L 10 R 137/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 6955/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 137/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.11.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger erstrebt die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der im Jahre 1969 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und lebt seit dem Jahre 1995 im Bundesgebiet. Von Oktober 1999 bis März 2000 war er als Fabrikarbeiter bei der Firma R. mit der Produktion von Autositzen und von Juli 2001 bis November 2002 als Bauarbeiter (Estrichleger) beschäftigt. Seit der nach Angabe des Klägers krankheitsbedingten Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses durch die Arbeitgeberin ist er nicht mehr erwerbstätig. Er leidet im Wesentlichen an Gelenkbeschwerden auf Grund einer rheumatoiden Arthritis bzw. (DD) Kollagenose (entzündliche Autoimmunkrankheit), Wirbelsäulenbeschwerden, einem Zustand nach Perimyokarditis (entzündliche Erkrankung des Herzbeutels) im August 2002 und Schmerzen bzw. psychischen Folgeerscheinungen.

Am 16.03.2006 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte gestützt auf ein Gutachten des Internisten Dr. Br. (leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne ständiges Gehen und Stehen sechs Stunden und mehr möglich) mit Bescheid vom 09.06.2006 ab, da der Kläger noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2006 zurück.

Am 18.09.2006 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben. Das Sozialgericht hat in der Folgezeit schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der den Kläger behandelnden Ärzte, des Augenarztes Dr. K. (keine Leistungseinschränkung), des Kardiologen Dr. Sm. (keine Angaben möglich), des Allgemeinmediziners Dr. Schr. (Leistungsvermögen unter drei Stunden), des Neurologen und Psychiaters Dr. P. (volle Arbeitsfähigkeit) und der Rheumatologin Dr. Ri. (Leistungsvermögen unter drei Stunden) eingeholt. Darüber hinaus hat der leitende Oberarzt des S Rheumazentrums B. , Klinik für Rheumaorthopädie, Endoprothetik, Gelenk-, Fuß- und Handchirurgie Bad W. , Dr. C. , im Auftrag des Sozialgerichts ein schriftliches Sachverständigengutachten (Leistungsvermögen von sechs bis acht Stunden für leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten auch in Wechsel- und Nachtschicht, mit Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel bis zu fünf Kilogramm, bei in etwa halbstündigem Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, ohne gleichförmige Körperhaltungen, häufiges Bücken, ohne häufiges Treppensteigen, ohne Besteigen von Leitern, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Akkord- und Fließbandarbeiten, ohne Arbeiten an gefährdenden Maschinen, ohne volle Gebrauchsfähigkeit der Hände (Feinmotorik und Kraft), ohne Arbeiten frühmorgens, ohne Einwirkung von Hitze, Kälte, Zugluft und Lärm sowie ohne besondere Verantwortung und Beanspruchung; zumutbare Wegstrecke täglich viermal mehr als 500 Meter in jeweils 20 Minuten). Schließlich hat der Kläger ein Privatgutachten des behandelnden Orthopäden Dr. Ko. (völlige Erwerbsunfähigkeit u. a. auf Grund psychischer Störungen) vorgelegt.

Mit Urteil vom 15.11.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger, der nach dem in § 240 Abs. 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) normierten Stichtag geboren sei und deshalb keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit habe, sei nicht im Sinne des § 43 SGB VI erwerbsgemindert, da er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Die Kammer folge dabei der Leistungsbeurteilung von Dr. Br. und von Dr. C ... Diese hätten hinsichtlich der Kollagenose nur leichte Gelenkschwellungen und keine wesentlichen entzündlichen Aktivitäten erhoben, was auch durch einen Befundbericht der rheumatologischen Ambulanz der U. Klinik T. vom 26.07.2006 bestätigt werde. Auch im Übrigen lägen keine hier erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen vor. Vor diesem Hintergrund könne der Einschätzung der Rheumatologin Dr. Ri. und des Allgemeinmediziners Dr. Schr. , der Kläger könne auch leichte Arbeiten nur noch unter drei Stunden verrichten, nicht gefolgt werden. Das Privatgutachten des Orthopäden Dr. Ko. überzeuge nicht, da es an objektiven pathologischen Befunden für die angenommene Erwerbsminderung fehle und diese in erster Linie mit subjektiven Beschwerden des Klägers und Diagnosen auf psychiatrischem Fachgebiet begründet werde. Dem stehe allerdings die Einschätzung des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. P. entgegen, der eine leichte Arbeit vollschichtig für zumutbar halte. Diese Entscheidung ist dem Kläger am 07.01.2008 zugestellt worden.

