auf Glatteis zu einem blitzartigen Verlust des Bodenkontaktes komme, der in der Regel auch von einem Beingesunden – selbst von einem jungen Mann oder einem Kind – nicht mehr aufgefangen werden könne, da das Zentralnervensystem dann nicht mehr in der Lage sei, mit einer entsprechenden Körperbewegung gegenzusteuern. Dem entspreche auch die allgemeine Lebenserfahrung, daß bei Glatteis eine große Zahl älterer Menschen zu Fall komme, die sich dann typischerweise einen Oberschenkelhalsbruch zuziehen würde. Diese Begründung ist jedoch deswegen unvollständig und setzt zu spät an, weil sie den Verlust des Bodenkontaktes voraussetzt. Zwar ist es sicher richtig, daß auch ein Gesunder, der auf Glatteis den Bodenkontakt verliert, nicht mehr in der Lage ist, mit einer Körperreaktion gegenzusteuern und deshalb stürzt. Der Senat kann dem Sachverständigen auch folgen, wenn er annimmt, daß sich ältere Menschen dabei häufiger einen Schenkelhalsbruch zuziehen. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, daß jeder ältere Mensch beim Kontakt mit Glatteis überhaupt stürzt. Vielmehr ist es so, daß ein großer Teil derjenigen, die plötzlich und unerwartet auf Glatteis geraten, nur schlittert oder unsicher und langsam sich fortbewegt. Auch bei verstecktem Glatteis, wie im vorliegenden Fall, wird dem gesunden Menschen durch die Nervenenden in den Füßen die Verringerung der Bodenhaftung mitgeteilt. Er kann durch Gewichtsverlagerung und Verringerung der Geschwindigkeit hierauf reagieren und oftmals einen Sturz abwenden. Das aber konnte der Kläger gerade nicht. Die Sensibilisierung im geschädigten Bein ist, wie auch der Sachverständige festgestellt hat, völlig aufgehoben. Dem Kläger fehlen hierzu nicht nur die Informationen aus dem Bein, sondern er kann diese auch nicht durch Druck des Stumpfes auf die Prothese ersetzen, denn bei ihm besteht zusätzlich ein Neuromknoten mit verstärkter Schmerzempfindlichkeit. Zur Beurteilung der Bodenhaftung erhält er aus dem geschädigten Bein praktisch keinerlei Informationen. Er hat deshalb auf glattem wie auf unebenem Boden erheblich schlechtere Chancen, einen Sturz zu vermeiden. Dies muß insbesondere dann gelten, wenn er mit den Augen die Gefahr vorher nicht erkennen kann, denn dann ist er allein auf die Informationsvermittlung über die Nervenenden in seinen Beinen angewiesen. Kommt es in diesem Fall zu einem Sturz, so sind zur Überzeugung des Senats beide Ursachen – Glatteis und Gehbehinderung – gleichwertig hierfür verantwortlich.
Dem kann auch nicht, wie es das SG getan hat, entgegengehalten werden, daß sich der Unfall so schnell abgespielt habe, daß der Verunglückte nicht in der Lage gewesen sei, willensmäßig zu reagieren. Das SG hat insoweit auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. November 1976 – 9 RV 200/75 – (in Breithaupt 1977, Seite 340, 341) verwiesen. Dieser Entscheidung lag jedoch ein völlig anderer Fall zugrunde. Ein gehbehinderter Prothesenträger konnte einem herannahenden Kraftfahrzeug nicht mehr ausweichen. Im vorliegenden Fall liegt eine vergleichbare Plötzlichkeit und Unabwendbarkeit nur für das Sturzereignis selbst vor. Dem geht aber, wie oben dargestellt, der Moment voraus, in dem zum ersten Mal Kontakt mit dem Glatteis aufgenommen wird. Dieser Moment ist entscheidend zur Beurteilung der Frage, ob es überhaupt zu einem Sturz kommen muß oder nicht. In diesem Zeitpunkt ist aber für einen Gesunden noch eine Reaktion möglich, er kann das Gewicht verlagern, die Geschwindigkeit herabsetzen oder die Bewegung mit den Armen ausgleichen. Dies kann der Prothesenträger nicht, denn er nimmt das Ausgleiten sensitiv viel zu spät wahr. In diesem Fall ist die Gesundheitsstörung neben der Bodenbeschaffenheit mit die wesentliche Ursache für den Sturz. Ein als weitere Ursache regelmäßig zu prüfendes Eigenverschulden des Klägers liegt nicht vor. Ein relevantes Verschulden läge nämlich nur dann vor, wenn das Handeln des Geschädigten im hohen Grad unvernünftig und unfallträchtig gewesen wäre (vgl. BSG in SozR. 3100 § 1 Nr. 23, BSG, Urteil vom 20. Mai 1992 – 9 a RV 28/90 –). Ein solch hohes Maß an Unvernunft ist jedoch keinesfalls darin zu sehen, daß der Kläger bei winterlichen Straßenverhältnissen das Haus verlassen hat.
