L 4 KR 2377/08 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 3590/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2377/08 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. April 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) war ein Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung für die Miete einer Motorbewegungsmaschine ("ARTROMOT-Bewegungsschiene") zur Behandlung des linken Schultergelenks der Klägerin streitig. Die Klägerin, die Mitglied der Beklagten ist, übersandte am 07. Mai 2007 per Telefax die ärztliche Verordnung vom 07. Mai 2007 über die leihweise Gewährung eines Schulter-Motorstuhls zur Nachbehandlung nach einer Schulteroperation vom 04. Mai 2007. Sie fügte einen Kostenvoranschlag der O. GmbH & Co. KG, F., bei, wonach die Miete für 28 Tage insgesamt EUR 537,59 betrage. Am 09. Mai 2007 wurde der Klägerin der Motorstuhl (im Folgenden Motorbewegungsmaschiene) zu Hause ausgeliefert. Nach Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 15. Mai 2007 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 23. Mai 2007 ab, da ein therapeutischer Nutzen nicht belegt sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2007).

Im Klageverfahren hat die Klägerin die Rechnung der Firma O. GmbH & Co. KG vom 14. Juni 2007 in Höhe von insgesamt EUR 654,50 (Miete für die Zeit vom 09. Mai bis 22. Mai 2007 in Höhe von EUR 231,09 und für die Zeit vom 23. Mai bis 14. Juni 2007 in Höhe von EUR 318,91) vorgelegt. Sie hat nur die Erstattung der im Kostenvoranschlag vorgesehenen 28 Tage (EUR 537,59) zuzüglich gesetzlicher Zinsen seit 07. August 2007 beantragt. Mit Urteil vom 15. April 2008, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 25. April 2008, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) habe die Klägerin nicht gewählt. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V lägen nicht vor. Ein Anspruch auf Versorgung mit der Motorbewegungsmaschine zur Nachbehandlung der Sehnennaht ohne ärztliche Betreuung und ohne begleitende Physiotherapie habe der Klägerin nicht zugestanden. Die Motorbewegungsmaschine sei zwar ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V und nach § 34 Abs. 4 SGB V auch nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Die Behandlung der Klägerin mit der Motorbewegungsmaschine habe aber nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen. Sie sei im vorliegenden Fall nicht entsprechend angewandt worden. Zwar sei die Klägerin während ihres viertägigen stationären Aufenthalts in den Gebrauch der Motorbewegungsmaschine eingewiesen worden. Diese Einweisung sei jedoch nur durch einen Krankengymnasten erfolgt. Auch sei die Voraussetzung, dass Motorbewegungsmaschinen nur im Komplex mit Krankengymnastik angewandt werden dürften, nicht erfüllt. Eine Krankengymnastik unmittelbar nach Entlassung aus der stationären Behandlung sei nicht durchgeführt worden. Der Erfolg des Einsatzes der Motorbewegungsmaschine sei während der vierwöchigen Anwendung durch die Klägerin weder vom Arzt noch vom Physiotherapeuten kontrolliert worden. Die Berufung sei nicht zulässig, da der Berufungsstreitwert von EUR 750,00 nicht erreicht werde und der Rechtsstreit in Anbetracht seiner Besonderheiten bei der Anwendung der Motorbewegungsmaschine keine grundsätzliche Bedeutung habe.

