L 3 R 1452/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 2877/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 1452/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Gegenstand des Rechtsstreites ist die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Die Klägerin war vom 06. Dezember 1973 bis zum 31. März 1974 sowie vom 25. Februar 1975 bis zum 04. Dezember 1983 bei der Deutschen Reichsbahn (DR) beschäftigt und entrichtete Beiträge zur Sozialversicherung der DDR, obwohl sie ihren Wohnsitz in Berlin (West) hatte. Sie stellte am 13. Dezember 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Kontenklärung. Die Frage 9.1 "Haben Sie Zeiten der Berufsausbildung (auch ohne Abschluss) zurückgelegt?" auf dem Vordruck der Beklagten V 100 kreuzte sie mit "Nein" an, obwohl sie tatsächlich eine Facharbeiterausbildung für den Betriebs- und Verkehrsdienst der DR am 17. Mai 1977 erfolgreich abgeschlossen hatte. Den Facharbeiterbrief fügte sie ebenfalls nicht bei, im Sozialversicherungsausweis (SVA) war die Ausbildung nicht eingetragen.

Mit Bescheid vom 07. Juni 2006 stellte die Beklagte nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, verbindlich fest. Unter anderem ordnete sie die Beschäftigungszeiten der Klägerin bei der DR vom 06. Dezember 1973 bis zum 30. Januar 1974 und vom 25. Februar 1975 bis zum 04. Dezember 1983 der Leistungsgruppe 5 nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu. Gegen diese Einstufung ab Ablegung der Facharbeiterprüfung legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 07. Juli 2006 meldete sich der Bevollmächtigte der Klägerin und trug außerdem – unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Berlin - vor, bei Beschäftigten der DR mit Wohnsitz in Berlin (West), die ihre Gehälter in DM erhalten hätten, sei bei der Anwendung des FRG ausnahmsweise die Höhe der tatsächlichen Arbeitsentgelte zu berücksichtigen, d. h. die Versicherten seien in die Leistungsgruppe einzuordnen, deren Werte dem tatsächlichen Verdienst am nächsten kämen. Für die gesamte Zeit der Beschäftigung bei der DR ab dem 25. Februar 1975 sei die Leistungsgruppe 4 anzuwenden. Am 18. August 2006 reichte die Klägerin ihr Facharbeiterzeugnis ein, woraufhin die Beklagte am 07. November 2006 einen weiteren Feststellungsbescheid erließ, mit welchem sie unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 07. Juni 2006 die Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 18. Mai 1977 bis zum 04. Dezember 1983 nunmehr der Leistungsgruppe 4 nach dem FRG zuordnete. Die Klägerin erklärte das Widerspruchsverfahren daraufhin für erledigt und beantragte eine Kostengrundentscheidung.

