S 19 KR 1103/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 19 KR 1103/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 285/08
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Kosten einer Tenderpoint-Operation ("Quadranten-Schmerz-Intervention") durch Prof. Dr. J. B. zur Behandlung von Fibromyalgie.

Die Klägerin litt jahrelang an einem Fibromyalgie-Syndrom. Seit einer teilweisen Darmresektion im Jahre 1997 litt sie zusätzlich an Problemen bei der Darmentleerung.

Am 15.07.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine operative Behandlung der Fibromyalgie durch Prof. Dr. J. B. in M ... Bei dieser Operation sollten an den sogenannten Tenderpoints die Durchtrittsstellen der Nervenbündel durch die Körperfaszie von Verengungen befreit werden. Am 28.07.2003 wurde die Operation ausgeführt. Mit Rechnung vom 29.07.2003 stellte Prof. Dr. B. der Klägerin für die Operati-on einen Betrag von 2.051,33 EUR in Rechnung. Durch Bescheid vom 28.08.2003 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Operation ab. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 30.09.2003 Widerspruch ein, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 17.03.2004 als unbegründet zurückwies. Dagegen erhob die Klägerin am 13.04.2004 eine beim Sozialgericht München unter dem Aktenzeichen S 19 KR 353/04 geführte Kla-ge, die durch einen am 12.04.2005 abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich erledigt wur-de, in dem sich die Beklagte für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die ständi-ge Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur BUB-Richtlinie aufheben sollte, bereit erklärte, eine Kostenerstattung auf Antrag der Klägerin gemäß § 44 SGB X nochmals zu prüfen und rechtsbehelfsfähig zu bescheiden.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98 zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erlassen hatte, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 30.06.2006 die begehrte Kostenerstattung erneut ab und wies darauf hin, dass die Fibromyalgie keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei. Den da-gegen am 27.07.2006 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbe-scheid vom 24.08.2006 zurück. Dagegen erhob die Klägerin am 08.09.2006 die vorlie-gende Klage.

Die Klägerin macht geltend, 66 Prozent der mit der Operationsmethode behandelten Pati-enten blieben dauerhaft beschwerdefrei, in einem bedeutenden weiteren Anteil der Fälle komme es jedenfalls zu einer erheblichen Linderung der Beschwerden. In ihrem Fall sei es zusätzlich zu einer sofortigen und dauerhaften Heilung der Darmprobleme gekommen, da die operierten Tenderpoints den Dickdarmmeridian betroffen hätten. Auch von dem massiven Schmerzsyndrom sei sie dauerhaft geheilt, vereinzelt auftretende Schmerzen bekomme sie problemlos in den Griff. Weiter legt die Klägerin das in einem zivilrechtlichen Verfahren von einem Gericht eingeholte Gutachten von Prof. Dr. med. Josef Zacher vom 24.03.2006 vor, wonach Fibromyalgie eine unheilbare Krankheit sei und es sich bei der von Prof. Dr. B. vorgenommenen Operation um eine notwendige Heilbehandlung in dem Sinne handle, dass diese operative Methode basierend auf einer wissenschaftlichen The-orie vergleichbar der Akupunktur geeignet sei, bei einer Vielzahl von Patienten (schriftlich belegt) die Symptome einer Fibromyalgie zu bessern.

Die Klägerin beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 30.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 24.08.2006 aufzuheben und

