L 9 U 5269/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 3387/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5269/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. August 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Anerkennung weiterer Unfallfolgen des Arbeitsunfalls vom 11. Februar 2000, die Gewährung einer höheren Rente für die Zeit vom 1. September 2001 bis Januar 2003 sowie die Weitergewährung von Rente über den 31. Januar 2003 hinaus.

Der 1937 geborene Kläger, der im ehemaligen Jugoslawien eine Ausbildung zum Diplom-Volkswirt absolviert hat, war Inhaber eines Unternehmens für "Kleintransporte aller Art - In- und Ausland". Bei der Rückfahrt von einem Transport nach Brüssel erlitt er am Freitag, dem 11.2.2000, gegen 20:25 Uhr auf der Autobahn A 1 Luxemburg in Richtung Trier einen Verkehrsunfall. Auf Grund der Unfallermittlungen ging die luxemburgische Polizei davon aus, dass der Kläger einen vor ihm fahrenden LKW überholen wollte und dabei das Fahrzeug der Unfallgegnerin (aufgrund des toten Winkels) übersah (Verkehrsunfall-Protokoll vom 11.2.2000). Der Kläger gab dagegen in der Unfallanzeige vom 22.2.2000 an, während der Fahrt auf der Autobahn Luxemburg - Saarbrücken habe ihn ein Auto "von hinten ganz stark gestoßen".

Der Kläger wurde zunächst vom 11.2. bis 15.2.2000 in einer Klinik in Luxemburg stationär behandelt. Der Arzt für Orthopädie Dr. B. führte im Arztbrief vom 15.2.2000 aus, ein Computertomogramm (CT) des Schädels sei unauffällig gewesen, ein CT der Halswirbelsäule (HWS) habe eine Diskushernie C 6/7 links gezeigt. Es sei ein EMG des rechten Armes durchgeführt worden, das eine Wurzelirritation C 6 rechts ergeben habe. Die augenärztliche Untersuchung sei unauffällig gewesen. Diagnostiziert wurden eine Gehirnerschütterung mit Kopfschmerzen, SchW.el und Sehstörungen, ein Halswirbelsäulenschleudertrauma mit Genickschmerzen im Trapeziusbereich rechts und links mit Paräsien des rechten Armes sowie Prellungen der rechten Schulter, des Brustbeins, der Brustwirbelsäule (BWS) und des rechten Knies. Nach seinem Rücktransport in die Bundesrepublik Deutschland wurde der Kläger vom 15.2. bis 22.2.2000 in der Unfallchirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Sindelfingen behandelt. Bei seiner Aufnahme klagte der Kläger über Parästhesien/Hypästhesien des rechten Armes sowie D 1-2 rechts, SchW.elgefühle, starke Kopfschmerzen sowie eine retrograde Amnesie für das Unfallereignis. Eine Kernspinuntersuchung der HWS am 18.2.2000 zeigte einen Bandscheibenvorfall links lateral in Höhe C 6/7 mit Verdacht auf eine Affektion der Nervenwurzeln C 7 und C 8 links. Für die rechtsseitige Klinik fand sich in der Kernspintomographie kein eindeutiges Korrelat (DA-Bericht von Dr. K., Chefarzt des Städtischen Krankenhauses Sindelfingen, vom 22.2.2000 und Zwischenbericht vom 29.2.2000). Auf Grund einer von Dr. K. angenommenen Operationsindikation wurde der Kläger am 22.2.2000 in der Ambulanz der Klinik Markgröningen vorstellig, welche die weitere berufsgenossenschaftliche Behandlung übernahm. Professor Dr. I. schlug eine Nukleotomie C 6/7 und Knochenblockspondylodese nach Robinson vor und führte aus, der kernspintomographisch nachgewiesene Bandscheibenvorfall C 6/7 links könne durchaus die rechtsseitigen Beschwerden im Rahmen eines Contre-coup-Phänomens erklären (Zwischenberichte vom 29.2. und 26.4.2000). Bei weiteren Nachuntersuchungen in der Klinik Markgröningen am 26.6., 2.8., 2.10. und 17.11 2000 (Zwischenberichte vom 27.6., 4.8., 2.10. und 17.11.2000) wurde dem Kläger jeweils erN.t zu einem operativen Eingriff geraten, welchen der Kläger weiterhin ablehnte.