Mit Bescheid vom 20. November 2006 lehnte die Beklagte die Erstattung der durch das Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen ab, da Nachweise für die begehrten rentenrechtlichen Sachverhalte erst im Widerspruchsverfahren übersandt worden seien. In ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, bei sorgfältiger Bearbeitung unter Beachtung der Rechtsprechung des LSG Berlin hätte die begehrte Einstufung bereits mit Bescheid vom 07. Juni 2006 erfolgen müssen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2007 zurück. Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des LSG Berlin sei hier nicht anwendbar. Die mit Bescheid vom 07. November 2006 durchgeführte Teilabhilfe sei ausschließlich aufgrund des nachgereichten Facharbeiterzeugnisses erfolgt. Die Leistungsgruppe 4 sei erst ab dem Folgetag der Ausstellung des Facharbeiterzeugnisses anerkannt worden. Dass die Abhilfe zum Widerspruch lediglich aufgrund von Tatsachen erfolgt sei, die nach Erteilung des Bescheides vom 07. Juni 2006 bekannt worden seien, sei von der Klägerin selbst zu vertreten.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Sie hat Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 202,30 Euro geltend gemacht.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 29. Januar 2008 stattgegeben. Zu Unrecht habe die Beklagte die Kosten nicht erstattet. Der Widerspruch der Klägerin habe in vollem Umfang Erfolg gehabt, denn die Beklagte habe ihm stattgegeben. Grundsätzlich sei es laut dem Bundessozialgericht – BSG - (Urteil vom 21. Juli 1992 – 4 RA 20/91 -) ohne Belang, was der Widersprechende zur Begründung des Rechtsbehelfs vorgebracht und welche Gründe zum Stattgeben des Widerspruchs geführt hätten. Allerdings sei ein Widerspruch nur dann erfolgreich im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), wenn zwischen Rechtsbehelf und begünstigender Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne bestehe. Er sei deshalb dann nicht erfolgreich in diesem Sinne, wenn die abhelfende Entscheidung des Rechtsträgers nicht dem Widerspruch, sondern einem anderen Umstand (insbesondere der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten) zuzurechnen sei. Im vorliegenden Falle könne zwar ein solcher ursächlicher Zusammenhang zwischen Widerspruch und Abhilfe fraglich sein, da das Widerspruchsverfahren bei richtiger Ausfüllung des Antragsvordruckes V 100 unter Punkt 9.1 wahrscheinlich hätte vermieden werden können. Die Kammer sei aber der Auffassung, dass hier dennoch eine kausale Verknüpfung zwischen Widerspruch und Abhilfeentscheidung zu bejahen sei. Der vorliegende Fall sei nicht mit den Fällen zu vergleichen, in denen – wie in dem vom BSG entschiedenen Rechtsstreit - die Abhilfe das Ergebnis der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren sei, denn die Klägerin habe unzweifelhaft mitgewirkt. Sie habe lediglich – aus unbekannten Gründen – zu ihren Ungunsten falsche Angaben gemacht und diese, nachdem ihr der Fehler bewusst geworden sei, im Widerspruchsverfahren korrigiert. Derartige Fehler seien jedoch nicht bei der Kostengrundentscheidung, sondern allenfalls bei der Entscheidung über die Höhe der zu erstattenden Kosten zu berücksichtigen. Dies ergebe sich durch einen Vergleich mit § 63 Abs. 1 Satz 3 SGB X. Nach dieser Vorschrift habe ein Erstattungsberechtigter Aufwendungen, die durch sein Verschulden entstanden seien, selbst zu tragen, das Verschulden eines Vertreters sei dem Vertretenen zuzurechnen. Die Regelung betreffe nicht den Grund der Kostenentscheidung, sondern nur die Höhe. Da das Gesetz demgegenüber keine Regelung für den Fall treffe, dass nicht nur einzelne Aufwendungen dem Verschulden des Erstattungsberechtigten zuzurechnen seien, sondern das gesamte Widerspruchsverfahren durch einen Fehler des Erstattungsberechtigten verursacht worden sei, gehe die Kammer davon aus, dass auch in einem solchen Fall grundsätzlich allein auf den Erfolg des Widerspruchs abzustellen sei. Über die Frage, ob ein solches Verschulden des Erstattungsberechtigten bei der Entscheidung über die Höhe der Erstattung Berücksichtigung finden könne, habe die Kammer vorliegend nicht zu entscheiden. Die Berufung sei nicht zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 500,00 Euro nicht übersteige. Gründe, die Berufung nach § 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuzulassen, lägen nicht vor.

Gegen das am 06. März 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 02. April 2008 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und die Zulassung der Berufung begehrt. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unter dem Aktenzeichen L 3 B 569/08 R NZB geführt worden. Sie hat geltend gemacht, das SG hätte die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zulassen müssen, weil es mit seinem Urteil von der Entscheidung des BSG vom 21. Juli 1992 – 4 RA 20/91 – abweiche und auch auf dieser Abweichung beruhe. Hilfsweise sei die Berufung nachträglich wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, wobei im Mittelpunkt die Rechtsfrage stehe: "Ist ein Widerspruch i. S. v. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfolgreich, wenn die abhelfende Entscheidung des Rechtsträgers nicht dem Widerspruch, sondern der nachträglich (nach Einlegung des Widerspruchs) korrekten Angabe von Tatsachen und Einsendung von Unterlagen zuzurechnen sei, nachdem im Verwaltungsverfahren zunächst unzutreffende Angaben von Tatsachen durch die Versicherte gemacht wurden?"

