L 1 P 2/07

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 48 P 117/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 P 2/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am XX.XXXXXXXXX 1932 geborene Klägerin begehrt Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II, hilfsweise nach der Pflegestufe I.

Die Klägerin, die ihren Hauptwohnsitz mit ihrem Ehemann in G./Österreich hat, bezieht eine Altersrente der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd. Zurzeit hält sie sich überwiegend in Kroatien auf. Sie stellte unter dem 23. März 2001 einen Antrag auf Pflegegeld, fügte einen Röntgenbefund des Facharztes für Radiologie S. vom 12. Januar 2001 sowie den österreichischen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. bei und gab an, sie habe infolge längerer anstrengender Arbeit von 1982 bis 1985 durch eine Baukatastrophe beim Bau ihres Hauses in T. gesundheitliche Folgeschäden in Gestalt knöcherner Verletzungen, Verstauchungen, Funktionsstörungen, Schmerzen in der Wirbelsäule sowie in Hüft- und Kniegelenken, Rheumatismus, einer Entzündung der Symphyse, psychische Störungen, Nervenerschütterung, Schock und Angstzuständen und seelische Pressionen erlitten.

Auf Veranlassung der Beklagten wurde die Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 6. November 2001 in ihrer Wohnung untersucht. Die Pflegefachkraft P. ermittelte den Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege (Körperpflege einschließlich Darm- und Blasenentleerung, Ernährung und Mobilität) mit 0 Minuten pro Tag. Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung erfolgte eine Bedarfsansetzung von 20 Minuten pro Tag. Bei der Klägerin bestehe eine Mobilitätsbeeinträchtigung bei degenerativen Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Sie befinde sich ansonsten in einem guten Zustand. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 11. Dezember 2001 ab. Diese legte hiergegen Widerspruch ein. Zu bemängeln sei insbesondere, dass ihr Hausarzt Dr. Z. nicht gehört worden sei. Ein weiteres eingeholtes Gutachten des MDK (Begutachtung am 22. Mai 2002 durch die Pflegefachkraft T.) stellte bei gutem Allgemeinzustand einen täglichen Grundpflegebedarf der Klägerin von 3 Minuten (Körperpflege: 0 Minuten, Ernährung: 0 Minuten, Mobilität: 3 Minuten – viermal in der Woche Unterstützung beim An- und Entkleiden = 2 Minuten + 1 Minute pro Tag) fest. Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung wurde ein Bedarf von 25 Minuten pro Tag angesetzt. Die Klägerin gehe im Haus sicher ohne Stock, bei Einkäufen werde der Gehstock genutzt. Mit dem behandelnden Arzt Dr. Z. sei Kontakt aufgenommen wurden; dieser habe ebenfalls angenommen, dass kein (ausreichender) Grundpflegebedarf gegeben sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2003 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 26. November 2003 Klage erhoben. Sie reichte hinsichtlich ihres Pflegebedarfs eine Bescheinigung ihres behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin Dr. P1 vom 27. Januar 2004 ein und trug vor, der Pflegebedarf sei völlig falsch eingeschätzt. Sie leide an einer allgemeinen Polyarthrose, zerebraler Sklerose und einer hochgradig degenerativen Wirbelsäulenerkrankung. Sie habe schlimme Erlebnisse im Krieg hinter sich. Am 11. April 1983 sei ihr Haus in T. durch einen Erdrutsch zerstört worden. Hierbei habe sie Prellungen und Blutergüsse erlitten, sei an der Wirbelsäule verletzt worden und habe ein psychisches Trauma erlitten. Sie sei bis zur Brust in Schlamm verschüttet worden und habe auch erleben müssen, dass ihr Ehemann und ihr Sohn verschüttet worden seien. Im April 2003 habe sich ihre Krankheit so verschlechtert, dass sie sich nicht mehr habe bewegen können und rund um die Uhr versorgt und betreut werden müssen. U.a. habe sie Dienstleistungen nach Bedarf vom Personal des Alten- und Pflegeheims L. (Slowenien), wo sie seit 1. Juli 2003 eine "geschützte" Wohnung angemietet habe, in Anspruch genommen. Die Einrichtung des Pflegezentrums L. sei durchaus vergleichbar mit einem deutschen Pflegeheim. Ab Ende März 2004 habe sich ihr Gesundheitszustand ein wenig gebessert, so dass sie sich von Zeit zu Zeit in G. an ihrem Hauptwohnsitz habe aufhalten können. Allerdings müsse sie weiterhin Pflegeleistungen von ihrem Ehemann und ihrer Tochter in Anspruch nehmen. Die Klägerin hat ferner Privatgutachten von Dr. P1 vom 7. April und 6. Mai 2005 über die Folgen des Unfalls vom 11. April 1983 eingereicht.