Am 10.01.2008 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, er sei wegen seiner Gesundheitsstörungen, insbesondere wegen starker Schmerzen, voll erwerbsgemindert und sieht sich hierin in der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Orthopäden Dr. Ko. bestätigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.11.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 09.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und trägt unter Hinweis auf eine ärztliche Stellungnahme von Medizinaldirektor H. vor, die schriftliche sachverständige Zeugenaussage von Dr. Ko. entspreche der von diesem zuvor abgegebenen gutachterlichen Äußerung, so dass sich hierdurch keine neue Sachlage ergebe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Stuttgart sowie die beigezogenen Rentenakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 09.06.2006 sowie der Widerspruchsbescheid vom 13.09.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Klägerin daher nicht in seinen Rechten. Denn ihm steht keine Rente wegen Erwerbsminderung zu. Dies hat das Sozialgericht im Urteil vom 15.11.2007 unter Zugrundelegung der für die Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs maßgeblichen Regelungen des § 43 Abs. 1, Abs. 2, § 240 SGB VI ausführlich und inhaltlich zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Die von der Rheumatologin Dr. Ri. erstinstanzlich unter dem 20.12.2006 als Grund für die von ihr angenommene zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden am Tag mitgeteilte ausgeprägte Entzündungsaktivität der Kollagenose des Klägers wird abschließend durch den von seinem Prozessbevollmächtigten vorgelegten Befundbericht der rheumatologischen Ambulanz der U. Klinik T. vom 31.01.2007 widerlegt. Denn ausweislich dieses Berichts fand sich auch im Rahmen der ambulanten Vorstellung des Klägers am 11.01.2007 bei der durchgeführten 3-Phasen-Skelettszintigraphie kein Anhalt für einen floriden entzündlichen Prozess und im Labor keine humorale Aktivität.

Soweit es im besagten Befundbericht der U. Klinik T. weiter heißt, es liege der Verdacht nahe, dass es sich zusätzlich auch um ein Problem der Schmerzwahrnehmung, eventuell im Sinne eines beginnenden Schmerzsyndroms, handle, lässt sich eine hier erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung nicht feststellen. Denn bereits im vom Allgemeinmediziner Dr. Schr. erstinstanzlich vorgelegten Arztbrief der F klinik Bad B. vom 15.04.2005 ist ausgeführt, dass die Schmerzen des Klägers z. T. vordergründig waren. Dem entspricht das vom Kläger im Rahmen der Begutachtung durch Dr. C. gezeigte erhebliche Demonstrations- und Aggravationsverhalten. Während er nämlich bei der körperlichen Untersuchung vorgegeben hat, auch nicht für kurze Zeit auf zwei Beinen und mit gestreckten Kniegelenken stehen zu können, sondern sich bei gebeugtem rechten Knie- und Hüftgelenk mit der rechten Hand an der Untersuchungsliege abgestützt hat, ist ihm die zuvor vom Sachverständigen gewünschte Körperstellung in anderem Zusammenhang, im Rahmen der Anfertigung der Röntgenaufnahmen, offenbar ohne Weiteres mindestens zweimal für die Dauer von ca. zwanzig Sekunden gelungen. Die vom Sachverständigen Dr. C. sowie vom behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. P. insoweit diagnostizierte Somatisierungsstörung ist mithin als weitgehend bewusstseinsnah anzusehen und steht einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit im Einklang mit der Einschätzung der genannten Ärzte nicht entgegen.

Die vom Senat eingeholte schriftliche sachverständige Zeugenaussage des Orthopäden Dr. Ko. vermag die Annahme einer Erwerbsminderung ebenfalls nicht zu tragen. Denn sie vermittelt - worauf bereits die Beklagte in der vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen von Medizinaldirektor H. hingewiesen hat - keine über das bereits erstinstanzlich eingereichte Privatgutachten hinausgehenden Erkenntnisse. Insoweit hat aber bereits das Sozialgericht im angegriffenen Urteil das Erforderliche ausgeführt. Zur Klarstellung weist der Senat nochmals darauf hin, dass die von Dr. Ko. als für seine Leistungsbeurteilung wesentlich angeführten Gesundheitsstörungen gerade nicht auf orthopädischem Fachgebiet angesiedelt sind und insbesondere erhebliche psychische Erkrankungen nach den oben gemachten Ausführungen nicht feststellbar sind.

Der Kläger kann daher zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der von Dr. C. genannten qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich ausüben. Er ist daher nicht erwerbsgemindert. Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 zweiter Halbsatz SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in einem solchen Fall regelmäßig nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie den Kläger mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80 in SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeiten, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, SozR 3 a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Nicht anders liegt der Fall des Klägers. Auch bei ihm wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihm nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved