L 5 B 1180/08 AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 99 AS 26923/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 1180/08 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2008 aufgehoben. Die Staatskasse hat der Klägerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250,- EUR, ersatzweise - für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann - eines Tages Ordnungshaft je 50,- EUR.

In der Hauptsache, einem seit Oktober 2007 anhängigen Klageverfahren gegen das Jobcenter Lichtenberg, ist die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig. Zu einem für den 10. Juni 2008 anberaumten Erörterungstermin wurde die Klägerin mit Postzustellungsurkunde geladen; die Zustellung erfolgte am 16. Mai 2008 durch Übergabe an den erwachsenen ständigen Mitbewohner und inzwischen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, V Z. Ihre damaligen Prozessbevollmächtigten, die sich mit Schriftsatz vom 8. Februar 2008 gemeldet hatten, übersandten am 9. Juni 2008 auf entsprechende Aufforderung des Gerichts hin per Fax die vom 7. Februar 2008 datierende Vollmacht. Zum Termin erschien die Klägerin, deren persönliches Erscheinen angeordnet worden war, nicht. Seitens ihrer Prozessbevollmächtigten erschien Rechtsanwalt W. Ausweislich der Niederschrift erörterte der Vorsitzende den Sachverhalt mit den Beteiligten, verkündete sodann den angegriffenen Beschluss und vertagte den Rechtsstreit. Zur Begründung des Beschlusses heißt es, die ordnungsgemäß geladene Klägerin sei zum Termin nicht erschienen und habe ihr Ausbleiben nicht entschuldigt. Einen Vertreter im Sinne des § 141 Abs. 3 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) habe sie zum Termin nicht entsendet, so dass die Folgen nach den Vorschriften des § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 141 Abs. 3 Satz 1 und 2, § 380 Abs. 1 ZPO auszusprechen gewesen seien.

Gegen den ihr in der Folgezeit zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 18. Juni 2008 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, sie habe mit Schriftsatz vom 6. Juni 2008, den V Z in den Haus- und Nachtbriefkasten des Sozialgerichts Berlin geworfen habe, gebeten, sie vom persönlichen Erscheinen zu entbinden, weil sie eine neue Arbeitsstelle gefunden habe, noch in der Probezeit sei und das Arbeitsverhältnis nicht gefährden wolle. In dem Schreiben habe sie darauf hingewiesen, dass sie zu dem Termin einen Rechtsanwalt entsenden werde, der ordnungsgemäß bevollmächtigt und zur Sachverhaltsaufklärung in der Lage sei. Eine Ablichtung dieses Schreibens, das im Original nicht vorliegt, hat die Klägerin zu den Akten gereicht. Sie meint, die Verhängung eines Ordnungsgeldes und erst recht die Androhung einer Ordnungshaft überschreite die Grenzen der Verhältnismäßigkeit erheblich.

Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, sowohl die Festsetzung des Ordnungsgeldes als auch die Androhung der Ordnungshaft seien zu Recht erfolgt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten zu diesem Verfahren und zu dem beim Sozialgericht Berlin anhängigen Hauptsacheverfahren S 99 AS 26923/07 verwiesen, der Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen ist.

II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss, mit welchem das Sozialgericht gegen sie ein Ordnungsgeld festgesetzt und ihr ersatzweise Ordnungshaft angedroht hat, ist erfolgreich.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.

Sie ist auch begründet, denn das erstinstanzliche Gericht hätte kein Ordnungsgeld festsetzen und erst recht keine Ordnungshaft androhen dürfen.

Bleibt ein Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, im Termin aus, so kann gegen ihn Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden (§ 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO, der über § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet). Während es allerdings in § 380 Abs. 1 Satz 2 ZPO heißt, " wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt", bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen also ein Ordnungsgeld zu verhängen ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der hier einschlägigen Vorschrift des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO, dass das Gericht bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen Ermessen auszuüben hat. Dabei hat es sich am Zweck der Vorschrift zu orientieren. Dieser liegt heutigem Verständnis des Verhältnisses von Staatsorganen und Bürgern - Gericht und Prozessparteien - nicht etwa darin, die nicht erschienene Partei wegen der Nichtbefolgung gerichtlicher Anordnungen zu bestrafen. Er liegt vielmehr darin, das gerichtliche Verfahren zu fördern und in diesem Zusammenhang das Wissen der Partei um den Sachverhalt - § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO: "Das Gericht soll das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint." - fruchtbar zu machen (vgl. Oberlandesgericht [OLG] Frankfurt, Beschluss vom 21. September 2006, 24 W 66/06, zitiert nach juris). Daraus folgt, dass vor Verhängung eines Ordnungsgeldes abzuwägen ist, ob das Nichterscheinen der Partei zu einem im Sinne des Förderungszwecks ungünstigeren Verlauf des Verfahrens geführt, das Verfahren behindert oder verzögert und insbesondere eine Entscheidung im Termin verhindert hat (vgl. den genannten Beschluss des OLG Frankfurt, a.a.O.).

Der angefochtene Beschluss lässt keinerlei sachliche Auseinandersetzung mit dem die Ermessensausübung leitenden Gesetzeszweck erkennen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass eine am Gesetzeszweck orientierte Ermessensausübung zu einem anderen Ergebnis als der Nichtverhängung der Maßregel hätte führen können, denn im Termin war der von der Klägerin bevollmächtigte Rechtsanwalt W zugegen. Dass er nicht in der Lage gewesen wäre, zur Aufklärung des Tatbestandes beizutragen oder gebotene Erklärungen abzugeben, ist weder dem Beschluss zu entnehmen noch sonst ersichtlich, wäre aber Voraussetzung für die Zulässigkeit der hier ergriffenen Maßnahmen gewesen (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Darauf, ob das Original des von der Klägerin im Beschwerdeverfahren in Ablichtung zu den Akten gereichten Schreibens vom 6. Juni 2008 jemals und insbesondere rechtzeitig vor dem Termin am 10. Juni 2008 beim Sozialgericht Berlin eingegangen ist, kommt es daher nicht an.

Soweit das Sozialgericht der Klägerin - ersatzweise - Ordnungshaft angedroht hat, war der Beschluss schon deshalb aufzuheben, weil § 141 Abs. 3 ZPO im Gegensatz zu § 380 Abs. 1 Satz 2 ZPO dieses nicht vorsieht, die Partei bzw. der Beteiligte also insoweit gegenüber einem nicht erschienenen Zeugen privilegiert ist (vgl. Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18. November 2004, 2 Ta 201/04, zitiert nach juris).

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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