L 11 SO 97/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 20 SO 85/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SO 97/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 6/08 AR
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.09.2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetz-buch (SGB XII).

Der Kläger bezieht seit 01.12.2006 Leistungen nach dem 4. Ka-pitel des SGB XII im Alter und bei Erwerbsminderung. Mit Be-scheid vom 09.02.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger mo-natliche Leistungen in Höhe 110,56 EUR für den Zeitraum 01.12.2006 bis 30.06.2007.

Sie berücksichtigte einen Bedarf des Klägers in Höhe von 770,50 EUR (Regelsatz: 341,- EUR; Mehrbedarf für Erwerbsunfä-hige und "G": 57,97 EUR; Kaltmiete: 276,- EUR; Nebenkosten: 41,99 EUR; Heizkosten: EUR 53,54). Hiervon setzte sie das zu berücksichtigende Einkommen aus einer Erwerbsminderungsrente in Höhe von 659,94 EUR ab.

Grundlage für die Ermittlung der Unterkunftskosten war ein Mieterhöhungsverlangen des Vermieters des Klägers (Schreiben vom 20.10.2006), der für die Zeit ab dem 01.01.2007 eine Net-tomiete von 276,- EUR sowie eine Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 107,- EUR geltend gemacht hatte. Diesen Bescheid griff der Kläger nicht mit Rechtsmitteln an.

Im März 2007 ging bei der Beklagten ein Protokoll des Amtsge-richtes F. ein, aus dem sich ergab, dass der Kläger mit seinem Vermieter einen Vergleich dergestalt abgeschlossen hatte, dass die Nettokaltmiete ab 01.03.2007 lediglich 253,- EUR betragen solle. Für die monatliche Betriebskostenvorauszahlung verblieb es bei dem Betrag von 107,- EUR, den die Beklagte be-reits ihrem Bescheid vom 09.02.2007 zugrunde gelegt hatte.

Mit Bescheid vom 15.03.2007 berücksichtigte die Beklagte neben der Erhöhung des Regelsatzes (345,- EUR) die Änderung der Net-tokaltmiete (253,- EUR), einen höheren Mehrbedarf für Erwerbs-unfähige und "G" (58,65 EUR) sowie die Minderung des Renten-einkommens (657,03 EUR) und ermittelte einen Leistungsbetrag von 95,15 EUR, den sie für den Zeit ab dem 01.04.2007 (bis 30.06.2007) bewilligte.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger "Widerspruchklage" beim Sozialgericht Nürnberg (SG) ein. Er machte u.a. geltend, dass er schwerbehindert sei und ihm das Merkzeichen "B" zustehe (ohne Pflegestufe 1). Nach Weiterleitung an die Beklagte wertete diese das Schreiben des Klägers als Widerspruch, den die Regierung von Mittelfranken mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2007 als unbegründet zurückwies. Die Unterkunftskosten seien von der Beklagten zutreffend ermittelt worden und würden in vollem Umfang erbracht.

Nachdem der Kläger die Annahme des mit Einschreiben zugestell-ten Widerspruchsbescheides verweigert und den Umschlag der Postzustellungsurkunde mit dem Vermerk versehen hatte "Weiter-leitung nach Nürnberg, Sozialgericht - Richter M.", werte-te das SG - nach Rückfrage beim Kläger - diesen Vorgang als Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 10.05.2007.

Der Kläger brachte vor, sich gegen den Widerspruchsbescheid unter allen Gesichtspunkten zu wenden. Darüber hinaus machte er geltend, dass ihm seit seinem Fahrgastunfall mit der Bahn im Jahr 1993 die Pflegestufe 1 verweigert werde. Außerdem wies er nochmals darauf hin, dass bei ihm ein Grad der Behinderung von 100 durch das Versorgungsamt anerkannt und er schwerstbehindert sei.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2007 unter Bezugnahme auf die Gründe der Verwaltungsentscheidungen vom 15.03.2007 (Änderungsbescheid) und 10.05.2007 (Widerspruchsbe-scheid) abgewiesen. Dem Vortrag des Klägers sei nicht zu ent-nehmen, inwieweit die Entscheidung der Beklagten unter recht-lichen Fehlern leide.

In der Rechtsmittelbelehrung hat das SG angegeben, dass gegen den Gerichtsbescheid das Rechtsmittel der Berufung nicht gegeben sei. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger - mittels Postzustellungsurkunde - am 04.10.2007 zugestellt worden.

