L 4 B 35/07 P

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 SF 65/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 B 35/07 P
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Vergütung des Sachverständigen nach JVEG- Keine pauschalierte Kürzung
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. November 2007 wird abgeändert und die Entschädigung für das Gutachten der Beschwerdeführerin vom 12. August 2007 auf 1.856,52 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Entscheidung ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) ist Diplom-Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin in Halle. In der Beweisanordnung vom 8. Dezember 2006 beauftragte das Sozialgericht Dessau-Rosslau sie im Rechtsstreit E. B .../. DAK Pflegekasse (Az.: S 9 P 65/06) mit der Erstellung eines Gutachtens über Fragen des Pflegebedarfs nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI).

Die Beweisfragen lauteten:

1. Welche körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheiten oder Behinderungen sind bei der Klägerin festgestellt und seit wann liegen sie vor?

2. Für welche der nachfolgend genannten, nach Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung getrennten Verrichtungen benötigt der Kläger aufgrund der in Ziffer 1 festgestellten Krankheiten oder Behinderungen auf Dauer oder voraussichtlich für mindestens sechs Monate Hilfe? Zu diesen Verrichtungen gehören ( )

3. Welche konkrete Art der Hilfe benötigt die Klägerin für die in Ziffer 2 festgestellten Verrichtungen? Beschreiben Sie bitte die Hilfeleistungen im Einzelnen, die bei der jeweiligen Verrichtung erforderlich sind.

4. Wie oft am Tag und mit welchem Zeitaufwand sind Hilfen durch eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Person für die in Ziffer 2 aufgeführten Verrichtungen erforderlich? Begründen Sie die erforderlichen Hilfestellungen getrennt nach Hilfen der Grundpflege und Hilfen der hauswirtschaftlichen Versorgung.

5. Für welche Verrichtungen benötigt die Klägerin aufgrund der Krankheiten oder Behinderungen welche Hilfeleistungen aus welchen Gründen auch in der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr?

6. Wie hoch ist der Gesamtzeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Person für die erforderlichen Hilfeleistungen, getrennt nach Hilfen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, wöchentlich und entsprechend im Tagesdurchschnitt benötigt? Zu berücksichtigen ist der ohnehin erforderliche altersbedingte Hilfebedarf.

7. Welche Veränderungen sind seit der Antragstellung auf Pflegeleistungen im Hilfebedarf eingetreten und wie, insbesondere in welchem zeitlichen Umfang und für welchen Zeitraum wirken sie sich auf die erforderlich zu erbringenden Hilfeleistungen aus?

8. Wer führt die Pflegeleistungen durch und ist die Hilfeleistung durch diese Person oder sonst ausreichend gesichert?

Die Antragstellerin erstattete am 12. August 2007 aufgrund einer ambulanten Untersuchung vom 1. Februar 2007 ein Gutachten von insgesamt 57 Seiten sowie weiterer 19 Seiten Anlagen. In ihrer Kostenrechnung vom 8. August 2007 machte sie insgesamt 2.264,80 EUR geltend, die sich wie folgt zusammensetzen:

- Aktenstudium 3,5 Stunden - Ausarbeitung 13,5 Stunden - Untersuchung 4,0 Stunden - Diktat, Korrektur 12 Stunden

insgesamt gerundet 33 Stunden x 50,00 EUR = 1.650,00 EUR

- Schreibauslagen (Gesamtanzahl der Anschläge = 184.379) Original 0,75 EUR je angefangene 1000 Anschläge 146,28 EUR - Kopien: für die ersten 50 Seiten x 0,50 EUR 25,00 EUR 181 für jede weitere Seite x 0,15 EUR 19,65 EUR - Portoauslagen (inkl. Expresszustellung) 31,66 EUR - Fahrtkosten 30,60 EUR

