L 6 Ar 809/93

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 12 Ar 721/92
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 809/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Dem Auszubildenden stehen die erforderlichen Mittel anderweitig zur Verfügung, wenn er vor einem deutschen Gericht nach deutschem Unterhaltsrecht einen Anspruch gegen seine in Finnland lebenden Eltern durchsetzen kann (entsprechend dem Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 02.10.1973) und ein so erworbener Titel auch in Finnland vollstreckt werden kann (entsprechend dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 02.10.1973).
2. In welcher Höhe eine Einkommensanrechnung im Rahmen des § 40 AFG erfolgt, ist nicht nach Unterhaltsrecht, sondern nach § 40 AFG i.V. der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung (A Ausbildung) festzustellen (Anschluß an Urteile des BSG vom 06.10.1977 und vom 23.06.1981 = SozR 4100 § 40 Nrn. 18 und 26).
3. Die Umrechnung des in ausländischer Währung erzielten Einkommens der Eltern erfolgt nach dem Mittelkurs an der Frankfurter Devisenbörse, § 17 a Abs. 1 Satz 1 SGB 4.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. Mai 1993 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit vom 1. August 1989 bis 31. Juli 1991.

Die 1968 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige, besuchte nach ihren Angaben in Finnland die Grundschule und das Gymnasium bis 1987 (erreichte laut den Angaben im Berufsausbildungsvertrag die allgemeine Hochschulreife), arbeitete von August 1987 bis Dezember 1987 als Verpackerin und anschließend bis Juni 1989 als Angestellte. Vom 1. August 1989 bis 31. Juli 1991 absolvierte die Klägerin erfolgreich eine auf zwei Jahre verkürzte Ausbildung als Fachgehilfin in steuer- und wirtschaftsberatenden Berufen (Prüfung: 21. Juni 1991) mit einem bescheinigten monatlichen Nettoeinkommen zwischen DM 546,06 (im ersten Monat) und DM 610,– (brutto wie netto) für die übrige Zeit.

Am 29. Juni 1989 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von BAB für die Zeit vom 1. August 1989 bis 31. Juli 1991. Nach Vorlage von Verdienstbescheinigungen ihrer in Finnland lebenden Eltern (Vater = deutsche Staatsangehörigkeit, Mutter = finnische Staatsangehörigkeit) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. September 1989 den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, daß die Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes und ihrer Kosten für die Berufsausbildung anderweitig zur Verfügung stünden. In der beigefügten Berechnung ging die Beklagte von einem monatlichen Bedarf der Klägerin in Höhe von DM 976,–, einem eigenen Einkommen der Klägerin in Höhe von DM 546,06 und einem anzurechnenden Einkommen der Eltern in Höhe von DM 2.020,40 (bei einem Gesamteinkommen von DM 5.615,59 und einem über 15 Jahre alten weiteren Kind) aus. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 15. Februar 1991 beantragte die Klägerin erneut bei der Beklagten die Gewährung von BAB. Nach Vorlage neuerer Verdienstbescheinigungen der Eltern der Klägerin (April 1991) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 1992 den Antrag mit der früheren Begründung ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 16. März 1992 Widerspruch erhoben und zur Begründung u.a. vorgetragen, eine Anrechnung des Einkommens der Eltern sei unzulässig, da gegen diese nach finnischem Recht überhaupt kein Unterhaltsanspruch bestehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 1992 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung (A Ausbildung) sei auf den festgestellten Bedarf des Auszubildenden in dem nach § 16 A Ausbildung bestimmten Umfang das Einkommen der Eltern anzurechnen. Nach Art. 6, 18 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) seien Unterhaltsansprüche grundsätzlich nach dem materiellen Recht am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten zu beurteilen. Die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland mit der Folge, daß nicht das finnische, sondern das deutsche Unterhaltsrecht anzuwenden sei. Nach deutschem Recht habe die Klägerin einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern.

Hiergegen hat die Klägerin am 6. Juli 1992 Klage erhoben und vorgetragen, ihre Eltern erzielten ihr Einkommen, wenn überhaupt, in Finnland. Es sei auch der falsche Umrechnungsschlüssel gewählt worden, denn in Finnland seien die Lebenshaltungskosten dreimal so hoch wie in der Bundesrepublik Deutschland. Der Wechselkurs sei nicht frei gewesen, sondern willkürlich festgesetzt worden, so daß darüber keine Rückschlüsse über die Kaufkraft gezogen werden könnten. Die Beklagte sei auch vom falschen Wechselkurs ausgegangen. Wegen der äußerst ungünstigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sei sie in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. Von ihren Eltern habe sie keine Unterstützung erhalten können, da sie bereits erwachsen sei. Einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern hätte sie in Finnland niemals durchsetzen können, da es bereits an der Leistungsfähigkeit der Eltern gefehlt habe. Vielmehr sei umgekehrt festzustellen, daß sie ihre Eltern unterstütze, nachdem sie in der Zwischenzeit ein Einkommen erziele, das ihren Mann und sie einigermaßen ernähre.

