L 10 U 295/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 476/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 295/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.12.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung einer Verletztenrente.

Der am 1943 geborene Kläger zog sich bei einem Sturz während seiner Tätigkeit in einer Baufirma am 29.10.2003 eine Calcaneus(Fersenbein)-Mehrfragmentfraktur links zu, die in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. am 10.11.2003 reponiert wurde. Arbeitsfähigkeit trat nicht mehr ein, insbesondere das Gehen auf unebenem Boden bereitete nach längerer Belastung Beschwerden im Bereich des verletzten unteren Sprunggelenks. Seine Arbeit nahm der Kläger dementsprechend nicht mehr auf, die Zahlung von Verletztengeld stellte die Beklagte zum 26.04.2005 ein (bestandskräftiger Bescheid vom 29.03.2005). Seit dem 01.11.2005 erhält der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Am 11.04.2005 erstattete der Orthopäde Dr. M. im Auftrag der Beklagten ein Rentengutachten, in dem er die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 20 v. H. bis Oktober 2006 bewertete. Dem entsprechend bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 03.06.2005 und Widerspruchsbescheid vom 22.09.2005 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v. H. ab 27.04.2005.

Das hiergegen zunächst mit dem Ziel höherer Entschädigung am 21.10.2005 eingeleitete Klageverfahren vor Sozialgericht Karlsruhe (S 1 U 4200/05) hat im Hinblick auf die von der Beklagten vorgesehene Begutachtung des Klägers zur Feststellung einer eventuellen Dauerrente geruht. In seinem Gutachten für die Beklagte hat PD Dr. Mü., Direktor der Unfallchirurgischen Klinik am Städtischen Klinikum K. die von ihm festgestellten Unfallfolgen (geringgradige Bewegungseinschränkung des oberen und unteren Sprunggelenkes links, gestörtes Gangbild mit hinkendem Gang und gestörter Abrollfunktion, persistierende Schwellung und Verplumpung des Rückfußes, geringgradige Muskelatrophie des linken Unterschenkel, Notwendigkeit des Tragens von orthopädischen Schuhen, geringgradige sekundäre Arthrose im Bereich des linken OSG, einliegendes Osteosynthesematerial) ebenfalls mit einer MdE 20 v. H. bewertet. In seiner von der Beklagten veranlassten Stellungnahme hat Dr. Mü., Chirurg und Unfallchirurg, als wesentliche Unfallfolgen eine endgradige Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk, eine hälftige Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk und eine Schwellneigung im linken Bein bis 2 cm angenommen. Die bestehende Muskelatrophie sei hälftig auf die vorbestehende Gonarthrose und Funktionsbeeinträchtigung des linken Knies zurückzuführen. In Anbetracht der Funktionswerte sei die MdE mit 10 v. H. zu bewerten. Unter Berücksichtigung der Schwellneigung und Störung der Hocke sei eine MdE von 15 v. H. adäquat.

Nach Anhörung des Klägers hat die Beklagte die Verletztenrente ab Oktober 2006 entzogen und die Gewährung von Verletztenrente auf unbestimmte Zeit abgelehnt (Bescheid vom 08.09.2006).

Das Sozialgericht hat daraufhin das Gutachten von Dr. D. , Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie am M hospital S., eingeholt. Dieser hat als unfallbedingte Gesundheitsstörungen eine Verkürzung, Verbreiterung sowie Abflachung des linken Fersenbeins, eine um zwei Drittel reduzierte Beweglichkeit im linken unteren Sprunggelenk bei radiologisch dokumentierter beginnender Arthrose, eine deutlich reduzierte Überstreckbarkeit im linken oberen Sprunggelenk bei radiologisch dokumentierter beginnender Arthrose, eine Belastungsminderung der linken unteren Extremität bei radiologisch dokumentierter leicht ausgeprägter Inaktivitäts-Atrophie und verminderter Muskelbemantelung der linken unteren Extremität sowie eine Schwellneigung im Bereich des linken oberen und unteren Sprunggelenks diagnostiziert und die MdE auf 20 v. H. geschätzt. Bei dieser Bewertung ist er auch nach Vorlage einer Stellungnahme des Chirurgen Dr. T. durch die Beklagte (der verbliebene Tubergelenkwinkel = 22° liege noch im physiologischen Bereich, eine Arthrose des linken unteren Sprunggelenks liege ebenso wenig wie eine Wackelsteife des unteren Sprunggelenks vor, eine Varus- oder Valgusfehlstellung des Rückfußes werde nicht beschrieben und die Funktion im oberen Sprunggelenk und im Bereich der Fußwurzel sei ausreichend, es bestehe keine rentenberechtigende MdE) geblieben: Die Röntgenaufnahmen des linken unteren Sprunggelenks zeigten sehr wohl die Anzeichen einer Arthrose, er habe eine Knickfußbildung (im Sinne einer Valgus-Fehlstellung) als auf die Fersenbeinfraktur zurückgehend beschrieben und nach der herrschenden medizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 740) betrage der Tubergelenkwinkel normalerweise 30° bis 40°. Auch Möller gehe in seinem Buch "Röntgennormalbefunde" von einem normalerweise vorliegenden Tubergelenkwinkel von 30° bis 40° aus.

