L 6 R 5271/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2749/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 R 5271/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.07.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der teilweisen Aufhebung des Bescheides über die Bewilligung von Witwenrente wegen fehlender Einkommensanrechnung und der Rückforderung überzahlter Witwenrente in Höhe von insgesamt 64.619,34 Euro.

Die 1941 geborene Klägerin beantragte am 05.11.1990 nach dem Tod ihres Ehemannes, Z. G., am 21.10.1990 die Gewährung von Hinterbliebenenrente für sich und ihre beiden Töchter N. und K. G ... In der Anlage zum Antrag auf Witwenrente verneinte sie die Frage, ob sie Arbeitsentgelt bzw. Arbeitseinkommen beziehe. Mit Bescheiden vom 23.01.1991 gewährte die Beklagte der Klägerin und ihren Töchtern Hinterbliebenenrente ab 21.10.1990. Der Bescheid über die Bewilligung von Witwenrente beinhaltet auf Seite 3 den folgenden Hinweis:

"Trifft eine Hinterbliebenenrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so ruht die Rente im ersten Jahr nach dem Tode des Ehegatten nicht. Im zweiten Jahr ruht die Rente in Höhe von 10 v. H., im dritten Jahr in Höhe von 20 v. H., im vierten Jahr in Höhe von 30 v. H. und vom fünften Jahr an in Höhe von 40 v. H. des Betrages, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt (Art. 2 § 22 b Abs. 2 AnVNG).

Nähere Einzelheiten ergeben sich aus den beiliegenden Erläuterungen zum Rentenbescheid.

Es besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns eine Erhöhung oder das Hinzutreten von Einkommen unverzüglich mitzuteilen."

Den gegen den Bescheid über die Bewilligung von Witwenrente eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.09.1991 zurück. Die Bescheide über die Bewilligung von Waisenrente hob sie mit Wirkung zum 01.01.1995 bzw. 01.05.1999 wegen Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. Vollendung des 27. Lebensjahres auf.

Nachdem die Beklagte der Klägerin auf ihren am 14.04.2005 gestellten Antrag mit Bescheid vom 27.05.2005 Altersrente für Frauen ab 01.07.2005 bewilligt hatte, erfolgte am 31.05.2005 unter der Versicherungsnummer des Ehemanns der Klägerin eine Datenerfassung über ihre Einkommensdaten. Diese ergab, dass die Klägerin seit 01.03.1991 eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hatte. Die Beklagte berechnete die Witwenrente mit Bescheid vom 14.06.2005 ab 01.03.1991 neu, stellte mit weiterem Bescheid vom 24.06.2005 die Witwenrente ab 01.08.2005 unter Berücksichtigung des anzurechnenden Einkommens neu fest und hob den Bescheid vom 23.01.1991 hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) mit Wirkung ab 01.08.2005 auf. Mit Schreiben vom 01.07.2005 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie beabsichtige, den Bescheid vom 23.01.1991 sowie die Folgebescheide mit Wirkung ab 01.07.1992 nach § 45 SGB X zurückzunehmen, die richtig berechnete Rente ab 01.08.2005 zu zahlen und die Überzahlung für die Zeit vom 01.07.1992 bis 31.07.2005 in Höhe von 64.179,85 Euro zurückzufordern. Die Klägerin erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie trug vor, sie habe von der angeblich zum 01.07.1992 eingetretenen Gesetzesänderung keine Mitteilung erhalten. Weshalb die Beklagte von ihren Einkünften nichts gewusst habe, verstehe sie nicht, da ihr Arbeitgeber jeden Monat die Sozialversicherungsbeiträge an sie abführe und jährlich die Mitteilung über ihre Bezüge an die Sozialversicherung übersandt werde. Außerdem habe sie sich in den Jahren 2003 und 2004 in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Freiburg nach ihrer eigenen Altersrente erkundigt. Die Frage nach einer Witwenrente habe sie dort bejaht. Sie habe das Geld zur Begleichung von Schulden aus der Zeit der Ehe und zur Ausbildung der Kinder verwendet. Ihr Ehemann sei im Alter von 53 Jahren an plötzlichem Herzversagen gestorben. Im Übrigen sei die Witwenrente bei der Krankenkasse und beim Finanzamt gemeldet und sie dadurch in der Vergangenheit steuerlich wesentlich höher veranschlagt worden. Mit Bescheid 27.07.2005 stellte die Beklagte die große Witwenrente mit Wirkung ab 01.07.1992 neu fest und forderte die Überzahlung in Höhe von 64.179,85 Euro zurück. Den Rentenbescheid vom 23.01.1991 sowie die Folgebescheide nahm sie hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.07.1992 zurück.

Hiergegen legte die Klägerin mit der Begründung Widerspruch ein, sie habe sich nach dem Tod ihres Ehemanns in einer verzweifelten Situation befunden. Aufgrund der geringen Rente habe die Notwendigkeit des Hinzuverdienstes bestanden. Der Text des Bescheides vom 23.01.1991 habe nicht im Vordergrund gestanden, sondern nur der festgestellte Betrag. Die Rechtsänderung zum 01.01.1986 bezüglich der Hinterbliebenenrenten sei nicht allgemein bekannt gewesen. Der Beklagten sei durch den Bescheid über Kindererziehungszeiten vom 19.02.1991 der Zusammenhang zwischen dem Versicherungskonto der Klägerin und der Hinterbliebenenrente bekannt gewesen. Sie, die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen, einer bestimmten Abteilung innerhalb der Beklagten Mitteilung zu machen. Die Meldung durch den Arbeitgeber sei deshalb ausreichend gewesen. Die Klägerin legte unter anderem den Bescheid vom 19.02.1991 über die Zuordnung von Kindererziehungszeiten zum Versicherungskonto ihres Ehemanns und das Schreiben der Beklagten vom 17.09.2001 vor, mit dem diese die Klägerin über die im Versicherungskonto gespeicherten Daten informierte. Auf Antrag der Klägerin zog die Beklagte die Erläuterungen und Hinweise zum Rentenbescheid vom 23.01.1991 bei. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 18.07.2005 - bei der Beklagten am 26.07.2005 eingegangen - mit, dass sie im Juli 2005 noch Erwerbseinkommen bezogen habe. Mit Bescheid vom 31.01.2006 berechnete die Beklagte die Witwenrente ab 01.08.2005 neu, hob den Bescheid vom 27.07.2005 hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 48 SGB X ab 01.08.2005 auf und forderte die Überzahlung in Höhe von 31,50 Euro für den Zeitraum 01.08.2005 bis 28.02.2006 zurück.

Hiergegen legte die Klägerin ebenfalls Widerspruch ein. Unter dem 09.02.2006 erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid, mit dem sie wegen des noch im Juli 2005 bezogenen Einkommens aus dem Beschäftigungsverhältnis den Bescheid vom 27.07.2005 mit Wirkung ab 01.07.2005 nach § 48 SGB X aufhob und die Überzahlung für den Zeitraum 01.07. bis 31.07.2005 in Höhe von 439,49 Euro zurückforderte. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2006 wies sie den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.07.2005 zurück. Allerdings sei der Bescheid vom 23.01.1991 hinsichtlich der Rentenhöhe für die Zeit ab 01.07.1992 entgegen der Aussage im Bescheid vom 27.07.2005 nicht nach § 45 SGB X zurückzunehmen, sondern nach § 48 SGB X aufzuheben. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 bis 4 SGB X lägen jedoch vor.