Mit Urteil vom 19. Mai 1993 hat das Sozialgericht Gießen die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der für die Klägerin bestehende Unterhalts- und Ausbildungsbedarf in Höhe von DM 995,– monatlich stehe ihr durch ihr eigenes Einkommen von monatlich DM 610,– und das in Höhe von DM 575,02 anrechenbare Einkommen ihrer Eltern in voller Höhe zur Verfügung. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihre Eltern folge aus § 1601 BGB i.V. Art. 18 Abs. 1 EGBGB. Der Unterhaltsanspruch richte sich nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Unterhaltsberechtigten, also hier nach deutschem Recht. Im Rahmen des § 40 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) habe die Beklagte nur zu prüfen, ob überhaupt ein Unterhaltsrechtsverhältnis zugunsten der Auszubildenden bestehe und nach § 16 A Ausbildung von einem Anspruch gegen den Unterhaltsverpflichteten auszugehen sei. Eine weitergehende Prüfung könne nicht verlangt werden, da das Unterhaltsrecht im BGB sehr detailliert geregelt sei und die Beklagte in das Eltern-Kind-Verhältnis nicht durch Verwaltungsakt eingreifen könne. Ob und inwieweit eine Unterhaltspflicht bestehe, müsse in Zweifelsfällen daher von den Zivilgerichten entschieden werden (BSG vom 3. November 1976 – 7 RAr 160/74). Deshalb könne die Durchsetzbarkeit des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruches auf die Gewährung der BAB erst recht keinen Einfluß haben. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne die Kaufkraft des Einkommens der Eltern nicht zugrunde gelegt werden. Im Gegensatz zur Kaufkraft sei der amtliche Mittelkurs einer Währung objektiv feststellbar und berücksichtige die wirtschaftlichen Faktoren in den einzelnen Staaten.

Gegen das ihr am 26. Juli 1993 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. August 1993 Berufung eingelegt.

Die Klägerin trägt vor, eine Unterhaltsverpflichtung ihrer Eltern habe weder nach deutschem noch nach finnischem Recht bestanden und es habe auch deren Leistungsfähigkeit gefehlt. Die Entscheidung sei verfassungswidrig. Eine Unterhaltspflicht der Eltern hätte in dem Augenblick nicht mehr bestanden, als sie volljährig geworden sei und sich entschlossen habe, Finnland zu verlassen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. Mai 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 1. August 1989 bis zum 31. Juli 1991 in gesetzlichem Umfang an sie zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die erstinstanzliche Entscheidung und verweist hinsichtlich der Berücksichtigung von Elterneinkommen ergänzend auf die Urteile des Bundessozialgerichts vom 7. November 1990 (9 b/7 RAr 130/89) und vom 3. Juli 1991 (9 b/11 RAr 131/89 in SozR 3 – 4100, § 40 AFG, Nrn. 4 und 5) hin.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist auch zulässig.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. Mai 1993 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 1992 ist zu Recht ergangen.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf BAB für die Zeit vom 1. August 1989 bis 31. Juli 1991 nach § 40 AFG. Der Klägerin standen die erforderlichen Mittel anderweitig zur Verfügung, § 40 Abs. 1 Satz 1 AFG. Unter Berücksichtigung eines von der Beklagten zutreffend errechneten monatlichen Bedarfs von DM 995,– (DM 750,– Bedarf für den Lebensunterhalt, DM 189,– Fahrtkosten zur Ausbildungsstätte, DM 36,– Fahrtkosten zur Berufsschule, DM 20,– Arbeitskleidung) entsprechend § 40 Abs. 1 a Satz 2 AFG i.V. §§ 12 Abs. 4, 13 Nr. 1 a und b, Nr. 5 A Ausbildung. Durch eigenes Einkommen standen der Klägerin ab dem 2. Ausbildungsmonat DM 610,– zur Verfügung, § 15 Abs. 1 Satz 1 A Ausbildung. Hinsichtlich des damit noch ungedeckten Bedarfs in Höhe von DM 385,– monatlich war Einkommen der Eltern der Klägerin anzurechnen nach § 16 A Ausbildung, das die Beklagte jedenfalls nicht zu hoch angesetzt hat, da sie mit einem amtlichen Mittelkurs von DM 36,55 für 100 Finnmark ein niedrigeres Einkommen der Eltern der Klägerin berücksichtigt hat, als es sich bei Anrechnung eines amtlichen Mittelkurses von mindestens DM 41,699 für 100 Finnmark (Juli 1991, die streitbefangene Zeit davor noch höher) ergeben hätte.

