Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 4 RA 174/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 549/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts vom 12. Oktober 2006 wird abgeändert und neu gefasst: Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. März 2004 wird insoweit aufgehoben, als er den Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 betrifft. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten.
Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis (SVA) war der 1950 geborene Kläger u. a. auch im Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 Studierender an der Ingenieurschule für Wasserwirtschaft M ... Das Abschlusszeugnis der Ingenieurschule und die Ingenieururkunde wurden am 26. Juli 1974 ausgestellt.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2003 stellte die Beklagte " die in dem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis 31.12.1996 verbindlich fest ". Für den Zeitraum vom 1. Juli 1972 bis zum 26. Juli 1974 wurden 25 Kalendermonate Fachschulausbildung vorgemerkt. Zum Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 enthielt der Bescheid keine Aussage. Mit einem am 15. Juli 2003 erhobenen Widerspruch wollte der Kläger u. a. erreichen, den Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 als Anrechnungszeittatbestand festzustellen. Außerdem sollte der Zeitraum vom 3. September 1974 bis 31. März 1975 als Beitragszeit anerkannt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2004 lehnte die Beklagte dies ab.
Am 13. April 2004 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben. Am 19. August 2005 hat die Beklagte einen Bescheid erlassen, in dem der Zeitraum vom 3. September 1974 bis 31. März 1975 als Beitragszeit anerkannt wurde. Eine Aussage zum Zeitraum 27. Juli 1974 bis 15. August 1974 findet sich in dem beigefügten und für verbindlich erklärten Versicherungsverlauf wiederum nicht. Mit Urteil vom 12. Oktober 2006 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2004 verurteilt, die Zeit vom 27. Juli 1974 bis 15. August 1974 beim Kläger als Anrechnungszeit festzustellen. Das Urteil ist der Beklagten am 7. November 2006 zugestellt worden.
Am 29. November 2006 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie ist der Meinung, der streitige Zeitraum könne nicht als Anrechnungszeittatbestand anerkannt werden, da die Ausbildung des Klägers mit dem Ablegen der Ingenieurprüfung beendet worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Magdeburg vom 12. Oktober 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichtes für richtig.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und im Übrigen zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. April 2004 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG insoweit, als die Widerspruchsstelle der Beklagten erstmalig eine Entscheidung über den streitigen Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 getroffen hat. Nur in diesem Umfang hätte das Sozialgericht der Klage entsprechen dürfen. Das Urteil des Sozialgerichtes ist deshalb aufzuheben, soweit es darüber hinausgeht. Die weitere Klage ist abzuweisen, da bisher keine Entscheidung der zuständigen Stelle der Beklagten zum streitigen Zeitraum vorliegt.
Die Widerspruchsstelle durfte nicht (erstmalig) über den Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis 15. August 1974 entscheiden, ohne dass die sachbearbeitende Stelle eine Erstentscheidung getroffen hat. Eine Widerspruchsstelle ist nämlich funktional und sachlich nicht zuständig, an Stelle der sachbearbeitenden Stelle des Leistungsträgers über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht zu entscheiden. Dieser Verfahrensfehler nach §§ 62 2. HS, 42 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X, in der Fassung des Jahressteuergesetzes vom 20. Dezember 2007, BGBl. I S. 3150) ist beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch (BSG, Urteil vom 18. Mai 2006, Az: B 4 RA 40/05 R, 1. Orientierungssatz, dokumentiert in Juris).
Die Beklagte hatte in ihrem Bescheid vom 16. Juni 2003 keine Entscheidung über den Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 getroffen. Ausdrücklich hat sie auch im Bescheid erklärt, " die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten verbindlich festzustellen ". Der streitige Zeitraum wird im mit dem Bescheid für verbindlich erklärten Versicherungsverlauf nicht erwähnt. Damit wurde auch keine negative Entscheidung über die nicht aufgeführten Zeiträume getroffen (siehe BSG, a. a. O., Rdnr. 18). Zu der dann durch die Widerspruchsstelle getroffenen Entscheidung, den Zeitraum abzulehnen, war die Widerspruchsstelle nicht befugt und der Widerspruchsbescheid der Beklagten ist insoweit aufzuheben.
Die Beklagte wird daher zunächst als Ausgangsbehörde über den als Antrag anzusehenden Widerspruch des Klägers vom 15. Juli 2003 auf Anerkennung des Zeitraums vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 als Anrechnungszeittatbestand zu entscheiden haben. Da in Bezug auf diesen Antrag eine Entscheidung der Beklagten bisher nicht vorliegt, ist auch die entsprechende Verpflichtungsklage des Klägers auf Feststellung dieses Zeitraums als Anrechnungszeittatbestand nicht statthaft.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei berücksichtigt das Gericht, dass die Beklagte durch die fehlerhafte Entscheidung ihrer Widerspruchstelle das gerichtliche Verfahren veranlasst hat. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten.
Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis (SVA) war der 1950 geborene Kläger u. a. auch im Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 Studierender an der Ingenieurschule für Wasserwirtschaft M ... Das Abschlusszeugnis der Ingenieurschule und die Ingenieururkunde wurden am 26. Juli 1974 ausgestellt.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2003 stellte die Beklagte " die in dem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis 31.12.1996 verbindlich fest ". Für den Zeitraum vom 1. Juli 1972 bis zum 26. Juli 1974 wurden 25 Kalendermonate Fachschulausbildung vorgemerkt. Zum Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 enthielt der Bescheid keine Aussage. Mit einem am 15. Juli 2003 erhobenen Widerspruch wollte der Kläger u. a. erreichen, den Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 als Anrechnungszeittatbestand festzustellen. Außerdem sollte der Zeitraum vom 3. September 1974 bis 31. März 1975 als Beitragszeit anerkannt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2004 lehnte die Beklagte dies ab.
Am 13. April 2004 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben. Am 19. August 2005 hat die Beklagte einen Bescheid erlassen, in dem der Zeitraum vom 3. September 1974 bis 31. März 1975 als Beitragszeit anerkannt wurde. Eine Aussage zum Zeitraum 27. Juli 1974 bis 15. August 1974 findet sich in dem beigefügten und für verbindlich erklärten Versicherungsverlauf wiederum nicht. Mit Urteil vom 12. Oktober 2006 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2004 verurteilt, die Zeit vom 27. Juli 1974 bis 15. August 1974 beim Kläger als Anrechnungszeit festzustellen. Das Urteil ist der Beklagten am 7. November 2006 zugestellt worden.
Am 29. November 2006 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie ist der Meinung, der streitige Zeitraum könne nicht als Anrechnungszeittatbestand anerkannt werden, da die Ausbildung des Klägers mit dem Ablegen der Ingenieurprüfung beendet worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Magdeburg vom 12. Oktober 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichtes für richtig.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und im Übrigen zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. April 2004 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG insoweit, als die Widerspruchsstelle der Beklagten erstmalig eine Entscheidung über den streitigen Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 getroffen hat. Nur in diesem Umfang hätte das Sozialgericht der Klage entsprechen dürfen. Das Urteil des Sozialgerichtes ist deshalb aufzuheben, soweit es darüber hinausgeht. Die weitere Klage ist abzuweisen, da bisher keine Entscheidung der zuständigen Stelle der Beklagten zum streitigen Zeitraum vorliegt.
Die Widerspruchsstelle durfte nicht (erstmalig) über den Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis 15. August 1974 entscheiden, ohne dass die sachbearbeitende Stelle eine Erstentscheidung getroffen hat. Eine Widerspruchsstelle ist nämlich funktional und sachlich nicht zuständig, an Stelle der sachbearbeitenden Stelle des Leistungsträgers über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht zu entscheiden. Dieser Verfahrensfehler nach §§ 62 2. HS, 42 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X, in der Fassung des Jahressteuergesetzes vom 20. Dezember 2007, BGBl. I S. 3150) ist beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch (BSG, Urteil vom 18. Mai 2006, Az: B 4 RA 40/05 R, 1. Orientierungssatz, dokumentiert in Juris).
Die Beklagte hatte in ihrem Bescheid vom 16. Juni 2003 keine Entscheidung über den Zeitraum vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 getroffen. Ausdrücklich hat sie auch im Bescheid erklärt, " die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten verbindlich festzustellen ". Der streitige Zeitraum wird im mit dem Bescheid für verbindlich erklärten Versicherungsverlauf nicht erwähnt. Damit wurde auch keine negative Entscheidung über die nicht aufgeführten Zeiträume getroffen (siehe BSG, a. a. O., Rdnr. 18). Zu der dann durch die Widerspruchsstelle getroffenen Entscheidung, den Zeitraum abzulehnen, war die Widerspruchsstelle nicht befugt und der Widerspruchsbescheid der Beklagten ist insoweit aufzuheben.
Die Beklagte wird daher zunächst als Ausgangsbehörde über den als Antrag anzusehenden Widerspruch des Klägers vom 15. Juli 2003 auf Anerkennung des Zeitraums vom 27. Juli 1974 bis zum 15. August 1974 als Anrechnungszeittatbestand zu entscheiden haben. Da in Bezug auf diesen Antrag eine Entscheidung der Beklagten bisher nicht vorliegt, ist auch die entsprechende Verpflichtungsklage des Klägers auf Feststellung dieses Zeitraums als Anrechnungszeittatbestand nicht statthaft.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei berücksichtigt das Gericht, dass die Beklagte durch die fehlerhafte Entscheidung ihrer Widerspruchstelle das gerichtliche Verfahren veranlasst hat. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
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