S 13 EG 16/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 EG 16/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 EG 68/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Elterngeld (auch) für die Zeit vom 18.10.2007 bis 17.01.2008 und die Zahlung von 900,00 EUR.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist verheiratet; sie ist myanmarische (birmanische) Staatsangehörige. Sie reiste am 18.05.2007 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Am 18.10.2007 gebar sie das Kind K. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte durch rechtskräftigen Bescheid vom 25.06.2007 die Anerkennung als Asylberechtigte ab; durch weiteren rechtskräftigen Bescheid vom 31.10.2007 erkannte es die Flüchtlingseigenschaft der Klägerin an und stellte ein Abschiebeverbot gemäß § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Bezug auf Myanmar (Birma) fest. Seit 01.12.2007 bezieht die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); bis dahin hatte sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bezogen.

Am 17.01.2008 erteilte ihr die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG und gestattete ihr eine Erwerbstätigkeit.

Am 06.02.2008 beantragte die Klägerin Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes K.

Der Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 11.02.2008 Elterngeld für den vierten bis zwölften Lebensmonat (vom 18.01. bis 17.10.2008) des Kindes K. in Höhe von monatlich 300,00 EUR. Elterngeld für die davor liegenden drei Monate lehnte er ab mit der Begründung, die Klägerin sei in dieser Zeit nicht im Besitz eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels gewesen.

Dagegen legte die Klägerin am 28.02.2008 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung N. durch Widerspruchsbescheid vom 10.07.2008 zurückwies.

Dagegen hat die Klägerin am 07.08.2008 Klage erhoben. Sie verweist darauf, anerkannter Flüchtling im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG zu sein; der Umstand, dass ihr erst im Januar 2008 die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt worden sei, habe sie nicht zu vertreten. Im Übrigen verweist die Klägerin auf die Änderung der Ziff. 62.4.2 der Dienstanweisung zum Familienleistungsausgleich (DA-FamEStG) des Bundesamtes für Finanzen vom 13.06.2007 und zitiert daraus wie folgt: "Nach Art. 2 des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluss des Systems für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953 ... in Verbindung mit Art. 2 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen haben anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention zudem unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel bereits erteilt wurde, einen Anspruch auf Leistungen des Vertragsstaates unter denselben Bedingungen wie dessen Staatsangehörige, sofern sie seit mindestens sechs Monaten im Vertragsstaat wohnen." Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass sich diese Dienstanweisung und die dort erwähnten supranationalen Vorschriften auch auf Erziehungsgeld beziehen und "selbstverständlich" auch für das Elterngeld gelten würden. Dem stünden frühere Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen, wenn dort für das Erziehungsgeld entschieden worden sei, dass diese Leistung nicht vom sachlichen Anwendungsbereich des "Vorläufigen Europäischen Abkommens" erfasst werde.

Die Klägerin beantragt dem Sinne ihres schriftlichen Vorbringens nach,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.02.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2008 zu verurteilen, ihr Elterngeld auch für den ersten bis dritten Lebens- monat des Kindes K. in Höhe von insgesamt 900,00 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

Die Klage abzuweisen.

Er verweist auf seine in den angefochtenen Bescheiden vertretene Rechtsauffassung&729;

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Asylverfahrensakte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Obwohl weder die Klägerin noch ihr Bevollmächtigter im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen sind, konnte die Kammer verhandeln und entscheiden, weil der Bevollmächtigte der Klägerin in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der Bevollmächtigte der Klägerin hat im Übrigen zu Beginn des heutigen Termins telefonisch mitgeteilt, dass er damit einverstanden sei, dass die Kammer auch in seiner Abwesenheit verhandele und entscheide.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Elterngeld bereits für die ersten drei Lebensmonate des Kindes K., da sie in dieser Zeit noch nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 Bundeselterngeldgesetz (BEEG) erfüllt hatte.

Der Klägerin wurde erst am 17.01.2008 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Eine solche Aufenthaltserlaubnis begründet - bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen insbesondere nach Abs. 1 - den Anspruch einer nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländerin - wie der Klägerin - nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG. Auf die weiteren Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 a) bis c) und Nr. 3 BEEG kommt es nicht an. Deshalb hat die Klägerin zurecht ab 18.01.2008 Elterngeld erhalten.

In den davor liegenden drei Monaten erfüllte die Klägerin allerdings noch nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 BEEG; insbesondere war sie nicht im Besitz eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels. Durch die Formulierung, dass eine Ausländerin nur anspruchsberechtigt ist, wenn sie den maßgeblichen Aufenthaltstitel "besitzt", ist klargestellt, dass das Elterngeld frühestens von diesem Zeitpunkt an bezogen werden kann. Selbst wenn - was für die Klägerin nicht zutrifft - im Aufenthaltstitel eine Rückwirkung angeordnet worden wäre, lässt die Erteilung des Aufenthaltstitels den Anspruch auf Elterngeld nur für die Zukunft entstehen (BSG, Urteil vom 09.02.1994 - 14/14b Rg 9/93 = SozR 3-7833 § 1 Nr. 12 zum Erziehungsgeld). Entgeht einer Ausländerin Elterngeld wegen einer rechtswidrigen Verzögerung des Aufenthaltserlaubnisverfahrens (die hier nicht ersichtlich ist), so kann sie einen Ausgleich grundsätzlich nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geltend machen. Für den durch das entgangene Elterngeld entstandenen Schaden verbliebe nur ein etwaiger Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V. m. Artikel 34 GG (vgl. dazu Irmen in: Hambüchen, BEEG/EStG/BKGG-Kommentar, Stand: Februar 2008, § 1 BEEG Rndrn. 109, 110 m.w.N.). Die Rechtsprechung des BSG zu der Tatbestandsvoraussetzung "Besitz" eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels zum Erziehungsgeld gilt auch für das Elterngeld. Der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis dieser ausführlichen und seit langem bekannten Rechtsprechung für die Formulierung in § 1 Abs. 7 BEEG entschieden; die Vorschrift differenziert noch zwischen "erteilt" und "besitzt", macht also deutlich, dass es für die Elterngeldanspruchsberechtigung gerade auf den Besitz des Aufenthaltstitels ankommt.

Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch auch nicht auf das Vorläufige Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit vom 11.12.1953 (BGBl. 1956 II S. 507) stützen, das bis heute gültig ist und unmittelbare Rechtsansprüche begründet. Zwar wird die Klägerin vom persönlichen Anwendungsbereich des Vorläufigen Europäischen Abkommens erfasst, denn sie ist anerkannter Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Nach Artikel 2 des Zusatzsprotokolls zu dem Vorläufigen Europäischen Abkommen finden die Vorschriften des Hauptabkommens auf Flüchtlinge unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung wie auf die Staatsangehörigen der vertragsschließenden Staaten. Das Vorläufige Europäische Abkommen erstreckt sich jedoch sachlich nicht auf das bundesdeutsche Elterngeld. Dies hat das Bundessozialgericht mit ausführlicher Begründung und substanziierten Quellennachweisen bereits durch Urteil vom 23.09.2004 - B 10 EG 3/04 R (BSGE 93,194 = SozR 4-7833 § 1 Nr. 6) für das Erziehungsgeld festgestellt. Die Ausführungen des BSG gelten genauso für das Elterngeld. Nach Artikel 7 Abs. 1 des Abkommens bestimmt jeder Vertragsschließende diejenigen Systeme der Sozialen Sicherheit, auf die das Abkommen Anwendung findet. Die danach vorgesehenen Bestimmungen bzw. Mitteilungen der Vertragsschließenden sind im Anhang I zu dem Abkommen enthalten. In der bundesdeutschen Bekanntmachung der Neufassung der Anhänge I, II und III zu den Vorläufigen Europäischen Abkommen vom 25.01.1985 (BGBl. 1985 II, S. 311, 313) sind im Anhang I für die Bundesrepublik Deutschland unter Buchstabe d) für den hier einschlägigen Bereich der Familienbeihilfen aufgeführt: "Kindergeld". Weder das erstmals zum 01.01.1986 eingeführte Erziehungsgeld noch das zum 01.01.2007 eingeführte Elterngeld hat die Bundesrepublik Deutschland durch eine entsprechende Meldung in den Anhang I des Vorläufigen Abkommens aufnehmen lassen. Die Bekanntmachung der Neufassung der Anhänge I, II und III zu dem Vorläufigen Europäischen Abkommen vom 25.01.1985 gibt die aktuelle Fassung des Anhang I für Familienbeihilfeleistungen in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland wieder (vgl. BGBl. 2008 II vom 15.02.2008 [Fundstellennachweis B], S. 391).

Das Elterngeld kann ebensowenig wie das Erziehungsgeld im Wege der Auslegung in den sachlichen Anwendungsbereich dieses Abkommens einbezogen werden. Soweit die Klägerin die Änderung der DA-FamEStG 62.4 vom 13.06.2007 zitiert, verkennt sie, dass sich der zitierte Satz 2 des Absatz 1 der DA-FamEStG-Ziffer 62.4.2 ausschließlich auf Kindergeld bezieht. Dies ergibt sich aus dem vorhergehenden Satz der Ziffer 62.4.2 (vollständig abgedruckt in: Hambüchen, BEEG/EStG/BKGG-Kommentar, III. EStG/Verwaltungsvorschriften). Die Änderung der DA-FamEStG ist, wie sich der Überschrift dieser Änderung vom 13.06.2007 im Bundessteuerblatt 2007 I S. 489 entnehmen lässt, auf das "Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss" vom 13.12.2006 (BGBl. 206 I S. 2915) zurückzuführen. Allein der Umstand, dass sich dieses Gesetz auch auf Erziehungsgeld bezieht, heißt jedoch nicht, dass sich auch die geänderte Ziffer 62.4.2 der DA-FamESTG auf das Erziehungsgeld und auf das neue Elterngeld bezieht. Wie oben ausgeführt erfasst der sachliche Geltungsbereich des Vorläufigen Europäischen Abkommens, auf das in der geänderten Ziffer 62.4.2 der DA-FamEStG Bezug genommen wird, allein auf das Kindergeld. Dementsprechend war und ist es konsequent, auch die entsprechende Dienstanweisung für das Kindergeld daran anzupassen. Weitere Schlussfolgerungen für das Erziehungsgeld und das Elterngeld ergeben sich aus der Dienstanweisung jedoch nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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