Mit ihrer dagegen am 19. Mai 2008 beim Landessozialgericht (LSG) schriftlich eingelegten Beschwerde beanstandet die Klägerin, dass vorliegend § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der ab 01. April 2008 geltenden Fassung zur Anwendung gekommen sei. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage am 20. Juli 2007 sei der Rechtsstreit ohne Weiteres berufungsfähig gewesen. Das SG habe mit Verfügung vom 20. Dezember 2007 ein Ruhen des Verfahrens angeregt. Es hinterlasse ein "ungutes Gefühl", dass das SG mit Verfügung vom 12. März 2008 Termin zur mündlichen Verhandlung auf 12. April 2008 bestimmt habe, sodass nach dem Wortlaut des Gesetzes die Regelungen des Berufungsverfahrens in neuer Fassung zur Anwendung kämen. Mit dieser nachträglichen Verkürzung und Erschwerung des Rechtswegs sei sie nicht einverstanden, da dies für sie zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung, des Vorverfahrens und der Klageeinreichung nicht absehbar gewesen sei. Der Rechtsstreit habe auch grundsätzliche Bedeutung. An erster Stelle stehe der Tatsachenkomplex, dass die streitgegenständliche Motorbewegungsmaschine zunächst im Heilmittelverzeichnis aufgenommen, dann gestrichen worden sei und nunmehr die Kosten von Fall zu Fall doch wieder erstattet würden. Die Beklagte solle aufgefordert werden, sich wahrheitsgemäß dazu zu erklären, für wie viele Motorbewegungsmaschinen sie in diesem, dem vergangenen und dem vorletzten Jahr die Kosten übernommen habe und aufgrund welcher Vereinbarungen dies geschehen sei. Die im vorliegenden Fall enthaltene Fragestellung habe erhebliche Bedeutung in wirtschaftlicher Hinsicht, da für eine unbestimmte Vielzahl von Rechtsgenossen die Entscheidung von allgemeiner Bedeutung sei. Die Ablehnung der Kostenerstattung sei auch nicht nachvollziehbar, da die Beklagte die O. GmbH & Co. KG als zugelassene Leistungserbringerin behandle und mit ihr kooperiere. Sie sei durch die Motorbewegungsmaschine auch vollständig gesundet. Insofern seien die Ausführungen des SG zur Überwachung einer Therapie nicht überzeugend. Bei Vorliegen einer eindeutigen Verordnung und Einhaltung des Beschaffungsweges könne die Kostenerstattung nicht abgelehnt werden. Noch immer entschieden die Ärzte über den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und nicht die Krankenkassen. Dies sei eine grundsätzliche Frage, welche für eine Vielzahl von Patienten zu entscheiden sei. Darüber hinaus sei die Frage zu klären, warum sie von der Beklagten nicht rechtzeitig dahingehend aufgeklärt worden sei, dass die Kosten nicht getragen werden könnten und sie eine alternative Therapie, deren Kosten die Beklagte hätte übernehmen müssen, hätte in Anspruch nehmen können. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht nachgekommen. Es stünde im Übrigen im Ermessen der Ärzte, die Motorbewegungsmaschine ohne Krankengymnastik zu verordnen. Das vorliegende Berufungsverfahren schneide somit "ungeklärte Fragen aus dem Bereich der allgemeinen Bedeutung des Urteils für viele Versicherte, des Eingriffs der Krankenkassen in die Therapiefreiheit der Ärzte und den Fragekomplex der Wirtschaftlichkeit von Therapien an" und sei deshalb zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. April 2008 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Berufungsstreitwert von EUR 750,00 werde nicht erreicht. Auch habe die Rechtssache weder eine grundsätzliche Bedeutung noch liege ein Verfahrensmangel vor.

II.

Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

1. Die Zulassung der Berufung beurteilt sich im vorliegenden Fall nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der ab 01. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes - SGGArbGÄndG - vom 26. März 2008 (BGBl. I, S. 444). Danach bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt. Änderungen des Prozessrechts ergreifen in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich auch schwebende Verfahren, soweit nicht Übergangsbestimmungen etwas anderes vorschreiben oder sich Abweichendes aus Sinn und Zweck der Vorschrift oder aus dem Zusammenhang mit anderen Grundsätzen ergibt (Bundesverfassungsgericht [BVerfG] BVerfGE 39, 156, 167; 65, 76, 98; Bundessozialgericht [BSG] BSGE 70, 133; BSGE 72, 148). Die Änderung ist am 01. April 2008 in Kraft getreten (vgl. Art. 5 SGGArbGÄndG), sodass die Neuregelung für alle Rechtsstreitigkeiten gilt, die nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung anhängig geworden sind bzw. für Rechtsmittelverfahren, in denen das Rechtsmittel nach diesem Zeitpunkt eingelegt worden ist.

