L 11 SO 36/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SO 7/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 SO 36/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23. März 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung der Kosten für eine Mittagsverpflegung während des Aufenthaltes der Klägerin in einer teilstationären Einrichtung für den Zeitraum ab dem 01.01.2005.

Die 1967 geborene Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) iVm § 2 Abs 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), weil sie durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gemeinschaft teilzuhaben, eingeschränkt ist. Der Beklagte gewährte ihr deshalb seit dem 01.04.1995 Leistungen nach den früheren § 39 Abs 1, § 40 Abs 1 Nr 7 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) iVm §§ 41, 43 SGB IX für die Beschäftigung in den Werkstätten der Lebenshilfe U. e.V. Die Hilfeleistung umfasste seinerzeit auch die Kosten für das dort ausgegebene Mittagessen.

Für den Zeitraum ab dem 01.01.2005 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 14.12.2005 der Klägerin weiterhin die Kosten für eine Beschäftigung in einer Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) auf den Grundlage des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm §§ 41, 43 SGB IX. Gleichzeitig lehnte er jedoch ab dem 01.01.2005 die Übernahme der Kosten für das in der Werkstätte ausgegebene Mittagessen ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, nach §§ 19, 35, 42 SGB XII umfasse die Eingliederungshilfe nicht mehr den in der Einrichtung erbrachten Lebensunterhalt. Dieser sei nach § 19 Abs 2 Satz 1, § 42 SGB XII durch vorrangige Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung abzudecken. Hierfür sei aber nicht er, sondern der öffentliche Träger der Sozialhilfe zuständig.

Am 23.12.2004 erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg und beantragte, unter Abänderung des Bescheides vom 14.12.2004 den Beklagten zur Übernahme der Kosten für das Mittagessen in der Werkstatt für Behinderte ab dem 01.01.2005 zu verpflichten. Aus dem Wortlaut des § 35 Abs 1 SGB XII ergebe sich eindeutig, dass der Lebensunterhalt auch bei teilstationärer Unterbringung als Leistung der Einrichtung erbracht werde. § 76 Abs 2 Satz 1 SGB XII sehe dafür eine Refinanzierung durch die Grundpauschale der Vergütung vor. § 92 Abs 1 SGB XII habe die Vorleistungspflicht der Sozialhilfeträger für den Lebensunterhalt in der Einrichtung aus § 43 Abs 1 BSHG wortgleich übernommen, so dass die Leistungen zunächst in vollem Umfang zu erbringen seien, auch wenn den Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel für den Lebensunterhalt zuzumuten seien. Dafür spreche auch § 92 Abs 2 Satz 4 SGB XII, in dem geregelt sei, unter welchen Bedingungen ein Kostenbeitrag für das Mittagessen in der Werkstätte erhoben werden könne. Dem stehe auch nicht § 35 Abs 1 Satz 2 SGB XII entgegen, der nur eingefügt worden sei, um die Berechnung eines Kostenbeitrags infolge der Vorleistung auf eine gesicherte Rechtsgrundlage zu stellen, indem die Einbeziehung investiver Kosten des Lebensunterhaltes der Einrichtung ausgeschlossen bleiben sollte. Das Einkommen der Klägerin liege wie bisher unter dem Zweifachen des Eckregelsatzes.

Das Verwaltungsgericht Ansbach verwies mit Beschluss vom 17.01.2005 den Rechtsstreit an das Sozialgericht Augsburg (SG), das die Klageerhebung zugleich als Widerspruchseinlegung wertete und die Klage mit Urteil vom 23.03.2006 abwies.

Zur Begründung ihrer dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, sie verweise auf das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.01.2006, wo in einem gleichgelagerten Fall der Bezirk Mittelfranken zur Zahlung der Essenskosten in der Werkstatt für behinderte Menschen verpflichtet worden sei.

Sie beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG Augsburg vom 23.03.2006 und unter Abänderung des Bescheids des Beklagten vom 14.12.2004 zu verpflichten, auch die Kosten für das Mittagessen in der Werkstätte für behinderte Menschen ab dem 01.01.2005 zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sind mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter einverstanden.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Bescheid des Beklagten vom 14.12.2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Berichterstatter konnte gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG anstelle des Senats als Einzelrichter entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben. Die Beteiligten haben zudem auf die Druchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 124 Abs 2 SGG).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 01.01.2005 keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der Kosten für das tägliche Mittagessen in der WfbM hat. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl Urteil vom 27.06.2006 Az: L 11 SO 19/06). Demzufolge ist der überörtliche Träger (= Beklagter) gemäß § 97 Abs 1, Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm Art 11 Abs 1 Satz 2 AGSGB nicht für die Übernahme der Verpflegungskosten in teilstationären Einrichtungen zuständig. Gemäß § 97 Abs 1 SGB XII ist für die Sozialhilfe sachlich zuständig der örtliche Träger der Sozialhilfe, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird nach Landesrecht bestimmt (§ 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII). Dabei soll berücksichtigt werden, dass soweit wie möglich für Leitungen im Sinne des § 8 Nr 1 bis 6 jeweils eine einheitliche sachliche Zuständigkeit gegeben ist (§ 97 Abs 4 SGB XII). Nach Art 11 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b AGSGB sind die überörtlichen Träger sachlich zuständig u.a. für alle Hilfen, die in Einrichtung den zur teilstationären Betreuung gewährt werden. Abweichend von Satz 1 sind die überörtlichen Träger nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) nur dann zuständig, wenn der Leistungsberechtigte zugleich Hilfen einer stationären Einrichtung nach anderen Kapiteln des SGB XII erhält (Art 11 Abs 1 Satz 2 AGSGB).