Am 08.06.2006 erhob die Klägerin gegen den Widerspruchsbescheid vom 01.06.2006 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Sie wiederholte ihr Vorbringen, sie habe davon ausgehen können, dass die Beklagte aufgrund der bei ihr gemeldeten Beitragszahlungen über den Einkommensbezug informiert gewesen sei. Die Hinweise im Bescheid vom 23.01.1991 seien nicht ausreichend klar gewesen. Die subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X seien nicht erfüllt. Sie sei in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass der überlebende Ehepartner die Rentenanwartschaften des Verstorbenen ungekürzt als Witwenrente erhalte. Es sei ferner ein Mitwirkungsverschulden der Beklagten gegeben, das im Rahmen des atypischen Falls zu berücksichtigten sei. Auch wegen der Hinweise der Klägerin auf den Witwenrentenbezug bei den Vorsprachen bei der Beklagten sei ein atypischer Fall gegeben, so dass im Rahmen der Ermessensprüfung eine rückwirkende Aufhebung ausscheide. Die Beklagte habe ferner unter anderem aufgrund des der Klägerin zu ihrem Versicherungskonto erteilten Bescheides vom 19.02.1991 eine Beratungspflicht gehabt. Sie hätte die Stelle, die die Witwenrente bearbeite, selbst oder die Klägerin über den notwendigen Hinweis an diese Stelle informieren müssen. Gleiches gelte aufgrund des Antrags auf Feststellung von Kindererziehungszeiten/Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vom 24.04.2002. Die Jahresfrist der §§ 48 Abs. 4, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei verstrichen. Nachdem die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 31.01.2006 mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2006 zurückgewiesen hatte, erweiterte die Klägerin die Klage in Bezug auf diesen Bescheid. Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie wies darauf hin, dass die Meldung der Beschäftigung unter der Versicherungsnummer der Klägerin erfolgt war. Nach den Hinweisen im Rentenbescheid habe der Klägerin bekannt sein müssen, dass das eigene Einkommen Einfluss auf die Höhe der Hinterbliebenenrente habe, so dass die Klägerin billigend in Kauf genommen habe, dass die Witwenrente in falscher Höhe gezahlt worden sei. Die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides gekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Die für die Hinterbliebenenrente zuständige Sachbearbeitung habe erst durch die Mitteilung über den Rentenbezug aus eigener Versicherung im Juni 2005 Kenntnis von dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin erlangt. Ein Verschulden der Beklagten und ein atypischer Fall lägen nicht vor. In der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2007 nahm die Klägerin die Klage in Bezug auf den Bescheid vom 31.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 19.09.2006 zurück. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 11.07.2007 - dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.10.2007 zugestellt - ab.

Am 07.11.2007 hat die Klägerin Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt vor, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beklagten der Umstand der erfolgten Pflichtbeitragszahlung verborgen geblieben sei, zumal sie, die Klägerin, jedem Gesprächspartner der Beklagten - sei es bei der Verteilung der Kindererziehungszeiten, sei es bei mehrfachen Gesprächen in eigener Rentensache - erklärt habe, dass sie Witwenrente beziehe. Die Formulierungen im Rentenbescheid vom 23.01.1991 seien nur so verständlich, dass damit erwartet werde, Angaben über Umstände zu machen, die für die Beklagte nicht ohne Weiteres feststünden. Die Beklagte sei verpflichtet, ständig zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine einmal begonnene Rente noch gegeben seien, indem sie entweder einen Datenabgleich in ihrem Hause vornehme oder den Rentenempfängern in regelmäßigen kurzzeitigen Abständen Fragebogen zuleite. Aus der Bestimmung über die Befristung der Renten aus eigenem Recht (§ 102 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB VI]) ergebe sich, dass in regelmäßigen Abständen von zwei bis drei Jahren die Voraussetzungen der Witwenrentenbezugsberechtigung geprüft werden müssten. Die Beklagte habe vorzutragen, welche Maßnahmen sie intern getroffen habe, um sicherzustellen, dass Witwenrenten nicht über längere Zeit geleistet werden, ohne dass eine regelmäßige Kontrolle über das Fortbestehen der Voraussetzungen durchgeführt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.07.2007 und den Bescheid vom 27.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 01.06.2006 aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Hinweis im Rentenbescheid vom 23.01.1991. Auf den gerichtlichen Hinweis, dass die Aufhebung des Bescheides vom 27.07.2005 durch den Bescheid vom 09.02.2006 für den Monat Juli 2005 nach § 48 SGB X erfolgte, obwohl der Bescheid vom 27.07.2005 in Bezug auf diesen Monat bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen sein dürfte, hat sie den Bescheid vom 09.02.2006 in der mündlichen Verhandlung vom 13.08.2008 aufgehoben.

Die Berichterstatterin des Senats hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 28.05.2008 erörtert. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung vorgetragen, sie sei wegen der Kindererziehungszeiten ca. 1993, außerdem wegen der Höhe ihrer Versichertenrente 2002 und ferner zu einem weiteren Termin bei der Beklagten gewesen. Sie habe sich nicht überlegt, dass das Einkommen zu einer Rentenkürzung führen würde.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und zulässig. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der Aufhebung des Bescheides vom 09.02.2006 der Bescheid der Beklagten vom 27.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2006. Die Berufung ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2006 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,

2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,

3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder

4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraums.

Gemäß § 48 Abs. 4 SGB X gelten § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn

1. die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder

2. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.

In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15.04.1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird. Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Rücknahme mit Wirkung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen.

