L 8 SB 4492/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3433/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4492/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22. August 2007 wird aufgehoben. Der Bescheid vom 14. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2005 wird abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, beim Kläger den Grad der Behinderung von 50 ab 24. Mai 2004 festzustellen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Der am 13.04.1968 geborene Kläger begehrt die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Am 18.05.2004 stellte der Kläger einen Erstantrag nach dem SGB IX und trug zur Begründung vor, durch einen Arbeitsunfall vom 01.08.2003 habe er Gesundheitsstörungen an beiden Beinen erlitten; er sei in der BG-Unfallklinik T. untersucht worden, eine Entscheidung durch die Berufsgenossenschaft sei jedoch noch nicht ergangen.

Mit Bescheid vom 05.11.2004 wurde der Arbeitsunfall des Klägers vom 01.08.2003 von der Tiefbau-Berufsgenossenschaft anerkannt und dem Kläger wurde eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. ab 24.05.2004 gewährt. Als Folgen des Arbeitsunfalles wurden anerkannt: Deutliche Bewegungseinschränkung und Instabilität des rechten Kniegelenkes, Bewegungseinschränkung des rechten oberen und deutliche Bewegungseinschränkung des rechten unteren Sprunggelenkes, Abflachung des Fußlängs- und Quergewölbes des rechten Vorfußes sowie Minderung des Kalksalzgehaltes in diesem Bereich, Krallenzehenbildung rechts, deutliche Minderung der Muskulatur des rechten Beines sowie beginnende knöcherne Veränderungen des rechten Sprunggelenkes, Beinverkürzung rechts sowie Minderung des Knochen-Kalksalzgehaltes im früheren Verletzungsbereich des rechten Oberschenkels und glaubhafte Beschwerden nach knöchern fest verheiltem Oberschenkeltrümmerbruch rechts und Oberschenkelschaftbruch links, Bruch der rechten Kniescheibe mit Knorpelverletzung und Riss des vorderen Kreuzbandes, unter Verkürzung verheilter Fersenbeinbruch rechts und Fußwurzelbrüche links. Nicht als Folgen dieses Arbeitsunfalles wurden anerkannt: Zustand nach Bruch des rechten Schienbeines und Oberschenkels (Arbeitsunfall vom 26.05.1993 im Zuständigkeitsbereich der Tiefbau-Berufsgenossenschaft München).

Der Entscheidung der Berufsgenossenschaft lag das unfallchirurgische Gutachten des P. Dr. W. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 14.10.2004 zugrunde, der eine MdE wegen der Unfallfolgen von 40 v.H. vorschlug.

Mit Bescheid vom 14.03.2005 stellte der Beklagte den GdB mit 40 seit 01.08.2003 fest.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, im unfallchirurgischen Gutachten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. seien die Unfallfolgen aufgeführt und mit einer MdE von 40 v.H. bewertet, zusätzlich seien aber auch unfallunabhängige Erkrankungen genannt worden: Operativ versorgter Außenbandriss linkes OSG 1991, konservativ behandelte Handgelenksfraktur rechts 1978, Oberschenkelfraktur rechts 05/93, plattenosteosynthetisch versorgt; Unterschenkelfraktur rechts 05/93, marknagelosteosynthetisch versorgt. Die unfallunabhängigen Erkrankungen seien zusätzlich zu den Unfallfolgen vom 01.08.2003 zu berücksichtigen. Außerdem sei zu beachten, dass in einem für die zivilrechtliche Regulierung maßgeblichen Gutachten vom 22.07.2004 die Unfallfolgen unter Ausschluss der unfallunabhängigen Erkrankungen mit einer MdE von 50% bewertet worden seien.

