L 1 U 2116/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 6209/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2116/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 31.03.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2108 (Bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjähriger Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung) und nach Nr. 2110 (Bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen) festzustellen ist.

Der 1947 geborene Kläger lernte nach Ende seiner Schulausbildung 1962 den Beruf des Webers und war bis 1966 als Weber beschäftigt. Anschließend war er bei verschiedenen Arbeitgebern als Fahrer und zeitweise als Weber tätig. Von November 1970 bis Ende Februar 2004 war er bei der L. GmbH als Bauhelfer, Polier, Baumaschinenfahrer und LKW-Fahrer beschäftigt. Ab 01.03.2004 bezog der Kläger von der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Am 18.04.2005 machte der Kläger bei der Südwestlichen Bau-Berufsgenossenschaft, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im folgenden nur noch Beklagte), einen Wirbelsäulenschaden als Berufskrankheit geltend. Die Beklagte veranlasste daraufhin die Angaben des Klägers vom 09.05.2005, holte das Vorerkrankungsverzeichnis der Innungskrankenkassen (IKK) H. vom 02.06.2005 und Arztunterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers ein. Während der stationären Behandlung des Klägers vom 18.08. bis 26.08.2004 im Klinikum V. wurde unter der Diagnose einer claudicatio spinalis (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch online: wegen verengtem Spinalkanal passager auftretende neurol. Sympt. (Schmerzen, Lähmungen, Sensibilitätsstörungen) in den Beinen beim Gehen u. Stehen) mit Symptomatik bei rechtsbetonter Lumbalstenose bei den Wirbelkörpersegmenten L 3/4 und L 4/5 am 20.08.2004 eine operative Hemilaminektomie (halbseitige Entfernung des Wirbelbogens) bei dem Wirbelkörper L 4 vorgenommen (Entlassungsbericht des Klinikums V. vom 26.08.2004). Ein Heilverfahren vom 21.09. bis 12.10.2004 in der Reha-Klinik S. wurde unter den zusätzlichen Diagnosen: Insulinbedürftiger Diabetes mellitus mit diabetischer Nephropathie, arterieller Hypertonie und anamnestischer Zustand nach Hinterwandinfarkt durchgeführt (Reha-Entlassungsbericht der Klinik S. vom 27.10.2004).

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 27.06.2005 kam Dr. F. nach Auswertung der aktenkundigen Unterlagen zu dem Ergebnis, Hinweise auf einen beruflichen Bandscheibenschaden seien nicht vorhanden, eine Berufskrankheit sei abzulehnen. Die Computertomografie vom 11.02.1994 zeige bereits einen anlagebedingt engen Spinalkanal, der durch allseits ausgewalzte Bandscheiben von L 3/4 abwärts und Spondylarthrose weiter eingeengt werde, ferner eine Hypertrophie der Ligamenta flava (Gelbe Bänder), wobei computertomografische Schnittfilme vom 13.07.2004 eine weitere Progression der Befunde zeigten, begleitend auch Verfettung der Rückenmuskulatur in den degenerativ veränderten Segmenten. Der Kläger leide langjährig unter dem Vollbild eines metabolischen Syndroms und einer degenerativen Polyarthrose an der LWS, den Hüftgelenken und den Schultergelenken, daneben fände sich in der LWS eine Scheuermann sche Erkrankung mit Schmorl schen Knötchen der Grundplatten praktisch sämtlicher Lendenwirbelkörper. Als Spätform dieser Erkrankung bei diabetischer Mikroangiopathie finde sich eine Höhenabnahme der Wirbelkörper und Verbreiterung und Ausdehnung des Längsdurchmessers der Lendenwirbelkörper (Platyspondylie), d. h. eine osteomalazische Fliesverformung auf mikroangiopathischer Basis. Somit sei sowohl nach dem beschriebenen Anlageschaden der Wirbelsäule wie auch mit Blick auf die nicht erfüllten arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 ein berufsbedingter Zusammenhang abzulehnen. Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.10.2005 die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ab.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, in den Mittelpunkt der gutachterlichen Überprüfung wäre zu stellen gewesen, ob auf Grund der anlagebedingten Belastungen die berufliche körperliche Schwerarbeit nicht gerade zu dem Schadensbild geführt habe, das von dem von Seiten der Beklagten zugrundegelegten Erscheinungsbild einer entsprechenden Berufskrankheit abweiche. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 15.12.2006 Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben. Die während der stationären Behandlung im Klinikum V. gestellte Diagnose einer Claudicatio spinalis Symptomatik bei rechtsbetonter Lumbalstenose mache deutlich, dass die Beschwerden durch langjährige Schwerarbeit von 33-jähriger Dauer hervorgerufen worden seien.