Nach § 314 Abs. 3 SGB VI in der vom 01.01.1992 bis 31.12.2001 geltenden und im vorliegenden Fall anzuwendenen Fassung werden, wenn der Versicherte in der Zeit vom 01.01.1986 bis 31.12.1995 gestorben ist und die Ehe vor dem 01.01.1986 geschlossen wurde, auf eine Witwenrente bis zum Ablauf von zwölf Kalendermonaten nach dem Tode des Versicherten die Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes nicht angewendet. Anschließend werden sie mit der Maßgabe angewendet, dass für jeweils zwölf Kalendermonate das nach Abzug der Minderungsbeträge verbleibende Einkommen zunächst in Höhe von 10 v. H., dann in Höhe 20 v. H., dann in Höhe von 30 v. H. und erst nach Ablauf des 48. auf den Sterbemonat folgenden Kalendermonats in Höhe von 40 v. H. angerechnet wird.

Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheides vom 23.01.1991 und der Folgebescheide hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X waren erfüllt. Die Klägerin nahm am 01.03.1991 eine versicherungspflichtige Beschäftigung mit der Folge auf, dass gemäß § 314 Abs. 3 SGB VI mit Wirkung ab 01.07.1992 (§ 18 d des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB IV]) der Anspruch auf Witwenrente wegen der Einkommensanrechnung in geringerer Höhe bestand. In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 23.01.1991 zugrunde gelegen haben, ist somit eine wesentliche Änderung eingetreten. Die Tatsache, dass die Beklagte den Bescheid vom 23.01.1991 mit Bescheid vom 27.07.2005 nach § 45 SGB X zurücknahm, statt ihn gemäß § 48 SGB X aufzuheben, ist unschädlich. Die Beklagte korrigierte den Fehler im Widerspruchsbescheid vom 01.06.2006. Im Übrigen handelte es sich insoweit lediglich um einen - zulässigen - Austausch der Begründung (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X Randnr. 8). Die gemäß § 24 SGB X erforderliche Anhörung der Klägerin wurde mit Schreiben vom 01.07.2005 durchgeführt.