Ab 22.5.2000 wurde der Kläger vom N.rologen und Psychiater Dr. S. behandelt. Dieser beschrieb unter dem 22.5.2000 einen Druckschmerz C 7 rechts, eine Kraftschwäche des rechten Armes und der rechten Hand sowie eine Hypästhesie C 7 rechts und fand auf Grund der EMG/NLG-Untersuchungen Hinweise auf eine periphere Nervenschädigung. Er stellte folgende Diagnosen: Wurzelkompression C 7 rechts, Zustand nach HWS-Schleudertrauma 11.2.2000, posttraumatische Belastungsstörung, Zustand nach Commotio cerebri. Unter dem 11.12.2000 berichtete Dr. S., der Kläger klage über Nervosität, Schlafstörungen, Nackenschmerzen mit Ausstrahlung und Taubheitsgefühl im rechten Arm und in der rechten Hand, über Kopfschmerzen und SchW.el. Es zeige sich eine Hypästhesie entsprechend dem Dermatom C 6 rechts, die Muskeleigenreflexe seien lebhaft und symmetrisch, pathologische Reflexe und spastische Zeichen seien nicht vorhanden. Psychisch sei der Kläger affektlabil, reizbar, auf die eigene körperliche und seelische Befindlichkeit fixiert, besorgt. Es lägen Allgemein- und Zukunftsängste, Antriebs- und Belastungsminderung sowie eine vorzeitige Ermüdbarkeit vor.

Wegen der N. aufgetretenen Gangunsicherheit im Bein rechts und bestehender C7/C8 Parese veranlasste Prof. Dr. W., Klinik Markgröningen, eine N.rologische Untersuchung mit Kernspintomographie der HWS bei Privatdozent Dr. N. in Sindelfingen. Das HWS-MRT vom 6.12.2000 zeigte im Vergleich zum MRT vom 18.2.2000 eine evidente Befundbesserung (deutliche Größenverminderung des NPP C 6/7 links). Die Elektromyo- und N.rographie ergab bei eingeschränkter Kooperation des Klägers keinen Hinweis auf das Vorliegen einer umschriebenen Radikulopathie der C 5- bis C 8-innervierten Muskulatur des rechten Arms. Privatdozent Dr. N. teilte unter dem 13.12.2000 mit, aktuell klage der Kläger außer über eine Kraftlosigkeit des gesamten rechten Armes, eine Hypästhesie an sämtlichen Fingern sowie am rechten Fuß über eine progrediente Gangstörung. Außerdem sei er nervös, könne sich nicht konzentrieren und habe Schlafstörungen. Der Neurologische Befund sei unauffällig gewesen; die Stimmungslage sei subdepressiv bis agitiert gewesen. Im Vordergrund stehe eine wahrscheinlich posttraumatische somatoforme Störung bei noch nicht gelungener Unfall- und Krankheitsverarbeitung.

Der Kläger wurde daraufhin bei der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Ludwigshafen vorstellig (Bericht vom 8.2.2001), welche den Kläger vom 8.2. bis 2.3.2001 in stationäre Behandlung übernahm. Im Entlassungsbericht vom 5.3.2001 diagnostizierte Prof. Dr. W. persistierende HWS-Beschwerden nach HWS-Distorsionstrauma bei vorbestehendem Bandscheibenschaden C 6/C 7 vom 11.2.2000 und führte aus, ein Neurologisches/elektrophysiologisches Defizit nach HWS-Distorsion bestehe nicht. Klinisch habe der Kläger ein Cervico-Brachialsyndrom rechts mit Sensibilitätsstörungen und eingeschränkter HWS-Beweglichkeit. Es sei zu keiner Besserung der Schmerzsymptomaitk gekommen. Der Kläger sei dem Psychologen vorgestellt worden, der ein posttraumatisches Depressionssyndrom nach HWS-Distorsion bestätigt habe. Der Psychologe W. führte im Bericht vom 12.3.2001 aus, ein eindeutiger Befund, der die ausstrahlenden Schmerzen in den rechten Arm und das rechte Bein begründe, sei nicht zu erheben gewesen. Die Fixierung des Klägers auf die Erstdiagnose limitiere eine adäquate Verarbeitung des Unfalls und seiner Folgen, die vom Kläger aufgrund seiner Anpassungsstörung mit depressiven Ausprägungen aggraviert würden. Auf die Empfehlung von Prof. Dr. W. und Psychologe W. veranlasste die Beklagte die Durchführung eines psychosomatisch-psychotherapeutischen Heilverfahrens in der Parkklinik Bad Bergzabern (27.6. bis 22.8.2001), aus dem der Kläger als arbeitsunfähig entlassen wurde.

