L 7 AS 4884/08 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 4884/08 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Gewährung von Einstiegsgeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Antragsteller bezieht laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Umfange der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung. Zum 1. März 2006 nahm der Antragsteller unter der Bezeichnung "tranz-fer" eine selbständige Tätigkeit auf, zunächst mit dem in der Gewerbeanzeige angegeben Gegenstand Entwurf, Entwicklung und Vertrieb von Fanstickern und Aufklebern für Bundesligavereine und die Fußballweltmeisterschaft 2006. Auf seinen entsprechenden Antrag vom 14. Februar 2006 bewilligte ihm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 30. März 2006 Einstiegsgeld nach § 29 SGB II für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2006 i.H.v. EUR 172,50 monatlich. Der Bescheid wurde nicht angefochten. In Abhängigkeit der aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen erhielt der Antragsteller weiterhin - mit einzelnen monatsweisen Ausnahmen - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Zum 1. Februar 2007 erweiterte der Antragsteller ausweislich der Gewerbeanzeige vom 1. März 2007 den Gegenstand der selbständigen Tätigkeit u.a. um die Vermittlung von Fach- und Führungspersonal sowie die Entwicklung von "NewStick".

Mit Bescheiden vom 23. Oktober, 21. November und 3. Dezember 2007 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis 31. Mai 2008, die er auch aktuell noch erhält.

Mit E-Mail vom 30. November 2007 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung eines "Sonderzuschlages von 50% = EUR 173,50". In der sich anschließenden Korrespondenz zwischen den Beteiligten präzisierte er sein Begehren dahingehend, dass er den "maximal zulässigen Sonderzuschlag auf die Regelleistung für seine Produktentwicklung `New MultiStick Glasklar´ beantrage.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2008 und Widerspruchsbescheid vom 28. März 2008 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Der Antragsteller habe zum 1. Dezember 2007 keine neue selbständige Tätigkeit aufgenommen, sondern die bereits ausgeübte fortgesetzt. Des Weiteren habe das für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2006 bereits gewährte Einstiegsgeld die wirtschaftliche Situation des Antragstellers nicht gebessert, vielmehr hätten sich seine Verbindlichkeiten erhöht.

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Stuttgart mit Gerichtsbescheid vom 2. September 2008 aus den Gründen der angefochtenen Bescheide abgewiesen. Darüber hinaus setze § 29 SGB II voraus, dass das Einstiegsgeld und die Aufnahme der Erwerbstätigkeit in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stünden. Eine Bewilligung scheide grundsätzlich aus, wenn die Förderung einer bereits ausgeübten Erwerbstätigkeit beantragt werde, ohne dass gleichzeitig Anhaltspunkte für eine diesbezügliche wesentliche Änderung bestünden, wie beispielsweise der Wechsel von einer geringfügigen zu einer vollen Tätigkeit. Solche Anhaltspunkte bestünden nicht, da der Antragsteller nach seinem Internet-Auftritt weiterhin als "Unternehmensberater & Coach seit 1976" bzw. im Bereich "International Business and Management Consulting; Product, Process and Patent Developments" selbständig tätig sei.

Hiergegen hat der Antragsteller am 9. September 2008 Berufung eingelegt, die derzeit unter dem Az. L 7 AS 4410/08 beim Senat anhängig ist. Zu deren Begründung hat der Antragsteller ausgeführt, seine bisherige Tätigkeit, auf die Antragsgegnerin und das SG abgestellt hätten, habe zur Arbeits- und Erwerbslosigkeit geführt. Es gehe nun gerade darum, seine bisherige Tätigkeit durch die Produktneuentwicklung "New MultiStick Glasklar" wesentlich zu ändern. Dabei handle es sich um eine Weiterentwicklung von "New MultiStick", wie er sie in den USA und bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland im Juli 2003 betrieben habe, aber mangels eines glasklaren Klebers zunächst abgebrochen habe. Um die "Wartezeit" seit Juli 2003 zu überbrücken, habe er die Beratungstätigkeit und die Entwicklung der Fansticker begonnen. Einnahmen erziele er aktuell nicht.

Am 13. Oktober 2008 hat der Antragsteller beim Landessozialgericht Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, mit dem er die Gewährung des Einstiegsgeldes begehrt. Seine finanzielle Lage habe sich mittlerweile so zugespitzt, dass er zum Stillstand verdammt sei.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Einstiegsgeld i.H.v. EUR 173,50 monatlich zu gewähren.

Die Antragsgegnerin ist dem Begehren bereits in der Hauptsache unter Hinweis auf die angefochtenen Bescheide und die Entscheidung des SG entgegengetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin, der Verfahrensakten des SG und des Senats im Hauptsacheverfahren sowie im vorliegenden Verfahren Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere steht dem Begehren weder die Bestandkraft der behördlichen Ablehnung noch die Rechtskraft der sozialgerichtlichen Entscheidung entgegen, da der Antragsteller gegen den Gerichtsbescheid vom 2. September 2008 eine zulässige Berufung eingelegt hat. Der Senat ist als Gericht der Hauptsache für die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zuständig (§ 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.)

Da der Antragsteller aktuell Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Umfange der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung erhält, ist sein soziokulturelles Existenzminimum gesichert. Das begehrte Einstiegsgeld ist des Weiteren weder geeignet noch dazu bestimmt, Verluste aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit auszugleichen und deren Fortführung bei wirtschaftlichem Misserfolg zu sichern. Es liegen somit keine so gravierenden Beeinträchtigungen vor, dass eine summarische Prüfung ausgeschlossen wäre.