Wegen des Arbeitsunfalles vom 26.05.1993 teilte die Tiefbau-Berufsgenossenschaft dem Kläger mit Schreiben vom 07.01.2005 mit, ein Anspruch auf Rente bestehe weiterhin nicht, da die Folgen des Arbeitsunfalles vom 26.05.1993 keine MdE in messbarem Grade bedingen würden. Anschließend zog der Beklagte mit dem Einverständnis des Klägers das Gutachten des Prof. Dr. W. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 10.08.2005 bei, in dem die Folgen des Arbeitsunfalles vom 11.08.2003 nach wie vor mit einer MdE von 40 v.H. bewertet wurden, sowie weitere medizinische Befundunterlagen.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.11.2005 wurde ausgeführt, auch das erneute Gutachten vom Juli 2005 bestätige den BG-Bescheid mit einem GdB von 40; der Unfall vom 26.05.1993 habe keine Behinderung hinterlassen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2005 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 29.12.2005 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) mit dem Begehren, den Beklagten zu verurteilen, einen Gesamt-Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen.

Das SG holte von Amts wegen das orthopädische Gutachten des Dr. K. vom 20.02.2006 ein. Dr. K. führte folgende Funktionsbeeinträchtigungen auf: Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenkes; verbildende Verformung des rechten Kniegelenkes, Bandinstabilität (vorderer Kreuzbandverlust) rechtes Kniegelenk; Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes; Bewegungseinschränkung des rechten oberen, operative Versteifung des rechten unteren Sprunggelenkes, posttraumatischer Plattfuß, Verlust der rechten Kleinzehe; nach Verrenkungsbruch im Mittelfuß links Arthrose im Metatarsometatarsargelenk links, Beinverkürzung rechts 2 cm, Notwendigkeit, orthopädische Schuhe zu tragen. Den Gesamt-GdB schätzte er mit 40 ein. Zusätzlich zu den von der Berufsgenossenschaft festgestellten Schäden sei noch ein Verlust der Kleinzehe rechts und die operative Versteifung des unteren Sprunggelenkes auf der rechten Seite festzustellen. Eine wesentliche Änderung der MdE sei hierdurch aber nicht gegeben. Ebenso sei die gemessene Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke nicht mit einem GdB messbaren Grades verbunden.

Anschließend legte der Kläger das unfallchirurgische Fachgutachten des Prof. Dr. H. vom Klinikum Stuttgart - K.hospital - vom 31.03.2006 vor, das dieser für eine private Versicherung erstellt hatte. Darin führte Prof. Dr. H. auf, die unfallunabhängigen Vorerkrankungen (Radiusfraktur rechts 1978, Bandruptur am linken oberen Sprunggelenk 1991, Oberschenkelschaftfraktur rechts 1993) seien jeweils folgenlos ausgeheilt. Die MdE für die Folgen des Unfalles vom 11.03.2003 schätzte Prof. Dr. H. mit 50 v.H. ein.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG das orthopädische Gutachten des Dr. S., H., vom 17.07.2006 ein. Darin führte dieser aus, der GdB für das rechte Kniegelenk betrage 30 und die schweren Funktionsbehinderungen des gesamten rechten Fußes mit Gefühlsstörungen, Fußheber- und -senkerschwäche seien ebenfalls mit einem GdB von 30 einzustufen. Der Zustand nach Oberschenkelschaftfraktur links mit verbleibender Periarthropathie der linken Hüfte bedinge einen GdB von 10, ebenso die posttraumatische Wurzelarthrose links. Der Gesamt-GdB sei mit 50 zu beurteilen. Der Unterschied zur Einschätzung des Gesamt-GdB durch Dr. K. liege darin, dass die Gesamtbeweglichkeit des rechten Kniegelenkes noch 10 Grad weniger betrage als bei der damaligen Begutachtung und dass eine neurologische Befunderhebung von Dr. K. nicht dargestellt worden sei, sodass keine Aussagen über Fußheber/Senkerschwäche und Gefühlsstörung im Bereich des rechten Fußes hätten gemacht werden können; ebenso sei die Fußverkürzung um 3 cm nicht beschrieben.

Der Beklagte trat der Klage mit dem Antrag auf Klagabweisung entgegen und legte hierzu die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 12.10.2006 vor. Darin wurde darauf hingewiesen, dass Dr. S.einen Teil-GdB von 30 für die Beeinträchtigungen im Bereich des rechten Fußes allein und für schwere Funktionsbehinderungen des gesamten rechten Fußes mit Gefühlsstörungen, Fußheber- und -senkerschwäche zusätzlich einen Teil-GdB von 30 angenommen habe, dem nicht zugestimmt werden könne. Der Teil-GdB-Wert für das rechte Knie betrage allein 30 und für die Beeinträchtigungen des oberen und unteren Sprunggelenkes sei ein Teil-GdB-Wert von jeweils maximal 10 zugrunde zu legen.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 26.02.2007 führte Dr. K. aus, aufgrund der Unfallfolgen sei zusammenfassend ein GdB mit 40 angezeigt. In die Bewertung des Gesamt-GdB müsse aber seiner Einschätzung nach zusätzlich noch Folgen auf neurologischem Fachgebiet aufgenommen werden, nämlich Nervenausfall des Nervus tibialis rechts und des Nervus Peronaeus rechts. Hierdurch seien Neuralgie, motorische Teilschädigung des Nervus Tibialis verursacht und es seien auch operative Behandlungsmaßnahmen angezeigt.

Der Kläger legte den Bescheid der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft vom 28.07.2006 vor, wonach unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 05.11.2004 dem Kläger ab 24.05.2004 Rente nach einer MdE von 45 v.H. zuerkannt wurde, da die Folgen des Arbeitsunfalles vom 01.08.2003 nunmehr mit 45 v.H. eingeschätzt wurden. Grundlage hierfür waren das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. F. vom 02.06.2006, wonach die Unfallfolgen wegen einer hochgradigen neurogenen Schädigung des Nervus tibialis rechts neurologisch mit einer MdE von 15 v.H. beurteilt wurden und das unfallchirurgische Gutachten des Prof. Dr. H. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F. vom 06.06.2006, worin die Unfallfolgen unfallchirurgisch mit einer MdE um 40 v.H. und die Gesamt-MdE mit 45 v.H. beurteilt wurden.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.08.2007 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, zu Recht habe der Beklagte einen GdB von 40 festgestellt. Ein GdB von 50 könne nicht zuerkannt werden, da der Kläger trotz erheblicher Unfallfolgen besser gestellt sei als ein Unterschenkelamputierter. Die Unfallfolgen seien unfallchirurgisch mit einem GdB von 40 zu bewerten und auf neurologischem Fachgebiet seien noch die von Dr. F. im Gutachten vom 02.06.2006 festgestellten Unfallfolgen zu berücksichtigen. Dieser habe noch eine leichte Peronaeusläsion ohne funktionelle Bedeutung und eine distale Tibialisläsion, die teilursächlich für die massive Krallenzehenbildung sei, festgestellt. Weiter bestehe auf seinem Fachgebiet eine neuralgieforme Schmerzsymptomatik. Hierfür habe er überzeugend und nachvollziehbar eine MdE von 15 v.H. angenommen. Diese müsse bei der Bildung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden. Eine Erhöhung des GdB auf 50 werde hierdurch nicht verursacht.

Gegen den - dem Kläger am 24.08.2007 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13.09.2007 Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren gestützt auf das Gutachten des Dr. S. weiter und trägt ergänzend vor, seines Erachtens könnten die Feststellungen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der Ermittlungen der Minderung der Erwerbsfähigkeit zur Feststellung des Grades der Behinderung übernommen werden. Auf orthopädisch-chirurgischem Gebiet sei eine MdE von 40 v.H. und auf neuropsychiatrischem Fachgebiet eine MdE von 15 v.H. angenommen worden. Inwieweit die Berufsgenossenschaft unter Einbeziehung beider Werte zu einem Gesamt-Grad der MdE von 45 v.H. komme, erschließe sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht. Auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts ergebe sich aus den "Anhaltspunkten", dass keinesfalls - wie vom erstinstanzlichen Gericht unterstellt - das Funktionssystem Bein zusammenfassend zu beurteilen sei. Die Anhaltspunkte sähen ausdrücklich die Bewertung der Gliedmaßenschäden für Hüftgelenk und Kniegelenk getrennt vor und für die Schäden der unteren Gliedmaße in jeweils eigenständigen Abschnitten vor. Lediglich Überschneidungen seien zu berücksichtigen. Diesen Vorgaben der Anhaltspunkte sei das SG nicht gefolgt. Der Beklagte gehe in seiner erstinstanzlich vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme davon aus, dass die neurologischen Ausfallerscheinungen in Form einer leichten Peronaeuslähnung ohne funktionelle Bedeutung seien. Dies sei aber nicht der Fall. Wie aus dem in Kopie beigefügten Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik am M. vom 10.08.2007 hervorgehe, habe er sich zwischenzeitlich erneut stationär behandeln und operieren lassen müssen. Die Diagnose sei eine starke Neuralgie im Verlauf des Nervus Suralis rechts bei Zustand nach Mehrfachverletzung mit Subtotalarthrodese rechts nach Fersenbeintrümmerfraktur, Zustand nach Metallentfernung und Neurolyse des S. Suralis rechts sowie posttraumatische Gonarthrose rechts bei Zustand nach distaler Oberschenkel-Trümmerfraktur und Kniescheibenfraktur rechts. Bei dieser Sachlage könne nicht von einer leichten Nervenschädigung ausgegangen werden.

