L 3 R 1816/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 R 1363/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 1816/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1964 geborene Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Polizisten bis 1988 in diesem Beruf. Er war anschließend zunächst als Kraftfahrer und dann bis 1997 als Busfahrer tätig. Seit Februar 1999 arbeitet er als Taxifahrer. Nach dem Versicherungsverlauf vom 05. September 2008 wurde die Tätigkeit vom 18. April 2005 bis zum 31. Dezember 2007 als geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung verrichtet.

Seinen am 09. Oktober 2006 gestellten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung begründete der Kläger damit, seit Mai 2004 an Depressionen, Angstzuständen, Schlaflosigkeit mit nächtlichen Panikattacken, Konzentrationsstörungen, Zwängen, Schwindel, Tinnitus, ständigen Kopfschmerzen mit Ohnmacht, einem Wirbelsäulenschaden, Schulter- und Nackenproblemen, permanentem starken Kopfdruck und einer nervösen inneren Unruhe zu leiden und deshalb keine Arbeiten mehr verrichten zu können. Dem Antrag beigefügt waren ein Notfallkurzbericht der C, Zentrum für Muskuloskeletale Chirurgie, vom 23. November 2005 wegen Anfällen unklarer Genese und der Befund über eine MRT des Schädels und MRA vom 13. Februar 2006 mit der Beurteilung einer altersentsprechend unauffälligen Darstellung der großen intracerebralen Gefäße, ohne Blutung, ohne Raumforderung. Eine von der Beklagten veranlasste Begutachtung durch die Fachärztin für Nervenheilkunde Dipl.-Med. W vom 10. November 2006 ergab, dass der Kläger, der sich nicht in nervenärztlicher Behandlung befinde und an keiner Psychotherapie teilnehme, an einer anhaltenden depressiven Störung, einem Spannungskopfschmerz und einer unklaren Bewusstlosigkeit leide. Die Gutachterin hielt den Kläger für noch fähig, täglich sechs Stunden und mehr mittelschwere Arbeiten ohne Zeitdruck, ohne Nachtschicht und ohne Servicetätigkeiten zu verrichten. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 23. November 2006 ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, es sei ihm nur noch gelegentlich möglich, einer Tätigkeit nachzugehen. Angstzustände, nervöse Unruhe und heftigste Kopfschmerzen führten häufig dazu, dass an geregelte Tagesabläufe nicht zu denken sei. Im Weiteren bezog sich der Kläger auf ein Attest des ihn seit dem 02. Oktober 1997 behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. W. Außerdem legte der Kläger einen Erste-Hilfe-Berichte der C vom 20. und 23. November 2005 vor. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme wies die Beklagte den Wi-derspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06. Februar 2007 zurück.

Zur Begründung seiner dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat sich der Kläger auf ein weiteres Attest von Dr. W vom 19. April 2007 bezogen.

Auf seinen Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. v H am 03. September 2007 eine erneute Begutachtung des Klägers durchgeführt und bei diesem eine generalisierte Angststörung (ICD-10: F41.1) diagnostiziert. Der Kläger könne noch täglich vollschichtig körperlich leichte bis schwere Arbeiten verrichten. Die festgestellten Leiden beschränkten ihn nicht in der Ausübung schwieriger geistiger Arbeiten. Besonderheiten auf dem Weg zur Arbeitsstelle seien nicht zu berücksichtigten. Das gelegentliche Taxifahren geschehe nicht auf Kosten der Gesundheit. Auch eine Arbeitsaufnahme erfolge nicht auf Kosten der Gesundheit. Die depressive Störung und die Zwangsymptomatik seien bei dem Kläger nicht so schwerwiegend ausgeprägt, dass daraus eigenständige Erkrankungen resultierten. Es liege im Wesentlichen ein Behandlungsfall vor. Die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitrente würde den Kläger eher in seinen passivregressiven Tendenzen bestärken. Wesentliche therapeutische Maßnahmen seien bisher nicht ergriffen wor-den. Der Kläger habe lange Zeit überhaupt keine Medikamente nehmen wollen. Er gehe jetzt etwa alle zehn Wochen zum Nervenarzt und seit Anfang des Jahres nehme er ein Antidepressivum ein (Dioxepin 25 mg zur Nacht, Cipramil unklare Dosis morgens, Ratiopharm-Nervenkapseln 2-3 x täglich). Eine Psychotherapie sei ebenso wenig durchgeführt worden wie ein stationäres Heilverfahren. Eine suffiziente, insbesondere längerfristige verhaltenstherapeutische und medikamentöse Behandlung sei aus nervenärztlicher Sicht dringend indiziert. Die Vorenthaltung der Rente sei von wesentlicher Bedeutung für die Überwindung der dem Kläger bewussten, aber nicht aggravierten oder simulierten Fehlhaltung.