Zu den Akten der Beklagten gelangten über die seinerzeit zuständige Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel die Unterlagen über einen vom Kläger am 7.11.1997 erlittenen Wegeunfall, bei dem auf den PKW des Klägers ein anderer Pkw mit erheblichem GeschW.igkeitsunterschied aufgefahren war. U.a. wurden im Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen vom 4.6.1998, mit welchem Arbeitsfähigkeit auf den 1.6.1998 wieder festgestellt wurde, als Diagnosen ein protrahierter Verlauf einer HWS-Distorsion I. Grades und unfallunabhängig degenerative HWS-Veränderungen mit Protrusion der Bandscheibe C 5/C 6 und chronifiziertem Schulter-Arm-Syndrom rechts festgehalten. Dr. C. führte im Gutachten vom 27.11.1998 aus, als Unfallfolge bestehe lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung der HWS. Der Kläger habe bei der Untersuchung durchgehend den rechten Arm nicht eingesetzt, obwohl kein objektiver Wert gemessen worden sei, der eine Schädigung des rechten Arms beweise. Im Übrigen sprächen die seitengleiche Handbeschwielung und die nahezu seitengleichen Muskelumfänge an den Armen nicht für eine dauerhafte Schonung des rechten Arms außerhalb der Untersuchung.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie B., Oberarzt der Parkklinik Bad Bergzabern, das Gutachten vom 24.8.2001. Er führte aus, weder die Schwere noch die Chronizität der vom Kläger angegebenen Schmerz- und Neurologischen Ausfallsymptomatik lasse sich durch klinische, elektrophysiologische und bildgebende Untersuchungen objektivieren. Obwohl der Kläger eine Kraftminderung der rechtsseitigen Extremitäten beklage, fänden sich bei der klinischen Untersuchung keine dazu passenden Störungen von Muskeltonus und -trophik sowie des Reflexverhaltens. Die ängstlich-depressive Symptomatik sowie die nicht gelungene Unfallverarbeitung dürften die Persistenz der Schmerz- und der Neurologischen Ausfallsymptomatik ebenso miterklären wie ein zu unterstellender Entschädigungswunsch. Für letzteren spreche die Tatsache, dass der Kläger bereits nach einem HWS-Schleudertrauma (11/97) eine ähnliche, damals auch nicht objektivierbare Schmerz- und Schwächesymptomatik im Bereich der rechten oberen Extremität entwickelt habe, die sich in der Folgezeit ohne weitere Therapie zurückgebildet habe, nachdem ein Entschädigungswunsch des Klägers abgelehnt worden sei. Der Kläger selbst bestreite, dass er nach dem Arbeitsunfall von November 1997 unter einer länger dauernden Schmerz- und Schwächesymptomatik des rechten Armes sowie unter einer nennenswerten depressiven und Angstsymptomatik gelitten habe. Die depressive Symptomatik sei als Unfallfolge einzustufen, da sie durch den Unfall selbst sowie die damit in Zusammenhang stehenden körperlichen, emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen ausgelöst worden sei. Der sehr leistungs- und sicherheitsorientierte Kläger könne seit dem Unfall seine stimmungs- und selbstwertstabilisierende Berufstätigkeit nicht mehr ausüben. Ferner seien die anhaltende posttraumatische Belastungsstörung, die dissoziative Bewegungsstörung, die anhaltende somatoforme Schmerzstörung nach HWS-Distorsionstrauma und traumatischem Bandscheibenvorfall C 6/7 links sowie ein chronisch komplexer Tinnitus aurium beidseits ursächlich auf den Unfall vom 11.2.2000 zurückzuführen. Die Arbeitsunfähigkeit bestehe seit dem 11.2.2000 und dauere auf unabsehbare Zeit fort. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab dem Tag nach der Entlassung 40 vH.

Professor Dr. I. gelangte im Gutachten vom 26.11.2001 zum Ergebnis, unfallbedingte Gesundheitsstörungen lägen beim Kläger auf orthopädischem Gebiet nicht vor.

Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. F. führte in dem Gutachten nach Aktenlage vom 18.12.2001 aus, die eingetretene depressive Episode habe sich zwischenzeitlich weitgehend verselbständigt und sei nicht mehr eindeutig dem Unfallereignis zuzuordnen. Die Ohrgeräusche stünden seines Erachtens mit dem Unfall in keinem Zusammenhang. Das Unfallereignis habe zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt. Diese Symptomatik werde überlagert durch die dissoziative Störung und die schwere depressive Symptomatik, die dem Unfallereignis nicht angelastet werden könne. Die posttraumatische Belastungsstörung bedinge eine MdE um 20 vH.

Mit Bescheid vom 25.3.2002 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 11.2.2000 als Arbeitsunfall und gewährte dem Kläger ab 1.9.2001 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 vH. Als Folge des Arbeitsunfalls anerkannte sie eine posttraumatische Belastungsstörung.

Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage ärztlicher Befundberichte am 19.4.2002 Widerspruch ein und begehrte die Anerkennung weiterer Unfallfolgen (chronischer Tinnitus beidseits, Bandscheibenvorfall C 6/7 links, chronisches Schmerzsyndrom).

Zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit holte die Beklagte ein nervenärztliches Gutachten ein. Der Neurologe und Psychiater Dr. Sch. führte im Gutachten vom 10.10.2002 aus, beim Kläger lägen keine Neurologisch fassbaren Unfallfolgen vor. Die Commotio cerebri habe keinerlei Folgen hinterlassen. Die erheblichen psychischen Auffälligkeiten seien nicht auf den Unfall zurückzuführen. Eine posttraumatische Belastungsreaktion liege nicht vor. Der Unfall sei als solcher in seiner Schwere nicht geeignet gewesen, eine solche Reaktion auszulösen. Hinzu komme, dass der Kläger beim Unfall bewusstlos gewesen und erst wieder im Krankenhaus zu sich gekommen sei. Bewusstlose pflegten normalerweise nichts und somit auch nichts Traumatisierendes zu erleben. Aus nervenärztlicher Sicht lägen keine Unfallfolgen vor, die eine MdE begründen könnten.

