S 4 AS 3335/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 3335/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Eigenheimzulage wird "nachweislich" i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-V zur Finanzierung einer nicht als Vermögen zu berücksichtigenden Immobilie verwendet, wenn die jährliche Tilgungsleistung mindestens den Zahlbetrag der Eigenheimzulage erreicht. Liegt die jährliche Tilgungsleistung darunter, ist die Eigenheimzulage in Höhe des Differenzbetrages anzurechnen. Die Eigenheimzulage senkt auch nicht unmittelbar die Kosten der Unterkunft gem. § 22 Abs. 1 SGB II.
Der Bescheid vom 11. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2006 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung der Eigenheimzulage für die Zeit vom 01. April 2006 bis 30. Juni 2006 zu gewähren. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob die Eigenheimzulage für das Jahr 2006 auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) anzurechnen ist.

Bis einschließlich März 2006 bezog der Kläger zu 1 Arbeitslosengeld I in Höhe von 1.400,70 EUR monatlich. Die Klägerin zu 2 erhält Arbeitslosengeld I in Höhe von 387,90 EUR monatlich sowie aus einer Nebenbeschäftigung 372,- EUR monatlich. Die Kläger bewohnen ein fremdfinanziertes Eigenheim in ... und erhalten hierfür Fördermittel der L-Bank. Die von den Klägern zu 1 und 2 zu bedienenden Darlehensraten belaufen sich auf insgesamt 1.165,97 EUR monatlich.

Am 27.02.2006 beantragte der Kläger zu 1 für sich und seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau (Klägerin zu 2) sowie die gemeinsamen 3 Kinder (Kläger zu 3 - 5) Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 11.04.2006 bewilligte der Beklagte ab 01.04.2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von 1.145,11 EUR.

Bei der Berechnung des Bedarfs für die Kosten der Unterkunft und Heizung legte der Beklagte folgende Positionen zugrunde:

Schuldzinsen 627,62 EUR Heizung Tats. Heizkosten 102,50 EUR Abzgl. Warmwasserpauschale - 16,91 EUR 85,59 EUR (2 x 4,45 EUR zzgl. 3 x 2,67 EUR) Nebenkosten Müll 248,28 EUR / 12 = 20,69 EUR Wasser 61,00 EUR / 2 = 30,50 EUR Abwasser 40,00 EUR / 2 = 20,00 EUR Grundsteuer 191,32 EUR / 12 = 15,90 EUR Gebäudebrandvers. 170,16 EUR / 12 = 14,18 EUR Schornsteinfeger 95,44 EUR / 12 = 7,95 EUR 109,22 EUR

Gesamtkosten 822,43 EUR

Hiervon setzte der Beklagte die zum 15.03.2006 ausgezahlte Eigenheimzulage in Höhe von 5.061,79 EUR umgerechnet auf den Monat in Höhe von monatlich 421,82 EUR ab und anerkannte von den Gesamtkosten in Höhe von 822,43 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 400,61 EUR monatlich an.

Hiergegen legte der Kläger zu 1 am 28.04.2006 Widerspruch ein und machte geltend, die Kosten der Unterkunft und Heizung seien zu gering berechnet worden. Für 400,61 EUR könne nicht einmal die bescheidenste Unterkunft angemietet werden. Allein die Nebenkosten für das von ihnen bewohnte Haus würden monatlich ca. 300,- EUR incl. Strom betragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2006 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, nach der geltenden SGB II - Richtlinie zu § 22 SGB II senke die Eigenheimzulage die Unterkunftskosten.

Der Kläger zu 1 hat am 08.09.2006 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, zu Unrecht habe der Beklagte die Eigenheimzulage als den Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung mindernden Betrag berücksichtigt. Hierbei handele es sich um eine zweckbestimmte Einnahme. Die Darlehen würden bislang mit der gewährten Eigenheimzulage bedient werden.

Auf Anregung des Gerichts ist die Klage auf die in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen erweitert worden.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 11. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne Anrechnung der Eigenheimzulage zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erachtet den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand ist allein der Bescheid vom 11.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2006. Eine Einbeziehung weiterer Bescheide für Folgezeiträume in analoger Anwendung des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kommt nicht in Betracht (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R -).