Aufgrund der wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse war der Bescheid über die Rentenbewilligung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, nach denen der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden soll, lagen vor. Die Klägerin hat nämlich nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt, das zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Bestimmung setzt weder Bösgläubigkeit noch ein Verschulden des Leistungsbeziehers voraus. Vielmehr führt allein die Tatsache des Bezugs von Arbeitsentgelt, das nach § 314 Abs. 3 SGB VI auf die Witwenrente anzurechnen war, dazu, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X erfüllt waren. Die Formulierung in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, dass der Verwaltungsakt bei Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden "soll" bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern vielmehr als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit zu überprüfen und zu entscheiden (vgl. Steinwedel a. a. O. § 48 SGB X Randnr. 36). Ein atypischer Fall, der die Behörde verpflichtet, ihr Ermessen auszuüben, liegt im Rahmen der Nummer 3 z. B. vor, wenn die Behörde durch falsche Angaben in Merkblättern einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hatte, wenn der Betroffene die Leistung gutgläubig (z. B. aufgrund behördlicher Auskünfte) verbraucht hat und zur Rückzahlung nur die laufenden Bezüge zur Verfügung stehen, wenn ohne die nachträglich weggefallene Sozialleistung ein höherer Verdienst erzielt worden wäre, ferner, soweit der Betroffene hierdurch im Nachhinein (vermehrt) sozialhilfebedürftig wurde (vgl. Steinwedel a. a. O. § 48 SGB X Randnr. 52). Ein atypischer Fall ist hier nicht gegeben. Insbesondere begründet der Umstand, dass die Beklagte theoretisch durch einen Datenabgleich zwischen den Versicherungskonten - die Kenntnis über die jeweils andere Versicherungsnummer unterstellt - den Einkommensbezug hätte feststellen können, keinen atypischen Fall. Die Versicherungskonten werden getrennt geführt. Eine Verpflichtung der Beklagten, einen Datenabgleich vorzunehmen, gibt es nicht. Vielmehr dient der Hinweis im Bescheid vom 23.01.1991 gerade dazu klarzustellen, dass der Rentenempfänger selbst verpflichtet ist, das Hinzutreten von Einkommen unverzüglich mitzuteilen. Eine Differenzierung zwischen Einkommensarten mit Beitragszahlung bei demselben Rentenversicherungsträger und anderen Einkünften wird dabei nicht vorgenommen und ist auch nicht geboten. Die Klägerin irrt, wenn sie davon ausgeht, dass ein Sachbearbeiter der Beklagten im Zusammenhang mit der Beitragszahlung jeden Monat mit ihrer Rentenakte befasst war. Der Beitragseinzug erfolgt nämlich automatisiert. Deshalb ist der vorliegende Fall entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht mit dem vom BSG entschiedenen Fall vergleichbar, in dem das damalige Arbeitsamt durch einen Postrücklauf Kenntnis von einer Änderung der Anschrift erhielt und damit veranlasst war, die Klägerin des dortigen Falles auf die von dieser Veränderung ausgehenden Rechtsfolgen aufmerksam zu machen (Urteil vom 29.11.1989 - 7 RAr 138/88 - zitiert nach Juris). Auch die Tatsache, dass etwa durch den Bescheid über die Feststellung von Kindererziehungszeiten vom 19.02.2001 ein Zusammenhang zwischen den Versicherungskonten deutlich wurde, ändert daran nichts. Bei der Entscheidung über Kindererziehungszeiten/Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung sind grundsätzlich die Versicherungskonten beider Eltern heranzuziehen. Diese Prüfung erstreckt sich aber nicht auf einen etwaigen, zufällig zur selben Zeit bestehenden Einkommensbezug, der für eine Hinterbliebenenrente relevant ist. Es ist nicht Aufgabe der Beklagten nachzuforschen, ob ein Rentenempfänger möglicherweise Einkommen erhält, vielmehr hat der Leistungsbezieher, der im Bewilligungsbescheid ausdrücklich über seine Hinweispflicht informiert wird, selbst für die Information der entsprechenden Stelle zu sorgen. Der Auffassung der Klägerin, die Beklagte müsse zumindest durch regelmäßiges Übersenden von Fragebögen prüfen, ob die Voraussetzungen für die weitere Rentenberechtigung vorliegen, kann der Senat nicht folgen. Die Beklagte darf davon ausgehen, dass Mitteilungspflichten beachtet werden. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, sie habe die Leistungen gutgläubig verbraucht. Der Senat hat bereits Bedenken, der Klägerin zu glauben, dass ihr der Zusammenhang zwischen Einkommensbezug und Höhe der Witwenrente gänzlich verborgen geblieben ist. Selbst wenn man aber dem Vortrag der Klägerin folgen würde, käme ein atypischer Fall bei dieser Sachlage nur unter besonderen Umständen in Betracht, wenn nämlich etwa eine unzutreffende behördliche Auskunft erteilt worden wäre. Dies war hier nicht der Fall. Bei den Vorsprachen der Klägerin in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten war der Zusammenhang zwischen ihrem Einkommensbezug und ihrer Stellung als Witwenrentenempfängerin gerade nicht Thema, wie die Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 28.05.2008 klargestellt hat. Dass über die bereits zum 01.01.1986 eintretende Rechtsänderung in Bezug auf die Einkommensanrechnung bei Hinterbliebenenrenten nicht ausreichend informiert worden wäre, ist nicht ersichtlich, ganz abgesehen davon, dass die Klägerin über ihre Hinweispflicht im Bescheid vom 23.01.1991 ausreichend informiert worden ist. Die belastende Situation, in der sich die Klägerin auf Grund des plötzlichen Todes ihres Ehemanns und der nunmehr alleinigen Verantwortung für die beiden in Ausbildung befindlichen Töchter befand, begründet ebenfalls nicht das Vorliegen eines atypischen Falles. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Klägerin ihren Ehemann auf besonders tragische Weise und zu einem außergewöhnlich frühen Zeitpunkt verloren hat. Ein Hinterbliebenenrentenantrag wird aber typischerweise in einer schwierigen Lebenssituation gestellt. Die erhebliche Höhe des Rückforderungsbetrages führt ebenfalls nicht zum Vorliegen eines atypischen Falles. Diese spiegelt nämlich lediglich die überdurchschnittliche Einkommenssituation der Klägerin wider. Ein atypischer Fall mit der Folge, dass die Beklagte bei der Entscheidung über die Aufhebung des Rentenbescheides mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse Ermessen auszuüben hätte, liegt somit nicht vor. Vielmehr ist hier gerade der typische Sachverhalt im Fall einer unterlassenen Mitteilung von Einkünften mit der Folge der Überzahlung einer Hinterbliebenenrente gegeben.