Eine Anwendung des neuen Rechts auf seit dem 01. April 2008 verkündete Entscheidungen ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, insbesondere im Hinblick auf den Vertrauensschutz, nicht zu beanstanden. Der Bürger kann nicht darauf vertrauen, dass das Prozessrecht unverändert bleibt. Dies gilt auch dann, wenn während eines anhängigen Rechtsstreits die Berufungssumme erhöht wird (so ausdrücklich BVerfG, Kammerbeschluss vom 05. Juni 1992 - 2 BvR 1307/91 = NJW-RR 1993, 253). Nach den vorliegenden Unterlagen ist auch nicht ersichtlich, dass das SG den Rechtsstreit absichtlich nach Änderung der Berufungssumme terminiert hat. Die Anfrage, ob die Klägerin mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden ist, geht auf eine Anregung der Beklagten vom 30. Januar 2008 zurück (Bl. 44 der SG-Akte); die Beklagte wies darauf hin, dass die Streitfrage zur Entscheidung beim BSG anhängig sei. Eine Antwort der Klägerin ist in der SG-Akte nicht enthalten. Bereits mit Beschluss vom 12. März 2008 terminierte das SG den Rechtsstreit auf den 15. April 2008. Diese Vorgehensweise ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Für eine willkürliche Sachbehandlung durch das SG besteht kein Anhalt. Der Wegfall einer Berufungsmöglichkeit rechtfertigt für sich allein noch keinen Schluss auf sachfremde Erwägungen des SG bei der Festlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung (vgl. BVerfG a.a.O.).

Der Beschwerdegegenstand des vorliegenden Rechtsstreits beträgt weniger als EUR 750,00. Denn die Klägerin begehrt die Erstattung der Mietkosten in Höhe von EUR 537,59 zuzüglich gesetzlicher Zinsen seit 07. August 2007. Das SG hat die Berufung im Urteil auch nicht zugelassen.

2. Die Berufung war ist nicht zuzulassen Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder eine der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Keiner dieser Voraussetzungen ist gegeben.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine solche ist nur gegeben, wenn die Rechtssache eine oder mehrere Rechtsfragen aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Berufungsgericht bedürftig und fähig sind (vgl. BSG, Beschluss vom 20. März 2008 - B 5a R 6/08 B zu § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG; Meyer-Ladewig/Kellerer/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 144 Rdnr. 28). Unabhängig davon, ob eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von der Klägerin aufgezeigt worden ist, scheitert die Beschwerde an der Klärungsfähigkeit, denn im vorliegenden Fall ist der von der Klägerin geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch bereits aus materiell-rechtlichen Gründen nicht gegeben (zur fehlenden Klärungsfähigkeit aus materiell-rechtlichen Gründen Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, IX. Rdnr. 68). Denn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 2. Alternative SGB V liegen nicht vor. Dies ergibt sich daraus, dass die Klägerin, die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V nicht gewählt hat, die Motorbewegungsmaschine bereits am 09. Mai 2007 angemietet hat und ein ablehnender Bescheid der Beklagten erst am 23. Mai 2007 ergangen ist. Danach konnte die ablehnende Entscheidung der Beklagten das weitere Geschehen mithin nicht mehr wesentlich beeinflussen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass ein auf die Verweigerung der Naturalleistung gestützter Erstattungsanspruch von vornherein dann ausscheidet, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (vgl. hierzu BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 6; SozR 4-2500 § 13 Nr. 1). War nämlich mit dem eigenmächtigen Beginn der Behandlung das weitere Vorgehen bereits endgültig festgelegt, fehlt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung durch die Kasse und der Kostenbelastung des Versicherten (vgl. hierzu auch Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 13 Rdnr. 249 m.w.N.).

Die Leistung war auch nicht unaufschiebbar im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Leistung unaufschiebbar im Sinne dieser Regelung ist, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22; SozR 4-2500 § 13 Nr. 1). Nachdem bereits im Rahmen der stationären Behandlung eine Einweisung in die Motorbewegungsmaschine erfolgte sowie absehbar war, dass die Klägerin die Motorbewegungsmaschine zu Hause nutzen sollte, bestand ausreichend Zeit, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Beklagten in Verbindung zu setzen.

Vor diesem Hintergrund können die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen vorliegend nicht geklärt werden.

Die weiteren Zulassungsvoraussetzungen des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGG sind nicht gegeben. Entsprechendes wird von der Klägerin auch nicht vorgetragen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved