L 4 KNR 3903/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KNR 2878/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KNR 3903/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit wird geführt über einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die am 1966 im Gebiet von Swerdlowsk geborene Klägerin war nach einer zweijährigen Ausbildung zur Lehrerin an der Pädagogischen Fachschule (August 1983 bis Juli 1985) bis zur Übersiedlung am 19. August 1992 als Lehrerin und Erzieherin beschäftigt. Nach der Übersiedlung blieb sie zunächst arbeitslos, war Hausfrau, nahm vom 03. Juli 1995 bis 28. Juni 1996 an einer Umschulung zur Fachgehilfin im Gaststättengewerbe teil und war anschließend als Reinigungskraft beschäftigt. Ab 05. Juli 2002 war sie in dieser Tätigkeit durchgängig arbeitsunfähig und bezog ab 16. August 2002 Krankengeld. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31. August 2003 gekündigt. Vom 04. November bis 02. Dezember 2003 nahm die Klägerin an einer von der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg bewilligten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil. Internist Dr. H. nannte im Entlassungsbericht vom 16. Dezember 2003 als Diagnosen: Verdacht auf sympathische Reflexdystrophie der rechten Hand, Ballonhohlfüße mit Hallux valgus beidseits und Krallenzehen sowie depressive Reaktion. Wegen der weiterhin deutlich eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand könne die Klägerin ihre Tätigkeit als Reinigungskraft und Maschinenbedienerin nicht weiter ausüben. Nach Teilnahme an einem Eingliederungslehrgang von Februar bis August 2004 konnte eine Arbeitsstelle nicht mehr vermittelt werden. Die Klägerin bezog ab 12. August. 2004 erneut Arbeitslosengeld. Sie ist Inhaberin des Bundesvertriebenenausweises B. Seit 08. März 2006 ist ein Grad der Behinderung von 60 festgestellt.

Am 06. Dezember 2004 beantragte die Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung. Beigefügt waren u.a. der Bericht der Klinik für Orthopädie des Klinikums der Stadt V.-S. vom 30. August 2001 (Privatdozent Dr. L.), der Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. R. vom 18. September 2002, der Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (Prof. Dr. Sc.) vom 16. Juli 2003 und der Entlassungsbericht des Dr. H. vom 16. Dezember 2003. Im Auftrag der Beklagten erstattete Facharzt für Orthopädie G. das Gutachten vom 07. Februar 2005. Er fand eine schwerste Reflexdystrophie der rechten Hand mit Beteiligung des rechten Arms unklarer Genese, Spreizfüße beidseits sowie ein depressives Syndrom. Es bestehe nur noch ein Restleistungsvermögen von unter drei Stunden sowohl für die letzte Tätigkeit als auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung bei Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes. Orthopäde G. stellte die Klägerin wegen des Verdachts auf eine Infektion mit Mycobakterium marinum dem Hautarzt Dr. Ha. vor, der auf Grund des sehr ungewöhnlichen Verlaufs und Befunds keine eindeutige Diagnosezuordnung vornehmen konnte (Bericht vom 28. Januar 2005). Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten (Ärztin Dr. S.) vermochte sich in einer Stellungnahme vom 18. Februar 2005 trotz funktioneller Einarmigkeit der gutachterlichen Meinung bezüglich einer zeitlichen Leistungseinschränkung nicht anzuschließen. Durch Bescheid vom 08. März 2005 lehnte die Beklagte eine Rentengewährung ab. Trotz der Befunde (schwerste Reflexdystrophie der rechten Hand, mögliche Infektion, Spreizfüße beidseits sowie depressives Syndrom) könne eine Erwerbsfähigkeit noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ausgeübt werden.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Der rechte Arm und die rechte Hand könnten weder bewegt noch für kleinere Tätigkeiten eingesetzt werden. Selbst geringfügiges Schreiben sei nicht möglich. Von der Entzündung der Hand würden die Knochen angegriffen. Die Klägerin legte die Atteste des Dr. Ha. vom 24. Februar und 13. Juni 2005 vor, der auf Grund einer histologischen Untersuchung eine Acrodermatitis chronica atrophicans mit Haut-, Muskel- und Knochenveränderungen im rechten oberen Arm nannte. Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten (Dr. Kr.) verwies darauf, dass durch eine Therapie der Verlauf abgeschwächt werden könne, sodass dauerhaft nicht von einer Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens auszugehen sei.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2005. Es müsse bei der Leistungsbeurteilung bleiben, wonach leichte Arbeiten unter Vermeidung von Zeitdruck (Akkord), ohne Einsatz der rechten Hand sowie ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über fünf kg ohne technische Hilfsmittel mindestens sechs Stunden möglich seien. Da die Klägerin nach dem 01. Januar 1961 geboren sei, gehöre sie nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Mit der am 14. Juli 2005 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage verblieb die Klägerin dabei, der rechte Arm sei so beschädigt, dass er nicht mehr eingesetzt werden könne. Der Zustand beruhe auf einem Zeckenbiss. Orthopäde G. habe nochmals (Auszug vom 14. Juni 2005 aus dem Gutachten) die Schwere des Befundes bestätigt. Für die Tätigkeiten als Telefonistin, Museumswärterin, Rezeptionistin oder im kindererzieherischen Bereich würden beide Hände benötigt. Auch sei sie nicht in der Lage als Telefonistin zu arbeiten, weil sie nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfüge.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und legte die Stellungnahmen des Dr. Kr. vom 19. Dezember 2005 und vom 31. Mai 2006 vor. Der Klägerin könne eine Tätigkeit als Telefonistin bzw. die Tätigkeit in einem Call-Center unter Verwendung eines Headsets sowohl aus geistiger als auch aus körperlicher Sicht zugemutet werden und sie könne auch Tätigkeiten als Pförtnerin und Bürohilfskraft ausüben.