Bei dieser Sachlage besteht auch kein Anlaß, ein neues medizinisches Gutachten einzuholen. Zwar ist der Senat im Endergebnis von den Feststellungen des erstinstanzlichen Sachverständigen abgewichen. Diese Schlußfolgerungen betrafen aber nicht medizinische Fragen. Der Sachverständige hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Schlußfolgerung letztendlich durch das Gericht zu ziehen sei. Im medizinischen Teil seines Gutachtens konnte der Senat seinen Feststellungen voll und ganz folgen, denn durch diese wurde nachvollziehbar gemacht, wie begrenzt der Kläger als Prothesenträger Wahrnehmungen über die Eigenschaft des Untergrundes aufnehmen kann. Daraus waren für den Senat die oben getroffenen Schlüsse zu ziehen. Die "Hüftgelenksendoprothese nach Schenkelhalsbruch” ist als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen.
Die Beschädigtenrente ist deshalb im beantragten Rahmen zu erhöhen. Auch insoweit kann der Senat den Feststellungen von Dr. T. folgen, denn diese stehen im Einklang mit den oben genannten Anhaltspunkten. Danach ist für die neu festgestellte Schädigungsfolge die Einzel-MdE mit 30 v.H. einzuschätzen. Dies führt bei integrierender Betrachtungsweise unter Mitberücksichtigung des besonderen beruflichen Betroffenseins zur Erhöhung der Gesamt-MdE auf 90 v.H.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, denn es liegt keiner der in § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG genannten Gründe vor.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung einer Hüftgelenksendoprothese links nach Schenkelhalsfraktur als weiterer, mittelbarer Schädigungsfolge und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 90 v.H. nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Bei dem 1913 geborenen Kläger sind zuletzt mit Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamtes vom 25. Juni 1984 als Schädigungsfolgen festgestellt worden:
1) "Verlust des linken Beines im Bereich des Unterschenkels bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke,
2) geringgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits,
3) kleine Narben und kleine Weichteilstecksplitter in der linken Gesäßhälfte, in beiden Oberschenkeln und in der vorderen Bauchwand, 4) Neuromknoten und über das üblicherweise zu erleidende Maß an Schmerzhaftigkeit hinausgehende Nerven- und Phantomschmerzen.”
Die Gesamt-MdE für die anerkannten Schädigungsfolgen war in diesem Bescheid mit 70 v.H. bemessen. Dem lagen Einzel-MdE für die Schädigungsfolge zu 1) von 50 v.H., für die Schädigungsfolge zu 2) von 15 v.H., für die Schädigungsfolge zu 3) von 0 v.H. und für die Schädigungsfolge zu 4) von 20 v.H. zugrunde. Beschädigtenrente wurde dem Kläger unter Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG nach einer MdE von 80 v. H, gewährt.
Am 16. März 1990 hat der Kläger beim Versorgungsamt einen Antrag auf Gewährung höherer Beschädigtenrente wegen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen gestellt und diesen damit begründet, daß sich die Beschwerden im rechten Oberschenkel und im Stumpfbereich verschlimmert hätten.