Das Sozialgericht hat nach Beiziehung der Behandlungsunterlagen der Privatklinik K. in G. über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 24. Juni bis 2. Juli 2003 sowie Einholung von Befundberichten von Dr. P1 vom 8. November 2004 und des Arztes im Kurzentrum L. Dr. K1 den Facharzt für Allgemeinmedizin W. beauftragt, ein schriftliches Gutachten nach Aktenlage zu erstellen. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 12. Juli 2005 die Diagnosen: Langjährige depressive Angsterkrankung, chronisch degeneratives Wirbelsäulenleiden, im Jahr 2003 begonnene chronische Polyarthritis, gut eingestellter Bluthochdruck, anamnestisch Zustand nach Bandscheibenoperation 1964 im LWS-Bereich. Er legte weiter dar, dass die Erkrankungsdiagnosen keinen Rückschluss auf bestimmte Funktionsdefizite erlaubten, die wiederum Hilfe bei der Grundpflege erforderlich machen würden. Ein objektiv dauerhaft bestehender relevanter Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege lasse sich deshalb nicht objektivieren. Soweit in der Bescheinigung von Dr. P1 Hilfebedarfe mit Zeitangaben mitgeteilt würden, seien diese nicht nachvollziehbar oder ließen die Hilfezeiten nach den deutschen Pflegeversicherungsrichtlinien außer Betracht.

Die Klägerin blieb weiterhin bei ihrem Standpunkt und legte von Dr. P1 Privatgutachten vom 9. Januar und 29. Mai 2006 vor.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat das Sozialgericht den Gutachter W. angehört. Dieser hat ausgeführt, dass die 45-Minuten-Schwelle beim Hilfebedarf in der Grundpflege nicht überschritten werde. Selbst wenn man annehmen müsste, dass täglich eine Ganzkörperwäsche vollständig übernommen werden müsse (20 Minuten) und eine Teilhilfe zum Anziehen der Beinkleider und der Oberbekleidung erforderlich sei (6 Minuten), könne maximal ein Zeitbedarf von 26 Minuten täglich bejaht werden. Die offenbar im Beginnstadium vermutete Gelenkentzündung sei nicht so ausgeprägt, dass hier ein weiterer Hilfebedarf bestehe.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 23. Januar 2007 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld aus der Sozialen Pflegeversicherung, da schon die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht erfüllt seien. Die Einschätzung des Sachverständigen W. decke sich abgesehen von unerheblichen Abweichungen mit den Ergebnissen der Begutachtung der Klägerin durch den MDK und sei schlüssig und überzeugend. Der von Dr. P1 postulierte Hilfebedarf sei nicht nachvollziehbar und mit den Erfahrungszeitwerten der Begutachtungs-Richtlinien in der Fassung vom 11. Mai 2006 (BRi) nicht zu vereinbaren. Auch der Umstand, dass die Klägerin in L. eine "geschützte Wohnung" gemietet habe und dort zeitweise wohne oder gewohnt habe, führe zu keiner anderen Beurteilung.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14. Mai 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. Juni 2007 Berufung eingelegt. Die relevante psychovegative Komponente, die phasenweise zu einer vollständigen Pflegebedürftigkeit bzw. zum stationären Behandlungsaufenthalt führe, sei nicht berücksichtigt worden. Sie habe einschneidende Erlebnisse und Schicksalsschläge im 2. Weltkrieg erlitten. Die Klägerin hat beantragt, von dem Arzt Dr. P1 ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen. Diesem Antrag hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 29. November 2007 entsprochen.