Die Klägerin gehört zu dem Personenkreis, dem nach dem Vierten Kapitel des SGB XII Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 41 ff SGB XII iVm § 19 Abs 2 SGB XII zustehen. Gleichzeitig erhält sie Leistungen zur Eingliederung im Sinne des § 19 Abs 3 SGB XII iVm § 53 ff SGB XII, § 55 SGB XI. Sie befindet sich in einer teilstationären Einrichtung im Sinne des § 13 Abs 1 SGB XII, nicht aber in einer vollstationären (§ 13 Abs 1 Satz 2 SGB XII).

In dieser Einrichtung erhält sie Mittagessen. Es wir damit in der Einrichtung gemäß § 35 Abs 1 Stz 1 SGB XII ein Teil des notwendigen Lebensunterhaltes erbracht, wobei dieser tatsächlich erbrachte Lebensunterhalt dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung nach § 42 Abs 1 Nrn 1 bis 3 SGB XII entspricht (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Die Bedeutung dieser Regelung ergibt sich hauptsächlich daraus, dass sie die bisher in § 27 Abs 3 BSHG geregelte Verklammerung von Lebensunterhalt und Hilfen in besonderen Lebenslagen auflöst. Die Hilfe in besonderen Lebenslagen umfasst in den teilstationären oder stationären Einrichtungen nicht mehr den dort gewährten Lebensunterhalt, der vielmehr gesondert festgesetzt und geleistet werden muss. Ziel dieser Trennung ist die Herauslösung der Bestandteile der Komplexleistung im stationären Bereich, um so einerseits die Leistungen zu denjenigen, die ambulant erbracht werden, vergleichbar zu machen. Andererseits kann auf diese Weise dem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden, dass der Nachrang der Sozialhilfe und die Selbsthilfemöglichkeiten im Bereich der Deckung des Lebensunterhaltes sich von denen deutlich unterscheiden, die hinsichtlich der Bedarfe bestehen, die durch Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen gedeckt werden. Mit der Auflösung der Klammer zwischen Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen wird der Leistungsberechtigte grundsätzlich in die gleiche Lage versetzt, wie eine Person, die ambulante Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen bezieht. Als Resultat soll die leistungsberechtigte Person die Leistungen und deren Kosten im ambulanten sowie im stationären Bereich vergleichen und sich als "Marktkunde" die günstigsten Leistungen auswählen. Für das Verwaltungsverfahren tritt insoweit eine Vereinfachung ein, als der Träger der Sozialhilfe nicht insgesamt in Vorleistung tritt und dann durch komplizierte Ermittlung der zumutbaren Belastung den Nachrang über einen Kostenbeitragsbescheid wieder herstellen muss (sog. Nettoprinzip; so Armborst in LPK-SGB XII § 35 RdNr 1). Hiernach sollen also die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. der Grundsicherung von den Leistungen zur Eingliederungshilfe unterschieden werden. Nachdem die Kosten des Lebensunterhaltes zu dem durch die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung abgedeckten Bedarf gehören, die im Vierten Kapitel des SGB XII geregelt sind, ist gemäß § 97 Abs 1 HS 1 SGB XII der örtliche Träger, nicht aber der Beklagte als überörtlicher Träger zuständig. Eine Zuständigkeit des überörtlichen Trägers ergibt sich insbesondere auch nicht aus § 97 Abs 4 SGB XII, denn die Klägerin befindet sich nicht in einer stationären Einrichtung. Aber auch auf Grund § 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm Art 11 Abs 1 Satz 1 AGSGB ist eine solche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nicht anzunehmen, denn die überörtlichen Träger sind zwar sachlich zuständig für alle Hilfen in Einrichtungen zur teilstationären Betreuung, für Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - ist der überörtliche Träger jedoch nur dann zuständig, wenn der Leistungsberechtigte zugleich Hilfen in einer (voll-)stationären Einrichtung nach anderen Kapiteln des SGB XII erhält. Letzteres liegt hier jedoch nicht vor. Der Gesetzgeber hat in diesem Regelungszusammenhang ausdrücklich nur für stationäre Einrichtungen die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers auch für Leistungen der Grundsicherung geregelt (vgl Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 97 RdNr 32).

Dies widerspricht auch nicht der Regelung des § 97 Abs 2 Satz 2 SGB XII, nach der das Landesrecht soweit wie möglich eine einheitliche Zuständigkeit bestimmen soll. Aus der Wortwahl des Gesetzgebers "soll berücksichtigt werden" ergibt sich nicht, dass auf eine solche einheitliche Zuständigkeit künftig nur in atypischen Fällen verzichtet werden darf, wie die Verwendung des Begriffes "soll" nahe legt. Die Regelung verlangt lediglich, dass dies berücksichtigt werden soll, nicht auch, dass die Zuständigkeit so geregelt werden muss. Sie ordnet damit nicht an, dass dies zu geschehen hat, sondern "regt an, bei künftigen Regelungen der sachlichen Zuständigkeit durch die Länder die genannten Zeile zu berücksichtigen" (Gesetzesbegründung BT-Drs 15/1514, S 67). Ob der Landesgesetzgeber dieser Anregung folgt, entscheidet er, ohne in irgendeiner Form an die Vorstellung des Bundesgesetzgebers gebunden zu sein (so Schoch in LPK-SGB XII, § 97 RdNr 9). Der Landesgesetzgeber hat dies bei Erlass des AGSGB berücksichtigt und bei stationären Einrichtungen eine einheitliche Zuständigkeit bestimmt. Bei teilstationären Einrichtungen ist diese einheitliche Zuständigkeit jedoch nicht - unbedingt - für erforderlich gehalten worden, wobei diese Entscheidung des Landesgesetzgebers bereits deswegen als nachvollziehbar erscheint, weil beim Aufenthalt in teilstationären Einrichtungen Leistungen der Grundsicherung auch außerhalb der Einrichtung anfallen. Eine andere Auslegung des Art 11 Abs 1 Satz 2 AGSGB ist auf Grund des klaren Wortlautes dieser Regelung nicht möglich, zumal der Bundesgesetzgeber hinsichtlich der Zuständigkeit auch zwischen stationären und teilstationären Einrichtungen unterscheidet (vgl § 97 Abs 4 SGB XII).

Für die in teilstationären Einrichtungen erbrachte Verpflegung ist der überörtliche Träger zudem nicht gemäß § 92 Abs 1 SGB XII vorleistungspflichtig. Diese Verpflichtung gilt nämlich nicht mit Blick auf die Leistungen für den Lebensunterhalt. Der - zwar etwas unklare - Wortlaut der Regelung stellt erkennbar auf Leistungen ab, die infolge einer Behinderung erforderlich werden. Das sind die Leistungen der Eingliederungshilfe. Zusätzlich sind auch bei stationären Leistungen nach der neuen Systematik des Gesetzes die Leistungen für den Lebensunterhalt nicht Bestandteil der Eingliederungshilfeleistungen, sondern in dem § 35 SGB XII gesondert geregelt. Schließlich verweist auch § 92 Abs 1 SGB XII nur auf § 19 Abs 3 SGB XII und damit auch nur auf die dort genannten Leistungen. Die Leistungsberechtigung zur Hilfe zum Lebensunterhalt ist hingegen Gegenstand des § 19 Abs 1 SGB XII, auf den § 92 Abs 1 SGB XII aber nicht verweist (vgl Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, § 92 RdNr 8, Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, § 92 RdNr 8). Dies gilt ebenso bei einer Leistungsberechtigung nach § 19 Abs 2 SGB XII. Auch auf diesen wird im § 92 Abs 1 SGB XII nicht verwiesen.

Die Klägerin ist hierdurch gegenüber ihrer früheren Situation nicht benachteiligt. Es ist aber ab dem 01.01.2005 nicht mehr der Beklagte zur Übernahme der Kosten des Mittagessens zuständig. Die gegenteilige Entscheidung des SG Nürnberg, auf den sich die Klägerin stützt, hat der Senat zwischenzeitlich aufgehoben. Das heißt allerdings nicht, dass die Klägerin diese Kosten überhaupt nicht mehr erhalten kann.

Nach alledem ist die Berufung unbegründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelasen, weil im Wesentlichen landesrechtliche Normen inmitten stehen. Die Frage der Verurteilung des beigeladenen Sozialhilfeträgers gemäß § 75 Abs 5 SGG ist zwischenzeitlich durch das SGB II-Fortentwiklungsgesetz geklärt.
Rechtskraft
Aus
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