Durch Gerichtsbescheid vom 23. November 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Gegen den Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser ausführt, wegen seiner vielfältigen organischen und psychiatrischen Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage zu sein, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Ihm sei zumindest für eine Zeit von zwei bis drei Jahren eine Zeitrente zu gewähren. Im Weiteren beruft sich der Kläger auf ein erneutes Attest des Dr. W vom 27. Januar 2008.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2007 auf-zuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Novem-ber 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2007 zu verurteilen, ihm ab dem 01. Oktober 2006 eine Rente wegen voller, hilfs-weise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist unter Bezugnahme auf den Versicherungsverlauf vom 28. Februar 2008 darauf, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente bis zu einem Eintritt der verminderten Erwerbsfähigkeit am 31. Mai 2007 erfüllt seien.

Der Senat hat zur Ermittlung des Sachverhalts Befundberichte von Dr. W vom 10. März 2008 und dem Facharzt für Innere Medizin G vom 20. März 2008 beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Der ab Oktober 2006 geltend gemachte Rentenanspruch richtet sich nach § 43 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung. Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind.

Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI).

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI).

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Zur Überzeugung des Senats ist der Kläger nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Der Kläger ist im Verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet untersucht und begutachtet worden. Die Gutachten stimmen nicht in der Diagnosestellung, jedoch in der sozialmedizinische Leistungsbeurteilung überein. Der gerichtliche Sachverständige Dr. v H hat bei dem Kläger eine generalisierte Angststörung festgestellt.

Einen pathologischen neurologischen Befund hat der Sachverständige nicht feststellen können.

Als psychiatrischen Befund hat Dr. v H zwar eine Ängstlichkeit und Unruhe ausdrückende Gestik und Mimik sowie ein Schwitzen und teilweises Hyperventilieren des Klägers erhoben. Der Kläger hat sich jedoch andererseits auskunftsbereit und kooperativ gezeigt. Klang und Modulation der Stimme sind ebenso unauffällig gewesen wie Sprechstörungen. Der Sachverständige hat weder quantitative noch qualitative Be-wusstseinsstörungen sowie keine Orientierungs-, Auffassungs- und Konzentrationsstörungen finden können. Die Gedächtnisfunktionen sind intakt gewesen, der formale Gedankengang ist lediglich teilweise etwas umständlich gewesen. Es haben sich keine Anhaltspunkte für formale oder inhaltliche Wahnmerkmale, Illusionen, Halluzinationen und Ich-Störungen finden lassen. Im Bereich der Affektivität hat der Kläger deutlich ängstlich, agitiert und anklammernd gewirkt. Die gezeigten phobischen Ängste haben sich insbesondere bezüglich sozialer Stimuli gefunden, sind aber auch ago-raphobischer Art gewesen. Der Kläger hat nur leichtgradig deprimiert gewirkt. Er hat ein deutliches Vermeidungsverhalten gezeigt und im geringen Ausmaß sind Zwangshandlungen zu eruieren gewesen, allerdings keine Zwangsgedanken. Zusammenfassend haben sich beim Kläger massive Befürchtungen und zusätzlich körperliche Symptome wie innere Unruhe, Schwindel, Kopfschmerzen, Durchfälle, die Unfähigkeit, sich zu entspannen, sowie zusätzlich eine vegetative Übererregbarkeit gefunden. Somit sind nach den Ausführungen des Sachverständigen die Grundsymptome für die Diagnose einer generalisierten Angststörung nach dem ICD 10 gegeben. Die depressiven Symptome zeigten sich dagegen in einer herabgesetzten Stimmung und insbesondere in einem verminderten Antrieb, Hoffnungslosigkeit sowie Klagsamkeit. Diese Befunde sind jedoch nicht so ausreichend, dass sie zusätzlich zu der herrschenden Angsterkrankung eine zusätzliche Diagnose rechtfertigen. Im Übrigen lassen sich einige Eigenarten der Persönlichkeit des Klägers bis früh in die berufliche Tätigkeit zurückverfolgen. Seine Persönlichkeit lässt sich im Wesentlichen als ängstlich, aber auch abhängig beschreiben. Diese Persönlichkeitsarten sind jedoch ebenfalls nicht so ausgeprägt, um als eigenständige Diagnose eine ausgeprägte Persönlichkeitsstörung zu rechtfertigen. Der Sachverständige hat die Entwicklung der generalisierten Angsterkrankung mit phobischen Ängsten anhand der beruflichen Ent-wicklung des Klägers anschaulich verdeutlicht. Er hat auch schlüssig dargelegt, dass diese Erkrankung bisher noch kein quantitativ aufgehobenes Leistungsvermögen bedingt, sondern vielmehr ein Behandlungsfall vorliegt und die Gewährung einer Rente den Kläger eher in seinen passiv regressiven Tendenzen bestärken würde. Die Vorenthaltung der Rente ist deshalb von wesentlicher Bedeutung für die Überwindung der noch zu behandelnden Erkrankung des Klägers. Unter Beachtung der von dem Sachverständigen geschilderter qualitativen Einschränkungen, die sich vorwiegend auf das geistige Leistungsvermögen des Klägers beziehen, ist dem Kläger eine vollschichtige Tätigkeit zumutbar. Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist nicht aufgehoben. Zwar schildert der Sachverständige, dass der Kläger für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel immer die Be-gleitung seiner Ehefrau in Anspruch nehme. Im Hinblick darauf, dass der Kläger, der gelegentlich als Taxifahrer arbeitet, noch in der Lage ist, ein Auto zu fahren und bei der Schilderung seiner Hobbys das Autofahren nennt, hat der Senat keine Bedenken anzunehmen, dass der Kläger zumindest noch in der Lage ist, mit einem Auto einen potentiellen Arbeitgeber zu erreichen. Damit entspricht die Leistungseinschätzung des gerichtlichen Sachverständigen im Wesentlichen der im Verwaltungsverfahren tätig gewordenen Neurologin und Psychiaterin Dipl.-Med. W.