Das Sozialgericht hat schriftlich Dr. G. (Aussage vom 22.01.2007), Dr. B. (Aussage vom 13.02.2007), Dr. B. (Aussage vom 30.04.2007) und Prof. Dr. O. (Aussage vom 09.05.2007) als sachverständige Zeugen gehört. Auf deren schriftliche Zeugenaussagen wird verwiesen. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Professor Dr. C. das Gutachten vom 24.01.2008 erstattet. Der Sachverständige hat ausgeführt, eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2110 lasse sich nicht wahrscheinlich machen. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung im eigentlichen Sinne liege nicht vor. Entgegen der Auffassung von Dr. F. werde davon ausgegangen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 vorliegen. Ob auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2110 gegeben seien, entziehe sich seiner Beurteilung, hierzu liege keine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten vor. Jedoch seien unter radiologischen Gesichtspunkten die degenerativen Veränderungen in dem unteren Bereich der Halswirbelsäule (HWS) mindestens so stark ausgeprägt wie in der unteren LWS, was klinisch insofern bedeutsam sei, als die Beweglichkeit der HWS gut zur Hälfte eingeschränkt sei. Ebenso bestünden ähnliche degenerative Veränderungen in der unteren Brustwirbelsäule (BWS) mit entsprechender Einschränkung der Beweglichkeit. In den Wirbelkörpersegmenten L 3/4 und L 4/5 sei nach dem Befund der Computertomografie eine zirkumferent ausgewalzte Bandscheibe, dagegen bei L 5/S 1 lediglich eine minimale dorsale Bandscheibenprotrusion vorhanden. Die erhebliche degenerative Veränderung der Wirbelbogengelenke mit der Verdickung der gelben Bänder habe zu einer Einengung der seitlichen Ausläufer des Rückenmarkskanals sowie der Einengung der Nervenwurzelaustrittslöcher geführt, weshalb im August 2008 auch keine Bandscheibenoperation, sondern eine Hemilaminektomie durchgeführt worden sei. Außerdem bestehe eine linkskonvexe Verdrehung der Wirbelsäule mit einem Cobb-Winkel von 19 Grad. Bei einer so tiefen Lumbalskoliose sei es nach der Arbeitsgruppe, die die Konsensempfehlungen erarbeitet habe, plausibel, dass eine anlagebedingte biomechanische Überlastung der unteren LWS wirksam werde. In solchen Fällen sei eine individuelle Bewertung der Relevanz der dispositionellen Faktoren im Verhältnis zu dem Einfluss der Berufsbelastung vorzunehmen. Die nahezu gleichartige Ausprägung der degenerativen Veränderungen in allen Bereichen der Wirbelsäule sowie die linkskonvexe Verdrehung sprächen dafür, dass diese Veränderungen insgesamt anlagebedingt und schicksalsmäßig entstanden seien, da auf die HWS einwirkende berufliche Belastungen nicht anzunehmen seien. Hinzu komme, dass in allen großen Gelenken degenerative Veränderungen mit der klinischen Folge einer Bewegungseinschränkung vorliegen. Es sei daher nicht nur von einem anlagebedingte Verschleißleiden der Wirbelsäule, sondern einem generalisierten anlagebedingten Verschleißleiden auszugehen. In diesem Zusammenhang sei auffällig, dass die Veränderungen im Bereich der LWS nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit ab 2004 relativ rapide vorangeschritten seien, was auch gegen die Annahme einer berufsbedingten Verursachung spreche. Der medizinischen Beurteilung von Dr. F. könne insoweit zugestimmt werden, wenn auch die angenommene Diagnose einer Scheuermann schen Erkrankung nicht nachvollzogen werden könne, was jedoch vorliegend entscheidungsunerheblich sei.

Nach Anhörung der Beteiligten zum Beweisergebnis und zur Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 31.03.2008 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es sich auf das Gutachten von Prof. Dr. C. gestützt. Einer Berechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD), wie vom Kläger gefordert, habe es nicht bedurft, weil der Sachverständige vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen ausgegangen sei, jedoch aus rein medizinischen Gründen die geltend gemachten Berufskrankheiten verneint habe.

