L 5 AS 1701/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 123 AS 5755/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1701/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. August 2007 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme einer Betriebskostennachforderung für das Jahr 2004 für eine frühere Wohnung.

Die 1980 geborene Klägerin war bis zum 30. September 2004 Mieterin der Wohnung Nr. in der L , B. Am 1. September 2004 zog sie von dort mit ihrem 1999 geborenen Sohn in die K in B, wo sie mit B P in eheähnlicher Gemeinschaft zusammen lebte. Am 4. Januar 2006 zog der Sohn der Klägerin aus dieser Wohnung wieder aus. Seit dem 1. Juni 2007 lebt die Klägerin allein in ihrer jetzigen Wohnung in der M Straße in B.

Die Klägerin hatte Anfang 2005 noch Arbeitslosengeld I bezogen und erhielt seit dem 1. April 2005 mit Unterbrechungen Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von dem Beklagten. Nachdem der Beklagte eine Betriebskostennachforderung betreffend die Wohnung Nr. in der L für das Jahr 2003 übernommen hatte, lehnte er die mit dem Fortzahlungsantrag vom 2. Dezember 2005 für den Zeitraum Januar bis Juni 2006 beantragte Übernahme der am 21. November 2005 geltend gemachten Nachforderung für das Jahr 2004 in Höhe von 675,64 EUR ab. Zur Begründung des ablehnenden Bescheides vom 17. Januar 2006 heißt es, eine Kostenübernahme komme nur für laufende Mietverhältnisse in Betracht.

Mit ihrem Widerspruch vom 31. Januar 2006 verwies die Klägerin darauf, dass die Betriebskostennachforderung für 2003 für die gleiche Wohnung übernommen worden sei. Außerdem sei sie mittellos.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2006 zurück. Da die Klägerin die Wohnung in der Lindenstraße nicht mehr bewohne, könne Wohnungslosigkeit wegen des Zahlungsrückstandes nicht mehr eintreten. Außerdem sei die Kostenübernahme nicht unabweisbar, denn die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie sich überhaupt um Ratenzahlung bemüht habe.

Am 19. April 2006 hat die Klägerin Klage erhoben und die volle Übernahme der Betriebskostennachforderung beantragt. Sie hat erklärt, dass sie die Forderung nicht zwischenzeitlich habe begleichen können und auch keine Vereinbarung mit dem früheren Vermieter getroffen habe, da sie Arbeitslosengeld II beziehe.

Mit Urteil vom 3. August 2007 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, die Betriebskostennachforderung für 2004 in Höhe von 211,68 EUR zu übernehmen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Betriebskostennachforderung sei in dem zugesprochenen Umfang ein Bedarf, der den Unterkunfts- und Heizkosten nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zuzuordnen sei. Zu differenzieren sei insoweit zwischen einer auf schlichtem Mehrverbrauch beruhenden Nachforderung, die zur Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II führe, und echten Schulden, welche durch Nichtentrichtung der monatlichen Betriebskostenvorauszahlungen entstanden seien und nur nach § 22 Abs. 5 SGB II übernommen werden könnten. Vorliegend habe die Klägerin im Abrechnungszeitraum von Januar bis einschließlich September 2004 ihre monatlichen Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 125,33 EUR erbracht. Die Nachforderung des Vermieters beruhe daher auf einem Mehrverbrauch, der grundsätzlich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II hätte übernommen werden müssen. In die Betriebskostenabrechnung seien jedoch 374,32 EUR für Wassererwärmung sowie Kabelgebühren in Höhe von 89,64 EUR eingeflossen. Die Kosten für Wassererwärmung seien Bestandteil der Regelleistung und nicht der Heizkosten. Gleiches gelte für die Kabelgebühren, da es weder dargelegt noch sonst ersichtlich sei, dass es sich dabei um für die Klägerin unvermeidbare Kosten gehandelt habe. Die Nachforderung von 675,64 EUR sei daher um die Beträge für die Warmwasserbereitung und Kabelgebühren zu bereinigen, so dass sich als zu übernehmende Kosten für Unterkunft und Heizung der Betrag von 211,68 EUR ergebe. Die Kostenübernahme scheitere insoweit entgegen der Ansicht des Beklagten nicht an dem Umstand, dass es sich um eine Betriebskostennachforderung aus einem früheren Mietverhältnis handele. Das Bundesverwaltungsgericht habe eine Pflicht des Sozialhilfeträgers zur Übernahme der Betriebskostennachforderung auch bei Nachzahlungen aus einem früheren Mietverhältnis angenommen (vgl. Urteil vom 4. Februar 1988 Az. 5 C 89/85). Wegen der weitgehenden Identität des § 22 SGB II und der entsprechenden Regelungen im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bestehe kein Anlass, von dieser Entscheidung abzuweichen. Anderenfalls würde die Übernahme der Nachforderung davon abhängig gemacht, ob der Hilfebedürftige zufällig zwischenzeitlich umgezogen sei. Der bei einem umgezogenen Hilfebedürftigen gegenwärtig und konkret bestehende Bedarf würde damit ignoriert. Schließlich rechne der Leistungsträger eine etwaige Betriebskostenerstattung ungeachtet der Herkunft aus einem früheren Mietverhältnis ohne weiteres als Einkommen an. Das Sozialgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.