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf die zu den Akten gereichten Atteste des Neurologen und Psychiaters Dr. W vom 15. Dezember 2006, 19. April 2007 und 27. Januar 2008 beziehen. Die Atteste enthalten außer den gleichlautenden Diagnosen keinerlei Befunderhebung, die dem Senat Anhaltspunkte dafür liefern könnten, dass der Sachverhalt durch die Gutachterin und den Sachverständigen unzutreffend bewertet worden ist. Soweit Dr. W dem Kläger in seinem letzten Attest vom 27. Januar 2008 ein depressives Syndrom mit gegenwärtig schwerer Episode bescheinigt, hätte dies ins-besondere angesichts des kurz zuvor erstatteten Gutachtens von Dr. v H einer Untermauerung durch entsprechende Befunde bedurft. In seinem Befundbericht vom 10. März 2008 hat der Arzt zwar erneut eine depressive Störung diagnostiziert, ohne jedoch eine Einordnung des Schweregrades vorzunehmen.

Internistische oder orthopädische Erkrankungen, die eine Aufhebung des quantitativen Leistungsvermögens bedingen könnten, sind nicht feststellbar. Selbst der den Kläger behandelnde Internist G hat den Kläger in seinem Befundbericht vom 20. März 2008 für fähig gehalten, eine zumindest leichte Tätigkeit vollschichtig zu verrichten. Die Abzesse und Ekzeme seien symptomatisch zu behandeln. Antibiotika habe der Kläger bei einem Harnwegsinfekt erhalten und die Gabe von Spritzen bei Halswirbelsäulen-beschwerden sei erfolgreich gewesen. Weder Dr. W noch der Internist G haben bei dem Kläger bisher Arbeitsunfähigkeit wegen der von ihnen festgestellten Leiden bescheinigt. Die Ärzte haben die von dem Kläger behaupteten immer wiederkehrenden Durchfälle, einen Tinnitus, den Verdacht auf Coxarthrose und eine verstärkte Anfälligkeit für Infektionen mit Gliederschmerzen und Schüttelfrost nicht bestätigt. Der Senat teilt deshalb die wohlbegründete Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen, dass bei dem Kläger ein Behandlungsfall vorliegt, insbesondere da die Be-handlungsmöglichkeiten, auch weil der Kläger diese ablehnt, bei weitem nicht ausgeschöpft sind.

Da der Kläger noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen verfügt, ist er weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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