Nach Anhörung des Klägers entzog die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 24.1.2003 die bisherige Rente mit Ablauf des Monats Januar 2003 und führte aus, er habe keinen Anspruch auf Rente für unbestimmte Zeit. Folgen des Arbeitsunfalls/Versicherungsfalls lägen nicht mehr vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 5.6.2003 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 25.3.2002 und 24.1.2003 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 25.6.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der er die Anerkennung weiterer Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Rente nach eine MdE um 40 vH weiter verfolgte.

Das SG beauftragte den Arzt für Psychiatrie Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens. Im Gutachten vom 18.3.2005 (Untersuchung vom 13.5.2004) nannte der Sachverständige als Hauptdiagnose ein chronifiziertes somatoformes Schmerzsyndrom (F 45.4) mit anhaltenden Kopf- und Nackenschmerzen sowie Schmerzausstrahlung in die obere Extremität ohne organpathologisch Neurologisches/orthopädisches Korrelat. Zusätzlich würden vom Kläger weitere körperliche Beschwerden - SchW.el, herabgesetzte körperliche Belastbarkeit, Seh- und Hörstörungen - geltend gemacht, wobei diese Beschwerdeschilderung insgesamt an psychogen überlagerte somatoforme Funktionsstörungen denken lasse. Darüber hinaus bestehe eine konversionsneurotische dissoziative Bewegungsstörung (F 44.4) mit armbetonter Schwäche und Gefühlsstörung der rechten Körperhälfte. Auf psychischer Ebene finde sich noch ein subdepressiv-ängstlich-neurasthenisches Mischbild im Sinne einer anhaltenden psychoreaktiven Anpassungsstörung (F 43.25). Die Art und Weise der Symptomdarbietung weise auf deutliche Aggravationstendenzen hin, die sowohl die körperliche Beschwerdedarbietung als auch die psychische Verarbeitung des Unfalls beträfen. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege beim Kläger nicht vor. Dr. W. vertrat die Ansicht, das somatoforme Schmerzsyndrom mit chronischen Kopf- und Nackenschmerzen sei dann als Unfallfolge anzusehen, wenn der Unfall zu einem Bandscheibenvorfall C 6/7 mit vorübergehender Affizierung der Nervenwurzeln C 7/8 geführt habe. Neben unfallbedingten Umständen spielten auch unfallunabhängige, in der Persönlichkeit des Klägers liegende Umstände (Neigung zur anhaltenden psychogenen Fehlverarbeitung körperlicher Beschwerden, konversionsneurotische Tendenzen mit Verschiebung unfallunabhängiger psychischer Konflikte auf die körperliche Ebene, Entschädigungsbegehren) eine Rolle, die sich wechselseitig verstärken dürften. Ausgehend davon, dass der Bandscheibenvorfall in Höhe C 6/7 links ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sei und zu einem somatoformen Schmerzsyndrom geführt habe, erscheine eine unfallbedingte MdE von maximal 20 vH angemessen. Sollte sich allerdings ergeben, dass die Angaben des Klägers zum Unfallhergang (Aufprall von hinten) nicht richtig seien, sodass bereits ein typisches HWS-Schleudertrauma bezweifelt werden müsste, bestünde die Vermutung, dass es sich bei dem Unfall vom 11.2.2000 um eine beliebig austauschbare Gelegenheitsursache gehandelt haben dürfte und dass unfallunabhängige psychische Dispositionen das Beschwerdebild entscheidend prägten.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das SG die Neurologin Dr. M.-L., in deren Behandlung der Kläger seit dem 30.4.2002 stand, mit der Erstattung eines Gutachtens. Im Gutachten vom 10.5.2006 diagnostizierte sie beim Kläger eine anhaltende Anpassungsstörung nach HWS-Distorsion mit längerer depressiver Reaktion, eine dissoziative Bewegungsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die sie mit einer MdE um 40 vH bewertete. Eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe nicht. Den Tinnitus und den diffusen unsystematischen SchW.el ohne spezifischen organpathologischen Befund sehe sie als unfallunabhängig an.