Gegen den dem Kläger am 07.04.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 30.04.2008 Berufung beim Sozialgericht eingelegt mit der Begründung, seine Tätigkeit im Zeitraum von 1970 bis 2004 als Polier im Straßenbau mit schwerster körperlicher Arbeit mache es nicht nachvollziehbar, dass die aufgetretenen Beschwerden allein auf degenerative Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule zurückzuführen sein sollen. Die Beschwerden träten an den Stellen in Erscheinung, die typischerweise bei den verrichteten Arbeiten auch besonders belastet worden seien. Eine Berechnung nach dem MDD sei erforderlich gewesen, und zwar unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit Absenkung des Schwellenwerts auf 50 Prozent der nach dem MDD erforderlichen Gesamtbelastungsdosis.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 31.03.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2006 aufzuheben und die Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid. Technische Ermittlungen zur Wirbelsäulenbelastung seien entbehrlich, da der Sachverständige vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen ausgegangen sei.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Der Kläger kann mit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage die Feststellung seiner Erkrankung als Berufskrankheit verfolgen (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die vom Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid unterstellte Zulässigkeit der Leistungsklage allgemein auf Gewährung von Entschädigungsleistungen ist auch als Antrag auf ein Grundurteil nicht zulässig. Eine entsprechende Auslegung wäre vorliegend nicht sachdienlich, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 07.09.2004 - 2 B U 35/03 , SozR 4-2700 § 8 Nr. 6; zuletzt auch 30.01.2007 - B 2 U 6/06 R - veröffentlicht in Juris) gegen einen nur die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, also eines Versicherungsfalls, ablehnenden Bescheid des Versicherungsträgers die Leistungsklage unzulässig ist, zumal einem Grundurteil (§ 130 SGG) nur die in Betracht kommenden Geldleistungen zugänglich sind. Das vom Anfechtungs- und Leistungsantrag umgestellte Begehren auf den kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsantrag unter Beibehaltung des Klagegrundes ist nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG keine Klageänderung und ohne weitere Voraussetzungen zulässig.

Der angefochtene Gerichtsbescheid ist jedoch nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit.

Eine Berufskrankheit liegt nur dann vor, wenn die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität) und durch die schädigende Einwirkung die Krankheit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden ist (haftungsausfüllende Kausalität). Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch hier die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u.a. neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen, die Schädigung und die Krankheit gehören, erwiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83).

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der derzeit u.a. folgende als Berufskrankheiten anerkannte Krankheiten aufgeführt sind:

Nr. 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Nr. 2110 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Die Wahrscheinlichkeit für die haftungsbegründende Kausalität setzt voraus, dass beim Versicherten die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden herbeizuführen. Nicht jede durch eine berufliche Tätigkeit verursachte Erkrankung ist als Berufskrankheit anzuerkennen. Vielmehr muss es sich um (definierte) Tätigkeiten handeln, die eine Intensität erreichen, die generell geeignet sind, ein entsprechendes (definiertes) Krankheitsbild zu verursachen. Ob die verrichtete Tätigkeit eine Intensität erreicht, die generell geeignet ist, eine Erkrankung zu verursachen, kann anhand von so genannten Dosismodellen beurteilt werden. Dosismodelle fassen medizinische Erfahrungstatsachen zur Konkretisierung und Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R - zum Mainz-Dortmunder-Dosismodell zur Nr. 2108 der Anlage zur BKV). Bei dem bisher geltenden Gesamtdosiswert des MDD zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 handelt es sich um keinen Grenzwert, sondern allenfalls um einen Orientierungswert, weshalb bei einem Unterschreiten des Orientierungswertes noch nicht zwingend die arbeitstechnischen Voraussetzungen zu verneinen sind (vgl. BSG Urt. vom 19.08.2003 B 2 U 1/02 R, veröffentlicht in Juris). Nach dem Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R, veröffentlicht in Juris) ist auf Grund der durch die Deutsche Wirbelsäulenstudie bekannt gewordenen Schwächen des MDD der Orientierungswert um die Hälfte zu reduzieren. Ob die Voraussetzungen hinsichtlich der Berufskrankheiten nach Nr. 2108 oder - nach einer gesonderten Berechnung der Belastung durch Ganzkörperschwingungen – nach Nr. 2110 vorliegen, lässt der Senat dahinstehen. Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat jedenfalls auf Grund der 34-jährigen Tätigkeit des Klägers im Straßenbau die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 als gegeben angesehen (vgl. S. 25 seines Gutachtens). Die Anerkennung einer BK nach Nr. 2110 der Anlage zur BKV scheidet ebenfalls - bei unterstellter Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen - aus medizinischen Gesichtspunkten aus.