Soweit die Klägerin unsubstantiiert eingewendet hat, der amtliche Devisenkurs dürfe nicht zugrunde gelegt werden, da die tatsächliche Kaufkraft der Finnmark wesentlich geringer sei, sieht sich der erkennende Senat an der Verwendung eines vom amtlichen Devisenkurs abweichenden Umrechnungsschlüssels durch § 17 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB 4) gehindert.

Auf der Grundlage des für die Klägerin günstigeren Umrechnungskurses (s.o.) hat die Beklagte ohne erkennbare Fehler die Nettoeinkommen der Eltern mit DM 4.132,56 festgestellt, einen Freibetrag der Eltern von DM 2.105,– und von DM 590,– für den Bruder der Klägerin errechnet und von der Differenz nach § 16 Abs. 2 a Nrn. 1 und 2 60 % anrechnungsfrei gelassen, so daß sich als für die Klägerin zu berücksichtigendes Einkommen ein Betrag von DM 575,02 ergibt und damit ihr die erforderlichen Mittel anderweitig zur Verfügung stehen. Es konnte deshalb auch nicht mehr darauf ankommen, daß die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung andeutete, einen Teil des von ihrem Ausbildungseinkommen nicht gedeckten Bedarfes (evtl. teilweise) durch kostenlose Unterhaltsgewährung erhielt.

Besteht ein Unterhaltsrechtsverhältnis dem Grunde nach, richtet sich die Höhe des anzurechnenden Einkommens nicht mehr nach Unterhaltsrecht, sondern ist entsprechend den Vorschriften des AFG und der A Ausbildung zu errechnen (vgl. Urteile des BSG vom 6. Oktober 1977 – 7 RAr 77/76 und vom 23. Juni 1981 – 7 RAr 6/80 in SozR 4100 § 40 Nrn. 18 und 26).

Ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihre Eltern folgt aus §§ 1601, 1602, 1603, 1610 Abs. 1 und 2 BGB i.V. Art. 1, 4 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 2. Oktober 1973 (BGBl 86 II, S. 837 – vgl. Art. 18 EGBGB). Hinsichtlich des deutschen Vaters der Klägerin ist deutsches Unterhaltsrecht unmittelbar anzuwenden, hinsichtlich der finnischen Mutter der Klägerin hat das für den gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin (für den streitbefangenen Zeitraum in Deutschland) zuständige Gericht unter Anwendung von deutschem Recht aber Unterhaltsansprüche der Klägerin zu entscheiden. Danach steht fest, daß die Klägerin, die sich während der Ausbildung mit ihrem Ausbildungseinkommen von DM 610,– monatlich netto nicht selbst unterhalten konnte, von ihren Eltern für die (auf zwei Jahre verkürzte) Erstausbildung dem Grunde nach Unterhalt beanspruchen konnte. Unbeachtlich ist, daß Finnland dem Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 2. Oktober 1973 nicht beigetreten ist, da dieses Abkommen die Vertragsstaaten zur Anwendung verpflichtet, unabhängig davon, ob es sich bei dem Staat, in dem die Unterhaltsverpflichteten wohnen, um einen Vertragsstaat handelt, Art. 3 des Übereinkommens. Die Auffassung der Klägerin, daß finnisches Unterhaltsrecht Anwendung finde, entbehrt damit einer rechtlichen Grundlage. Die Auffassung der Klägerin, nach finnischem Recht stehe ihr kein Unterhaltsanspruch ab dem 21. Lebensjahr zu, geht deshalb ins Leere und bedurfte keiner Überprüfung. Nach dem anwendbaren deutschen Unterhaltsrecht steht der Klägerin für ihre erste zu einem Beruf führende Ausbildung ein Unterhaltsanspruch zu, § 1610 Abs. 2 BGB. Ein solcher Anspruch wäre für die Klägerin auch durchsetzbar gewesen. Ein vor einem deutschen Gericht nach deutschem Unterhaltsrecht erlangtes Unterhaltsurteil hätte die Klägerin in Finnland entsprechend den Vorschriften des Haager Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2. Oktober 1973 (BGBl. II, S. 826), dem Finnland beigetreten ist, gegen ihre Eltern vollstrecken lassen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved