L 25 B 1835/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 82 AS 25096/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 1835/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. August 2008 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 31. Juli 2008 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Juli 2008 angeordnet, soweit er eine Absenkung des Arbeitslosengelds II über den 11. September 2008 hinaus enthält.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Zunächst hat das Sozialgericht den mit "Einstweilige Verfügung" überschriebenen, am 13. August 2008 bei Gericht eingegangenen Antrag der Antragstellerin vom 31. Juli 2008 unter Würdigung ihres Gesamtvorbringens sach- und interessengerecht (vgl. § 123 SGG) als statthaften Antrag nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 31. Juli 2008 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Juli 2008 ausgelegt. Dies ist die für das Begehren der Antragstellerin gegenüber dem wörtlich gestellten Antrag auf Erlass einer "einstweiligen Verfügung" speziellere und auch rechtsschutzintensivere Rechtsschutzform. Dem Anliegen der Antragstellerin, von der Absenkung des Arbeitslosengelds II verschont zu bleiben, ist bereits mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des nach §§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG, 39 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II) sofort vollziehbaren Absenkungsbescheids vom 21. Juli 2008 gedient, weil mit einer solchen wieder die ursprüngliche Leistungsbewilligung aufleben würde.

Der so verstandene Antrag ist teilweise begründet.

Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Absenkung, soweit der angefochtene Bescheid eine über sechs Wochen, mithin über den 11. September 2008 hinausgehende Absenkung des Arbeitslosengelds II
enthält. Insofern unterliegt die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ernstlichen Zweifeln. Im Übrigen überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das grundsätzlich vorrangige öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht.

Zunächst ist dem Sozialgericht darin im Ergebnis zu folgen, dass die nach § 24 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) erforderliche und dem belastenden Absenkungsbescheid vorauszugehende Anhörung stattfand. Eine solche ist jedenfalls im am 14. Juli 2008 in den Räumen des Antragsgegners stattgefundenen Gespräch der Antragstellerin mit einem Sachbearbeiter des Antragsgegners zu sehen.

Das Sozialgericht hat im Fall der Antragstellerin die Voraussetzungen für eine Absenkung des Arbeitslosengelds II dem Grunde nach zu Recht bejaht.

Als Rechtsgrundlage für die Absenkung lässt sich § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b, S. 2, Abs. 5 S. 1 Hs. 1 SGB II heranziehen. Nach dieser Vorschrift wird das Arbeitslosengeld II bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt, wenn die oder der erwerbs-fähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, es sei denn, dass sie oder er einen wichtigen Grund für ihr oder sein Verhalten nachweist.

Die Voraussetzungen für die Absenkung liegen vor. Zunächst waren in der am 4. Februar 2008 gemäß § 15 Abs. 1 SGB II geschlossenen und keinen rechtlichen Bedenken unterliegenden Eingliederungsvereinbarung unter anderem als Pflichten der Antragstellerin festgelegt, dass die Antragstellerin beim Bildungsträger Kiezküchen einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwands-entschädigung im Sinne von § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II nachgeht, pünktlich und regelmäßig am Projekt teilnimmt, bei Krankheit den Träger am ersten versäumten Arbeitstag verständigt und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens nach drei Werktagen vorlegt.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen, wonach die Antragstellerin erstmals im Anhörungstermin am 14. Juli 2008 von der hundertprozentigen Sanktion erfahren habe, war sie bereits in der Eingliederungsvereinbarung darauf hingewiesen worden, dass die Verletzung der vorgenannten Pflichten in ihrem Fall eine hundertprozentige Absenkung des Arbeitslosengelds II zur Folge hat.

Gleichwohl verstieß die Antragstellerin gegen die vorgenannten Pflichten ohne Nachweis eines wichtigen Grunds. Sie fehlte zunächst vom 4. bis zum 9. Juni 2008 und begründete dies lediglich mit einem Todesfall in der Familie, ohne zu erklären, warum sie deshalb an vier Werktagen fehlen musste, und ohne irgendwelche Belege beizubringen. Ferner fehlte sie erneut ab 11. Juni 2008 und brachte hierfür erst sechs Werktage später am 18. Juni 2008 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei, ohne den Grund für die verzögerte Vorlage der Krankschreibung zu nennen. Dies führte zudem nach zwei Abmahnungen zur fristlosen Kündigung und damit zum von der Antragstellerin veranlassten Abbruch der Maßnahme.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin einem Vorsprachetermin beim Antragsgegner am 3. Juli 2008 unentschuldigt oder – unter Vorlage einer "Bestätigung über ärztliche Behandlung" vom 14. Juli 2008 - entschuldigt fernblieb oder nicht, weil der Antragsgegner dieses Fernbleiben für die Absenkung gerade nicht zum Anlass nahm.