Gleichzeitig hat er Antrag auf Pflegezulage gemäß § 35 BVG gestellt. Im Verwaltungsverfahren hat das Versorgungsamt ein nervenärztliches, ein internistisches und ein chirurgisches Gutachten bei der Versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle in eingeholt. Bei der chirurgischen Untersuchung durch Dr. K. am 29. November 1990 hat der Kläger erstmals angegeben, daß er im Jahr 1987 gestürzt sei und sich dabei eine Schenkelhalsfraktur zugezogen habe. Daraufhin sei ihm eine Hüftgelenksendoprothese links eingesetzt worden. Mit Bescheid vom 16. Januar 1991 hat das Versorgungsamt den Verschlimmerungsantrag zurückgewiesen. Mit Bescheid vom 17. Januar 1991 hat es den Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 17. Januar 1991 hat das Versorgungsamt beim Kläger angefragt, weswegen er im Jahr 1987 ausgerutscht und gefallen sei. Mit Schriftsatz vom 19. Februar 1991 hat der Kläger über seine Prozeßbevollmächtigten deshalb einen Antrag auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen gestellt. Diesem Antrag fügte er Fotokopien eines Schriftsatzes seines Prozeßbevollmächtigten an das Landgericht und Fotokopien der Niederschrift über die öffentliche Verhandlung der Zweiten Zivilkammer des Landgerichts vom 5. Mai 1988 (Aktenzeichen: 2 0 /87) bei. Aus diesen Fotokopien ergibt sich, daß der Kläger von der Stadt Schadensersatz mit der Begründung verlangt hat, er sei am 22. März 1987 auf einem vereisten Fußweg gestürzt. Aus den Fotokopien der Niederschrift über die öffentliche Verhandlung des Landgerichts ergibt sich, daß die Zweite Zivilkammer am 5. Mai 1988 die Zeugin I. und F. P., A. G., W. S. und R. B. gehört hatte. Der Zeuge F. P. hatte angegeben, er habe am Unfalltag aus dem Fenster gesehen und dabei bemerkt, daß sein Vater auf dem Gehweg vor dem Haus gestürzt sei. Am Unfalltag hätten ca. fünf bis acht Zentimeter Neuschnee gelegen. "Das Schlimme sei gewesen, daß sich Eis unter der Schneedecke befand.” Der Zeuge G. hatte bekundet, am Unfalltag habe eine Schneedecke von vielleicht zwei bis drei Zentimeter gelegen. An der Stelle, an welcher der Kläger gefallen sei, habe sich eine kleine Mulde befunden und dort sei Eis unter dem Schnee gewesen. Er habe das Glatteis an der Unfallstelle selbst gesehen. Durch den Sturz des Klägers sei der Schnee beiseite geschoben gewesen und man habe das darunterliegende Eis erkennen können. Die Zeugin I. P. hatte im wesentlichen die Angaben der Zeugen F. P. und A. G. bestätigt und ergänzend bekundet, auch die Sanitäter, die den Kläger abgeholt hätten, seien beinahe ausgerutscht, denn es sei auf dem Parkplatz glatt gewesen. Aufgrund dieser Beweisaufnahme haben die Parteien im Zivilprozeß einen Vergleich geschlossen, wonach sich die Stadt ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zur Abgeltung aller etwaigen Ansprüche verpflichtete, an den Kläger 3.000,– DM zu zahlen.
Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hat das Versorgungsamt mit Bescheid vom 22. März 1991 den Antrag mit der Begründung abgelehnt, daß der Kläger aller Wahrscheinlichkeit nach am 22. März 1987 auch gestürzt wäre, wenn die anerkannten Schädigungsfolgen nicht vorgelegen hätten. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 25. April 1991 Widerspruch eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es sei zwar richtig, daß auch ein "Beingesunder” auf der mit Schnee bedeckten Glatteisfläche ausgerutscht wäre. Bei einem Gesunden wäre jedoch ein besseres Abfedern und Abstützen möglich gewesen, so daß dieser sich keinen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hätte. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1991 hat der Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt, daß bei der Plötzlichkeit des Unfallhergangs bei Berücksichtigung aller Begleitumstände auch ohne den schädigungsbedingten Unterschenkelverlust eine entsprechende Abstützreaktion mit einer Milderung der Unfallfolgen nicht mehr möglich gewesen wäre. Auch ohne die Schädigungsfolgen wäre es somit zu diesem Unfall gekommen. Unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Lebensalters des Klägers handele es sich bei dem erlittenen Oberschenkelhalsbruch um eine typische Verletzungsfolge nach einem Glatteisunfall. Der schädigungsbedingte Unterschenkelverlust links habe bei der Verursachung des Unfalls mit seinen Folgen ursächlich jedenfalls nicht wesentlich mitgewirkt. Bei dieser Sachlage sei es nicht erforderlich gewesen, ein fachärztliches Gutachten einzuholen.
Hiergegen hat der Kläger am 8. Januar 1992 vor dem Sozialgericht Fulda Klage erhoben. Er hat die Ansicht geäußert, er sei aufgrund des schädigungsbedingten Tragens einer Unterschenkelprothese erheblich sturzgefährdeter gewesen als ein "Beingesunder”. Ohne die anerkannten Schädigungsfolgen hätte er das Hinfallen durch entsprechende Abstützreaktionen wohl abwenden können. Die Folgen des Unfalls vom 22. März 1987 seien deshalb als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Akten des beim Landgericht in anhängigen Zivilverfahrens (Aktenzeichen: 2 0 /87). Weiterhin hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Amts wegen bei Dr. T., Institut für medizinische Begutachtung in Dr. T. hat in seinem Gutachten vom 9. März 1993 die Ansicht geäußert, daß bei einem gleichartigen Sturz auch ein Nichtamputierter im selben Alter sich wahrscheinlich einen Schenkelhalsbruch zugezogen hätte. Solche Brüche würden vorzugsweise in höherem Lebensalter auftreten. Es sei jedoch fraglich, ob ein Gesunder auch gestürzt wäre. Grundsätzlich gelte, daß Gesunde über eine Vielzahl von Nervenendigungen in den Fußsohlen beim Gehen eine Fülle von wichtigen Informationen erhalten würden, die ein Amputierter nicht erhalte könne. So könne ein Gesunder bei einem Wegrutschen auf unebenem Boden blitzartig reflektorisch reagieren und gegebenenfalls den Sturz noch vermeiden. Dies könne ein einseitig Amputierter wahrscheinlich nicht. Im konkreten Fall des Klägers sei noch zu berücksichtigen, daß bei ihm wegen eines Neuromknotens eine verstärkte Schmerzempfindlichkeit bestehe und außerdem eine Verminderung der Muskelkraft des linken Oberschenkels diagnostiziert worden sei. Deshalb könne man in der Tat grundsätzlich argumentieren, daß er einer erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt sei. Dies treffe jedoch nur für den Fall zu, daß er mit dem Prothesenbein auf eine Bodenunebenheit trete. Im streitigen Fall hätten jedoch gänzlich andere Bodenbedingungen vorgelegen. Aus den Akten gehe hervor, daß es an der Unfallstelle "spiegelglatt” gewesen sei. Beim Ausrutschen auf Glatteis komme es jedoch zu einem blitzartigen Verlust des Bodenkontaktes, der in der Regel auch von Beingesunden nicht mehr aufgefangen werden könne, da das zentrale Nervensystem dann nicht mehr in der Lage sei, mit einer entsprechenden Körperreaktion gegenzusteuern. Dem entspreche auch die allgemeine Lebenserfahrung, daß bei Glatteis eine große Zahl besonders älterer Menschen zu Fall komme und sich Knochenbrüche zuziehe. Dabei sei der Schenkelhalsbruch eine typische Sturzverletzung. Ob dennoch dem angeschuldigten Ereignis die Bedeutung einer rechtlich wesentlichen Teilursache zukomme, könne nicht abschließend seitens des medizinischen Sachverständigen entschieden werden. Dies sei Sache des Gerichts. Sollte ein rechtsrelevanter Zusammenhang angenommen werden, so sei für den endoprothetischen Hüftersatz eine Einzel-MdE von 30 v.H. zu bemessen. Die Gesamt-MdE bei gleichzeitiger Berücksichtigung des beruflichen Betroffenseins sei dann auf 90 v.H. zu erhöhen.