Mit Urteil vom 17.8.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 vH für die Zeit vom 1.9.2001 bis 31.1.2003 und auf Verletztenrente ab 1.2.2003. Das SG stütze seine Überzeugung auf das orthopädische Gutachten von Prof. Dr. I. vom 26.11.2001, das Gutachten nach Aktenlage des Neurologen und Psychiaters Dr. F. vom 18.12.2001 sowie das nervenärztliche Gutachten von Dr. W. vom 17.3.2003. Das SG sei nach Auswertung der Unterlagen der luxemburgischen Polizei über den Unfall zu der Ansicht gekommen, dass entgegen der Darstellung des Klägers kein Auffahrunfall, sondern eine Seitenkollision vorgelegen habe. Dementsprechend prägten nach der Annahme von Dr. W. unfallunabhängige psychische Dispositionen das Beschwerdebild. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 25.9.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.10.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, das angefochtene Urteil beruhe auf einer unzutreffenden Beweiswürdigung und Übergehung eines Beweisantrages. Das SG habe bei der Darstellung des Tatbestandes die in der Klinik in Luxemburg erhobenen Erstdiagnosen des Orthopäden Dr. B. übersehen. Die Berücksichtigung der dort gestellten Diagnosen hätte sowohl im Gutachten des Sachverständigen Dr. W. als auch in der Beweiswürdigung des SG keinen Raum für Zweifel daran gelassen, dass er bei dem Verkehrsunfall ein HWS-Schleudertrauma erlitten habe und damit der wesentliche Teil seiner Beschwerden unfallabhängig sei. Nicht erwähnt sei auch die unmittelbar nach seiner Verlegung in das Städtische Krankenhaus Sindelfingen gestellte Diagnose "HWS-Distorsion und traumatischer Bandscheibenvorfall C 6/7 mit Hypästhesie rechter Arm" in der ärztlichen Bescheinigung vom 21.2.2000. Ferner seien die Berichte von Dr. S. vom 22.5. und 30.6.2000 bei der Darstellung des Tatbestandes unberücksichtigt geblieben. Bei zutreffender Würdigung der Gutachten von Prof. Dr. I. und Dr. W. unter Berücksichtigung der weiteren Gutachten, insbesondere des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie B. vom 24.8.2001 und der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M.-L. vom 10.5.2006, hätte das SG zu dem Ergebnis kommen müssen, dass bei ihm eine unfallbedingte MdE von 40 vH, mindestens jedoch von 20 vH vorliege.

Der Kläger hat das Schadensgutachten des Sachverständigen H. vom 17.3.2000 für die AXA-Versicherung Luxemburg vorgelegt, wonach es beim Fahrzeug des Klägers nach Anstoß gegen die vordere linke Flanke und anschließendem Abkommen von der Fahrbahn nach rechts zu einem wirtschaftlichen Totalschaden gekommen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. August 2006 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 25. März 2002 und 24. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2003 abzuändern bzw. aufzuheben und festzustellen, dass eine anhaltende Anpassungsstörung, eine depressive Reaktion, eine dissoziative Bewegungsstörung, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung nach HWS-Distorsion und traumatischem Bandscheibenvorfall C 6/7 links Folgen des Arbeitsunfalls vom 11. Februar 2000 sind und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. September 2001 eine Verletztenrente in Höhe von 40 vH. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das Urteil des SG sei nicht zu beanstanden. Es könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen auf den Arbeitsunfall vom 11.2.2000 zurückzuführen seien.

Der Senat hat Leistungsauszüge der Kaufmännischen Krankenkasse (Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 24.11.1997 bis 4.7.1998: Bronchitis, HWS-Syndrom; 29.11.1999 bis 10.2.2000: Bronchitis) und die Arztunterlagen des Dr. S. vom Praxisnachfolger Dr. R. beigezogen sowie eine sachverständige Zeugenaussage bei Dr. M.-L. vom 23.7.2007 (Behandlung von 4/02 bis 2/07 alle zwei bis vier Wochen, Verordnung einer Vielzahl von verschiedenen Antidepressiva und Schmerzmittel ohne Besserung der Beschwerden, psychiatrische Gesprächstherapie) eingeholt. Anschließend hat der Senat Prof. Dr. Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt.

