L 10 B 1693/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 28 AS 962/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 1693/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 27. Juni 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1984 geborene, ledige Antragstellerin (Ast) wohnt mit ihrem 1986 geborenen Bruder (B), der bis Ende August 2008 eine Fachschulausbildung zum Fachinformatiker absolviert hat, ihrem (gemeinsamen) 1956 geborenen Vater (V), der als selbstständiger Programmierer tätig ist sowie dessen zweiter, 1968 geborener Ehefrau - der Stiefmutter (S) der Ast und des B -, die als Beamtin zuletzt monatlich EUR netto verdient hat, in einem lastenfreien, 172 qm großen (wobei die Ast den Wohnflächenanteil mit 152 qm angegeben hat) Fünf-Zimmer-Einfamilienhaus, das zur Hälfte S und jeweils zu einem Viertel der Ast und B gehört.

Bis Juli 2007 absolvierte die Ast eine Ausbildung, wofür ihr Ausbildungsförderung bewilligt worden war. Für die Folgezeit beantragte sie im Juni 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin (Agegn) mit Bescheid vom 10. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2008 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ab; hiergegen ist Klage erhoben (S 28 AS 712/08). Den am 03. Januar 2008 gestellten Neuantrag lehnte die Agegn mit – angefochtenem – Bescheid vom 01. Februar 2008 mit der gleichen Begründung ab. Den am 12. März 2008 gestellten Antrag, die Agegn im Wege einer einstweiliger Anordnung zu verpflichten, der Ast Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 347,- EUR zuzüglich anteiliger Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchs- bzw Klageverfahrens zu zahlen und sie für diesen Zeitraum bei der Techniker Krankenkasse – gesetzliche Krankenversicherung – zu melden sowie dorthin Krankenversicherungsbeiträge abzuführen, wies das Sozialgericht (SG) Potsdam mit Beschluss vom 27. Juni 2008 mangels Anordnungsanspruches als unbegründet zurück. Die Ast sei nicht hilfebedürftig. Sie lebe in einer Bedarfsgemeinschaft mit einem monatlich anzuerkennenden Gesamtbedarf von 1732,81 EUR, dem ein monatliches Gesamteinkommen von 2704,11 EUR gegenüber stehe.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz; im Beschwerdeverfahren kommt es hiernach auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an.

Soweit die Ast die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) sowie Aufwendungen für Krankenversicherungsschutz für im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bereits abgelaufene Zeiträume begehrt, steht ihr schon deshalb kein Anordnungsgrund zur Seite, da derartige Ansprüche nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nur in einem Hauptsacheverfahren zu klären sind. Aufgabe einstweiligen Rechtsschutzes der vorliegenden Art ist es, eine akute Notlage zu beseitigen, denn nur dann kann von einem wesentlichen Nachteil gesprochen werden, den es abzuwenden gilt und bei dem ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten wäre. Nur ausnahmsweise kann eine Fallgestaltung gegeben sein, in der die sofortige Verfügbarkeit von Geldleistungen für die Vergangenheit zur Abwendung eines gegenwärtigen drohenden Nachteils erforderlich ist. Ein solcher Nachholbedarf ist jedoch von der Ast nicht geltend gemacht, geschweige denn glaubhaft gemacht worden.

