Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 2151/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1795/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. März 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung; vornehmlich umstritten ist die Verfristung des Widerspruches.
Der Beklagte gewährte dem Kläger aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 27. Mai 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit vom 17. Mai bis 30. November 2005. Am 1. August 2005 begann der Kläger ein bis zum 23. Dezember 2005 andauerndes berufliches Praktikum in Spanien. Anschließend kehrte der Kläger nach Deutschland zurück. Nach Anhörung des Klägers hob der Beklagte mit Bescheid 23. März 2006 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. August bis 30. November 2005 wegen des Aufenthaltes außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ganz auf und forderte die Erstattung erbrachter Leistungen i.H.v. EUR 2.023,88. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass gegen diesen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch erhoben werden könne (Bl. 102 der Verwaltungsakte). Der in der Verwaltungsakte enthaltene Abdruck des Bescheides ist dem handschriftlichen Vermerk "ang. + Druck" versehen; es folgen Namenszug und Datumsstempel vom 24. März 2006 (Rückseite von Bl. 102 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 10. Mai 2006 erhob der Kläger gegen die "Zahlungsaufforderung vom 23. März" Widerspruch. Diesen verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2006 als unzulässig. Der Widerspruch habe die am 26. April 2006 ablaufende Widerspruchsfrist nicht gewahrt.
Am 20. Juni 2006 hat der Kläger hiergegen Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben, das den Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit durch Beschluss vom 15. Februar 2007 an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwiesen hat. Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er sei für die Leistungsgewährung während seines Auslandsaufenthaltes nicht verantwortlich. Ihm sei gesagt worden, die Leistung werde abgelehnt, wenn er sich nicht melde, was er wegen Zeitknappheit auch nicht getan habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. März 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Widerspruch des Kläger habe die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gewahrt. Aufgrund des Absendevermerkes vom 24. März 2006 gelte der Bescheid vom 23. März 2006 gemäß § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als am 27. März 2006 bekannt gegeben. Einen späteren Zugang habe der Kläger nicht behauptet. Der Widerspruch sei daher nicht in der vom 28. März bis 27. April 2006 laufenden Widerspruchsfrist erhoben worden. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht vorgetragen worden. Mangels ordnungsgemäß durchgeführten Vorverfahrens sei die Klage daher unzulässig.
Gegen den ihm am 19. März 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. April 2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, es träfe zwar zu, dass der Widerspruch verfristet gewesen sei. Er sei jedoch an der fristgerechten Einlegung gehindert gewesen, da er seine ganze Zeit und sein ganzes Geld für die - erfolgreiche - Arbeitsuche, Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgespräche aufgewandt habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. März 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft gem. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG auch in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung (BGBl. I S. 444), da der Beschwerdewert EUR 750.- übersteigt. Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet.
Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen. Der mit Schreiben vom 10. Mai 2006 erhobene Widerspruch hat die am 27. April 2006 ablaufende Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 S. 1 SGG nicht gewahrt. Der Senat nimmt auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid nach eigener Prüfung Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Übrigen hat der Kläger in der Berufungsbegründung die Fristversäumung selbst eingeräumt.
Ergänzend ist daher nur auszuführen, dass auch nach dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist erfolgen kann. Zwar kann bei versäumter Widerspruchsfrist die Wiedereinsetzung auch durch das Gericht erfolgen und zwar auch dann, wenn sie erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht wird (Bundessozialgericht (BSG) BSGE 43, 19; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 84 Rdnr. 8a). Deren Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Ein Verschulden in diesem Sinne liegt vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt nicht beachtet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsauffassung zuzumuten ist. Die Versäumung der Verfahrensfrist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. Für die Vorwerfbarkeit kommt es auf die persönlichen Verhältnisse des Betreffenden an (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 67 Rdnr. 3 m.w.N.).
An der grundsätzlichen Fähigkeit des Klägers, ein Verwaltungsverfahren sachgerecht zu führen, bestehen nach dem Akteninhalt und dem Gegenstand des durchgeführten Praktikums im IT-Bereich keinerlei Zweifel. Der Kläger selbst hat in der Berufungsbegründung vorgetragen, er habe neben einer intensiven Arbeitsuche keine Zeit für die Einlegung des Widerspruches gefunden. Dem Kläger war es jedoch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Fähigkeiten ohne Weiteres zuzumuten, neben den Bewerbungen den Bescheid vom 23. März 2006 zu lesen und sich darüber klar zu werden, ob er gegen diesen vorgehen wolle. Die Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 S. 1 SGG ist so konzipiert, dass ihre Einhaltung auch von Arbeitnehmern mit einer Vollzeitbeschäftigung erwartet wird. Die Belastung durch die Arbeitsuche vermag die Versäumung der Widerspruchsfrist daher nicht zu entschuldigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung; vornehmlich umstritten ist die Verfristung des Widerspruches.