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 18.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2006 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Die Kläger haben Anspruch auf die Regelleistung sowie die Leistungen für Unterkunft und Heizung ohne Anrechnung der Eigenheimzulage. Die Eigenheimzulage ist weder als Einkommen nach § 11 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen (Ziff. 1) noch senkt sie unmittelbar die Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II (Ziff. 2).

1. Nach § 11 Abs. 1 SGB II sind grundsätzlich jegliche Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen. Für einmalige Einnahmen bestimmt § 2 Abs. 3 der auf der Grundlage des § 13 SGB II erlassenen Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V), dass diese auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag anzusetzen sind. Damit ist jedoch noch nichts über die Frage der Anrechenbarkeit selbst gesagt. Diese richtet sich nach § 11 Abs. 3 SGB II sowie § 1 Abs. 1 ALG II-V. Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind gemäß § 11 Abs. 3 SGB II Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen oder Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Vorliegend kann dahinstehen, ob die Eigenheimzulage eine zweckbestimmte Einnahme ist und somit bereits nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II eine Anrechnung nicht erfolgen darf (so die überwiegende Meinung in der Rechtsprechung, vgl. Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.05.2007 - L 12 AS 32/06 -; LSG Saarland, Urteil vom 09.05.2006 - L 9 AS 2/05 -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.05.2005 - L 8 AS 39/05 ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005 - L 5 AS 116/05 ER-B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B). Jedenfalls ist nach der Änderung des § 1 Abs. 1 Alg II-V durch die ab 01.10.2005 geltende Änderungsverordnung mit der u.a. eine Nr. 7 eingeführt wurde, klargestellt, dass nicht als Einkommen die Eigenheimzulage berücksichtigt wird, soweit sie "nachweislich zur Finanzierung einer nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II nicht als Vermögen zu berücksichtigenden Immobilie verwendet wird". Damit wurde vom Gesetzgeber für die Leistungen nach dem SGB II die inhaltsgleiche Regelung übernommen, wie sie bereits zuvor im Bereich der Arbeitslosenhilfe - dort § 194 Abs. 3 Nr. 4 SGB III - gegolten hat. Insoweit ist gerade keine Angleichung mit den Vorschriften im Bereich der Sozialhilfe erfolgt. Sowohl § 77 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) als auch die Nachfolgevorschrift des § 83 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bestimmen, dass Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen sind, als die Sozialhilfe im Einzelfall dem selben Zweck dient. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat hierzu entschieden, dass die Eigenheimzulage nicht privilegiert ist und somit als Einkommen anzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.05.2003 - 5 C 41/02 -). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass für die Gewährung der Eigenheimzulage in keiner der Vorschriften des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) ein bestimmter Zweck ausdrücklich genannt ist, sodass aus den §§ 2, 4 und 5 EigZulG die Zweckneutralität der Eigenheimzulage folgt. Diese Entscheidung ist mit Blick auf die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-V nicht auf die Leistungen nach dem SGB II übertragbar.