Das SG hörte die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Dr. Ha. beschrieb in der Zeugenaussage vom 10. Oktober 2005 seine im Januar 2005 eingeleitete Therapie; bezüglich der rechten Hand habe nur eine diskrete verbesserte Beweglichkeit der Gelenke erzielt werden können. Beigefügt war der Bericht der Universitäts-Hautklinik Tübingen vom 11. August 2005. Neurologe und Psychiater Dr. Kl. verwies in der Zeugenaussage vom 17. Oktober 2005 auf eine einmalige Untersuchung am 04. April 2005 mit dem Ergebnis Borreliose. Orthopäde G. verwies in der Zeugenaussage vom 20. Oktober 2005 auf seine gutachterlichen Stellungnahmen und gab weiter an, unter konservativer Behandlung habe sich eine Besserung des dramatischen Befunds eingestellt, jedoch bestehe noch eine anhaltende deutliche Funktionseinschränkung der vorhandenen Krallhand mit Beteiligung der Armweichteile. Prof. Dr. Rö. von der Universtitäts-Hautklinik T. berichtete unter dem 16. November 2005 über die stationäre Behandlung vom 28. Juli bis 17. August 2005 nebst begleitenden ambulanten Behandlungen und nannte eine verbesserte Beweglichkeit in den Finger-, Hand- und Ellenbogengelenken. Aus dermatologischer Sicht bestehe ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich. Maßgebend sei letztlich aber der orthopädische Befund.

