L 6 Ar 1007/92

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 1125/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 1007/92
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. August 1992 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB).

Der 1968 in Halle/Saale geborene Kläger erlernte vom 1. September 1985 bis 15. Juli 1987 an der Betriebsberufsschule "F. W.” der VL-Werke "W. U.” den Beruf eines Industrieschmiedes und erhielt über den erfolgreichen Abschluß eine Facharbeiter-Urkunde vom 15. Juli 1987. Er arbeitete sodann in diesem Beruf bis 28. Februar 1989.

Am 8. Juni 1990 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von BAB für eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker bei der Firma W. H. in K. für die Zeit vom 1. August 1990 bis 31. Januar 1994. Der Kläger hat die Ausbildung am 21. Januar 1994 erfolgreich beendet. Vom Sozialamt der Stadt Korbach erhielt der Kläger ergänzende Sozialhilfe zu seiner Ausbildungsvergütung.

Mit Bescheid vom 4. September 1990 wies die Beklagte den Antrag ab und begründete dies u.a. damit, daß der Kläger bereits über eine erste abgeschlossene Ausbildung verfüge.

Hiergegen hat der Kläger am 4. Oktober 1990 Widerspruch erhoben und zur Begründung u.a. vorgetragen, die Gleichstellung nach § 108 a Berufsbildungsgesetz (BBiG), der durch den Einigungsvertrag eingeführt worden sei, habe eine Begünstigung derjenigen gewollt, die eine weniger qualifizierte Ausbildung ohne ihr Verschulden in den neuen Bundesländern durchgeführt hätten, jedoch nicht eine Schlechterstellung eines Ausgebildeten, der gerade nicht die Berufschancen wie ein in der Bundesrepublik Ausgebildeter habe. Ausweislich des Lehrvertrages sei die Ausbildung zum Industrieschmied von vornherein auf 22 1/2 Monate festgesetzt worden. Auch hätten inhaltlich der Ausbildung wesentliche Elemente gefehlt, da vorrangig die Produktion berücksichtigt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1991 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, bei dem Kläger liege eine abgeschlossene Ausbildung im Sinne § 3 A-Ausbildung vor, weil der Berufsabschluß in einem anerkannten Beruf erworben worden sei. Auf die Dauer und Gleichwertigkeit komme es nicht an. Eine Prüfung im Einzelfall wäre praxisfremd und auch nicht durchführbar.

Hiergegen hat der Kläger am 25. November 1991 Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, für den Beruf eines Industrie-Schmiedes gebe es in der Bundesrepublik keinen gleichen oder gleichartigen Beruf, in dem eine Weiterbeschäftigung als Facharbeiter ermöglicht werde. Auch in den neuen Bundesländern sei der Beruf des Industrieschmiedes unterqualifiziert gegenüber vergleichbaren Berufen wie Huf- und Nagelschmied, Kunstschmied, Schlosser usw ... Auch sei die Ausbildung des Klägers in einem wesensfremden Chemiebetrieb erfolgt.

Mit Urteil vom 27. August 1992 hat das Sozialgericht Kassel die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die ab 1. August 1990 begonnene Ausbildung bei der Firma H. BAB in gesetzlicher Höhe zu zahlen. In der Begründung führt es aus, nach § 3 Abs. 1, A-Ausbildung werde BAB grundsätzlich nur für die erstmalige Ausbildung gewährt. Der Ausbildungsbegriff ergebe sich letztlich in Abgrenzung zu den übrigen Bildungsmaßnahmen Fortbildung und Umschulung. Nach § 7 Abs. 2 der Anordnung Fortbildung und Umschulung (AFuU) in der bis zum 31. April 1991 geltenden Fassung liege eine abgeschlossene Berufsausbildung im Sinne § 42 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nur vor, wenn ein Berufsabschluß in einem nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften anerkannten Beruf erworben worden sei, für den die Ausbildungszeit mit mindestens 2 Jahren festgesetzt sei. Zwar habe ausweislich des Lehrvertrages die Ausbildungsdauer 2 Jahre betragen sollen, gleichzeitig sei aber eine Ausbildungsdauer von weniger als 2 Jahren vereinbart worden. Deshalb besitze der Kläger keine abgeschlossene Berufsausbildung. Eine willkürlich entgegen den gesetzlichen Bestimmungen verkürzte Ausbildung könne keine abgeschlossene Berufsausbildung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen darstellen. Hieran habe auch der mit Wirkung ab 1. Mai 1991 eingefügte § 7 Abs. 2 a AFuU nichts geändert. Zwar läge danach eine abgeschlossene Berufsausbildung im Sinne § 42 AFG auch dann vor, wenn ein Berufsabschluß in einem, in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 genannten Gebiet, anerkannten Beruf erworben sei, jedoch gelte dies nicht für den Kläger, da es dem Rechtsstaatprinzip des Art. 20 Grundgesetz (GG) widersprechen würde, wenn durch Gesetz rückwirkend in zwar noch nicht abgewickelte, aber doch schon so weit fortentwickelte Sachverhalte eingegriffen würde, daß die zunächst zu fördernde Ausbildung des Klägers durch fehlende Weiterförderung im ganzen entwertet würde.