Bei Beachtung dieser Maßstäbe liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor; der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf die begehrte Leistung. Zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit kann nach § 29 Abs. 1 S. 1 SGB II erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist.

Bereits nach dem Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes ist somit vorausgesetzt, dass der Hilfebedürftige arbeitslos ist und das Einstiegsgeld "bei Aufnahme" einer Erwerbstätigkeit gezahlt wird. Das Einstiegsgeld soll einen Anreiz für die Aufnahme einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit bieten und setzt mithin voraus, dass das Einstiegsgeld und die Aufnahme der Erwerbstätigkeit in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang stehen. Eine Bewilligung scheidet insoweit grundsätzlich aus, wenn die Förderung einer bereits ausgeübten Erwerbstätigkeit beantragt wird, ohne dass gleichzeitig Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Erwerbstätigkeit bestehen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 3/05 R - SozR 4-4200 § 16 Nr. 1). Die wesentliche Änderung in diesem Sinne umfasst unter Berücksichtigung des Zwecks des Einstiegsgeldes nicht bereits jeden Wechsel im Gegenstand der selbständigen Unternehmung. Das Einstiegsgeld stellt keine Wirtschaftsförderung dar, sondern soll einen Anreiz für die Aufnahme eine Erwerbstätigkeit bieten, um auf Dauer die Hilfebedürftigkeit zu beenden. Bei bereits bestehender Erwerbstätigkeit kommt eine Förderung beispielsweise bei der Ausweitung einer geringfügigen zu einer vollen Erwerbstätigkeit in Betracht (BSG a.a.O; ebenso Lauterbach in Gagel, SGB II, § 29 Rdnr. 9).

Der maßgebliche Antrag auf Gewährung von Einstiegsgeld datiert vorliegend vom 30. November 2007. Zu diesem Zeitpunkt hat der Antragsteller bereits eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt. Allein der Wechsel im Gegenstand der Tätigkeit ist, wie bereits ausgeführt, nicht relevant. Darüber hinaus ergibt sich aus der vorgelegten Gewerbeanzeige zunächst, dass die bisherige Beratertätigkeit nicht aufgegeben wurde. Vielmehr wurde die Entwicklung von "NewStick" als zusätzlicher Gegenstand angezeigt, und zwar bereits zum 1. Februar 2007, also geraume Zeit vor der maßgeblichen Antragstellung. Bereits seinem Berufungsvorbringen lässt sich entnehmen, dass der Antragsteller schon vor Antragsstellung mit diesem neuen Tätigkeitsinhalt befasst war; es ist lediglich erst Ende 2007 gelungen, erste Beschichtungsversuche mit dem neuen Produkt in der Praxis durchzuführen. Des Weiteren stellt das neue Produkt eine Weiterentwicklung dessen dar, das bereits zum 1. Februar 2007 als Gegenstand der Erwerbstätigkeit gewerberechtlich angemeldet worden war. Schließlich kann nach summarischer Prüfung auch im zeitlichen Umfang der Erwerbstätigkeit keine wesentliche Änderung festgestellt werden. Auf entsprechende gerichtliche Anfrage gab der Antragstellers im Schreiben vom 14. Oktober 2008 ausdrücklich an, seit Ende Mai 2007 mit den ersten Tests und Druckversuchen für das neue Produkt beschäftigt gewesen zu sein und zwar in einem zeitlichen Umfang von werktäglich acht Stunden. Soweit der Antragsteller im Schreiben vom 23. Oktober 2008 bemüht ist, diese Angabe zu relativieren, ist dies im Rahmen der hier allein anzustellenden summarischen Prüfung nicht glaubhaft. Ersichtlich stellen die Angaben im letzten Schreiben des Antragstellers eine Reaktion auf den gerichtlichen Hinweis dar, dass angesichts der Angaben im Schreiben vom 14. Oktober 2008 kein Anspruch bestehen dürfte. Damit ist nicht glaubhaft gemacht, dass die selbständig Tätigkeit ab dem 1. Dezember 2007 eine neue oder zumindest im Vergleich zur bisherigen eine wesentlich andere Erwerbstätigkeit darstellt.

Des Weiteren steht der geltend gemachten Leistung die fehlende vorherige Arbeitslosigkeit des Antragstellers entgegen. Der Begriff "arbeitslos" ist in §§ 16 Abs. 1, 119 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch definiert. Dies setzt u.a. voraus, dass eine mehr als 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt wird. Mehrere Tätigkeiten werden dabei zusammengerechnet, so dass es nicht darauf ankommt, ob die selbständige Tätigkeit mehrere eigene Gegenstände umfasst (zu Erfordernis und Definition der Arbeitslosigkeit vgl. BSG a.a.O.; Lauterbach, a.a.O. Rdnr. 7; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 29 Rdnr. 33 f.). Nach den Ausführungen des Antragstellers im Schreiben vom 14. Oktober 2008 war er jedoch bereits vor dem 1. Dezember 2007 ca. 40 Stunden wöchentlich, jedenfalls mehr als 15 Stunden, selbständig tätig. Aus o.g. Gründen können die nicht glaubhaften Angaben im Schreiben vom 23. Oktober 2008 nicht zugrunde gelegt werden. Eine Arbeitslosigkeit hat somit vor dem Zeitraum, für den das Einstiegsgeld begehrt wird, nicht bestanden.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz konnte daher mangels Anordnungsanspruches keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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