Mit Urteil vom 8. Juni 1993 hat das Sozialgericht Fulda die Klage abgewiesen. In seinen Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, daß nach der im Versorgungsrecht geltenden Ursachenlehre Gesundheitsstörungen schon dann als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen seien, wenn bei ihrem Zustandekommen eine schädigungsbedingte Gesundheitsstörung wesentlich mitgewirkt habe. Hätten mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so seien sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig seien. Komme hingegen einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, sei dieser Umstand allein Ursache im Sinne des BVG. Die anerkannten Schädigungsfolgen seien im vorliegenden Fall nicht annähernd gleichwertig und deshalb nicht ursächlich gewesen. Zwar habe Dr. T. in seinem Gutachten festgestellt, daß Unterschenkelamputierte und Prothesenträger im Vergleich zu Beingesunden grundsätzlich einer erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt seien. Diese Überlegungen würden, wie Dr. T. weiter ausgeführt habe, ihre Gültigkeit nur für das Gehen auf normalen Wegen haben. Im streitigen Fall hätten jedoch gänzlich andere Bodenbedingungen vorgelegen, denn der Kläger sei auf einer Glatteisstelle ausgerutscht. Dabei sei zusätzlich zu berücksichtigen, daß diese Glatteisstelle durch Neuschnee verdeckt gewesen sei und der Kläger deshalb plötzlich und völlig unerwartet ausgerutscht sei. Deshalb sei davon auszugehen, daß jeder andere 79-jährige beingesunde Mann an dieser Stelle auch ausgerutscht wäre und sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hätte.
Gegen das am 2. Juli 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Juli 1993 Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, daß das Tragen einer Prothese den Sturz verursacht habe. Auf dem öffentlichen Fußweg, auf dem es zum Unfall gekommen sei, seien am gleichen Tag und zur selben Zeit mehrere Leute verschiedener Altersgruppen zum Gottesdienst gegangen, ohne daß einer von ihnen ausgerutscht oder hingefallen wäre. Daß man mit einer Prothese aber wesentlich schlechter und unsicherer gehen könne, wisse er aus eigener Erfahrung. In Wintermonaten traue er sich deshalb nicht mehr auf die Straße, so groß sei seine Angst vor einem Sturz. Im übrigen sei das Sozialgericht in seinem Urteil fälschlicherweise davon ausgegangen, daß er im Zeitpunkt des Sturzes 79 Jahre alt gewesen sei. Tatsächlich sei er zu diesem Zeitpunkt erst 73 Jahre alt gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. Juni 1993 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 22. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Dezember 1991 zu verurteilen, die Hüftgelenksendoprothese links nach Schenkelhalsbruch als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen und ihm ab 1. Februar 1991 Versorgungsleistungen nach einer MdE von 90 v.H. nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 BVG zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, aus dem in erster Instanz bei Dr. T. eingeholten Gutachten ergebe sich, daß der erlittene Unfall mit seinen Folgen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den schädigungsbedingten Unterschenkelverlust ursächlich zurückzuführen sei. Im übrigen bezieht er sich zur Begründung auf seine erstinstanzlichen Schriftsätze vom 16. November 1992 und 29. März 1993.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Klage- und Beschädigtenakte des Klägers Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist statthaft gemäß § 151 Abs. 1; §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung ist sachlich auch begründet. Der angefochtene Bescheid vom 22. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1991 ist rechtswidrig. Deshalb hätte das Sozialgericht diese aufheben und der Klage stattgeben müssen.