Am 17.10.2007 ist beim SG die an den Kläger übersandte Ausfer-tigung des Gerichtsbescheides vom 26.09.2007 - versehen mit handschriftlichen Vermerken des Klägers - eingegangen. In sei-nen schriftlichen Anmerkungen hat der Kläger erneut geltend gemacht, dass keine Pflegestufe berücksichtigt worden sei. Auch hat er erneut geltend gemacht, dass er schwerstbehindert sei.

Das SG hat das Vorbringen des Klägers als Nichtzulassungsbe-schwerde gewertet und an das Bayerische Landessozialgericht weitergeleitet.

Mit Beschluss vom 22.11.2007 hat das Bayerische Landessozial-gericht die Entscheidung des SG über die Nichtzulassung der Berufung aufgehoben und das Verfahren als Berufungsverfahren fortgeführt.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezoge-ne Akten der Beklagten, des Sozialgerichtes Nürnberg und des Bayerischen Landessozialgerichtes sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften des Unterabschnitts über die Berufung nichts anderes ergibt, § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500,- EUR nicht übersteigt, § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr.1 SGG.

Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufen-de Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, § 144 Absatz 1 Satz 2 SGG.

Entgegen der Rechtsmittelbelehrung konnte der Gerichtsbescheid des SG mit Berufung angefochten werden.

Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Änderungsbe-scheid vom 15.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 10.05.2007 in der Sache lediglich über die Herabset-zung des Leistungsanspruches von 110,56 EUR auf 95,15 EUR für die Zeit vom 01.04.2007 bis 30.06.2007 entschieden, so dass als Beschwerdewert für eine Anfechtungsklage lediglich der Differenzbetrag (für drei Monate vom 01.04.2007 bis 30.06.2007) von 46,23 EUR (= 3 x (110,56 EUR - 95,15 EUR)) zu berücksichtigen wäre.

Der Vortrag des Klägers lässt jedoch den Schluss zu, dass er neben der Anfechtung der Leistungsherabsetzung - mit seinen Hinweisen auf eine Pflegestufe und seine Behinderungen - gel-tend machen will, dass ihm im Rahmen der Leistungsbewilligung der Grundsicherung höhere bzw. weitere Mehrbedarfe zustehen, als dies die Beklagte mit Bescheid vom 15.03.2007 zuletzt be-rücksichtigt hat. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Kläger im Rahmen des als "Widerspruchsklage" bezeichneten Widerspruches auf dem angegriffenen Bescheid vom 15.03.2007 die Bewilligung des Mehrbedarfes für Erwerbsunfähige mit der handschriftlichen Anmerkung versehen hat, er sei schwerstbehindert und es erfolge die Grundsicherung ohne Pflegestufe.

Hierin ist - unabhängig davon, dass der Vortrag des Klägers im Übrigen kaum nachvollzogen werden kann - ein Leistungsbegehren dergestalt zu sehen, dass ihm - im Rahmen der zu bewilligenden Grundsicherung - auch höhere Leistungen aufgrund eines beste-henden Mehrbedarfes zu bewilligen seien.

Dieses Klagebegehren ist zwar nicht beziffert, jedoch hat die Beklagte durch ihr Schweigen zu dieser Problematik - trotz Geltendmachung des Anspruches durch den Kläger - den Rechtsschein gesetzt über diesen Anspruch eine ablehnende Entscheidung getroffen zu haben, die ohne zeitliche Einschränkung, d.h. für mehr als ein Jahr die geltend gemachten Mehrbedarfe nach dem SGB XII verweigert. Die Berufung ist daher - unabhängig vom Gegenstandswert - statthaft.

Die Einlegung der Berufung ist nach Zustellung des Gerichtsbe-scheides am 04.10.2007 fristgerecht am 17.10.2007 erfolgt.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 15.03.2007 zu Recht den Leistungsanspruch für die Zeit ab dem 01.04.2007 wegen der verminderten Mietzahlungen des Klägers abgesenkt. Darüber hinaus besteht kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Bewilligung eines höheren oder weitergehenden Mehrbedarfes.

Vorliegend ist daher über die Rechtmäßigkeit der Leistungsab-senkung für die Zeit ab dem 01.04.2007 zu entscheiden.

Diese ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil - mit der Ab-senkung der tatsächlichen Mietkosten - eine wesentliche Ände-rung eingetreten ist und weitergehend keine Mehrbedarfe be-rücksichtigt werden konnten, die einer Absenkung entgegenste-hen oder gar einen Leistungsanspruch begründen, der über den mit Bescheid vom 09.02.2007 bewilligten Anspruch hinausgeht.