insgesamt 1.903,19 EUR

zzgl. Mehrwertsteuer 361,61 EUR

Schlusssumme: 2.264,80 EUR

Die Kostenbeamtin des Sozialgerichts hat mit Schreiben vom 18. September 2007 die Entschädigung für das Pflegegutachten auf 1.225,18 EUR festgesetzt und dazu ausgeführt: Die Stundenangaben für die Ausarbeitung sowie für Diktat und Korrektur seien überhöht und zu kürzen. Nicht von der Beweisanordnung erfasst seien das Anschreiben, sowie das Deckblatt, welches mit den allgemeinen Geschäftskosten abgegolten sei. Dies gelte auch für die Wiederholung der gerichtlichen Beweisfragen auf drei Seiten sowie für die zwei Seiten, die eine unverlangte Situationsbeschreibung enthalten hätten. Bezogen auf die Beweisfrage 1 seien nur die Erläuterungen erstattungsfähig, die auf den eigenen Überlegungen der Sachverständigen beruhen. Demgegenüber enthalte das Gutachten auf 16,5 Seiten die Wiedergabe des gesamten Akteninhalts und die Verweisung und Erläuterungen von Fremdbefunden. Nicht berücksichtigungsfähig seien ferner die allgemeinen Schilderungen zu verschiedenen Erkrankungen oder Fachbegriffen sowie die Angabe von Äußerungen des Pflegepersonals und der Angehörigen. Nach allgemeinen Erfahrungen lasse sich auf dem Gebiet der Pflegeversicherung die Erkrankung des Versicherten auf 2 bis 4 Seiten darstellen, so dass statt der tatsächlich aufgewendeten 16,5 Seiten nur 4 Seiten abrechnungsfähig seien.

Für die Beantwortung der Beweisfrage 2 und 3 habe die Antragstellerin im Pflegegutachten insgesamt 29,5 Seiten aufgewandt und zur besseren Veranschaulichung Tabellen (insgesamt 5 Seiten) verwandt. Diese Tabellen seien zur Beantwortung der Beweisfrage 2 ausreichend. Zusätzliche Erläuterungen hätten auf 2 Seiten erfolgen können. Bezogen auf die Beweisfrage 3 hätte die Beschreibung des konkreten Hilfebedarfs und der Hilfestellungen aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf 5 Seiten erfolgen können. Die Beweisfragen 4 bis 8 seien angemessen auf 5 Seiten beantwortet worden. Insgesamt sei daher das Gutachten auf 21 Seiten zu kürzen. Hinsichtlich der Ausarbeitung des Gutachtens sei nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen davon auszugehen, dass binnen einer Stunde 3 Seiten erstellt werden könnten. Dies führe zu einer Ausarbeitungszeit von 7 Stunden. Erfahrungsgemäß könne nach Vorbereitung pro Stunde ein Text von 6 Seiten diktiert und korrigiert werden. Dies ergebe bei 21 Seiten einen Zeitaufwand von 3,5 Stunden, also insgesamt 18 Stunden. Bei den Schreibauslagen sei wegen der Kürzungen von 26 Seiten mit je 1.750 Anschlägen auszugehen. Dies rechtfertige für 27 Seiten eine Abrechnung von rund 47.250 Anschlägen und einen erstattungsfähigen Betrag von 36,00 EUR. Für die Kopien seien 27 Seiten Gutachten sowie 19 Seiten Testunterlagen, d.h. 46 Seiten zu berücksichtigen. Für 2 Kopien des Gutachtens seien daher 92 Seiten zu berücksichtigen, was einen Erstattungsbeitrag von 31,30 EUR rechtfertige. Antragsgemäß seien Portoauslagen von 31,66 EUR und die Fahrtkosten aus Anlass des Hausbesuchs von 30,60 EUR zu erstatten. Die Antragstellerin widersprach am 28. September 2007 der Rechnungskürzung und beantragte die richterliche Festsetzung. Die vorgenommenen Kürzungen seien unberechtigt. Der gesamte Umfang des Gutachtens sei angemessen und mache es überhaupt erst nachvollziehbar. Außerdem müsse ihre Qualifikation berücksichtigt werden.

Der Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsgegner) machte geltend: Die Vergütung sei auf 1.269,50 EUR festzusetzen. Für die Erstellung des Pflegegutachtens seien 18 Stunden angemessen. Nach umfangreichen Analysen habe sich bei Pauschalvereinbarungen von Pflegegutachten ein durchschnittlicher Zeitaufwand von 10 Stunden ergeben. Eine stichprobenweise vorgenommene Auszählung habe 40 Zeilen je 80 Anschläge, d.h. 3.200 Anschlägen je Seite ergeben. Bei 27 Seiten sei von 86.400 Anschlägen auszugehen und der Entschädigungsanspruch auf 65,25 EUR festzusetzen. Daneben bestehe ein Anspruch auf Auslagenentschädigung für 92 Kopien in Höhe von 31,30 EUR sowie für Lichtbilder in Höhe von 8,00 EUR für 4 Lichtbilder. Der berechtigte Anspruch setze sich daher aus 900,00 EUR (Zeitaufwand), 104,55 EUR (Schreibauslagen), 31,66 EUR (Porto), 30,60 EUR (Fahrtkosten) sowie 202,69 EUR (Umsatzsteuer) zusammen.