Gemäß § 1 Abs. 1 BVG erhält auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Wenn – wie hier – über Versorgungsleistungen durch Verwaltungsakt schon entschieden worden ist, können diese mit Wirkung für die Zukunft gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß dieses Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Dabei ist eine wesentliche Änderung immer dann anzunehmen, wenn neue Schädigungsfolgen festzustellen sind oder wenn sich die MdE der festgestellten Schädigungsfolgen um mindestens 10 v.H. ändert. Bei der Feststellung der MdE ist von den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz auszugehen. Neue Schädigungsfolgen in diesem Sinne können auch Gesundheitsstörungen sein, die zwar unabhängig von dem schädigenden Vorgang selbst entstehen, bei deren Zustandekommen die anerkannten Schädigungsfolgen aber ursächlich mitgewirkt haben. Dies sind sogenannte mittelbare Schädigungsfolgen. Nach der auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm sind jedoch nicht alle Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Erfolg entfiele, auch ursächlich im Sinne des Kriegsopferversorgungsrechtes; maßgeblich in diesem Sinne sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen, die im Verhältnis zu anderen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 1957 – 9 RV 114/55 –; BSGE 1, 72; BSGE 11, 50; Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, § 1 BVG Erl. V. 3). Eine durch einen Unfall eingetretene Gesundheitsstörung ist danach als mittelbare Schädigungsfolge immer dann anzuerkennen, wenn die anerkannten Schädigungsfolgen wesentlich an der Entstehung des Unfalls mitgewirkt haben (BSG in Breithaupt 1977, 340). Haben mehrere Bedingungen in gleicher Weise – gleichwertig – zu dem Erfolg beigetragen, so sind sie auch rechtlich nebeneinander stehende Mitursachen (vgl. insoweit bereits BSG, Urteil vom 23. März 1961 – 11 RV 1484/59 –; Urteil vom 22. Februar 1967 – 8 RV 431/64 –; zuletzt: BSG in Breithaupt 1993, 219 ff.). Nur wenn einer Bedingung gegenüber den anderen überwiegende Bedeutung zukommt, so ist diese rechtlich allein die Ursache (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1991 – 11 RV 1484/59 –).
Im vorliegenden Fall liegen zwei Ursachen für den Sturz des Klägers vor. Zum einen der schädigungsbedingte Verlust des linken Unterschenkels mit Neuromknoten und über das üblicherweise zu erleidende Maß an Schmerzhaftigkeit hinausgehenden Nerven- und Phantomschmerzen. Zum anderen steht aufgrund der Zeugenaussagen im Zivilprozeß vor dem Landgericht fest, daß der Kläger auf Glatteis ausrutschte. Diese Glatteisschicht war für ihn auch vorher nicht erkennbar, weil sie von einer dünnen Schneeschicht bedeckt war. Zur Überzeugung des erkennenden Senats haben diese beiden Ursachen zumindest gleichwertig zu dem Eintritt des Schadens geführt.