Nach § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Eine wesentliche Änderung ist insofern eingetreten, dass der Kläger nach dem Vergleich vor dem Amtsgericht F. vom 27.02.2007 als Mietzahlung (ohne Nebenkosten) für die Zeit ab dem 01.03.2007 lediglich noch einen Betrag von 253,- EUR an seinen Vermieter zu erbringen hatte, statt der 276,- EUR, die die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 09.02.2007 bei der Ermittlung des Leistungsanspruches des Klägers noch berücksichtigt hatte.

Nachdem Leistungen für die Unterkunft nur in Höhe der tatsäch-lichen Aufwendungen erbracht werden, § 42 Satz 1 Nr.2 i.V.m. § 29 Abs 1 Satz 1 SGB XII, hatte die Beklagte die wesentliche Änderung der Unterkunftskosten zu berücksichtigen. Dies ist - ausgehend vom Bescheid vom 15.03.2007 - auch in verfahrens-rechtlich nicht zu beanstandender Weise mit Wirkung für die Zukunft, d.h. für die Zeit ab dem 01.04.2007 erfolgt. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang anspruchserhöhende Faktoren (Erhöhung des Regelsatzes; Minderung der Einkünfte; Erhöhung des Mehrbedarfes) bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigt hat, ist eine Fehlerhaftigkeit der Verwaltungsentscheidungen nicht zu erkennen. Insoweit wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die Begründung der angegriffenen Verwaltungsentscheidungen verwiesen, §§ 153 Abs 1, 136 Abs 3 SGG.

Ein höherer Leistungsanspruch für den Zeitraum 01.04.2007 bis 30.06.2007 als 95,15 EUR monatlich besteht nicht, weil auch nicht unter Berücksichtigung der Behinderungen des Klägers weitergehende Mehrbedarfe zu beanspruchen sind.

Für Personen, die - wie der Kläger - die Altersgrenze nach § 41 Abs 2 SGB XII von 65 Jahren noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind, und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, wird ein Mehrbedarf von 17 v.H. des maßgebenden Regelsatzes anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht, § 30 Abs 1 Nr. 2 SGB XII.

Diese Voraussetzungen hat der Kläger erfüllt und die Beklagte berücksichtigt den pauschalierten Mehrbedarf in zutreffender Höhe von 58,65 EUR, d.h. in Höhe 17 v.H. aus 345,- EUR. Dar-über hinaus ist ein tatsächlicher Mehrbedarf des Klägers weder ersichtlich noch hat der Kläger einen solchen nachvollziehbar dargelegt.

Im weiteren besteht auch kein Mehrbedarf des Klägers nach § 30 Abs 4 SGB XII.

Voraussetzung für das Vorliegen eines derartigen Mehrbedarfes wäre, dass der Kläger Leistungen nach § 54 Abs 1 Satz 1 Nr.1 bis 3 SGB XII (Leistungen der Eingliederungshilfe) bezieht, § 30 Abs 4 Satz 1 SGB XII, oder Anspruch für eine angemessene Übergangszeit hat, weil er vorhergehend die genannten Leistun-gen bezogen hat, § 30 Abs 4 Satz 2 SGB XII. Diese Vorausset-zungen erfüllt der Kläger ersichtlich nicht, weil nach Lage der Akten keine Anhaltspunkte vorliegen, die auf den Bezug von Eingliederungshilfe durch den Kläger schließen lassen.

Im Übrigen sind keine Rechtsgrundlagen nach dem SGB XII er-sichtlich, die einen höheren Mehrbedarf des Klägers begründen könnten.

Soweit der Kläger Leistungen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII (Hilfe zur Pflege) geltend machen will, bleibt es ihm freigestellt, einen nachvollziehbaren Antrag beim zuständigen Sozialhilfeträger zu stellen.

Den Akten der Beklagten ist lediglich zu entnehmen, dass der Kläger am 15.05.2007 Unterlagen über die Beantragung von Leis-tungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) mit dem Bemerken an die Beklagte übersandt hat, das Amt habe diesen Antrag anzunehmen.

Ob dies bereits als Antrag auf Leistungen der Hilfe zur Pflege gemeint oder ob nur die Weiterleitung des Antrages verlangt war, lässt sich dem Vortrag des Klägers in keiner Weise ent-nehmen. Dies kann jedoch offen bleiben, denn bislang liegt keine Verwaltungsentscheidung der Beklagten in Bezug auf Leistungen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII vor, die Gegenstand des Berufungsverfahrens sein könnte.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. Sie er-gibt sich aus dem Unterliegen des Klägers.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Absatz 2 Nr.1 und 2 SGG zuzu-lassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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