Gegen das ihr am 19. Oktober 1992 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. November 1992 Berufung eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, was als erstmalige Berufsausbildung in diesem Sinn zu verstehen sei, werde im Gesetz nicht definiert. Die Definition ergebe sich vielmehr aus der Abgrenzung zur beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung. Während sowohl die Fortbildung als auch die Umschulung eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzten, sollten mit der Ausbildung berufliche Kenntnisse erst vermittelt werden. Ausbildung im Sinne § 40 AFG sei somit stets die erste zu einem Abschluß führende Maßnahme der beruflichen Bildung, mit der ein Status erlangt werde, der zur verantwortlichen Ausübung des gewählten Berufes befähige (BSG vom 27. Januar 1977 – 7/12/7 RAr 42/74). Einen solchen Abschluß habe der Kläger bereits erworben, indem er einen nach dem Recht der DDR anerkannten Ausbildungsberuf mit einer regulären Ausbildungszeit von 2 Jahren erlernt habe. Diese Ausbildung sei einem anerkannten Ausbildungsberuf der Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt worden. Es gebe auch andere Berufsausbildungsverhältnisse, deren Dauer auf 2 Jahre festgesetzt sei (z.B. zum Metallschleifer, Fräser, Apothekenhelfer, Fotolaborant). Auch dort werde die Abschlußprüfung häufig vor Ablauf der 2-jährigen Ausbildungsdauer abgelegt. Maßgebend sei jedoch, welche Ausbildungsdauer die jeweiligen Rechtsvorschriften festsetzten. Eine Förderung nach den Vorschriften über die individuelle Förderung der Fortbildung und Umschulung komme schon wegen der vom Kläger vereinbarten Ausbildungsdauer von 3 1/2 Jahren nicht in Betracht.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. August 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger bezieht sich im wesentlichen auf seinen bisherigen Vortrag.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig.

Die Berufung ist auch in vollem Umfang begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. August 1992 ist rechtsfehlerhaft und war deshalb aufzuheben. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 4. September 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 1991 ist zu Recht ergangen.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Förderung der von ihm in der Zeit vom 1. August 1990 bis 21. Januar 1994 durchgeführten Ausbildung zum Kfz-Mechaniker nach § 40 AFG.