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das angefochtene erstinstanzliche Urteil weiche nicht von dem Urteil des BSG vom 21. Juli 1992 – 4 RA 20/91 – ab und beruhe auch nicht auf dieser Abweichung. Vielmehr habe dem zitierten BSG-Urteil ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Sie sei ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nämlich durchaus nachgekommen. Die Frage nach der Berufsausbildung auf dem Vordruck V 100 sei von einer Mitarbeiterin der Beklagten in der A + B Stelle B-W mit "nein" angekreuzt worden, nachdem ihr Vater mit entsprechender Vollmacht dazu gehört worden sei, allerdings ohne auf die Rechtsfolgen einer fehlerhaften Beantwortung hingewiesen worden zu sein. Da es sich um eine so genannte Erwachsenenqualifizierung bei laufendem Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe, wäre eine Aufklärung durch die Sachbearbeitung erforderlich gewesen. Hinzu komme, dass im Kontenklärungsantrag ein Hinweis auf den Sonderfall "Reichsbahnbedienstete" erfolgt sei, der die Sachbearbeitung zu einer gründlichen Prüfung der Entgelte und einer anderen Beurteilung bzw. wenigstens zu einer gezielten Rückfrage hätte veranlassen müssen. Darüber hinaus eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu behaupten sei absurd.

Mit Beschluss vom 24. Juli 2008 hat der Senat die Berufung auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hin zugelassen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Zwar betrifft sie weder wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) noch übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 500,00 Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), sie ist vom Senat jedoch durch Beschluss vom 24. Juli 2008 zugelassen worden, so dass das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortzusetzen war (§ 145 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 SGG).

Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat - entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung - gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 202,30 Euro.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Der Tatbestand dieser Vorschrift ist vorliegend nicht erfüllt, weil der Widerspruch der Klägerin (eingelegt durch den bevollmächtigten Vater) vom 26. Juni 2006 (Eingang am 27. Juni 2006) gegen den Vormerkungsbescheid der Beklagten vom 07. Juni 2006 nicht erfolgreich i. S. dieser Vorschrift war.

Ein Widerspruch hat im Grundsatz dann Erfolg im Sinne des Gesetzes, wenn die Behörde ihm stattgibt (vgl. Urteil des BSG vom 21. Juli 1992 – 4 RA 20/91 -, in SozR 3-1300 § 63 Nr. 3 m. w. N.; Roos in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 6. Aufl., Randnr. 18 zu § 63; Krasney in Kasseler Kommentar, Randnrn. 5 f zu § 63). Danach ist ohne Belang, was der Widersprechende zur Begründung seines Rechtsbehelfs vorgebracht hat und welche Gründe zum Stattgeben des Widerspruchs geführt haben (vgl. Urteil des BSG vom 08. Oktober 1987 - 9a RVs 10/87 -, zitiert nach juris; Krasney in Kasseler Kommentar a. a. O.).

Ein Widerspruch ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BSG dann nicht erfolgreich i. S. d. § 63 SGB X, wenn die abhelfende Entscheidung des Rechtsträgers – hier der Bescheid der Beklagten vom 07. November 2006 – nicht dem Widerspruch, sondern einem anderen Umstand – z. B. der Nachholung von Mitwirkungspflichten – zuzurechnen ist (vgl. Urteile des BSG vom 21. Juli 1992 a. a. O.; vom 18. Dezember 2001 – B 12 KR 42/00 R -, in HVBG-Info 2002, S. 515 ff und vom 25. März 2004 – B 12 KR 1/03 R – in SozR 4-1300 § 63 Nr. 1; Krasney in Kasseler Kommentar Randnr. 6; Roos in von Wulffen Randnr. 18).

Wie in dem vom 4. Senat des BSG entschiedenen Fall fehlt es hier an der zu fordernden kausalen Verknüpfung zwischen dem Widerspruch der Klägerin und der (teil)abhelfenden Entscheidung der Beklagten.