Zwar reicht das Vorliegen einer Gehbehinderung allein nicht aus, damit sie ohne nähere Feststellungen bei Eintritt eines Schadensfalls im Straßenverkehr als Unfallursache angenommen werden kann. Vielmehr sind an Hand von Einzelfeststellungen entscheidungserhebliche Verhaltensweisen genauer zu untersuchen und zu prüfen (vgl. BSG in Breithaupt 1977, 340). Diese konkreten Feststellungen führen hier aber dazu, daß die Schädigungsfolgen durchaus gleichwertige Ursache neben dem Glatteis für den streitigen Unfall gewesen sind. Bei Unterschenkelamputierten und Prothesenträgern besteht im Vergleich zu Beingesunden nämlich generell eine erhöhte Sturzgefahr. Insoweit kann der Senat dem in erster Instanz bei Dr. T. eingeholten Gutachten folgen. Dieser hat festgestellt, daß Prothesenträger durch die Amputation einer Gliedmaße einer wichtigen Informationsquelle beraubt sind, die das Gehirn benötigt, um alle Bewegungsabläufe optimal steuern zu können. Demzufolge kann er gar nicht in der Lage sein, blitzartig reflektorisch zu reagieren, um beispielsweise durch ein rasches Vorsetzen oder Seitversetzen des amputierten und prothesenversorgten Beines den Sturz zu vermeiden. Denn an diesem Bein sind eben die entsprechenden Kontrollmechanismen stark eingeschränkt, die zur Aufrechterhaltung der Körperbalance notwendig sind, d.h. also die Empfindung der Tiefensensibilität, die durch die Fußsohle vermittelt wird, aber auch die balancierende Steuerung der Muskelgruppen. Dadurch ist das Zentralnervensystem am amputierten Bein nie in der Lage, eine perfekte Kontrolle über die Ausrichtung des Beines und die Stellung des Beines in Räumen auszuüben, es sei denn durch ständige Blickkontrolle. Der Prothesenträger wird also zwangsläufig immer unsicherer laufen und sehr begrenzt in der Lage sein, ein drohendes Sturzgeschehen auch tatsächlich abzuwenden. Zu Recht hat der Sachverständige weiter darauf hingewiesen, daß sich diese Situation beim Kläger durch den bestehenden Neuromknoten und die verstärkte Schmerzempfindlichkeit noch wesentlich schlechter darstellt, als bei anderen Prothesenträgern.
Die Schlußfolgerungen des Sachverständigen, daß diese Gehbehinderung nur auf normalen Wegen zu einer erhöhten Sturzgefahr führen würde, sind für den Senat jedoch nicht überzeugend. Hierzu führt Dr. T. aus, daß es bei einem Ausrutschen auf Glatteis zu einem blitzartigen Verlust des Bodenkontaktes komme, der in der Regel auch von einem Beingesunden – selbst von einem jungen Mann oder einem Kind – nicht mehr aufgefangen werden könne, da das Zentralnervensystem dann nicht mehr in der Lage sei, mit einer entsprechenden Körperbewegung gegenzusteuern. Dem entspreche auch die allgemeine Lebenserfahrung, daß bei Glatteis eine große Zahl älterer Menschen zu Fall komme, die sich dann typischerweise einen Oberschenkelhalsbruch zuziehen würde. Diese Begründung ist jedoch deswegen unvollständig und setzt zu spät an, weil sie den Verlust des Bodenkontaktes voraussetzt. Zwar ist es sicher richtig, daß auch ein Gesunder, der auf Glatteis den Bodenkontakt verliert, nicht mehr in der Lage ist, mit einer Körperreaktion gegenzusteuern und deshalb stürzt. Der Senat kann dem Sachverständigen auch folgen, wenn er annimmt, daß sich ältere Menschen dabei häufiger einen Schenkelhalsbruch zuziehen. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, daß jeder ältere Mensch beim Kontakt mit Glatteis überhaupt stürzt. Vielmehr ist es so, daß ein großer Teil derjenigen, die plötzlich und unerwartet auf Glatteis geraten, nur schlittert oder unsicher und langsam sich fortbewegt. Auch bei verstecktem Glatteis, wie im vorliegenden Fall, wird dem gesunden Menschen durch die Nervenenden in den Füßen die Verringerung der Bodenhaftung mitgeteilt. Er kann durch Gewichtsverlagerung und Verringerung der Geschwindigkeit hierauf reagieren und oftmals einen Sturz abwenden. Das aber konnte der Kläger gerade nicht. Die Sensibilisierung im geschädigten Bein ist, wie auch der Sachverständige festgestellt hat, völlig aufgehoben. Dem Kläger fehlen hierzu nicht nur die Informationen aus dem Bein, sondern er kann diese auch nicht durch Druck des Stumpfes auf die Prothese ersetzen, denn bei ihm besteht zusätzlich ein Neuromknoten mit verstärkter Schmerzempfindlichkeit. Zur Beurteilung der Bodenhaftung erhält er aus dem geschädigten Bein praktisch keinerlei Informationen. Er hat deshalb auf glattem wie auf unebenem Boden erheblich schlechtere Chancen, einen Sturz zu vermeiden. Dies muß insbesondere dann gelten, wenn er mit den Augen die Gefahr vorher nicht erkennen kann, denn dann ist er allein auf die Informationsvermittlung über die Nervenenden in seinen Beinen angewiesen. Kommt es in diesem Fall zu einem Sturz, so sind zur Überzeugung des Senats beide Ursachen – Glatteis und Gehbehinderung – gleichwertig hierfür verantwortlich.