Dr. P1 hat die Klägerin am 18. Januar 2008 in seiner Praxis untersucht. Er kam in seinem Gutachten vom 19. Januar 2008 zu dem Ergebnis, dass bei ihr eine Verschleißerkrankung an der Wirbelsäule mit Fehlhaltung und Bewegungseinschränkung höheren Ausmaßes, eine Verschleißerkrankung von Groß- und Kleingelenken wie Schultergelenksabnützung mit Überkopfhantierfunktionsminderung, Hüft- und Kniegelenksabnützung mit Bewegungs- und Belastungseinschränkung und damit Gangfunktionsminderung, Fingergelenksabnützung mit Hantierfunktionsminderung, eine posttraumatische Angststörung und ein erlebnisreaktiver Persönlichkeitswandel, eine reaktive Depression mit zeitlich überwiegender Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit, ein Altersherz ohne Dekompensation mit Belastungseinschränkung, eine Bluthochdruckerkrankung sowie eine beginnende Nierenschwäche mit Blutarmut – jeweils mit Einschränkungen der Belastbarkeit, eine Blasenschwäche mit selbständiger Vorlagenversorgung und eine Hautpilzerkrankung der Beine vorlägen. Eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz bestehe nicht. Lediglich aufgrund der posttraumatischen Belastungssituation seien situativ Defizite beim Erkennen und Verursachen gefährdender Situationen, ein inadäquates Verhalten im situativen Kontext sowie ein ausgeprägtes labiles oder unkontrolliertes emotionales Verhalten gegeben. Als erschwerender Faktor sei die posttraumatische Belastungsstörung zu bewerten, welche zeitweise völlige Handlungsunfähigkeit verursachen könne. Die Klägerin bewege sich in den Praxisräumlichkeiten ohne Stock und weitere Assistenz; außer Haus werde der Stock benötigt. Sie ziehe sich zur Untersuchung selbständig aus; die Beinkleider würden im Sitzen an- und ausgezogen. Pflegebedürftigkeit sei zu bejahen bei der Körperpflege von 590 Minuten wöchentlich (Waschen der Füße entsprechend der Teilwäsche Unterkörper mit Einreiben von Cremes und Arzneimitteln gegen Hautentzündung und Pilzinfektion zweimal täglich à 15 Minuten, fünfmal wöchentlich Duschen à 20 Minuten, zweimal wöchentlich intensive Dusche à 30 Minuten, für Klistieranwendungen für Arthritisleidende mit mehreren Einläufen einmal wöchentlich 80 Minuten) und bei der Mobilität von 385 Minuten wöchentlich (Teilhilfe für An- und Auskleiden 15 Minuten täglich, fakultative Hilfe beim Gehen im Raum, Stehen und Treppensteigen 10 Minuten täglich, Unterstützung beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung täglich 30 Minuten). In dem angegebenen Zeitbedarf seien Therapiegespräche mit enthalten, welche angesichts des bestehenden posttraumatischen Belastungssyndroms notwendig seien. Im hauswirtschaftlichen Bereich sei ein Hilfebedarf von 12,5 Stunden wöchentlich erforderlich. Aufgrund des posttraumatischen Belastungssyndroms sei zeitweise eine völlige Pflege nötig, dies jedoch nicht dauerhaft und daher nicht namhaft zu machen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Januar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II, hilfsweise nach der Pflegestufe I zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Durch das Gutachten von Dr. P1 werde kein relevanter Hilfebedarf belegt. Dieser lasse in ganz erheblichem Umfang Maßnahmen als notwendigen Pflegebedarf in sein Begutachtungsergebnis einfließen, welche günstigenfalls als Behandlungspflege zu qualifizieren seien, so z.B. die Therapiegespräche. Außerdem sei das Überschreiten oder auch nur Ausschöpfen der Zeitkorridore nicht nachvollziehbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz, SGG).

Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin kann nicht beanspruchen, dass ihr Pflegegeld nach Pflegestufe I oder II gewährt wird. Auch zur Überzeugung des Senats sind die für die Pflegestufe I und II nach § 15 Abs.1 S.1 Nr.1, 2 i.V.m § 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Schon der für die Stufe I erforderliche Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten im Bereich der Grundpflege wird bei Weitem nicht erreicht.

Ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung gemäß §§ 28, 36 ff. SGB XI setzt das Bestehen von Pflegebedürftigkeit voraus. Pflegebedürftig sind gemäß § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen. Nach der Definition des § 14 Abs. 4 SGB XI sind gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, 4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Erheblich Pflegebedürftige (Pflegestufe I) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XI). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege – Körperpflege, Ernährung und Mobilität – mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XI). Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI). Der in Pflegestufe II benötigte Zeitaufwand muss mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XI). Der Senat hält die Bewertungen des Sachverständigen W. für nachvollziehbar, stimmig und überzeugend. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Klägerin an verschiedenen Gesundheitsstörungen leidet und dadurch in ihrem Leistungsvermögen nicht unerheblich eingeschränkt ist. So bestehen bei ihr insbesondere neben einem Zustand nach Laminektomie 1964 eine reaktive, lebensgeschichtlich bedingte Depression verbunden mit ängstlichen Zügen und Persönlichkeitswandel, degenerative Veränderungen im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule bei Osteoporose, ein Beckenschiefstand, eine Beinlängendifferenz, arthritische Veränderungen der Zehen, eine Abnutzung der Schulter-, Hüft- und Kniegelenke, eine beginnende Polyarthritis, ein Bluthochdruckleiden, eine Anämie, eine beginnende Niereninsuffizienz, eine Hautpilzerkrankung der Beine sowie eine Blasenschwäche. Hieraus ergeben sich funktionelle Beeinträchtigungen bei der allgemeinen Bewältigung des Alltags, bei Rotation, Seitneigung und Drehen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, bei Abduktion und Rotation der Hüften, bei Beugung der Kniegelenke, beim Gehen, beim Greifen und Feinhantieren sowie beim Einsatz der Arme und Hände oberhalb des Kopfes. Pflegerechtlich relevant sind diese Funktionsbeeinträchtigungen indessen nur, soweit sie sich auf die in § 14 Abs. 4 Nr. 1 – 3 SGB XI beschriebenen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen der Grundpflege (Körperpflege, Ernährung, Mobilität) und – wenn hier ein tagesdurchschnittlicher Zeitbedarf von mehr als 45 Minuten besteht – die in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI genannten Verrichtungen der hauswirtschaftlichen Versorgung beziehen. Die Einschätzung des Sachverständigen W., dass unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen kein Pflegebedarf in der Grundpflege erreicht wird, der im Tagesdurchschnitt die für die Pflegestufe I erforderliche Schwelle von 45 Minuten überschreitet, deckt sich mit dem Ergebnis der Begutachtungen durch den MDK. Den insoweit – in zeitlicher Hinsicht – abweichenden Feststellungen im Gutachten von Dr. P1 vom 19. Januar 2008 folgt der Senat nicht. Die Befunde in den bis dahin eingeholten Berichten und Gutachten, aber auch die Feststellungen im Gutachten von Dr. P1 selbst bieten für die von ihm angenommenen zeitlichen Bedarfe der Grundpflege keinen Anhalt. Die überraschende, weil durch Dr. P1 lediglich knapp begründete Aussage, allein für die Körperpflege sei ein wöchentlicher Pflegebedarf von 590 Minuten konstatieren, passt nicht zu anderen Aussagen des Gutachtens. So führt der Gutachter aus, dass sich die Klägerin in seinen Räumlichkeiten bei der Untersuchung ohne Assistenz habe fort bewegen können. Nur für längere Strecken sei ein Gehen am Stock nötig. Eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz bestehe nicht. Lediglich aufgrund der posttraumatischen Belastungssituation seien situativ Defizite beim Erkennen und Verursachen gefährdender Situationen, ein inadäquates Verhalten im situativen Kontext sowie ein ausgeprägtes labiles oder unkontrolliertes emotionales Verhalten gegeben. Insoweit ist schon nicht erkennbar, warum die Klägerin tägliche Hilfe beim Duschen – eine behindertengerechte Dusche ist vorhanden – und zusätzlich noch zweimal täglich eine Teilwäsche der Füße erhalten muss. Dem Gutachten lässt sich unzweifelhaft entnehmen, dass sie beim Duschen nicht der vollständigen Übernahme, sondern allenfalls der Teilhilfe bedarf. Warum insoweit der Höchstbedarf entsprechend dem einschlägigen Zeitkorridor festgesetzt wurde, ist nicht nachvollziehbar. Der Senat sieht es hier allenfalls als berechtigt an bei der täglichen Dusche eine Teilhilfe von maximal 10 Minuten (vgl. BRi F 4.1.2.: 15 – 20 Minuten) anzusetzen.