Der Beklagte gewährte dem Kläger aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 27. Mai 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit vom 17. Mai bis 30. November 2005. Am 1. August 2005 begann der Kläger ein bis zum 23. Dezember 2005 andauerndes berufliches Praktikum in Spanien. Anschließend kehrte der Kläger nach Deutschland zurück. Nach Anhörung des Klägers hob der Beklagte mit Bescheid 23. März 2006 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. August bis 30. November 2005 wegen des Aufenthaltes außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ganz auf und forderte die Erstattung erbrachter Leistungen i.H.v. EUR 2.023,88. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass gegen diesen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch erhoben werden könne (Bl. 102 der Verwaltungsakte). Der in der Verwaltungsakte enthaltene Abdruck des Bescheides ist dem handschriftlichen Vermerk "ang. + Druck" versehen; es folgen Namenszug und Datumsstempel vom 24. März 2006 (Rückseite von Bl. 102 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 10. Mai 2006 erhob der Kläger gegen die "Zahlungsaufforderung vom 23. März" Widerspruch. Diesen verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2006 als unzulässig. Der Widerspruch habe die am 26. April 2006 ablaufende Widerspruchsfrist nicht gewahrt.
Am 20. Juni 2006 hat der Kläger hiergegen Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben, das den Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit durch Beschluss vom 15. Februar 2007 an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwiesen hat. Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er sei für die Leistungsgewährung während seines Auslandsaufenthaltes nicht verantwortlich. Ihm sei gesagt worden, die Leistung werde abgelehnt, wenn er sich nicht melde, was er wegen Zeitknappheit auch nicht getan habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. März 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Widerspruch des Kläger habe die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gewahrt. Aufgrund des Absendevermerkes vom 24. März 2006 gelte der Bescheid vom 23. März 2006 gemäß § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als am 27. März 2006 bekannt gegeben. Einen späteren Zugang habe der Kläger nicht behauptet. Der Widerspruch sei daher nicht in der vom 28. März bis 27. April 2006 laufenden Widerspruchsfrist erhoben worden. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht vorgetragen worden. Mangels ordnungsgemäß durchgeführten Vorverfahrens sei die Klage daher unzulässig.
Gegen den ihm am 19. März 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. April 2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, es träfe zwar zu, dass der Widerspruch verfristet gewesen sei. Er sei jedoch an der fristgerechten Einlegung gehindert gewesen, da er seine ganze Zeit und sein ganzes Geld für die - erfolgreiche - Arbeitsuche, Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgespräche aufgewandt habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. März 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft gem. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG auch in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung (BGBl. I S. 444), da der Beschwerdewert EUR 750.- übersteigt. Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet.
Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen. Der mit Schreiben vom 10. Mai 2006 erhobene Widerspruch hat die am 27. April 2006 ablaufende Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 S. 1 SGG nicht gewahrt. Der Senat nimmt auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid nach eigener Prüfung Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Übrigen hat der Kläger in der Berufungsbegründung die Fristversäumung selbst eingeräumt.
Ergänzend ist daher nur auszuführen, dass auch nach dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist erfolgen kann. Zwar kann bei versäumter Widerspruchsfrist die Wiedereinsetzung auch durch das Gericht erfolgen und zwar auch dann, wenn sie erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht wird (Bundessozialgericht (BSG) BSGE 43, 19; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 84 Rdnr. 8a). Deren Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Ein Verschulden in diesem Sinne liegt vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt nicht beachtet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsauffassung zuzumuten ist. Die Versäumung der Verfahrensfrist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. Für die Vorwerfbarkeit kommt es auf die persönlichen Verhältnisse des Betreffenden an (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 67 Rdnr. 3 m.w.N.).
An der grundsätzlichen Fähigkeit des Klägers, ein Verwaltungsverfahren sachgerecht zu führen, bestehen nach dem Akteninhalt und dem Gegenstand des durchgeführten Praktikums im IT-Bereich keinerlei Zweifel. Der Kläger selbst hat in der Berufungsbegründung vorgetragen, er habe neben einer intensiven Arbeitsuche keine Zeit für die Einlegung des Widerspruches gefunden. Dem Kläger war es jedoch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Fähigkeiten ohne Weiteres zuzumuten, neben den Bewerbungen den Bescheid vom 23. März 2006 zu lesen und sich darüber klar zu werden, ob er gegen diesen vorgehen wolle. Die Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 S. 1 SGG ist so konzipiert, dass ihre Einhaltung auch von Arbeitnehmern mit einer Vollzeitbeschäftigung erwartet wird. Die Belastung durch die Arbeitsuche vermag die Versäumung der Widerspruchsfrist daher nicht zu entschuldigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
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