Prof. Dr. Dr. W. hat im Gutachten vom 2.6.2008 beim Kläger eine anhaltende ängstlich-depressive Anpassungsstörung festgestellt und ausgeführt, auf Grund des dokumentierten Aufpralls mit links-seitlichem Tangieren des Fahrzeugs, das danach schleuderte und über die Standspur in einer Böschung landete, sei eine Hirnbeteiligung ausgesprochen unwahrscheinlich, zumindest jedoch nicht hinreichend sicher zu belegen. Hierfür spreche auch der unauffällige CT-Befund des Schädels unmittelbar nach dem Unfall und das Fehlen äußerer Verletzungen im Kopfbereich. Die geltend gemachte Amnesie sei mit Wahrscheinlichkeit entweder dissoziativ bedingt oder Folge eines bewussten Nichterinnerns. Auf Grund des Unfallmechanismus bezweifle er nicht, dass es zu einer leichtgradigen muskulären Zerrung im Nacken-Schultergürtel gekommen sei. Schwieriger zu beurteilen sei, ob der Unfall geeignet gewesen sei, einen traumatischen Bandscheibenvorfall auszulösen. Dafür könnte sprechen, dass er Ende des Jahres 2002 (gemeint wohl: 2000) nicht mehr nachweisbar gewesen sei. Dagegen spreche, dass nach dem Unfallereignis Beschwerden auf der "falschen Seite", also rechts sowie initial auch auf der "falschen Höhe", also bei C 5/6 beschrieben wurden, während sich der Bandscheibenvorfall dann bei C 6/7 links gezeigt habe. Darüber hinaus stellten asymptomatische und auch symptomatische Bandscheibenvorfälle, wie in der Literatur gut belegt und in der täglichen klinischen Routine immer wieder erkennbar, keine Seltenheit dar. Die bestehende psychische Symptomatik sehe er als Folge einer ängstlichen Verunsicherung durch die gestellten Diagnosen verschiedener Ärzte an, während den unmittelbaren körperlichen und seelischen Folgen des Unfallereignisses nur eine untergeordnete Bedeutung zukomme. Diese Diagnosen seien zwar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis gestellt, beruhten jedoch nicht auf hinreichend nachvollziehbaren Annahmen über einen Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Wenn dieser nicht gegeben sei, komme dem Unfall und seinen Folgen keine wesentliche Bedeutung für die Auslösung der Symptomatik zu. Zumindest sei nicht zu erkennen, warum diese dann im Dezember 2000, als dem Kläger berichtet worden sei, dass ein relevanter Bandscheibenvorfall nicht mehr vorliege, nicht wieder abgenommen habe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass unfallunabhängige Faktoren für die Aufrechterhaltung und sogar Verschlechterung der Symptomatik ausschlaggebend gewesen seien und seien. Ab 1.9.2001 vermöge er keine MdE mehr zu erkennen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung von (weiteren) Unfallfolgen und auf Gewährung einer höheren Rente für die Zeit vom 1.9.2001 bis 31.1.2003 sowie auf Gewährung von Rente für die Zeit ab 1.2.2003 hat.

Versicherungsfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Darüber hinaus hat ein Versicherter, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, wie oben dargelegt, auch einen Anspruch auf Feststellung der Unfallfolgen.

Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls und auch ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung der MdE bzw. der Verletztenrente ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität. Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich- philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsbeurteilung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - aaO).

Der Kläger hat unstreitig am 11.2.2000 einen Arbeitsunfall erlitten, als er auf der Rückfahrt von einer Geschäftsreise mit einem anderen PKW kollidierte. Auf Grund der Feststellungen der luxemburgischen Polizei mit Unfallskizze, den detaillierten Angaben der Unfallgegnerin, den Angaben der Zeugen (Spuren blauer Farbe vom Auto des Klägers am roten Auto der Unfallgegnerin zwischen Kotflügel und Beifahrertür) und der Feststellungen des Sachverständigen H. vom 17.3.2000 ist es nicht, wie von Kläger ursprünglich angegeben, zu einem Auffahrunfall von hinten, sondern zu einer seitlichen Kollision der beiden Fahrzeuge bei hoher Geschwindiigkeit gekommen, wobei dahingestellt bleiben kann, welcher der beiden Fahrzeugführer den hierzu führenden Fahrfehler gemacht hat. Infolge der seitlichen Kollision kam das Fahrzeug des Klägers von der rechten Fahrbahn ab und landete ca. 150 Meter vom Kollisionsort entfernt mit dort noch sichtbaren Bremsspuren auf der rechtsseitigen Böschung der Autobahn.

Durch dieses Unfallereignis ist es, wie Prof. Dr. Dr. W. nachvollziehbar darlegt, zu repetitiv axialen Stauchungen gekommen, die beim Kläger zu einer muskulären Zerrung im Bereich der HWS und im Schulterbereich im Sinne eines Gesundheitserstschadens geführt haben, die sich durch die vom erstbehandelnden Arzt Dr. B. festgestellten Genickschmerzen im Trapeziusbereich rechts und links gezeigt hat.

Hingegen vermag der Senat weder eine mittelschwere oder schwere HWS-Distorsion (s. Einteilung nach Schweregrad z. B. in Schönber¬ger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. S. 556) noch den durch CT am 11.2.2000 nachgewiesenen Bandscheibenvorfall bei C6/C7 links als Gesundheitserstschaden feststellen. Eine mittelschwere bzw. schwere HWS-Distorsion ist nicht nachgewiesen und der Bandscheibenvorfall C6/C7 links ist nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen.

