L 4 KR 260/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 KR 511/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 260/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versorgung des 1979 geborenen Klägers mit dem Präparat "Seravit" zu Lasten der Beklagten.

Dieser leidet an einer Citrullinämie, einem Harnstoffzyklusdefekt, die eine Diät erfordert, bei der die Zufuhr natürlichen Eiweißes extrem reduziert ist und Lebensmittel wie Milch, Fleisch, Käse oder Wurst nicht oder nur in geringen Mengen verzehrt werden dürfen, so dass Bedarf an einer entsprechenden Substitution an Vitaminen und Spurenelementen besteht. Diesen Bedarf zu decken, ist nach ärztlicher Bescheinigung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Stoffwechselzentrums H. das Präparat Seravit geeignet und auch nicht durch die Gabe anderer Präparate zu ersetzen. In der Packungsaufschrift wird Seravit als diätisches Lebensmittel zur Nahrungsergänzung bei restriktiven Diätformen bezeichnet und als Mischung aus Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen, wovon Erwachsene täglich 30 Gramm zu sich nehmen sollen.

Die Beklagte, die nach klägerischen Angaben seit 1991 stets die Beschaffungskosten übernommen hatte, weigert sich seit August 2005, die für 8 x 200 Gramm mit 379,00 EUR Packungsgröße angegebenen Kosten, wie sie vom Kläger geltend gemacht werden, weiter zu übernehmen, weil die Versorgung mit solchen Nahrungsergänzungsmitteln nicht zu ihren Aufgaben zähle (Bescheid vom 25.08.2005).

Der auf den Widerspruch des Klägers eingeschaltete MDK kam am 31.08.2005 zu dem Ergebnis, dass nach den Arzneimittelrichtlinien (AMR) Seravit nicht unter die Präparate falle, die von der Krankenkasse neben den Arzneimitteln ihren Versicherten zur Verfügung zu stellen seien. Folglich wies die Beklagte am 30.11.2005 den Widerspruch zurück.

Mit der dagegen am 22.12.2005 erhobenen Klage hat die Mutter und Betreuerin des Klägers dessen langen Leidensweg umfassend geschildert und wie erfolgreich die Gabe von Seravit für ihn sei. Im Gegensatz zu anderen Präparaten akzeptiere der Kläger Seravit, wodurch die mühselige Einnahme von einzelnen Mitteln vermieden werden könne. Zusammen mit Seravit müsse der Kläger nur noch ein Pulver mit Aminosäure und verschiedene Antileptika zu sich nehmen. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 13.07.2006 die auf Kostenübernahme für die Vergangenheit und Zukunft gerichtete Klage abgewiesen. Da Seravit kein Arzneimittel sei, sondern der Nahrungsergänzung diene, also an Stelle von sonst unverträglichen Nahrungsmitteln trete, bestehe dafür keine Leistungspflicht der Beklagten. Das gelte auch bezüglich der in den Arzneimittelrichtlinien aufgelisteten Ausnahmeregelungen, unter die Seravit nicht falle. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Ausweitung der Leistungspflicht von Krankenkassen in besonderen Ausnahmefällen könne hier nicht zu Gunsten des Klägers herangezogen werden.

Die dagegen am 31.08.2006 eingelegte Berufung wird mit der medizinischen Notwendigkeit der Gabe von Seravit begründet. Entsprechend den Ausführungen des Stoffwechselzentrums H. müsse der Kläger so gestellt werden, als ob er mit seinem Krankheitsbild unter eine der Ausnahmeregelungen der Arzneimittelrichtlinien falle. Der Kläger benötige eine Tagesdosis von 60 Gramm, was monatliche Kosten von ca. 380,00 EUR verursache.

Die Klägervertreterin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.07.2006 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 25.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bereits angefallenen Kosten für das Präparat "Seravit" zu erstatten sowie den Kläger zukünftig damit zu versorgen.

Dazu ist bis zur mündlichen Verhandlung Kopie eines Kassenzettels der S.-Apotheke in K. vom 16.04.2007 über 379,85 EUR vorgelegt worden.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze in den beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG). Fraglich ist, wie weit die Klage als solche zulässig war, da der Kläger es versäumt hat, die geforderte Zahlung zu beziffern und zu belegen. Es ist lediglich die Kopie einer Rechnung über 379,85 EUR vorgelegt worden, so dass die Leistungsklage in dieser Höhe als zulässig zu erachten ist. Hinsichtlich zukünftiger Versorgung hat der Senat es stets als zulässig angesehen, wenn ein Versicherter eine Feststellung begehrt, dass die Krankenkasse gehalten ist, bei Erfüllung der weiteren Voraussetzung des SGB V wie ärztliche Verordnung bzw. Notwendigkeit, grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit dem entsprechenden Präparat zu befriedigen. Anders lässt sich ausreichende Sicherheit nicht erlangen.

Die Erstattung der bislang angefallenen Kosten für die Beschaffung von Seravit ist allein auf der Grundlage des § 13 Abs.3 SGB V möglich. Dieser sieht einen Kostenerstattungsanspruch des Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse vor, wenn diese eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig hat erbringen können oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind.