Dem kann auch nicht, wie es das SG getan hat, entgegengehalten werden, daß sich der Unfall so schnell abgespielt habe, daß der Verunglückte nicht in der Lage gewesen sei, willensmäßig zu reagieren. Das SG hat insoweit auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. November 1976 – 9 RV 200/75 – (in Breithaupt 1977, Seite 340, 341) verwiesen. Dieser Entscheidung lag jedoch ein völlig anderer Fall zugrunde. Ein gehbehinderter Prothesenträger konnte einem herannahenden Kraftfahrzeug nicht mehr ausweichen. Im vorliegenden Fall liegt eine vergleichbare Plötzlichkeit und Unabwendbarkeit nur für das Sturzereignis selbst vor. Dem geht aber, wie oben dargestellt, der Moment voraus, in dem zum ersten Mal Kontakt mit dem Glatteis aufgenommen wird. Dieser Moment ist entscheidend zur Beurteilung der Frage, ob es überhaupt zu einem Sturz kommen muß oder nicht. In diesem Zeitpunkt ist aber für einen Gesunden noch eine Reaktion möglich, er kann das Gewicht verlagern, die Geschwindigkeit herabsetzen oder die Bewegung mit den Armen ausgleichen. Dies kann der Prothesenträger nicht, denn er nimmt das Ausgleiten sensitiv viel zu spät wahr. In diesem Fall ist die Gesundheitsstörung neben der Bodenbeschaffenheit mit die wesentliche Ursache für den Sturz. Ein als weitere Ursache regelmäßig zu prüfendes Eigenverschulden des Klägers liegt nicht vor. Ein relevantes Verschulden läge nämlich nur dann vor, wenn das Handeln des Geschädigten im hohen Grad unvernünftig und unfallträchtig gewesen wäre (vgl. BSG in SozR. 3100 § 1 Nr. 23, BSG, Urteil vom 20. Mai 1992 – 9 a RV 28/90 –). Ein solch hohes Maß an Unvernunft ist jedoch keinesfalls darin zu sehen, daß der Kläger bei winterlichen Straßenverhältnissen das Haus verlassen hat.
Bei dieser Sachlage besteht auch kein Anlaß, ein neues medizinisches Gutachten einzuholen. Zwar ist der Senat im Endergebnis von den Feststellungen des erstinstanzlichen Sachverständigen abgewichen. Diese Schlußfolgerungen betrafen aber nicht medizinische Fragen. Der Sachverständige hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Schlußfolgerung letztendlich durch das Gericht zu ziehen sei. Im medizinischen Teil seines Gutachtens konnte der Senat seinen Feststellungen voll und ganz folgen, denn durch diese wurde nachvollziehbar gemacht, wie begrenzt der Kläger als Prothesenträger Wahrnehmungen über die Eigenschaft des Untergrundes aufnehmen kann. Daraus waren für den Senat die oben getroffenen Schlüsse zu ziehen. Die "Hüftgelenksendoprothese nach Schenkelhalsbruch” ist als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen.
Die Beschädigtenrente ist deshalb im beantragten Rahmen zu erhöhen. Auch insoweit kann der Senat den Feststellungen von Dr. T. folgen, denn diese stehen im Einklang mit den oben genannten Anhaltspunkten. Danach ist für die neu festgestellte Schädigungsfolge die Einzel-MdE mit 30 v.H. einzuschätzen. Dies führt bei integrierender Betrachtungsweise unter Mitberücksichtigung des besonderen beruflichen Betroffenseins zur Erhöhung der Gesamt-MdE auf 90 v.H.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, denn es liegt keiner der in § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG genannten Gründe vor.
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