Das Antragsformular V 100 wurde – wie sich aus dem Formular unschwer erkennen lässt - zum größten Teil von der Klägerin am 31. Oktober 2005 persönlich (mit schwarzem Stift, im Gegensatz zum blauen Stift der Beraterin der A + B Stelle) ausgefüllt und unterschrieben. Abgegeben wurde der Vordruck durch den bevollmächtigten Vater in der A + B Stelle am F P am 13. Dezember 2005 (Stempel). Auch das Kreuz bei Frage 9.1 bei "nein" wurde von der Klägerin selber gemacht, ebenso wie das Kreuz bei "ja" zur Frage 4.1 "Wurden Zeiten und Sachverhalte im Beitrittsgebiet zurückgelegt? Falls ja, sind diese Zeiten (einschließlich FZR) im SVA vollständig enthalten?" Dem angeblich vollständigen SVA war kein Hinweis auf das Absolvieren einer Ausbildung zu entnehmen. Ausweislich des SVA war die Klägerin bei der DR vom 06. Dezember 1973 bis zum 31. März 1974 als Zugauskunft mit Gehaltsgruppe G 5, vom 25. März 1975 bis zum 31. Juli 1977 als FWA-Fern mit Gehaltsgruppe G 6 und vom 01. August 1977 bis zum 04. Dezember 1983 als Kassenverwalter mit Gehaltsgruppe G 7 beschäftigt. Daraus lässt sich kein zwingender Schluss auf eine Ausbildung oder eine andere entsprechende Qualifikation entnehmen. Dementsprechend hat die Beklagte im Vormerkungsbescheid vom 07. Juni 2006 für die gesamte Zeit der Beschäftigung bei der DR gemäß § 256 a Abs. 3 a Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) i. V. m. der Anlage 1 zum FRG als Beitragsbemessungsgrundlage i. S. des § 70 Abs. 1 SGB VI die Leistungsgruppe 5 (Angestellte in einfacher, schematischer oder mechanischer Tätigkeit, die keine Berufsausbildung erfordert) angenommen. Mit ihrem Widerspruch vom 26. Juni 2006 wandte sich die Klägerin gegen die Einstufung in die Leistungsgruppe 5 für die Zeit nach Abschluss der Facharbeiterprüfung, die Nachreichung des Zeugnisses wurde angekündigt. Tatsächlich ist das Facharbeiterzeugnis am 06. September 2006 zu den Verwaltungsakten der Beklagten gelangt und daher mit Bescheid vom 07. November 2006 ab dem Tag nach Abschluss der Facharbeiterprüfung die Leistungsgruppe 4 von ihr berücksichtigt worden. Die abhelfende Entscheidung beruhte also auf der Nachreichung des Zeugnisses. Hätte die Klägerin bereits bei Ausfüllung des Antrags die Frage 9.1 richtig beantwortet, wäre es von Anfang an zur Feststellung der Leistungsgruppe 4 ab dem Tag nach Abschluss der Prüfung gekommen.

Mit dem – aus welchen Gründen auch immer – falschen Ausfüllen des Antragsformulars V 100 hat die Klägerin ihre Mitwirkungspflichten aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verletzt, denn sie hat nicht alle Tatsachen angegeben, die für die Leistung erheblich waren. Die Mitwirkungspflichten des Antragstellers ergänzen bzw. modifizieren die Amtsermittlungspflicht des Leistungsträgers aus §§ 20, 21 SGB X. Denn maßgebend für eine Leistungsgewährung kann nur der fehlerfrei ermittelte Kenntnisstand des Leistungsträgers auf der Grundlage der vom Antragsteller gemachten Angaben und vorgelegten Unterlagen sein. Ein Verschulden ist – wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt - nicht erforderlich. Es gehört demnach zur Mitwirkungspflicht eines Antragstellers, vollständige und wahre Angaben zu machen (vgl. u. a. Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 25. Februar 1999 - L 5 EG 1/98 -, in HVBG-INFO 1999, 2240-2245; Hauck/Haines, Kommentar zum SGB I, Randnr. 11 zu § 60; Seewald in Kasseler Kommentar, Randnr. 15 zu § 60). Die Behörde ist nur dann verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen weiter zu ermitteln, wenn die Angaben (für sie erkennbar) unvollständig oder unklar sind (vgl. Urteil des BSG vom 02. Oktober 1997 - 14 REg 10/96 -, in SozR 3-7833 § 6 Nr. 15).

Der vorliegende Fall ist daher – genauso wie der vom 4. Senat in seinem Urteil vom 21. Juli 1992 entschiedene Fall - ein solcher "mit anderer kausaler Verknüpfung". In der (Teil)Abhilfe, die die Beklagte durch ihren Bescheid vom 07. November 2006 auf die Vorlage des Facharbeiterzeugnisses hin vornahm, liegt mithin kein Erfolg des Widerspruchs der Klägerin; die Abhilfe ist nach dem vorliegenden Sachverhalt Ergebnis der nachträglichen Erfüllung der klägerischen Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren, welche der Beklagten die nunmehr zutreffende Entscheidung über die Zuordnung zu den Leistungsgruppen nach § 256 a Abs. 3 a Satz 1 SGB VI i. V. m. der Anlage 1 zum FRG erlaubte.