Mit Beschluss vom 21. November 2007 hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau die Entschädigung auf 1.269,50 EUR festgesetzt und ist in der Begründung der Auffassung der Kostenbeamtin unter Beachtung der Teilabhilfeentscheidung des Antragsgegners gefolgt.

Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 28. November 2007 zugestellten Beschluss am 21. Dezember 2007 Beschwerde beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und geltend gemacht: Die Kürzungen des Zeitaufwandes für die Ausarbeitung und für Diktat und Korrektur seien unberechtigt. Sie habe sich an die Beweisanordnung gehalten. Auch sei es erforderlich gewesen, den Akteninhalt wiederzugeben, um sich ausführlich mit den Vorbefunden und den anderen Gutachten auseinanderzusetzen. Ihr Gutachten enthalte auf 57 Seiten 184.379 Anschläge und sei in den Zeilenabständen gering. Bei üblichen Anschlagszahlen pro Seite von 1.750 Anschlägen je Seite hätte dies sogar einen Seitenumfang von 105,36 Seiten ergeben. Bei Kürzung der Seitenzahl auf 21 Seiten und einem Mittel von 3.200 Anschlägen bestünde für die Ausarbeitung des Gutachtens ohnehin ein anerkennenswerter Arbeitsaufwand von 13,5 Stunden. Gleiches gelte auch für den Bearbeitungsaufwand für Diktat und Korrektur. Die erforderliche Seitenzahl des Gutachtens rechtfertige Aufwendungen in Höhe von 190,93 EUR. Es sei zudem nicht klar, auf welcher Grundlage von einer Anschlagszahl von 1.750 Anschlägen je Seite ausgegangen werde, wenn tatsächlich 3.200 Anschläge je Seite aufgewendet worden seien.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. November 2007 aufzuheben und die Entschädigung für das Gutachten vom 12. August 2007 auf 2.264,80 EUR festzusetzen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Auf Nachfrage des Berichterstatters, inwieweit das Anlagenkonvolut des Gutachtens von 19 Seiten bei der Abrechnung berücksichtigt worden sei, hat die Antragstellerin am 24. Juni 2008 mitgeteilt, für diesen Arbeitsaufwand seien an sich zusätzlich 6 Stunden abzurechnen gewesen, worauf sie aber "angesichts der bestehenden Rechnungs-position aus rituellen Gegebenheiten" verzichtet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragsakte (S 3 SF 65/07) sowie die Gerichtsakte S 3 P 65/06 Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet.

Der Senat hat bei seiner Entscheidung grundsätzlich die gesamte Entschädigung zu überprüfen und ggf. zu korrigieren, unabhängig davon, inwieweit sie angegriffen worden ist. Ein sog. Verböserungsverbot besteht dabei nicht (vgl. ausführlich Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG, 24. Auflage 2007, § 4 Rdnr. 4.12 m.w.N).

Nach § 8 Abs. 1 des Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetzes (JVEG) erhalten Sachverständige als Vergütung neben einem Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), einen Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), eine Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie einen Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll abgerechnet, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbsatz 1).

Das rechtzeitig nach § 2 Abs. 1 JVEG von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Honorar ist nach diesen Vorschriften auf 1.856,52 EUR festzusetzen.

Zunächst hat das Sozialgericht den Honorarsatz zutreffend mit 50,00 EUR angesetzt. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG erhalten medizinische Sachverständige für jede Stunde ein Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85 EUR, je nachdem, welcher Honorargruppe das erstattete Gutachten zuzuordnen ist. Die Zuordnung zu einer Honorargruppe bestimmt sich nach der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG. Hiernach werden die medizinischen Gutachten entsprechend ihrer Schwierigkeit in drei Honorargruppen (M 1 bis M 3) eingeteilt. Insofern sind sie nach billigem Ermessen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG) einer Honorargruppe entsprechend den dort aufgeführten Definitionen zuzuordnen:

M 1: Einfache gutachterliche Beurteilungen, insbesondere - in Gebührenrechtsfragen, - zur Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einer Monoverletzung, - zur Haft-, Verhandlungs- oder Vernehmungsfähigkeit, - zur Verlängerung einer Betreuung.

M 2: Beschreibende (Ist-Zustands)Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad.