Facharzt für Chirurgie/Handchirurgie Dr. L. erstattete das Gutachten vom 13. April 2006 (Ergänzung vom 09. Mai 2006). Es bestehe eine schwerste Funktionseinschränkung (nahezu aufgehobene Funktion) der rechten Hand und des Unterarmkomplexes nach abgelaufener Borrelieninfektion und konsekutiver sympathischer Reflexdystrophie (Morbus Sudeck). Zu vermeiden seien schwere, mittelschwere und leichte Tätigkeiten mit dem rechten Arm. Das Heben und Tragen von Lasten sei rechts nicht möglich, mit dem nicht betroffenen linken Arm könnten Lasten bis zu fünf kg problemlos bewältigt werden. Zu vermeiden sei ferner dauerndes oder überwiegendes Stehen und Gehen (Fehlbelastung durch den funktionseingeschränkten rechten Arm), häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an laufenden Maschinen, in Kälte, Nässe und im Freien sowie Akkord- und Fließbandarbeiten. Eine besondere nervliche Beanspruchung sollte gemieden werden, ansonsten seien mittelschwierige oder schwierige Tätigkeiten geistiger Art mit Publikumsverkehr möglich. Berufe wie Telefonistin, Museumswärterin oder Rezeptionistin könnten auch von mehr oder weniger stark behinderten Menschen ausgeübt werden. Eine Tätigkeit von maximal sechs Stunden sei möglich. Die weitere zeitliche Einschränkung seitens des Orthopäden G. werde nicht geteilt. Mit einer Besserung sei nicht zu rechnen.

Nach Vorlage eines Berichts des Orthopädischen Klinikums T. (Prof. Dr. Wü.) vom 20. November 2006 erstattete Chefarzt Dr. We. von der S.-klinik B. P.-G. gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gutachten vom 19. Januar 2007. Er nannte eine völlige Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand und des rechten Handgelenks mit optisch verstümmelndem Eindruck durch die Versteifung in Krallenhandposition. Es sei die führende Gebrauchshand betroffen. Dennoch sei es möglich, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zumutbar seien z.B. der Beruf einer Telefonistin oder einer Museumswärterin, ggf. auch im schulischen oder kindererzieherischen Bereich, leichte körperliche Tätigkeiten mit überwiegenden Sitz-, Geh- oder Stehcharakter, das Tragen von Lasten bis zu fünf kg mit dem linken Arm sowie mittelschwierige Tätigkeiten geistiger Art, auch mit Publikumsverkehr. Nicht zumutbar seien Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an laufenden Maschinen, Akkord-, Fließband- und Schichtarbeit sowie Arbeiten in Kälte, Nässe und im Freien. Unter Berücksichtigung der Einschränkungen erscheine eine regelmäßige Erwerbstätigkeit von sechs Stunden und mehr täglich als gegeben. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich der bestehende Befund bessern werde.

Durch Urteil vom 22. Mai 2007 verurteilte das SG unter Aufhebung des Bescheids vom 08. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2005 die Beklagte, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Dezember 2004 zu gewähren. Zur Begründung legte es unter Auswertung von in www.sozialgerichtsbarkeit.de abrufbaren berufskundlichen Stellungnahmen sowie von Tätigkeitsbeschreibungen der Bundesagentur für Arbeit in Berufenet.de dar, die faktische Einhändigkeit bei Ausfall der hauptsächlichen Gebrauchshand sei eine schwere spezifische Leistungseinschränkung, sodass durch die Beklagte eine Verweisungstätigkeit zu benennen gewesen sei. Als solche kämen weder die von der Beklagten benannten Tätigkeiten einer Telefonistin, einer Rezeptionistin, einer Museumswärterin, einer Pförtnerin, einer Bürohilfskraft und auch nicht die vom Sachverständigen Dr. We. angesprochenen Tätigkeiten im schulischen und kindererzieherischen Bereich in Betracht. Die Verweisung auf den Beruf der Telefonistin komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die in Russland geborene Klägerin keine hinreichend fehlerfreien Kenntnisse der deutschen Sprache aufweisen könne. Weiter sei für eine Tätigkeit im Telefondienst der uneingeschränkte Einsatz beider Hände erforderlich. Das Gleiche gelte für die Tätigkeiten der Pförtnerin an einer Nebenpforte, als Rezeptionistin oder als Bürohilfskraft. Auf Tätigkeiten als Museumswärterin könne die Klägerin schon deshalb nicht verwiesen werden, weil eine solche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr in nennenswertem Umfang vorkomme und auch diese Tätigkeit die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände voraussetze. Für schulische oder kindererzieherische Tätigkeiten etwa im Kindergarten fehle der Klägerin die in der Bundesrepublik Deutschland erforderliche Ausbildung. Auch sei für eine Tätigkeit als Kindergartenhelferin die Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderlich. Eine Besserung sei nicht zu erwarten, so dass Dauerrente zu gewähren sei.

Gegen das ihr am 31. Juli 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09. August 2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt zur Begründung vor, zwar sei die völlige Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand nicht mehr zu bezweifeln. Sicherlich bedürfe die Klägerin einer Hilfe zur konkreten Arbeitsplatzfindung. Die Möglichkeiten über die Integrationsämter seien bisher nicht angegangen worden. Es gebe freie Stellen etwa als Auskunftsaufseherin in staatlichen Museen oder als Pförtnerin und Schließerin. Außer Betracht geblieben seien zudem ein bestehender Arbeitsmarkt und Arbeitsangebote, welche sich nur an behinderte Menschen richteten. Die Beklagte hat hierzu Informationen der Stadt Karlsruhe, des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg und der Bundesagentur für Arbeit vorgelegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Mai 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, die von der Beklagten genannten Stellen seien ihr verschlossen. Der Eingliederungslehrgang von 2004 habe zu keinem Erfolg geführt. Einen Computerkurs habe sie nicht abschließen können, weil sie die Maus nicht habe bedienen können. Auch Beschäftigungen im Erziehungs- oder Gaststättenbereich seien ihr nicht mehr zugänglich. Hierzu trage auch der Spreizfuß beidseitig mit Krallenzehen bei. Sie sei nicht einmal in der Lage, die tägliche Körperpflege und das Ankleiden allein zu erledigen. Der gesamte Zustand beeinträchtige schließlich die Psyche. Weder das Integrationsamt noch die Agentur für Arbeit noch die Beklagte hätten ihr konkret eine der genannten Stellen angeboten.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 22. Mai 2007 zutreffend entschieden, dass die Ablehnung einer Rentengewährung in den streitgegenständlichen Bescheiden der Beklagten nicht rechtmäßig ist. Die Klägerin hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Dezember 2004.

Im Berufungsverfahren ist nur darüber zu entscheiden, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung hat. Zum einen hat allein die Beklagte Berufung gegen das Urteil des SG, in welchem sie zur Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verurteilt wurde, eingelegt. Zum anderen hat die Klägerin nur Rente wegen voller Erwerbsminderung bei der Beklagten und auch im erstinstanzlichen Verfahren beantragt.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und im welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

1. Die Klägerin ist voll erwerbsgemindert.

Die Klägerin, die Rechtshänderin war, leidet unter einer schwersten Funktionseinschränkung der rechten Hand und des gesamten Hand-Unterarmkomplexes nach abgelaufener Borrrelieninfektion und hieraus sich entwickelnder Reflexdysthrophie (Morbus Sudeck). Dies entnimmt der Senat den übereinstimmenden Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. L. vom 13. Februar 2006 und Dr. We. vom 19. Januar 2007. Die Funktion des rechten Armes ist nahezu aufgehoben. Arbeiten mit diesem Arm sowie das Heben und Tragen auch nur geringer Lasten ist nicht möglich. Mit dem nicht betroffenen linken Arm können Lasten bis zu fünf kg problemlos und bis zehn kg gelegentlich bewältigt werden. Zur Vermeidung einer Fehlbelastung sind dauerndes oder überwiegendes Stehen und Gehen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an laufenden Maschinen zu vermeiden. Auch besondere nervliche Beanspruchungen sollen gemieden werden, mittelschwierige oder schwierige Tätigkeiten geistiger Art mit Publikumsverkehr sind aber möglich.

Unter Beachtung dieser Einschränkungen kann die Klägerin zwar eine Erwerbstätigkeit von sechs Stunden verrichten. Der Senat folgt auch insoweit den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. L. und Dr. We ... Gleichwohl ist die Beklagte verpflichtet, eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; z.B. Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8; SozR 4-2600 § 44 Nr. 1) besteht dann eine Ausnahme - und die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit -, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Hierzu zählen Einschränkungen der Arm- und Handbewegungen (BSG a.a.O.). Die Klägerin kann die rechte Hand und den rechten Arm nicht mehr einsetzen. Es besteht faktische Einarmigkeit. Damit steht fest, dass mit der rechten Hand auch Halten von Geräten wie Telefonhörern, normales Schreiben oder Betätigen von Schlüsseln nicht möglich ist.

Das SG hat unter Auswertung berufskundlicher Gutachten und Stellungnahmen, die in www.sozialgerichtsbarkeit.de abrufbar sind, sowie von Tätigkeitsbeschreibungen der Bundesagentur für Arbeit in Berufenet.de dargelegt, dass die von der Beklagten benannten Tätigkeiten als Telefonistin, Rezeptionistin (Empfangsdame), Museumswärterin und im schulischen oder kindererzieherischen Bereich (z.B. Kindergartenhelferin) von der Klägerin nicht verrichtet werden können. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung auch der vom SG genannten berufskundlichen Stellungnahmen und Gutachten an. Das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren ist nicht geeignet, die Ausführungen des SG zu erschüttern.

Es mag sein, dass es für die genannten Tätigkeiten Stellenangebote gibt, wie sie die Beklagte für die Auskunftsaufseherin in staatlichen Museen und für die Schließerin/Pförtnerin vorgelegt hat. Damit ist jedoch nur belegt, dass entsprechende Arbeitsplätze vorhanden sind, nicht aber, dass diese Tätigkeiten auch für faktisch einarmige Versicherte wie die Klägerin in Betracht kommen. Keines der von der Beklagten mit der Berufungsbegründung vorgelegten Stellenangebote trifft eine Aussage zu der Einsetzbarkeit von Beschäftigten mit Leistungseinschränkungen.

Eine Tätigkeit als Telefonistin kommt zwar dann noch in Betracht, wenn lediglich mit einem Kopfhörer statt einem Telefonhörer hantiert werden muss (vgl. hierzu und zum Folgenden auch die in der mündlichen Verhandlung des Senats eingeführte berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern-Nürnberg vom 22. März 2001 im Verfahren des Sozialgerichts Bayreuth S 3 RA 204/00, in: www.sozialgerichtsbarkeit.de). Hierbei müssen aber Verbindungen schnell und korrekt hergestellt, Nachrichten notiert und zum Teil entsprechende Aufzeichnungen geführt oder Abrechnungen vorgenommen werden. Psychische Belastbarkeit im Sinne von Arbeit unter Zeitdruck wird erwartet. Dies gilt erst recht für Tätigkeiten wie Auskunft, Information und Besucherempfang. Für solche Mischtätigkeiten kommen einarmige Personen nicht in Frage.

Der Tätigkeit als Pförtnerin steht eine Einarmigkeit grundsätzlich nicht entgegen. Ein Pförtner/eine Pförtnerin hat aber - wie das SG zutreffend unter Bezugnahme auf das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. März 2005 (L 2 RJ 349/03, in juris veröffentlicht) ausgeführt hat - Schreibarbeiten zu verrichten. Dies alles mit der verbliebenen linken Hand, die bei der Klägerin lediglich die Beihand und nicht die Haupthand darstellt, zu bewältigen, ist für die Klägerin nicht möglich. Jedenfalls sind Schreibarbeiten in einem in der Arbeitswirklichkeit gewöhnlich geforderten Tempo nicht möglich. Bei der Klägerin kommt hinzu, dass der Arm oder die rechte Hand nicht einmal zur Unterstützung für die Erledigung der Tätigkeiten, die mit dem linken Arm oder der linken Hand ausgeführt werden, eingesetzt werden kann. Da auch bei einer Tätigkeit als Rezeptionistin Schreibarbeiten anfallen, scheidet auch diese Tätigkeit als Verweisungsberuf aus.