Nach alldem war das Arbeitslosengeld II im Fall der 24-jährigen Antragstellerin gemäß § 31 Abs. 5 S. 1 Hs. 1 SGB II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung zu beschränken, mit der Folge, dass bereits nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ("wird das Arbeitslosengeld II auf die Leistungen nach § 22 beschränkt") auch der Mehrbedarfszuschlag wegen Alleinerziehung im Sinne von § 21 Abs. 3 SGB II wegfällt, der gemäß § 19 S. 1 SGB II zum Arbeitslosengeld II gehört (vgl. etwa Brünner und Berlit, in: Lehr- und Praxiskommentar (LPK) – SGB II, 2. Aufl. 2007, § 19 Rn. 1 beziehungsweise § 31 Rn. 131).

Der Absenkungsbescheid steht auch mit § 31 Abs. 6 S. 1 SGB II in Einklang, indem er eine Absenkung ab August 2008 und damit ab demjenigen Monat vorsieht, der auf das Wirksamwerden des – gemäß § 39 Nr. 1 SGB II sofort vollziehbaren – Absenkungsbescheids vom 21. Juli 2008 folgt. Denn der Absenkungsbescheid wurde der Antragstellerin gemäß §§ 37 Abs. 1, 39 Abs. 1 S. 1 SGB X spätestens am 26. Juli 2008 wirksam bekannt gegeben, indem die An-tragstellerin vorträgt, den Bescheid am 21. Juli 2008 (so in der Antragsschrift vom 31. Juli 2008) beziehungsweise am 26. Juli 2008 (so in der Beschwerdeschrift vom 1. September 2008) erhalten zu haben.

Allerdings ist der Beschwerde Erfolg beschieden, soweit sich die Antragstellerin dagegen wendet, dass die Sanktion mehr als sechs Wochen dauert. Nach § 31 Abs. 6 S. 3 SGB II kann der Träger bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, die Absenkung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzen. Da nach der Formulierung der Vorschrift ("kann") dem Träger ein ungebundenes Ermessen hinsichtlich der Abkürzung des Sanktionszeitraums eröffnet ist, hat die oder der erwerbsfähige Hilfebedürftige nur dann einen Anspruch auf Abkürzung, wenn das Ermessen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls dahin reduziert ist, dass sich allein die Vornahme der Verkürzung als rechtmäßig erweist. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen gehören Art und Umstände des Pflichtenverstoßes, der Grad des Verschuldens, Alter und Einsichtsfähigkeit der oder des jungen Hilfebedürftigen, das Verhalten nach dem Pflichtenverstoß, die Wirkungen, die bei unverkürzter Sanktionsdauer auf die Integ-rationsfähigkeit und –bereitschaft der oder des jungen Hilfebedürftigen zu erwarten sind, sowie, ob es sich um einen wiederholten Pflichtenverstoß handelt (vgl. Berlit, a.a.O., § 31 Rn. 153).

Dies zugrunde gelegt, erscheint das Ermessen hier dahin reduziert, dass allein eine Verkürzung auf sechs Wochen im Fall der Antragstellerin rechtmäßigerweise in Betracht kam. Auch wenn der Antragstellerin – wie gezeigt - mehrere Pflichtenverstöße unterliefen, die sogar zur Beendigung der Maßnahme führten, gebietet die besondere Lebenssituation der Antragstellerin, die unter anderem durch die Alleinerziehung ihres vier Jahre alten Sohnes geprägt ist, eine Verkürzung. Zum einen erscheint der Sanktionszweck bereits mit einer sechswöchigen Absenkung erreicht. Zum anderen würde eine über sechs Wochen dauernde Sanktion die Integrationsfähigkeit und –bereitschaft der Antragstellerin gefährden, die sich aufgrund einer weiteren Eingliederungsvereinbarung vom 14. Juli 2008 verpflichtete, unmittelbar anschließend eine berufsvorbereitende Maßnahme ("Kombiangebot Grüne Welle") zu durchlaufen. Eine über sechswöchige Sanktion steht nach Auffassung des Senats einer erfolgreichen Durchführung der anschließenden Maßnahme entgegen. Sie würde neuerliche Pflichtenverstöße der Antragstellerin hervorrufen, die wiederum zu neuerlichen Sanktionen führen würden, ohne dass etwas für die Eingliederung der Antragstellerin erreicht wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache selbst.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde ans Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
Saved