Mit Urteil vom 21.12.2007 hat das Sozialgericht die nunmehr ausschließlich auf die Weitergewährung der Rente gerichtete Klage mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dem Kläger stehe über den 30.09.2006 hinaus kein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente zu, denn seine Erwerbsfähigkeit sei seither durch die anerkannten Unfallfolgen nicht mehr in einem Ausmaß von wenigstens 20 v.H. gemindert. Die Rentenbegutachtung im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung sei im Kern eine Funktionsbegutachtung. Das bedeute, dass für die Feststellung der MdE vorrangig die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens durch verbleibende Funktionseinschränkungen oder Funktionsausfälle maßgebend sei. Bei einem Fersenbeinbruch setze die Bewertung der Unfallfolge mit einer MdE um 20 v. H. eine deutliche Abflachung des Tubergelenkwinkels, eine mittelgradige Arthrose und schmerzhafte Wackelsteife des unteren Sprunggelenks, eine Fehlstellung des Rückfußes im Varus- oder Valgusinn sowie eine noch ausreichende Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk und in der Fußwurzel voraus (Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. o. S. 746). Es könne offen bleiben, ob der beim Kläger gemessene Tubergelenkwinkel noch im Normalbereich liege, jedenfalls fehle es vorliegend am Nachweis einer mittelgradigen Arthrose und einer schmerzhaften Wackelsteife des unteren Sprunggelenks. Entsprechende Befunde hätten weder PD Dr. Mü. noch Dr. D. erhoben.

Gegen das am 06.01.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.01.2008 Berufung eingelegt. Er beruft sich auf die Bewertungen von Dr. D. und PD Dr. Mü ...

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.12.2007 und den Bescheid vom 08.09.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente über den 30.09.2006 hinaus.

Alleiniger Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 08.09.2006. Denn mit diesem Bescheid hat die Beklagte den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 03.06.2005 über die vorläufige Rentengewährung aufgehoben (§ 96 Abs. 1 SGG). Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist dagegen der Bescheid vom 03.06.2005. Denn mit seinem Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass er sein ursprüngliches Begehren, eine höhere Entschädigung zu erhalten, nicht mehr weiter verfolgt, sondern nur noch die Gewährung von Rente auf Dauer begehrt.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII die Verletztenrente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung nach § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Dies bedeutet, dass für die Feststellung der MdE im Zusammenhang mit der Frage der Gewährung einer Dauerrente die im Zeitpunkt der Feststellung bestehende MdE unabhängig von der Frage einer wesentlichen Besserung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber der vorläufigen Rentenbewilligung und damit unabhängig von § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) maßgeblich ist.

Der Kläger wendet sich nur noch gegen die Entziehung der ihm ursprünglich bewilligten vorläufigen Rente und begehrt die Gewährung einer Dauerrente. Hierfür ist die Anfechtungsklage die zutreffende Klageart, denn mit Aufhebung des angefochtenen Entziehungsbescheides würde die vorläufig gewährte Rente nach Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall schon kraft Gesetzes zur Dauerrente (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar, § 62 SGB VII, Rdnr. 10).

Vor diesem Hintergrund hat der Senat im Rahmen seiner Pflicht, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken (§ 106 Abs. 1 SGG), den Antrag des Klägers, an dessen Wortlaut der Senat ohnehin nicht gebunden ist (§ 123 SGG), sachgerecht gefasst.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die Grundlagen für die Bemessung der MdE dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Unfallfolgen lediglich eine MdE von unter 20 v. H. bedingen. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ein so genannter Stützrententatbestand auf Grund eines anderen Versicherungsfalles mit einer MdE von 10 v. H. liegt nicht vor.

Es bleibt somit dabei, dass jedenfalls die nach den vom Sozialgericht dargestellten Kriterien für eine MdE von 20 v. H. zu fordernde mittelgradige Arthrose und schmerzhafte Wackelsteife beim Kläger nicht vorliegt. Dies behauptet auch der Kläger nicht. Eine weitere Sachaufklärung ist daher nicht erforderlich.

Da das SG die Klage somit zu Recht abgewiesen hat, ist die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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