Denn die haftungsausfüllende Kausalität der geltend gemachten Berufskrankheiten ist nicht im rechtlich gebotenen Grade wahrscheinlich. Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung der von ihm angenommenen beruflichen Wirbelsäulenbelastung des Klägers mit den Senat überzeugenden Gründen einen Zusammenhang der beim Kläger bestehenden Wirbelsäulenveränderungen mit der beruflichen Belastung verneint.

Er hat den von ihm erhobenen Befund nach den derzeit aktuell akzeptierten arbeitsmedizinischen Bewertungskriterien beurteilt. Diese Kriterien der unter dem 04.08.2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe "Medizinische Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Trauma und Berufskrankheit 3, 2005, S. 211 ff; (Konsensempfehlungen)) entsprechen zur Überzeugung des Senats der gegenwärtigen herrschenden Meinung der Wissenschaft, soweit sie im Konsens aller Mitglieder der Arbeitsgruppe verabschiedet wurden. Dazu gehört, worauf der Sachverständige auch maßgeblich abgestellt hat, als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, die ihrer Ausprägung nach altersuntypisch sein muss (vgl. Konsensempfehlungen a. a. O., S. 216), und - bei Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen - eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der Lendenwirbelsäule, was eher für einen Ursachenzusammenhang der beruflichen Belastung spricht (Konsensempfehlungen a. a. O.). Dies gilt für die BK nach Nr. 2108 und 2110 gleichermaßen.

Professor Dr. C. hat die im Tatbestand dargestellten, vergleichbar ähnlich ausgeprägten degenerativen Veränderungen in allen drei Wirbelsäulenabschnitten, der HWS, BWS und LWS - mit geringstem Bandscheibenschaden im stärksten belasteten unteren Wirbelkörpersegment L 5/S 1 -, diagnostiziert. Eine berufliche Belastung der HWS hat der Kläger nicht geltend gemacht, eine solche ist auch nicht ersichtlich. Eine berufsbedingte Belastung der BWS führt nach derzeitigem Erkenntnisstand zu keinen auffälligen altersvorauseilenden degenerativen Veränderungen, weshalb eine solche Erkrankung auch nicht in der Anlage zur BKV aufgenommen ist. Die Schlussfolgerung des Sachverständigen, dass die Veränderungen der unteren LWS beim Kläger im Zusammenhang mit den anlagebedingten degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule stehen, ist für den Senat daher nachvollziehbar. Sie steht auch im Einklang mit den Konsensempfehlungen. Der Sachverständige hat außerdem die durch die anlagebedingte, tiefe Lumbalskoliose verursachte besondere Anfälligkeit des Klägers gegenüber einer belastungsinduzierten Bandscheibenerkrankung entsprechend der Konsensempfehlung berücksichtigt und sich mit den erhobenen orthopädischen Befunden auseinander gesetzt. Insoweit hat er für den Senat auch überzeugend darauf hingewiesen, dass entsprechende generalisierte degenerative Veränderungen mit klinisch auffälligen Bewegungseinschränkungen an allen großen Gelenken der oberen und unteren Extremitäten bestehen, somit eine generalisierte anlagebedingte Verschleißerkrankung anzunehmen ist. Ob - und welche - Anteile an diesem Krankheitsbild der Wirbelsäule auf die vom Kläger behauptete hohe berufliche Wirbelsäulenbelastung zurückzuführen sind, ist somit nicht hinreichend nachzuweisen.

Vor diesem Hintergrund lässt der Senat auch dahinstehen, ob beim Kläger überhaupt eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der genannten Tatbestände nach Nrn. 2108 und 2110 der Anlage zur BKV medizinisch zu begründen ist. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule liegt vor, wenn neben einem durch Veränderungen an der Bandscheibe verursachten objektivierten Schaden chronische oder chronisch wiederkehrende Beschwerden mit Funktionseinschränkungen gegeben sind (BSG, Urteil vom 31. Mai 2005 - B 2 U 12/04 R -, veröffentlicht in Juris). Inwieweit die behandlungsbedürftigen Beschwerden des Klägers auf die Verminderung der Bandscheiben oder die von Prof. Dr. C. angedeuteten knöchernen Veränderungen der Wirbelkörper allein zurückzuführen sind, kann offen bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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