Aber auch für die Zeit ab der heutigen Entscheidung des Senats sind die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen gerichtlichen Regelung nicht glaubhaft gemacht. Auch die Ast bestreitet nicht, dass sie nach der Regelung des § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II, wonach bei unverheirateten Kindern, die ua mit einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus ihrem eigenen Einkommen und Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen des inBedarfsgemeinschaft lebenden Partners(hier: Ehefrau des Vaters)zu berücksichtigen istkein Alg II beanspruchen kann, weil das Einkommen von S zusammen mit den weiteren, weitaus geringeren Einkünften der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ausreicht, um den SGB II-Bedarf aller decken. Der Gesetzgeber hat mit dieser durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) mit Wirkung vom 01. August 2006 geänderten Vorschrift die unwiderlegliche Unterhaltsvermutung zulasten der unter 25-jährigen Kinder entgegen dem Unterhaltsrecht bewusst auf die Partner des Elternteils (für die so genannten Stiefelternfälle) erstreckt (vgl die Entwurfsbegründung BT Drucks 16/1410, Seite 20). Dies mag verfassungsrechtlich nicht unbedenklich sein (vgl Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 146, 152 und aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VG Bremen, Urteil vom 27. Februar 2008 – S 3 K 3321/06 – juris mwN). Allerdings drängt sich eine Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht etwa dergestalt auf, dass ihre Anwendung im Rahmen des vorliegenden Eilrechtsschutzverfahrens ohne Weiteres auszusetzen oder gar im Sinne der Ast in ihr Gegenteil zu verkehren wäre (ebenso Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2008 – L 25 B 838/07 AS ER – juris Rdnr 24; vgl ferner bereits Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2007 – L 10 B 1434/07 AS ER – juris Rdnr 16). Vielmehr muss der Senat grundsätzlich die einschlägigen gesetzlichen Regelungen anwenden und könnte den geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken in einem Eilverfahren allenfalls dann Rechnung tragen, wenn glaubhaft gemacht wäre, dass die Anwendung der Vorschrift im konkreten Einzelfall aktuell zu gänzlich unzumutbaren Ergebnissen führte (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2008, aaO). Das ist hier indes nicht der Fall. Die Ast hat keine Lebenssituation geschildert, die eine akute Notlage nahe legen würde. So ist weder von Engpässen bei ihrer Versorgung mit Lebensmitteln oder sonstigen lebensnotwendigen Gütern noch von der Aufnahme von Schulden - sei es durch die Ast selbst infolge von Hilfen/Darlehen Dritter wegen fehlender Unterstützungsleistungen seitens S, sei es durch V oder S aufgrund fehlender familiärer Mittel insgesamt – die Rede, wofür das lastenfreie Hausgrundstück als Beleihungsobjekt zur Verfügung gestanden hätte. Die Umstände sprechen im Gegenteil deutlich gegen eine derartige Notsituation. So hat sich die Ast nicht etwa kurz nach erstmaliger Ablehnung ihres Alg II-Antrags, sondern erst ein dreiviertel Jahr später mit einem Eilrechtsschutzantrag an das Gericht gewandt, ohne dabei oder im Laufe des Verfahrens eine Verschlechterung ihrer Lage zu beschreiben. In ihren Widersprüchen gegen die beiden ablehnenden Bescheide der Agegn hat sie sich auch nicht etwa darauf berufen, dass S sich weigere, sie zu unterstützen, sondern allein verfassungsrechtliche Einwände gegen § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II angeführt und sich auf die fehlende zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung der S bezogen. Dass diese zu (weiterer) Unterstützung weder willens noch in der Lage sei, ist erst im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens geltend gemacht worden (vgl insbesondere die Erklärung von S vom 10. März 2008, Bl 35 der Gerichtsakten), allerdings ohne dass dies durch substanziierten Vortrag (etwa zu einer möglichen Änderung der wirtschaftlichen oder persönlichen Situation) oder gar eine eidesstattliche Versicherung untermauert worden wäre. Vorgetragen ist insofern im Wesentlichen nur, dass S an einer multiplen Sklerose leide und daher die bei gegebener Beihilfeberechtigung von 90 % verbleibenden 10 % nicht über eine private Krankenversicherung abdecken könne, weswegen sie für die nächsten zehn Jahren mit Behandlungskosten von etwa ,- EUR rechnen müsse, für die sie monatlich ,- EUR ansparen müsse. Diese Umstände stellen keine akute Belastung dar, aufgrund derer eine einstweilige Verpflichtung der Agegn gegen den eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II gerechtfertigt erschiene, zumal diese Regelung für die vorliegende Fallkonstellation nur noch wenige Monate einschlägig ist, weil die Ast in Kürze ihr 25. Lebensjahr vollenden und damit aus der Bedarfsgemeinschaft mit S ausscheiden wird (vgl § 7 Abs 3 Ziff 4 SGB II).

Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ist an den Alg II-Bezug gekoppelt (§ 5 Abs 1 Ziff 2a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch), so dass folgerichtig auch eine Verpflichtung der Agegn zur Meldung der Ast bei der Techniker Krankenkasse als gesetzlicher Krankenversicherung mit entsprechender Beitragsleistung ausscheidet. Die Agegn ist schließlich auch nicht einstweilen zu verpflichten, Aufwendungen der Ast für die Krankenversicherung gemäß § 26 Abs 3 Satz 1 SGB II zu übernehmen, da das Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft auch zur Zahlung des gegenwärtigen monatlichen Beitrages der Ast zur freiwilligen Krankenversicherung von 125,- EUR ausreicht.

Angemerkt sei, dass im Hauptsacheverfahren der Frage der Hilfebedürftigkeit der Ast auch unter dem Gesichtspunkt nachzugehen sein dürfte, ob sie verwertbares Vermögen in Form des (teilweisen) Eigentums an dem von ihr mitgenutzten Hausgrundstück hat (vgl §§ 9 Abs 1 Ziff 2, 12 Abs 1 und 3 Ziff 4 SGB II). Unabhängig davon, mit welcher Quadratmeterzahl die Wohnfläche hier tatsächlich zu veranschlagen ist, dürfte das Einfamilienhaus für einen 4-Personen-Haushalt nach SGB II-Maßstäben unangemessen sein (vgl zuletzt Bundessozialgericht, Urteil vom 15. April 2008 – B 14/7b AS 34/06 R – juris unter Bezugnahme auf das der Regelung des § 12 Abs 3 Ziff 4 SGB II zugrunde liegende Recht zur Arbeitslosenhilfe, wonach bei einem 4-Personen-Haushalt ein Familienheim mit einer Größe 130 qm angemessen gewesen ist). Der Begriff der Verwertbarkeit ist ein rein wirtschaftlicher; eine Verwertung kann durch Veräußerung des Vermögensgegenstandes, aber auch durch dessen Belastung, zB durch Beleihung unter Verpfändung oder Bestellung eines Grundpfandrechtes, oder durch Vermietung erfolgen (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl, § 12 Rdnr 30 f). Für den Fall, dass eine sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den Hilfebedürftigen eine besondere Härte bedeuten würde, sind nach § 23 Abs 5 SGB II Leistungen als Darlehen zu erbringen. Auf all diese Punkte musste hier nach den Ausführungen zu § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II nicht eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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