M 3: Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen).

Nach dem Wortlaut der Regelung in Anlage 1 ist für die Zuordnung der medizinischen Sachverständigenleistungen zu den Honorargruppen M 1 bis M 3 der Schwierigkeitsgrad des Gutachtens entscheidend. Dabei wird der Schwierigkeitsgrad eines Gutachtens nicht durch das Fachgebiet, in dem es erstattet wird, sondern durch den konkreten Gegenstand, also die Fragestellung des Gutachtens bestimmt. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der die Staffelung der Leistungen nach den medizinischen Honorargruppen aufwandsbezogen ausgestalten wollte (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 4 B 7/04 zitiert nach juris). Die Vergütung soll sich an den verschiedenen Gegenständen medizinischer Gutachten und deren Umfang orientieren (BT-Drucks. 15/1971 S. 182, 186).

Bei der Beweisanordnung vom 8. Dezember 2006 handelt es sich um einen standardisierten, einfachen Fragenkatalog zur Ermittlung der Pflegestufe nach dem SGB XI, der keine besonderen Schwierigkeiten erkennen lässt. Die Einordnung des Gutachtens in die Kategorie M 1 ist daher nachvollziehbar und ein Stundensatz von 50,00 EUR gerechtfertigt.

Für die Vergütung des Sachverständigen ist nicht die tatsächlich aufgewandte, sondern gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG die für die Erstattung des Gutachtens erforderliche Zeit entscheidend. Der unbestimmte Rechtsbegriff "erforderliche Zeit" ist in Anlehnung an die frühere Vorschrift des § 3 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) und die dazu ergangene Rechtsprechung auszulegen. Die erforderliche Zeit ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem Aufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen orientiert (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98, zitiert nach juris). Abgesehen von dem Sonderfall des § 12 Abs. 1 Nr. 3 zweiter Halbsatz JVEG ist eine Schätzung des tatsächlichen Zeitaufwandes als Grundlage eines nach Stundensätzen bemessenen Honorars der gesetzlichen Regelung fremd und rechtswidrig (BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Juli 2007 – 1 BvR 55/07, zitiert nach juris).

Maßstab für die Feststellung des erforderlichen Zeitaufwandes ist derjenige Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen braucht, um sich nach sorgfältigem Aktenstudium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehenden Überlegungen seine gutachterliche Stellungnahme zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen. Dabei sind der Umfang des unterbreiteten Streitstoffs, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Juli 2007, a.a.O., unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003, a.a.O.; ebenso LSG Thüringen, Beschluss vom 4. April 2005 – L 6 SF 83/05, zitiert nach juris).

Die von dem Antragsgegner vorgenommene pauschale Kürzung der berücksichtigungsfähigen Seitenzahl nach dem Maßstab eines typischen, nicht näher dargestellten standardisierten Pflegegutachtens bzw. aufgrund von Erfahrungswerten ist mit dem JVEG unvereinbar. Der nach Stunden abzurechnende Vergütungsanspruch richtet sich nach den Angaben des Sachverständigen und nach dem Inhalt des Gutachtens. Andere Faktoren, wie z.B. sachliche Richtigkeit und Überzeugungskraft des Gutachtens, sind nach dem Gesetz kein Maßstab für die Höhe der dem Sachverständigen zu gewährenden Entschädigung. Es kommt allein darauf an, dass diese Leistung überhaupt erbracht worden ist, nicht etwa auch darauf, wie das Gericht oder die Prozessbeteiligten das Gutachten nach qualitativen Maßstäben beurteilen. Der Entschädigungsanspruch ist dem Sachverständigen lediglich dann (teilweise) zu versagen, wenn in seiner (teilweise) mangelhaften Leistung gleichzeitig eine schuldhafte Pflichtverletzung liegt und das Beweisthema zumindest zum Teil verfehlt worden ist. Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. Das Sachverständigengutachten ist vom Gericht insgesamt verwertet worden und hat sogar zu einer Verfahrens-beendigung beigetragen.