Die von Dr. P1 beschriebene Fußpflege (Einreiben der Füße mit Cremes und Arzneimitteln) sowie der Zeitbedarf für die Klistieranwendungen können nicht der Grundpflege, sondern müssen der Behandlungspflege zugeordnet werden. Zwar ist gemäß der zum 1. April 2007 eingeführten Regelung in § 15 Abs. 3 S. 2 SGB XI, die an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anknüpft (Urteil vom 17. März 2005 – B 3 KR 9/04 R = BSGE 94, 192 Rn. 8 ff), bei der Feststellung des Zeitaufwandes ein Zeitaufwand für erforderliche verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zu berücksichtigen. Verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind aber nur dann Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung nach § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder mit einer solchen Verrichtung notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. Beides ist für die Beinpilz- bzw. Beinhautrötungsbehandlung (vgl. zur Fußpilzerkrankung BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 – B 3 P 4/97 R = Breithaupt 1999, 265 ff., 266) nicht der Fall. Hinsichtlich der Klistieranwendung ist ebenfalls nicht festzustellen, dass diese in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Darm- und Blasenentleerung erfolgen muss.

Zahnpflege, Kämmen und Gesichtspflege sowie Darm- und Blasenentleerung bewertet Dr. P1 durch die Klägerin als selbständig möglich.

Im Bereich der Ernährung ergibt sich kein Grundpflegebedarf.

Im Bereich der Mobilität kann die vom Sachverständigen angesetzte Teilhilfe beim An- und Auskleiden von 15 Minuten täglich nicht nachvollzogen werden. Nach seinen Ausführungen konnte sich die Klägerin bei der Untersuchung selbständig aus- und wieder anziehen. Wenn man bedenkt, dass der Zeitorientierungswert für An- und Auskleiden insgesamt bei 12 – 16 Minuten liegt (vg. BRi F 4.3.11), kann in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen W. ein Hilfebedarf von höchstens 6 Minuten anerkannt werden.

Das Gehen innerhalb der Wohnung ist der Klägerin selbständig möglich. Soweit Dr. P1 hier – einschließlich Stehen und Treppensteigen – eine fakultative Hilfe von 10 Minuten täglich ansetzt, wird damit kein in der Woche regelmäßig anfallender Hilfebedarf begründet.

Auch der angesetzte Zeitaufwand für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung von 30 Minuten täglich kann keine Berücksichtigung finden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R = BSG SozR 4-3300 § 15 Nr. 1 Rn. 15 m.w.N.) kann der für die Begleitung eines Pflegebedürftigen außerhalb seiner Wohnung erforderliche Zeitaufwand grundsätzlich dann berücksichtigt werden, wenn die außerhalb der Wohnung zu erledigende Verrichtung für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unerlässlich ist. Dazu zählen Arztbesuche oder ärztlich verordnete Maßnahmen, soweit sie der Behandlung einer Krankheit dienen und regelmäßig, d.h. wöchentlich anfallen. Für solche unerlässlichen Verrichtungen existieren keine Anhaltspunkte.

Die Beklagte weist ferner zu Recht darauf hin, dass das Gutachten von Dr. P1 hinsichtlich der festgestellten Zeitbedarfe nicht überzeugend ist, da er ausdrücklich betont, dass in dem angegebenen Zeitbedarf Therapiegespräche mit enthalten seien. Solche Gespräche sind bei der Grundpflege jedoch nicht berücksichtigungsfähig.

Schließlich führt die von der Klägerin geltend gemachte psychovegetative Komponente zu keiner anderen Beurteilung. Soweit nämlich Dr. P1 in seinem Gutachten darauf hinweist, dass auf Grund des posttraumatischen Belastungssyndroms zeitweise eine völlige Pflege erforderlich sei, führt er aber gleichzeitig aus, dass diese Beeinträchtigung nicht dauerhaft vorliege und daher nicht namhaft gemacht werden könne. Dass aufgrund dieser Gesundheitsstörung ein Zustand für voraussichtlich 6 Monate besteht oder in der Vergangenheit bestanden hat, der für diese Zeit einen den Pflegestufen I oder II entsprechenden Hilfebedarf hervorgerufen hat, ist damit gerade nicht belegt.

Somit kann im Bereich der Grundpflege von einem Hilfebedarf von 16 Minuten täglich (Teilhilfe beim Duschen: 10 Minuten, Teilhilfe beim An- und Auskleiden: 6 Minuten) ausgegangen werden. Der Schwellenwert von 46 Minuten für die Einstufung in Pflegestufe I wird bei Weitem nicht erreicht.

Für die Vergangenheit erkennt das Gericht ebenfalls keinen rechtlich relevanten Hilfebedarf der Pflegestufen I oder II. Diesbezüglich wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Berufung hat daher keinen Erfolg und ist zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr.1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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