Demnach kommt es vorliegend allein darauf an, ob die Eigenheimzulage von den Klägern nachweislich zur Finanzierung verwendet worden ist. Nicht geklärt ist bislang, welche Anforderungen an den Finanzierungsnachweis zu stellen sind. Die Durchführungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 11 SGB II bestimmt in Ziff. 11.17, dass aus dem Nachweis hervorgehen muss, dass die Eigenheimzulage an die finanzierende Bank weitergeleitet wurde (Finanzierungsvereinbarung, Überweisungsbeleg, Quittung). Nach Auffassung der Kammer kann hieraus jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass nur die unmittelbare Auskehrung des Betrages an die finanzierende Bank die Voraussetzungen des § 1 Nr. 7 Alg II-V erfüllt. Denn diese Sichtweise würde diejenigen Hilfebedürftigen unangemessen bevorzugen, die keine oder nur geringe monatliche Tilgungsleistungen erbringen und zum Ausgleich dafür beispielsweise den Anspruch auf Eigenheimzulage an die finanzierende Bank abtreten. Benachteiligt wären diejenigen Hilfebedürftigen, die monatlich Tilgungsleistungen erbringen, für diese Zahlungen jedoch die jährlich angewiesene Eigenheimzulage verwenden. Zur Finanzierung im Sinne des Verordnungstextes dient demnach die Eigenheimzulage in vollem Umfang jedenfalls dann, wenn die jährliche Tilgungsleistung mindestens den Zahlbetrag der Eigenheimzulage erreicht. Liegt die jährliche Tilgungsleistung darunter, ist die Eigenheimzulage teilweise anzurechnen. Diese Sichtweise entspricht auch der Empfehlung des Ombudrats, auf dessen Initiative hin die Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-V eingeführt wurde. Dieses Gremium wurde in Deutschland von der ehemaligen Bundesregierung mit dem Ziel eingerichtet, die Umsetzung des SGB II zu begleiten. Es hat am 01.12.2004 seine Arbeit aufgenommen und u.a. eine Anrechnung der Eigenheimzulage auf das Einkommen deshalb kritisiert, weil dies dem gesetzgeberischen Ziel, den Eigenheimerwerb möglichst auf breiter Basis zu fördern, entgegensteht. Wohneigentum kann jedoch nur dann gebildet werden, wenn die zur Finanzierung der Wohnung/des Hauses aufgenommenen Darlehen getilgt werden. Werden Darlehen von den Schuldnern nicht mehr bedient, ist eine Kündigung des Darlehens unvermeidlich. Folge hiervon ist wiederum, dass das Objekt verkauft oder versteigert werden müsste. Damit entfällt auch der Anspruch auf die Zulage (vgl. 11 Abs. 3 EigZulG). Eine Anrechnung der Eigenheimzulage, die zur Darlehensfinanzierung verwendet wird, widerspricht somit dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-V.

Nach den vorgelegten Unterlagen bestehen keine Zweifel daran, dass die im März 2006 ausgezahlte Eigenheimzulage in vollem Umfang für die Tilgung der im Zusammenhang mit dem von den Klägern bewohnten Eigenheim aufgenommenen Darlehen verwendet worden ist. Die Tilgung für das Jahr 2006 beläuft sich ausgehend von einer monatlichen Darlehensrate von 1.165,97 EUR und einer Zinszahlung von 627,62EUR auf 538,35 EUR x 12, somit auf insgesamt 6.460,20 EUR. Die Tilgung übersteigt damit die Eigenheimzulage von 5.061,79 EUR um 1.398,41 EUR.

2. Entgegen der Auffassung des Beklagten senkt die Eigenheimzulage auch nicht unmittelbar die Kosten der Unterkunft. Ein Vergleich mit Einnahmen aus Untermietverhältnissen vermag nicht zu überzeugen. Diese Argumentation berücksichtigt nicht, dass - wie bereits ausgeführt - die Eigenheimzulage bei zweckentsprechender Verwendung nach dem Willen des Gesetzgebers nicht als Einkommen angerechnet werden darf. Diese ausdrücklich gewollte Privilegierung der Eigenheimzulage würde vollständig unterlaufen werden, wenn sie zwar nicht auf die Regelleistung, jedoch in einem weiteren Schritt auf die Leistung der Unterkunft angerechnet würde. Bereits vor diesem Hintergrund kann der Ansicht des Beklagten nicht gefolgt werden.

Im Übrigen erscheint es auch zweifelhaft, die Eigenheimzulage - wie der Beklagte ausgeführt hat - nicht als Einkommen zu qualifizieren. Einkommen sind nach der gesetzlichen Definition des § 11 Abs. 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Hierzu gehört auch die Eigenheimzulage. Die Berücksichtigung als Einkommen hat jedoch zwingend zur Folge, dass dieses gemäß § 19 Satz 2 SGB II zunächst auf die Leistungen der Agentur für Arbeit anzurechnen ist und sodann - mit dem übersteigenden Anteil - auf die Geldleistungen des kommunalen Trägers. Insoweit müsste, sofern die Eigenheimzulage nach Ansicht des Beklagten berücksichtigt werden sollte, die Anrechnung richtigerweise auf die Regelleistung erfolgen und nicht auf die Leistungen für Unterkunft. Wenngleich dieses Ergebnis für den Hilfebedürftigen ohne Bedeutung ist, so hat es jedenfalls Auswirkungen auf die Leistungsverpflichteten (Bundesagentur für Arbeit einerseits und kommunaler Träger andererseits).

Die Klage war somit erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Rechtskraft
Aus
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