Bei der Prüfung, welcher nach dem JVEG berücksichtigungsfähige (Zeit-)Aufwand für das Gutachten erforderlich war, ist wie folgt vorzugehen: Die Erstellung eines Gutachtens gliedert sich grundsätzlich in vier vergütungspflichtige Arbeitsschritte, die einzeln zu prüfen sind:

1. Zeitaufwand für Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten 2. Zeitaufwand für Untersuchung und Anamnese 3. Zeitaufwand für die Abfassung der Beurteilung 4. Zeitaufwand für Diktat und Korrektur

Zu 1. Beim Zeitaufwand für das Aktenstudium ist von einem Rahmen von 50 bis 100 Seiten je Stunde auszugehen. Dies entspricht einem Durchschnittswert von ca. 75 Aktenblättern pro Stunde, die durchgesehen und fachgerecht zur Verwertung aufbereitet werden können (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 27. Februar 2007 – L 2 SF 112/05 P, zitiert nach juris). Die von der Sachverständigen angegebene Zeit von 3,5 Stunden bewegt sich in diesem Rahmen und ist zu Recht von dem Antragsgegner unbeanstandet geblieben.

Zu 2. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Untersuchungsaufwand von 4,0 Stunden (einschließlich Fahrtzeit) ist nachvollziehbar und unterliegt auch nach Auffassung des Antragsgegners keinen Bedenken.

Zu 3. Der von der Antragstellerin angegebene Zeitaufwand für die Ausarbeitung von 13,5 Stunden ist nach Durchsicht des Gutachtens zu kürzen.

Zunächst ist der Sachverständigen beim erforderlichen Zeitaufwand ein gewisser Einschätzungsspielraum zuzubilligen. Es bleibt ihr überlassen, wie sie ihr Gutachten verfasst, wie sie die Antworten auf die gestellten Fragen entwickelt und welche Form sie für die Darstellung wählt. Daher ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben der Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind. Eine Überprüfung ist erst dann geboten, wenn die Angaben unplausibel sind und ihnen deshalb nicht vollständig gefolgt werden kann.

Unplausibel sind beispielsweise Ausführungen, die sich auf die bloße Wiedergabe des gerichtlichen Beweisthemas beschränken oder vorausgegangene Textpassagen lediglich wiederholen. Das Gutachten der Antragstellerin beginnt nach Wiederholung der Beweisfragen auch ihren Angaben zufolge erst auf Seite 5 nach der Überschrift "Gutachten gemäß Beweisfragen". Daneben sind die von ihr eingesetzten Tabellen, die lediglich eine Zusammenfassung der vorhergehenden ausführlichen Textpassagen darstellen, als nicht erstattungsfähige Wiederholung anzusehen. Nach Auswertung des Gutachtens sind daher am Anfang 4 ¼ Seiten und wegen der zahlreichen Tabellen ab Seite 25 insgesamt 10 Seiten vom Gutachten abzuziehen. Die letzte Seite des Gutachtens enthält keine inhaltlichen Ausführungen mehr, so dass der abrechnungsfähige Gutachtenumfang tatsächlich nur 46 Seiten beträgt. Dadurch reduziert sich der Zeitaufwand für die Ausfertigung von 13,5 Stunden für 57 Seiten auf aufgerundet 11 Stunden für 46 Seiten.

Die vom Antragsgegner darüber hinaus vorgenommene Kürzung des Gutachtens für die Beweisfrage 1 ist dagegen nicht berechtigt. In Anbetracht des weiten Prüfungsrahmens, den das Gericht selbst vorgegeben hat, durfte die Antragstellerin den Akteninhalt unter Einbeziehung der Angaben von Pflegepersonen und Angehörigen darstellen. Eine nennenswerte Abweichung von der Beweisfrage ist dabei nicht erkennbar.

Der von der Antragstellerin geltend gemachte erhebliche Zeilenumfang in ihrem Gutachten rechtfertigt dagegen keine Neubewertung. Ihre geltend gemachte Anschlagszahl von 184.379 für 57 Seiten innerhalb von 12 Stunden ist allerdings ungewöhnlich hoch. So geht das Hessische LSG bei einer Standardseite eines Gutachtens von lediglich 1800 Anschlägen aus (Beschluss vom 27. Februar 2007 – L 2 SF 112/05 P, zitiert nach juris). Anzunehmen ist auch, dass ein Sachverständiger bei der Abfassung der Beurteilung, d. h. der Beantwortung der Beweisfragen und der Darstellung der eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich argumentativer Begründung, einen Zeitaufwand von ca. einer Stunde für 3 Seiten benötigt (LSG Thüringen, Beschluss vom 10. Januar 2005 – L 6 SF 979/04, zitiert nach juris). Nach diesen Richtwerten müsste das Gutachten der Antragstellerin bei 1800 Anschlägen pro Standardseite ca. 102 Seiten umfassen und hätte eine Ausarbeitungszeit von mehr als 34 Stunden erfordert.