Danach gewährt die Bundesanstalt Auszubildenden BAB für eine berufliche Ausbildung in Betrieben soweit ihnen nach Maßgabe dieses Gesetzes und der Anordnung der Bundesanstalt die hierfür erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Aus der Abgrenzung der beruflichen Ausbildung zur beruflichen Fortbildung (§ 41 AFG) und zur beruflichen Umschulung (§ 47 AFG) ergibt sich, daß nur die erste Berufsausbildung nach § 40 AFG gefördert werden kann. Liegt bereits eine abgeschlossenen erste Ausbildung vor, kann eine weitere Ausbildung aus diesem Zusammenhang heraus nur noch eine Fortbildung bzw. eine Umschulung darstellen (Hennig-Kühl-Heuer, SGG, Loseblattkommentar, Stand September 1993, § 40 RdNr. 30, grundlegend: Urteil BSG vom 27. Januar 1977 – 7/12/7 RAr 42/74 in SozR 4100 § 40 AFG Nr. 12). Dem entspricht § 3 Abs. 1 AO-Ausbildung (Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung vom 31. Oktober 1969). Die vom Kläger in der ehemaligen DDR in der Zeit vom 1. September 1985 bis 15. Juli 1987 erfolgreich abgeschlossene Ausbildung zum Industrieschmied hat diesem entgegen der Auffassung des Sozialgerichts einen beruflichen Status verschafft, der die Anwendung des § 40 AFG verbietet. Nach der Systematik des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) werden berufliche Ausbildungen durch staatlich geregelte Ausbildungsverordnungen und die staatliche Anerkennung der Ausbildungsberufe reglementiert, § 25 Abs. 1 BBiG. Dabei soll die Ausbildungsdauer nicht mehr als 3 und nicht weniger als 2 Jahre betragen, § 25 Abs. 2 Nr. 2 BBiG. Dem entspricht § 7 Abs. 2 AFuU (Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 23. März 1976), wonach eine abgeschlossene Berufsausbildung i.S. § 42 AFG vorliegt, wenn ein Berufsabschluß in einem nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften anerkannten Beruf erworben wurde, für den die Ausbildungszeit mit mindestens 2 Jahren festgesetzt ist. Eine unterschiedliche Definition der "abgeschlossene Ausbildung” nach §§ 40 und 42 AFG ist nicht möglich. Die vom Kläger durchgeführte Ausbildung zum Industrieschmied führte zu einem nach dem Recht der ehemaligen DDR anerkannten Ausbildungsberuf, für den eine reguläre Ausbildungsdauer von 2 Jahren vorgesehen war, wie auch durch den vom Kläger vorgelegten Lehrvertrag bestätigt wird. Denn dort ist als Ausbildungsdauer eine Zeit von 2 Jahren eingetragen. Daß die darunter eingetragene datumsmäßig festgelegte Lehrzeit vom 1. September 1985 bis 15. Juli 1987 und die tatsächliche Ausbildung um 1 1/2 Monate kürzer waren als in den Rechtsvorschriften vorgeschrieben, ändert an der Qualifizierung der vom Kläger absolvierten Ausbildung als abgeschlossene erste Ausbildung im Sinne § 40 AFG nichts. Dem entspricht die erst nach Antragstellung und dem Beginn der Zweitausbildung des Klägers (ab 1. August 1990) im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 getroffene Regelung, daß Prüfungszeugnisse nach der Systematik der Ausbildungsberufe und der Systematik der Facharbeiterberufe und Abschlußprüfungen und Gesellenprüfungen in anerkannten Ausbildungsberufen einander gleich stehen, Kapitel VIII, Art. 37, Abs. 3. Der durch Änderungsverordnung vom 8. März 1991 (in Kraft ab 1. Mai 1991) eingefügte Abs. 2 a (§ 7 AFuU) übernimmt nach Auffassung des erkennenden Senats lediglich die sich bereits aus dem Einigungsvertrag ergebende Rechtsfolge der Gleichstellung und damit auch Gleichbehandlung der Ausbildungsberufe in der ehemaligen DDR mit denen in den alten Bundesländern und schafft nicht etwa neues Recht. Eine Differenzierung dahingehend, daß die Gleichstellung nur angewendet wird, wenn sie für den Betroffenen günstiger ist als die Nicht-Gleichstellung, ist nicht möglich. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob die Ausbildung im Einzel fall oder in bestimmten Bereichen von minderer Qualität gewesen ist, da dies der abstrakten Ausschlußwirkung einer erfolgreich abgeschlossenen beruflichen Erstausbildung für Ansprüche auf BAB nach § 40 AFG widerspricht. Solche Mangelsituationen finden ihren Ausgleich in den Vorschriften der Fortbildung und Umschulung. Dort wäre dann ggfs. zu prüfen, ob trotz der erworbenen Qualifikation konkret etwa Arbeitslosigkeit droht (im Rahmen des § 44 Abs. 2 AFG) oder eine angestrebte Maßnahme geeignet ist, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten zu erhalten, zu erweitern, den technischen Entwicklungen anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen (§ 41 AFG), oder ob der Übergang in eine andere geeignete Tätigkeit angezeigt ist (§ 47 AFG). Dies war jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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