Der Kläger stellt den Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22.08.2007 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14.03.2005 in der Ge- stalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2005 zu verurteilen, den GdB mit 50 seit 24. Mai 2004 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Rechtsstreit ist in nichtöffentlicher Sitzung am 01.08.2008 durch den Berichterstatter mit den Beteiligten erörtert worden. In diesem Termin schlossen die Beteiligten einen für den Beklagten widerruflichen Vergleich dahin, dass der Beklagte beim Kläger einen GdB von 50 ab 24.05.2004 feststellt. Diesen Vergleich hat der Beklagte am 13.08.2008 innerhalb der eingeräumten Widerrufsfrist schriftlich unter Bezug auf ein Urteil des BSG vom 24.06.1981 - 9 RVs 1/81 - widerrufen. Der Kläger hat zum Widerruf des Vergleiches ausgeführt, das vom Beklagten herangezogene Urteil sei kein Grund, den Vergleich zu widerrufen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Konstanz und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist zulässig und in der Sache auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung von 50.

Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz - VRG - ) vom 01.07.2004 (GBl S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.

Auf Antrag des Behinderten stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den daraus resultierenden GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX), so dass auch hier die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2004 (AHP) heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt ungeeignet (vgl. Nr. 19 Abs. 1 der AHP). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 der AHP). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4 der AHP). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5).

Hiervon ausgehend steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in der Teilhabe am Leben der Gesellschaft hauptsächlich durch die Folgen des Arbeitsunfalles vom 01.08.2003 eingeschränkt wird. Die Folgen dieses Arbeitsunfalles haben zu Funktionsbeeinträchtigungen auf unfallchirurgischem und auf neurologischem Fachgebiet geführt. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat nach urkundenbeweislicher Verwertung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. F. vom 02.06.2006, wonach die Unfallfolgen neurologisch mit einer MdE von 15 v.H. beurteilt wurden und des unfallchirurgischen Gutachtens des Prof. Dr. H. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F. vom 06.06.2006, worin die Unfallfolgen unfallchirurgisch mit einer MdE um 40 i.H. und die Gesamt-MdE mit 45 v.H. beurteilt wurden. Daraus ergibt sich nach Überzeugung des Senats ein Gesamt-Grad der Behinderung gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) von 50.

Soweit die Berufsgenossenschaft die unfallbedingte MdE mit 45 v.H. festgestellt hat, kann dieser Vomhundertsatz nach dem SGB IX nicht übernommen werden, da gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen sind. Eine Umsetzung der unfallbedingten MdE in Höhe von 45 v.H. in einen GdB von 40 nach dem SGB IX würde nach Überzeugung des Senats dem Ausmaß der vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen jedoch nicht gerecht werden. Dies deshalb, weil die Unfallfolgen allein schon auf chirurgischem Fachgebiet eine MdE in Höhe von 40 v. H. verursachen und daneben Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet mit einer Teil-MdE von 15 v.H. vorliegen. Wie sich aus dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. F. vom 02.06.2006 ergibt, handelt es sich bei den Unfallfolgen auf diesem Fachgebiet auch nicht um nur unwesentliche Funktionsbeeinträchtigungen. Im Bereich der rechten unteren Extremität ist es nämlich durch den Unfall zu einer Mitbeteiligung der peripheren Nerven gekommen mit einer hochgradigen sensiblen Störung an der Fußsohle mit dort auch bestehenden massiven Missempfindungen (vgl. Bl. 6 des Gutachtens) und außerdem liegt eine distale Tibialisläsion vor, der eine funktionelle Bedeutung zukommt und die teilursächlich für die massive Krallenzehenbildung ist und die auch verantwortlich ist für die vom Kläger beklagte massive neuralgieforme Schmerzsymptomatik (vgl. Bl. 9 des Gutachtens). Diese massive Neuralgie und die motorisch hochgradige Teilschädigung des distalen Tibialis rufen neben den Folgen auf unfallchirurgischem Gebiet zusätzliche Funktionsstörungen hervor, weshalb sie auch zu Recht von Dr. F. mit einer Teil-MdE auf neuropsychiatrischem Gebiet von 15 v.H. eingeschätzt worden sind. Diese - neben den Folgen auf unfallchirurgischem Fachgebiet - vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen können nicht unberücksichtigt bleiben, sondern sie führen zu einer Anhebung des Teil-GdB-Wertes von 40 (auf unfallchirurgischem Fachgebiet). Unter Berücksichtigung des Teil-GdB-Wertes von 15 auf neuropsychiatrischem Fachgebiet ergibt sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 50.

Bei dieser Beurteilung sieht sich der Senat auch im Einklang mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2008. Danach ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB/MdE-Grad bedingt (hier: Folgen auf chirurgischem Fachgebiet mit einen GdB von 40), und dann ist im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen (hier: Folgen auf neuropsychiatrischem Fachgebiet mit einen GdB von 15) zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird (Rdnr. 19 Abs.3, S. 25). Dabei ist nach den AHP (Nr. 18 Abs. 4, Seite 22) bei Fünfergraden für die GdB-Beurteilung zu beachten, dass in den Fällen, in denen die Gesundheitsstörung auch nur wenig günstiger ist, als in der GdB-Tabelle beschrieben, der Zehnergrad unter dem Fünfergrad anzusetzen ist; entspricht der Gesundheitszustand genau der beschriebenen oder ist sie etwas ungünstiger, ist der über dem Fünfergrad gelegene Zehnergrad anzunehmen. Letzteres trifft beim Kläger für die Folgen auf neurologischem Fachgebiet zu. Daher erachtet der Senat im vorliegenden Fall einen GdB von 50 für angemessen, aber auch ausreichend.

Da die unfallbedingte MdE ab 24.05.2004 gemäß dem Bescheid der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft vom 28.07.2006 45 v.H. beträgt, ist der GdB nach dem Schwerbehindertenrecht ebenfalls ab 24.05.2004 mit 50 festzustellen.

Soweit sich der Beklagte zu seiner Auffassung, dass die Unfallfolgen mit einer MdE von 45 v.H. lediglich zu einem GdB von 40 nach dem SGB IX berechtigten, auf das Urteil des BSG vom 24.06.1981 - 9 RVs 1/81 - beruft, ist dem entgegenzuhalten, dass dieses Urteil nicht einschlägig ist. Darin ist ausgeführt, dass ein Behinderter, dessen Erwerbsfähigkeit um 45 v.H. gemindert ist, nicht entsprechend der Aufrundungsvorschrift des § 31 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) aF als Schwerbehinderter nach § 1 des Schwerbehindertengesetzes anzuerkennen ist. Vorliegend gelangt der Senat jedoch nicht aufgrund einer Aufrundungsvorschrift zu einem GdB von 50, sondern unter Berücksichtigung zweier Teil-GdB-Werte. Der Senat kann deshalb weiter auch offen lassen, ob dieses Urteil des BSG durch die mit Wirkung vom 21.12.2007 durch das Gesetz vom 13.12.2007 (BGBl. I S. 2904) erfolgte Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG, auf den § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX wegen der Bildung des GdB verweist, dahin, dass in § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG nunmehr geregelt ist, dass ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen vom höheren Zehnergrad mit umfasst wird, überholt ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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