Keineswegs war dem Widerspruch aus den anderen vom Klägerbevollmächtigten angegebenen Gründen stattzugeben. Dieser hat mit Schreiben vom 18. August 2006 die Eingruppierung in die Leistungsgruppe 4 ab dem 25. März 1975 aufgrund der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte der Klägerin begehrt und sich auf Urteile des LSG Berlin zu § 22 FRG vom 13. September 1977 – L 12 An 180/76 -, 25. Oktober 1977 – L 12 An 11/77 – und 22. November 1977 – L 12 An 30/77 – gestützt. Diese Rechtsprechung – die sich im Übrigen jeweils mit Zweifelsfällen bei der Leistungsgruppenermittlung auseinanderzusetzen hatte und eine Entscheidung "im Zweifel" anhand der tatsächlichen Entgelte für gerechtfertigt hielt – ist durch die anschließende Gesetzgebung überholt. § 256 a Abs. 3 a SGB VI ist mit Wirkung vom 01. Januar 1996 in das SGB VI aufgenommen worden und regelt – anders als damals § 22 FRG – explizit die Beitragsbemessungsgrundlage für Beschäftigte mit gewöhnlichem Aufenthalt im alten Bundesgebiet und gleichzeitiger Beschäftigung im Beitrittsgebiet. Danach ist die Beitragsbemessungsgrundlage für Zeiten vor dem 01. Juli 1990, in denen Versicherte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im alten Bundesgebiet hatten und Beiträge zu einem System der gesetzlichen Rentenversicherung des Beitrittsgebiets gezahlt wurden, aus den Werten der Anlagen 1 bis 16 zum FRG zu ermitteln. Die Vorschrift löste die vorherige Regelung in Art. 23 § 5 des Gesetzes zum ersten Staatsvertrag vom 25. Juni 1990 (BGBl. II 518) ab, die am 31. Dezember 1995 außer Kraft getreten war. Die Regelung gilt vornehmlich für ehemalige Beschäftigte der DR mit Wohnsitz in West-Berlin. Sie erhielten in der ehemaligen DDR ein Arbeitsentgelt in DM, das netto dem Arbeitsentgelt von vergleichbaren Beschäftigten der Deutschen Bundesbahn im alten Bundesgebiet entsprach, brutto aber wegen der niedrigeren Steuern und Sozialversicherungsbeiträge der DDR um circa 20% niedriger war als die Arbeitsentgelte vergleichbarer Beschäftigter im Bundesgebiet (vgl. Polster in Kasseler Kommentar, Randnrn. 32 a und b zu § 256 a). Die Beiträge aus dem Arbeitsentgelt wurden an die Sozialversicherung der ehemaligen DDR gezahlt, Versicherte erhielten aber dort keine Leistungen aus diesen Beiträgen. Aufgrund von Art. 23 § 5 des Gesetzes zum ersten Staatsvertrag waren die Entgeltpunkte für diese Zeiten bei Rentenbeginn bis zum 31. Dezember 1995 nach den Tabellenwerten des FRG zu bestimmen (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drucksache 13/2590 S. 28). Die Regelung in Art. 23 § 5 war als Übergangsregelung zugunsten von Personen ausgestaltet, die am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hatten und von einem DDR-Unternehmen Entgelt in DM erhielten. An sich war in diesen Fällen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 FRG i. d. F. ab dem 01. Juli 1990 anstelle der Leistungsgruppenwerte die tatsächlichen DM-Beträge für die Bildung der Beitragsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Mit Rücksicht auf die Westberliner Reichsbahner wurde auf diese Regelung verzichtet (vgl. Polster a. a. O., Randnr. 32 c). Der Gesetzgeber hat sich für eine Fortgeltung der Vorläuferregelung – jedoch ohne die Stichtagsregelung – entschieden, um sozialpolitisch unvertretbare Ereignisse zu vermeiden (vgl. Polster a. a. O., Randnr. 32 d mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Darüber hinaus ist der Beklagten darin zu folgen, dass es hinsichtlich der Frage der Zuordnung der Tätigkeiten der Klägerin zu den Leistungsgruppen keine Zweifel gab oder gibt.

War nach alledem der streitige Widerspruch der Klägerin nicht erfolgreich im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, so ist der Berufung der Beklagten stattzugeben und das Urteil des SG Berlin vom 29. Januar 2008 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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