Als Symptome gelten bei einer mittelschweren HWS-Distorsion eine Nackensteife, Schluckbeschwerden, starke Nacken- und Hinterkopfschmerzen und bei einer schweren HWS-Distorsion eine HWS-Zwangshaltung, Kopf- und Armschmerzen und gegebenenfalls Parästhesien und Paresen. Als morphologisches Substrat solcher Symptome sind aber bei einer mittelschweren HWS-Distorsion Gelenkkapseleinrisse, Gefäßverletzungen oder Muskelzerrungen, und bei einer schweren HWS-Distorsion ein isolierter Bandscheibenriss, eine Ruptur im dorsalen Bandapparat, eine Luxation, eine Fraktur oder eine Nerven- oder medulläre Läsion zu fordern. Solches konnte beim Kläger nicht festgestellt werden. Dr. B. hat als klinischen Befund Genickschmerzen im Trapeziusbereich rechts und links mit Paräsie (Parästhesie/Parese) des rechten Armes sowie Prellungen der rechten Schulter, des Brustbeins, der BWS und des rechten Knies erhoben, wie seinem Arztbericht vom 15.2.2000 zu entnehmen ist. Der Röntgenbefund des HWS war normal, das CT zeigte den Bandscheibenvorfall C 6/C 7 links und das EMG des rechten Arms eine Wurzelirritation C 6 rechts. Im Städtischen Krankenhaus Sindelfingen wurde jedoch für die vom Kläger beklagten Parästhesien/Hypästhesien des rechten Armes sowie der Finger D 1-2 rechts in der dort veranlassten Kernspintomographie kein entsprechendes Korrelat gefunden, wie sich aus dem Befundbericht vom 18.2.2000 ergibt. Insbesondere gilt dies für den Bandscheibenvorfall C 6/C 7 links, der rechtsseitige N.rologische Erscheinungen nicht erklärt. Auch der auffällige EMG-Befund des rechten Arms von Dr. B. beweist nach den Darlegungen von Prof. Dr. W. nicht eine durch den Unfall erlittene Nervenläsion im Bereich C 6, da nach einer Nervenläsion frühestens nach 2 Wochen entsprechende EMG-Befunde auftreten.

Nachdem die Beschwerden des Klägers nach dem Unfallereignis die rechte - und nicht, wie zu erwarten, die linke - Seite betrafen und auf der Höhe C 5/6 beschrieben wurden, während sich der Bandscheibenvorfall auf Höhe C 6/7 links zeigte, spricht auch nicht mehr dafür als dagegen, dass der Bandscheibenvorfall durch das Unfallereignis verursacht wurde. Vielmehr ist anzunehmen, dass der anlässlich des Unfalls festgestellte Bandscheibenvorfall bereits vorhanden war, zumal vorübergehende, sowohl asymptomatische als auch symptomatische Bandscheibenvorfälle, wie Prof. Dr. Dr. W. unter Hinweis auf die Literatur und die tägliche klinische Routine nachvollziehbar dargelegt hat, keine Seltenheit darstellen und andererseits das Auftreten eines Bandscheibenvorfalls allein infolge eines Unfallgeschehens extrem selten ist (vgl. Mazzotti/Castro in MedSach 2006, 206, 209). Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat insbesondere auf Grund des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. W. vom 2.6.2008, der sich eingehend mit sämtlichen beim Kläger vorliegenden Befunden und den über ihn erstatteten Gutachten auseinandergesetzt hat.

Da somit weder feststellbar ist, dass der Bandscheibenvorfall C 6/7 links, der sich im Übrigen im Dezember 2000 erheblich verkleinert hatte, auf den Unfall vom 11.2.2000 zurückzuführen ist und auch nicht, dass längerfristige Folgen eines HWS-Distorsionstraumas vorlagen, vermag der Senat auch nicht festzustellen, dass eine dissoziative Bewegungsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung ab 1.9.2001 bzw. insbesondere ab 1.2.2003 darauf zurückzuführen sind.