Gegen das ihm am 29. August 2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 24. September 2007. Zur Begründung wird ausgeführt, die Betriebskostennachforderung aus einem früheren Mietverhältnis gehöre entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht zu den tatsächlichen Aufwendungen der Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Bei den Kosten aus einem früheren Mietverhältnis handele es sich vielmehr in der Sache um eine Forderung Dritter (Schulden). Während die Übernahme von Betriebskostennachforderungen aus einem aktuellen Mietverhältnis den Erhalt des Wohnraums sichere, drohe dem Mieter kein Verlust seiner Wohnung, wenn er die Forderung aus einem früheren Mietverhältnis nicht sofort ausgleichen könne. Der Gesetzgeber habe nicht das Risiko des Vermieters auf Ausfall seiner Nachforderung durch eine Sozialleistung übernehmen wollen; vielmehr sei die Hilfe zum Lebensunterhalt am aktuellen Bedarf bzw. an den tatsächlichen Kosten zum Erhalt der Unterkunft ausgerichtet. Die Klägerin selbst habe darauf verwiesen, dass eine Ratenzahlungsvereinbarung sowie der Erlass eines Mahnbescheides durch den Vermieter im Hinblick auf die als selbstverständlich betrachtete Übernahme der Forderung durch den Beklagten nicht erfolgt sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. August 2007 abzuändern und die Klage in vollem Unfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Zwar beträgt der Beschwerdewert lediglich 211,68 EUR, da der Beklagte zur Leistung insoweit verurteilt wurde, und nur der Beklagte Berufung eingelegt hat. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 500,- EUR nicht übersteigt. Das Sozialgericht hat jedoch – wenn auch nicht im Tenor – hinreichend deutlich in den Entscheidungsgründen die Berufung ausdrücklich nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Hieran ist das Berufungsgericht gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, anteilig die Betriebskostennachforderung in Höhe von 211,68 EUR zu übernehmen. Insoweit war das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Soweit das erstinstanzliche Urteil mit der Berufung nicht angegriffen wird, ist es rechtskräftig geworden.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, in Kraft getreten zum 1. Januar 2005 (Art. 61 Abs. 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. § 22 Abs. 5 SGB II in der bis zum 31. März 2006 geltenden Fassung (a.F.) bestimmt, dass Mietschulden als Darlehen übernommen werden können, wenn sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht und hierdurch die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindert würde. Nach § 22 Abs. 5 in der ab 1. April 2006 geltenden Fassung kommt auch die Übernahme sonstiger Schulden in Betracht, wenn dies zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist; das Erfordernis, dass ohne Hilfe die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindert würde, ist entfallen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Kosten nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, denn Leistungen für die Kosten der Unterkunft nach dieser Vorschrift sind grundsätzlich nur solche für die gegenwärtige Wohnung. Auch ein Anspruch nach § 22 Abs. 5 SGB II besteht nicht, denn notwendige Voraussetzung wäre danach jedenfalls, dass dies zur Sicherung der Unterkunft (§ 22 Abs. 5 SGB II a.F.) oder jedenfalls zur Behebung einer vergleichbaren Notlage (§ 22 Abs. 5 SGB II n.F.) erforderlich ist. Ein solcher Fall liegt bei der Klägerin nicht vor. Die hier streitige Betriebskostennachforderung bezieht sich auf eine Wohnung, die die Klägerin bis September 2004 bewohnt hat, nicht jedoch auf ihre jetzige Wohnung. Durch diese Schulden ist daher die Sicherung der jetzigen Wohnung nicht gefährdet; es droht keine Kündigung oder gar Räumung (vgl. Oestreicher SGB II § 22 Rz. 142 m. w. N.; Lang in Eicher/Spellbrink SGB II § 23 Rz. 103; Berlit in LPK-SGB II § 22 Rz. 112). Die Schuldenübernahme ist auch nicht zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt (§ 22 Abs. 5 Satz 1 Zweiter Halbsatz SGB II n.F.). Eine solche ist hier nämlich nicht erkennbar. Die Klägerin hat sich nach eigenem Vorbringen nicht um eine anderweitige Lösung, z. B. durch eine Vereinbarung mit ihrem früheren Vermieter über eine Ratenzahlung oder Stundung bemüht. Vielmehr ist sie – und offenbar auch ihr früherer Vermieter - von vornherein davon ausgegangen, dass der Beklagte die bestehenden Schulden übernehmen werde. Es ist aber grundsätzlich von dem Hilfebedürftigen zu verlangen, dass er sich selbst wenigstens um eine Lösung seines Schuldenproblems bemüht und entsprechende Bemühungen auch nachweist.

Ohnehin hätte das Sozialgericht den Beklagten nicht dazu verurteilen dürfen, den streitigen Betrag ohne Einschränkung zu übernehmen, denn § 22 Abs. 5 SGB II sowohl in der alten wie auch in der neuen Fassung sieht grundsätzlich nur die darlehensweise Übernahme von Mietschulden vor.

Eine Übernahme der Schulden durch den Beklagten kommt auch nicht nach § 23 SGB II in Betracht. Voraussetzung für die Anerkennung eines "abweichenden Bedarfs" nach dieser Vorschrift ist nämlich, dass es sich um einen von der Regelleistung umfassten Bedarf handelt. Ob dies bei Betriebskostennachforderungen, die trotz regelmäßiger Abschlagszahlungen entstanden sind, der Fall ist (so Berlit a.a.O. § 22 Rz. 8), kann offen bleiben. Jedenfalls fehlt es auch hier an einem nach den Umständen unabweisbaren Bedarf, denn die Klägerin hat weder behauptet, dass ihr früherer Vermieter versucht hat, seine Forderung gegen sie durchzusetzen, noch dass sie selbst Anstrengungen unternommen hat, ihre Schulden zu bezahlen oder wenigstens zu reduzieren.

Schließlich können auch nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB II a.F. i.V.m. § 34 SGB XII Schulden nur zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage übernommen werden. Dass diese Voraussetzungen hier nicht vorliegen, ist bereits dargelegt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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