Solche, möglicherweise die Grenze des Erforderlichen überschreitende Werte, hat die Antragstellerin aber nicht geltend gemacht. Der Senat ist daher an den von ihr abgerechneten Stundensatz für die Ausarbeitung gebunden und hat keinen Anlass, über diese Angaben hinauszugehen. Dies gilt auch für die nicht am Beweisthema orientierten und daher wohl nicht abrechnungsfähigen Anlagen, die nach den Angaben der Antragstellerin einen erheblichen Arbeitsaufwand von 5,5 Stunden erfordert haben, deren Abrechung sie aber mit dem (verständlichen) Hinweis auf den Gesamtaufwand nicht verlangt.

Für die Prüfung der Erforderlichkeit sind – wie ausgeführt – nur das Gutachten selbst, das gestellte Beweisthema und die von der Gutachterin geltend gemachte Arbeitszeit heranzuziehen. Der Senat sieht bei einem Gutachten der Honorargruppe M 1 darüber hinaus keine gesetzeskonformen Möglichkeiten, generelle Kappungsgrenzen bei Seitenzahlen festzulegen. Das Gutachten überschreitet hier zwar den üblichen Umfang vergleichbarer Gutachten bei weitem. Aufgrund des dargestellten weiten Gestaltungs-ermessens der Sachverständigen muss dies jedoch grundsätzlich hingenommen werden.

Zu 4. Im Arbeitsschritt "Diktat und Korrektur" wird allein der Zeitaufwand für das Diktieren und Korrigieren des Gutachtens vergütet. Im Interesse der Verwaltungsvereinfachung und einer gleichmäßigen Vergütung aller für die Sozialgerichtsbarkeit tätigen Sachverständigen geht der Senat von dem Erfahrungssatz aus, dass ein Sachverständiger für Diktat und Korrektur von etwa 6 Textseiten eine Stunde benötigt (Hessisches LSG, a.a.O.). Bei berücksichtigungsfähigen 46 Seiten ergibt sich daher ein Aufwand von aufgerundet 8 Stunden.

Aus den Leistungsabschnitten folgt ein zu vergütender Gesamtzeitaufwand von höchstens (3,5 + 4,0 + 11 + 8 =) 26,5 Stunden. Da bereits an zwei Positionen zugunsten der Antragstellerin aufgerundet worden ist, kann in der Addition der Gesamtstundenzahl nicht nochmals aufgerundet werden. Es verbleibt daher bei 26,5 Stunden. Bei einem Stundensatz von 50,00 EUR errechnet sich daraus eine Leistungsvergütung nach §§ 8,9 JVEG von 1.325,00 EUR.

Hinsichtlich des Aufwendungsersatzes, der sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 JVEG bestimmt, ist von folgender Berechnung auszugehen: Bei einer Gesamtanschlagszahl von 184.379 Anschlägen für 61 Seiten ergibt sich pro Seite ein Durchschnittswert von ca. 3.200 Anschlägen je Seite. Für die Kostenpauschale ist von 50 Seiten Gutachten mit einer Gesamtanschlagszahl von aufgerundet 160.000 Anschlägen auszugehen. Dies ergibt eine Kostenpauschale für die Erstellung des Originalgutachtens von (0,75 EUR pro angefangene 1.000 Anschläge x 160 =) 120,00 EUR. Daneben sind für Kopien zwei Mal 50 Seiten, d.h. 100 Seiten zu entschädigen. Daraus errechnen sich (50 x 0,50 =) 25,00 EUR sowie (50 x 0,15 EUR =) 7,50 EUR. Zu erstatten sind darüber hinaus die vier Lichtbilder in Höhe von 8,00 EUR, die unstreitigen Portoauslagen von 17,30 EUR und Fahrtkosten zur Durchführung des Hausbesuchs von 57,30 EUR.

Danach ist die Vergütung wie folgt zu berechnen:

26,5 Stunden zu 50 EUR 1.325,00 EUR

Schreibauslagen 120,00 EUR

Kopien und Lichtbilder 40,50 EUR Portokosten 17,30 EUR Fahrtkosten 57,30 EUR

Umsatzsteuer 296,42 EUR

Gesamtsumme 1.856,52 EUR

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).

gez. Fock gez. Dr. Wasser gez. Dr. Fechner
Rechtskraft
Aus
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