Die beim Kläger vorliegende anhaltende ängstlich-depressive Anpassungsstörung ist ab 1.9.2001 und insbesondere ab 1.2.2003 nicht mehr mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 11.2.2000 zurückzuführen. Selbst wenn man mit der Nervenärztin Dr. M.-L. annimmt, dass die von der Klinik in Markgröningen im Laufe des Jahres 2000 wiederholt gestellte Operationsindikation beim Kläger zu massiven Ängsten geführt hat, weil damit das Risiko einer drohenden Lähmung verbunden gewesen sei, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Kläger seit Dezember 2000 wusste, dass der im Februar 2000 diagnostizierte Bandscheibenvorfall C 6/7 links nicht mehr in relevantem Ausmaß vorlag und auch keine Operationsindikation mehr bestand. Darüber hinaus war dem Kläger auch mitgeteilt worden, dass ein gravierender organpathologischer Befund auf Neurologisch/psychiatrischem Gebiet, der die von ihm angegebenen Beschwerden (Schwäche des rechten Armes und später auch des rechten Beines, Schmerzen) erklären könnte, nicht vorliegt. Gegen einen Kausalzusammenhang zwischen der anhaltenden ängstlich-depressiven Anpassungsstörung und dem Arbeitsunfall vom 11.2.2000 ab 1.9.2001 und insbesondere ab 1.2.2003 spricht insbesondere, dass gravierende körperliche Verletzungen des Klägers nicht vorlagen und Hinweise auf wunschbedingte Vorstellungen des Klägers, z. B. nach einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und Verletztenrente, vorliegen. Solche wunschbedingten Vorstellungen seitens des Versicherten nach einem Unfall vermögen einen wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen nicht zu begründen. Soweit diese Vorstellungen neben das als naturwissenschaftliche Ursache der bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen anzusehende Unfallereignis treten, sind sie als konkurrierende Ursachen zu würdigen und können der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen der versicherten Ursache Unfallereignis und den psychischen Gesundheitsstörungen entgegenstehen. Aus dem rein zeitlichen Aufeinanderfolgen des Unfalls, der im Jahr 2000 angenommenen HWS-Operationsindikation und den aufgetretenen psychischen Gesundheitsstörungen sowie der mangelnden Feststellung konkurrierender Ursachen kann nicht gefolgert werden, dass die psychischen Gesundheitsstörungen des Klägers wesentlich durch den Unfall verursacht wurden. Denn bei einem rein zeitlichen Zusammenhang und der Abwesenheit konkurrierender Ursachen kann bei komplexen Gesundheitsstörungen nicht automatisch auf die Wesentlichkeit der einen festgestellten naturwissenschaftlich-philosophischen Ursache geschlossen werden. Angesichts der Komplexität psychischer Vorgänge und des Zusammenwirkens gegebenenfalls lange Zeit zurückliegender Faktoren, die unter Umständen noch nicht einmal dem Kläger bewusst sind, würde dies zu einer Beweislastumkehr führen, für die keine rechtliche Grundlage zu erkennen ist (BSG, Urt. vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Beim Kläger hatte schon der Gutachter B. einen Entschädigungswunsch angenommen, der die Persistenz der Schmerz- und Neurologischen Ausfallsymptomatik miterkläre und nachvollziehbar dargelegt, dass hierfür die Tatsache spreche, dass der Kläger bereits nach einem HWS-Schleudertrauma (11/97) eine ähnliche, damals auch nicht objektivierbare Schmerz- und Schwächesymptomatik im Bereich der rechten oberen Extremität entwickelt hatte, die sich in der Folgezeit ohne weitere Therapie zurückgebildet hat, nachdem ein Entschädigungswunsch des Klägers durch einen entsprechenden Bescheid der damals zuständigen Berufsgenossenschaft abgelehnt worden war. Für unfallunabhängige psychische Vorgänge spricht auch, dass der Kläger sich - teilweise trotz entsprechender Vorhalte - bei den gutachterlichen Untersuchungen durch Dr. W. und durch Prof. Dr. Dr. W. als vor dem Unfall vom 11.2.2000 stets gesund darstellte, obwohl er in der Zeit vom 24.11.1997 bis zum Unfall vom 11.2.2000, d. h. in ein Zeitraum von gut 26 Monaten, über Neun Monate arbeitsunfähig war. Der Sachverständige Dr. W. stellte beim Kläger auf Grund der Art und Weise der Symptomdarbietung deutliche Aggravationstendenzen fest, die sowohl die körperliche Beschwerdedarbietung als auch die psychische Verarbeitung des Unfalls betrafen und führte aus, neben unfallbedingten Umständen spielten konversionsN.rotische Tendenzen mit Verschiebung unfallunabhängiger psychischer Konflikte auf die körperliche Ebene und Entschädigungsbegehren eine Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es überzeugend, wenn Prof. Dr. Dr. W. allenfalls eine vorübergehende Verschlimmerung vorbestehender psychischer Symptome als durch den Unfall verursacht ansieht, während die fortbestehende und sich sogar verschlechternde Symptomatik der chronifizierten ängstlich-depressiven Anpassungsstörung nicht mehr ursächlich auf das Unfallereignis und seinen Erstschaden zurückgeführt werden kann, zumal Anpassungsstörungen üblicherweise in einem Zeitraum von 6 bis 24 Monaten folgenlos abklingen.

Soweit der Kläger bemängelt, das SG habe bei der Darstellung des Tatbestands die in der Klinik in Luxemburg erhobenen Erstdiagnosen des Orthopäden Dr. B. sowie die nach seiner Verlegung in das Städtische Krankenhaus Sindelfingen genannten Diagnosen übersehen bzw. nicht erwähnt, berücksichtigt er nicht, dass das Urteil lediglich eine gedrängte Darstellung des Tatbestands enthält (§ 136 Abs. 1 Nr. 5 SGG) und nicht dazu dient, die zahlreichen ärztlichen Unterlagen vollständig wiederzugeben. Im übrigen haben die Gutachter und Sachverständigen, die von den erstbehandelnden Ärzten gestellten Diagnosen nicht unkritisch zu übernehmen, sondern unter Berücksichtigung der mitgeteilten Befunde sowie des gesamten Akteninhalt zu würdigen. Hinzukommt, dass Gesundheitsstörungen nur dann bei der MdE-Bewertung zu berücksichtigen sind, wenn sie mit Wahrscheinlichkeit auf dem Unfall zurückzuführen sind, wofür Kausalitätsbeurteilungen und -abwägungen vorzunehmen sind, die für die behandelnden Ärzte nicht von Belang sind und die ihnen auch nicht möglich sind, da sie nicht über alle erforderlichen Informationen und Unterlagen verfügen.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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