Die Tätigkeit als Museumswärterin erfordert auch die Fähigkeit, Leitern zu besteigen und kurzfristig auf Leitern arbeiten zu können (vgl. die vom SG herangezogene berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern vom 09. März 2000 im Rechtsstreit S 6 RJ 201/98 beim Sozialgericht Regensburg). Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sind der Klägerin nach den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. L. und Dr. We. nicht zumutbar.

Für die von der Beklagten zusätzlich genannten Tätigkeiten in der Museumsaufsicht ist gemäß dem Stellenangebot mit der Referenznummer 10000-10141228047-S (Blatt 7 der LSG-Akte) neben psychischer auch physische Belastbarkeit gefordert, die bei Gebrauchsunfähigkeit des führenden Armes und der führenden Hand nicht ernstlich bejaht werden kann. Auch das Stellenangebot mit der Referenznummer 10000-1014115305-S (Blatt 6 der LSG-Akte) zeigt, dass die Tätigkeit der Auskunftsaufseherin in staatlichen Museen sich nicht ausschließlich auf die Aufsicht erstreckt, bei der es auf die Gebrauchsfähigkeit der Arme und Hände möglicherweise nicht ankommt. Denn bei diesem Stellenangebot umfasst der Tätigkeitsbereich auch die Pflege des Museumsschaufensters und die Betreuung des Museumsshops. Damit werden im Übrigen auch die vom SG ausgewerteten berufskundlichen Stellungnahmen bestätigt, dass eine Museumswärterin bei dem Ab- und Aufbau von Ausstellungen, beim Transport und bei der Verwahrung von Objekten mithelfen muss.

2. Die Klägerin hat die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten erfüllt. Des Weiteren liegen auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI vor. Die Erwerbsminderung ist nicht erst zum Zeitpunkt des Rentenantrags im Dezember 2004, sondern bereits im Juli 2002 eingetreten. Die Reflexdystrophie der rechten Hand, die die Erwerbsminderung bedingt, ist im Juli 2002 aufgetreten. Ab 05. Juli 2002 bestand deshalb Arbeitsunfähigkeit. Im Zeitraum vom 01. Juli 1997 bis 30. Juni 2002 hat die Klägerin in allen Monaten Pflichtbeiträge entrichtet (vgl. Versicherungsverlauf vom 24. Februar 2003, Blatt 30 der Verwaltungsakte der Beklagten).

3. Das SG hat die Rente wegen voller Erwerbsminderung zu Recht auch unbefristet zugesprochen. Da mangels Benennbarkeit eines Verweisungstätigkeit ein Rentenanspruch unabhängig von der Arbeitsmarktlage besteht, ist die Rente unbefristet zu leisten, weil unwahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Aus medizinischen Gründen ist eine Besserung der Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes und der rechten Hand nicht zu erwarten. Dies entnimmt der Senat den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. L. und Dr. We ... Begründete Aussichten für den Wegfall der Rentenberechtigung bestehen nicht deshalb, weil berufsfördernde Maßnahmen in Betracht kommen. Dies wäre erst dann der Fall, wenn berufsfördernde Maßnahmen von der Beklagten auch schon konkret angeboten sind (BSG, Urteil vom 21. April 1993- 5 RJ 48/92 -). Dies ist nicht der Fall.

Die Rente beginnt mit dem 01. Dezember 2004, da sie in diesem Monat beantragt worden ist und die Anspruchsvoraussetzungen bereits länger als drei Monate vorgelegen hatten (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass, da eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung oder eine Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht ersichtlich ist.
Rechtskraft
Aus
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