Da bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung des Bescheides vom 23.01.1991 und der Folgebescheide nach § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 3 SGB X erfüllt sind, kommt es auf die Frage nicht an, ob die Klägerin im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht kannte. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass jedenfalls die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG X ebenfalls erfüllt sind. Die Klägerin ist ihrer sich aus § 60 Abs.1 Nr. 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) ergebenden Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Wenn sie vorträgt, für sie hätten die Hinweise im Rentenbescheid nicht im Vordergrund gestanden, vielmehr sei es ihr nur auf den Betrag angekommen, liegt gerade darin eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung. Entgegen ihrer Auffassung ist die Mitwirkungspflicht nicht nach § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I ausgeschlossen. Die dort genannten Voraussetzungen, dass der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann, sind nicht erfüllt. Der Klägerin wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, der für die Hinterbliebenenrente zuständigen Stelle bei der Beklagten ihren Einkommensbezug mitzuteilen. Der von der Klägerin ebenfalls zitierte § 18 e SGB IV betrifft die Mitteilungspflichten des Arbeitgebers nach Information des Rentenversicherungsträgers über die Tatsache des Einkommensbezugs durch den Rentenempfänger und ist daher hier nicht einschlägig.

Auch die Fristen § 48 Abs. 4 SGB X für die Rücknahme sind eingehalten. Die Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X in der bis 14.04.1998 geltenden Gesetzesfassung bedeutete lediglich, dass zehn Jahre nach der wesentlichen Änderung eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen war, wenn sich dies zu Ungunsten des Berechtigten auswirkte (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - zitiert nach Juris). § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X verweist nunmehr auch auf die seit 15.04.1998 geltenden Sätze 4 und 5 des § 45 Abs. 3 SGB X, was in den Materialien als "Folgeänderung" bezeichnet wird (vgl. Bundestags-Drucksache 13/10003). Damit hat auch im Rahmen des § 48 Abs. 1 SGB X die Zehn-Jahres-Frist an Bedeutung verloren (vgl. Steinwedel a. a. O. § 48 SGB X Randnr. 77). Im vorliegenden Fall war die Witwenrente bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt worden. Deshalb kann nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X der Rentenbewilligungsbescheid vom 23.01.1991 auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist ebenfalls eingehalten. Die Jahresfrist beginnt mit der Kenntnis der Rücknahmegründe durch den für die Rücknahme zuständigen Sachbearbeiter (vgl. Steinwedel a. a. O., § 45 SGB X Randnr. 26, 30). Da die der Aufhebung zugrunde liegende Datenerfassung des Einkommens am 31.05.2005 erfolgte und der Aufhebungsbescheid bereits vom 27.07.2005 datiert, ist die Jahresfrist bereits ungeachtet der Tatsache gewahrt, dass sie in der Regel frühestens mit der Anhörung des Begünstigten beginnt (vgl. Steinwedel a. a. O., § 45 SGB X Randnr. 27).

Fehler in der Berechnung des Rückforderungsbetrages sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe wegen der falsch berechneten Witwenrente höhere Steuern und höhere Krankenversicherungsbeiträge gezahlt, ist festzustellen, dass nur der Nettobetrag der überzahlten Witwenrente zurückgefordert wurde, so dass die Differenz bezüglich der Krankenversicherungsbeiträge die Klägerin nicht belastet. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, die höhere Steuerlast in der Vergangenheit führte dazu, dass der Rückforderungsbetrag nunmehr höher wäre als der der Klägerin damals verbliebene Nettobetrag der Witwenrente. In diesem - hier nicht anzunehmenden - Fall wäre der Rückforderungsbetrag entsprechend zu begrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.1986 - 7 RAr 55/84 - SozR 1300 § 48 Nr. 22).

Die Berufung der Klägerin war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Von der Festsetzung einer Kostenquote im Hinblick auf den Teilerfolg der Klägerin in Bezug auf den Bescheid vom 09.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2006 hat der Senat abgesehen, da der sich aus diesem Bescheid ergebende Rückforderungsbetrag von 439,49 Euro im Verhältnis zu dem sich aus dem Bescheid vom 27.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2006 ergebenden Rückforderungsbetrag von 64.179,85 Euro nicht entscheidend ins Gewicht fällt.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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