Eine unaufschiebbare Leistung liegt hier bei dem regelmäßigen Einkauf von Seravit nicht vor. Dazu müsste jedes Mal eine dringliche Bedarfslage vorliegen, die es unmöglich machen würde, vor der Beschaffung Kontakt mit der Krankenkasse aufzunehmen.

Die Beklagte hat die Kostenübernahme auch nicht zu Unrecht abgelehnt, denn es besteht hier kein Sachleistungsanspruch auf die Versorgung mit Seravit.

Dabei gilt stets und grundsätzlich der sog. "Arztvorbehalt", das heißt eine vertragsärztliche Verordnung für das streitige Präparat. Bereits hieran fehlt es. Es liegt nur eine Empfehlung des H. Krankenhauses vor. Das ist auch erklärlich, denn das begehrte Präparat ist nicht verordnungsfähig, weil es von der Krankenkasse ihren Versicherten nicht zur Verfügung gestellt werden kann. In der Auflistung der von den Krankenkassen zu erbringenden Leistungen in § 27 SGB V sind Nahrungsergänzungsmittel - und dazu zählt Seravit ganz eindeutig und unstreitig - nicht aufgeführt. Allerdings bestimmt der Gesetzgeber in § 31 Abs.1 Satz 2 SGB V, dass in medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischung, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondernahrungen ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden können. Welche Fälle darunter zu verstehen sind, hat der Gemeinsame Bundesausschuss in den erwähnten Arzneimittelrichtlinien festzulegen. Die genannten Stoffe finden sich gerade nicht in Seravit, welches aus Kohlenhydraten, Mineralstoffen, Vitaminen und Spurenelementen besteht. Sie fallen nicht unter die Produktgruppen, wie sie vom Bundesausschuss in der vom Sozialgericht zitierten Nummer 15.2. der Arzneimittelrichtlinien näher beschrieben sind. Danach kann Seravit weder zu den Aminosäuremischungen gezählt werden noch zu den Eiweißhydrolysaten, was beides auch von der befürwortenden Klinik nicht so gesehen wird. Gleiches gilt für die Elementardiät, zu der noch Kohlenhydrate, Mineralstoffe und Spurenelemente zählen, jedoch nur dann verordnungsfähig sind, wenn sie als einzige Nahrungsquelle in Form von Trinknahrung geeignet sind, wobei zu solchen Gemischen noch weitere Stoffe hinzugerechnet werden müssten (Ziffer 15.2.3).

Auch die unter der Ziffer 20 der AMR eröffneten Möglichkeiten treffen auf den vorliegenden Fall nicht zu. Danach sind Krankenkost- und Diätpräparate grundsätzlich nicht verordnungsfähig. Davon sieht Ziffer 20.1i Satz 2 Ausnahmen vor, und zwar bei ganz bestimmten Krankheitsbildern, unter anderem auch die chronische terminale Niereninsuffizienz. Diese liegt beim Kläger nicht vor. Die Ausnahmen auszuweiten und auch auf die beim Kläger vorhandene Nierenerkrankung auszudehnen, wird vom H. Krankenhaus vorgeschlagen, lässt sich so aber nicht realisieren. Gerade auf Grund der Aufzählung von ganz bestimmten einzelnen Krankheitsbildern und nicht übergreifende Begriffe wird deutlich, dass hier eine "analoge Anwendung" nicht möglich ist. Dabei ist zu bedenken, dass nach dem Willen des Gesetzgebers derartige Nahrungsergänzungsmittel grundsätzlich ausgeschossen bleiben sollen und nur in besonderen, das heißt also ganz bestimmten, Fällen Ausnahmen gemacht werden können. Fällt ein Versicherter nicht unter diese abschließend aufgezählten Ausnahmen, lassen sich diese nicht deswegen erweitern, weil die Gabe von Seravit offensichtlich sinnvoll und nützlich ist. Der Umstand, dass der Kläger vom Genuss vieler Lebensmittel des Alltags ausgeschlossen ist und die Substitution der dort enthaltenen Vitamine und Spurenelemente mittels Seravit am einfachsten akzeptiert, erweitert nicht die Einsatzmöglichkeiten, wie sie vom Gesetzgeber bzw. in den Arzneimittelrichtlinien festgelegt sind.

Mit dem Sozialgericht ist schließlich festzustellen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, so wie sie im Beschluss vom 06.12.2005 entwickelt worden ist, auf den Fall des Klägers nicht angewendet werden kann, zumal dieser selbst da- raus auch keine Rechte herleiten will.

Aus den vorgenannten Gründen ist nicht nur die Erstattung der nachgewiesenen Kosten ausgeschlossen, sondern damit zugleich die Feststellung, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen -, den Kläger auch zukünftig mit Seravit zu versorgen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen des Klägers.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht. Das BSG hat immer wieder unterstrichen, dass keine Leistungspflicht der Krankenkassen für Mehraufwendung besteht, die Versicherten dadurch entstehen, dass sie an Stelle alltäglicher Lebensmittel aus Krankheitsgründen eine Diät- oder Krankenkost verwenden müssen (vgl. BSG vom 09.12.1997 - BSGE 81,240 oder vom 05.07.2005 - B 1 KR 12/03 R - USK 2005,70).
Rechtskraft
Aus
Saved