2. die Beklagte zu verurteilen, im Wege der Neufeststellung nach § 44 SGB X den Bescheid der Beklagten vom 28.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2004 aufzuheben und der Klägerin die Kosten für die Quadranten-Schmerz-Intervention bei Prof. Dr. B. nach Rechnung vom 29.07.2003 in Höhe von 2.051,33 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Für die Entscheidung über die zulässige Klage war das Sozialgericht München örtlich (§ 57 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und sachlich (§ 8 SGG) zuständig. Die Klage wurde ge-mäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhoben. Die Klage war als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin hat schon deshalb keinen Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte, weil der nach § 13 Abs. 3 SGB V für eine solche Erstattung privat liquidierter Kosten vor-geschriebene Beschaffungsweg nicht eingehalten war: So hat die Klägerin vor der Aus-führung der Operation am 28.07.2003 nicht den Bescheid der Beklagten hinsichtlich ihres am 15.07.2003 gestellten Kostenübernahmeantrags abgewartet. Der Bescheid der Be-klagten erging erst am 28.08.2003. Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V lag nicht vor, da es sich um ein jahrelang bestehendes Schmerzsyndrom handelte und bei einem Abwarten der üblichen Bearbeitungsdauer von wenigen Wochen keinerlei nicht wiedergutzumachende Schäden drohten. Da die Operation vor dem Wirk-samwerden des Ablehnungsbescheides ausgeführt worden war, fehlte es an dem von § 13 Abs. 3 SGB V vorausgesetzten ursächlichen Zusammenhang zwischen der ablehnen-den Entscheidung und dem Entstehen der Kosten. Die Prüfung der Tatbestandsvoraus-setzungen des § 13 Abs. 3 SGB V wurde auch nicht durch den im Vorprozess am 12.04.2005 abgeschlossenen Überprüfungsvergleich ausgeschlossen. Die darin getroffe-ne Vereinbarung, bei Eintritt einer bestimmten Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts den Antrag auf Kostenerstattung gemäß § 44 SGB X nochmals zu prüfen und rechtsbehelfsfähig zu bescheiden, hatte rein verwaltungsverfahrensrechtliche Bedeutung, wie der Verweis auf § 44 SGB X eindeutig belegt. Eine Beschränkung der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen auf die speziellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unter Unstreitigstellung der Tat-bestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V war damit nicht verbunden. Das Ge-richt hat es jedoch unterlassen, im Hinblick auf die diesbezügliche Argumentation der Klä-gerin von der Androhung und Verhängung von Verschuldenskosten nach § 192 SGG Gebrauch zu machen.

Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Tenderpoint-Operation bei Prof. Dr. J. B. bestünde selbst dann nicht, wenn der Beschaffungsweg des § 13 Abs. 3 SGB V eingehal-ten worden wäre. Die begehrte Operation ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenver-sicherung. Da die Operation ambulant ausgeführt wurde und eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode darstellte, hätte sie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversi-cherung gemäß § 135 SGB V nur erbracht werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bun-desausschuss in seinen Richtlinien für die Anwendung dieser Methode Empfehlungen abgegeben hätte. Solche Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses oder seiner Vorläufereinrichtung lagen jedoch nicht vor. Ebenso war ein Systemversagen zu verneinen, das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausnahmsweise zur Anwendbarkeit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode führen kann, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss oder eine der antragsberechtigten Institutionen untätig bleibt, obwohl die Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Methode vorlie-gen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer neuen Methode liegen jedoch frü-hestens dann vor, wenn die Methode dem allgemein anerkannten Stand der medizini-schen Erkenntnisse entspricht (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Davon kann jedoch bei der Tenderpoint-Operation nach Prof. Dr. B. keine Rede sein. Wie der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Bayern in seinem Gutachten vom 08.08.2003 überzeugend dar-gelegt hat, wird die Methode von niemand anderem als Prof. Dr. J. B. angewandt. Sämtli-che Studien bezüglich der Wirksamkeit der Methode wurden von Prof. B. selbst retrospek-tiv bezüglich des Erfolgs an den von ihm selbst behandelten Patienten vorgenommen. Bei einer solchen Vorgehensweise ist in methodischer Hinsicht ein Ausschluss möglicher Pla-cebo- oder Suggestiveffekte nicht zu führen. Auch die von der Klägerin vorgelegten Un-tersuchungen und Veröffentlichungen stammen ausschließlich von Prof. Dr. J. B ... Bestä-tigt wird die Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern durch die wissenschaftliche Leitlinie "Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Thera-pie des Fibromyalgie-Syndroms" der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung und Deutschen Rheuma-Liga in Zusammenarbeit mit weiteren wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Darin wird ausgeführt, die operative Lösung von "Verwachsungen" an Akupunkturpunkten im Bereich von Tenderpoints widerspreche den aktuellen Erkenntnissen über die Ursa-chen und Krankheitsmechanismen des Fibromyalgie-Syndroms. Erfolge dieser Behand-lung seien bisher nur von einer Arbeitsgruppe beschrieben worden. Daher werde von die-ser Behandlungsmethode abgeraten. Dass die Methode von Prof. B. wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt ist, wird auch bestätigt durch das von der Klägerin selbst vorge-legte Gutachten von Prof. Dr. Josef Zacher vom 24.03.2006, in dem auf Seite 19 ausge-führt wird, das Krankheits- und Therapiekonzept des Prof. B. habe bisher noch keinen Eingang in die Schulmedizin gefunden; aussagekräftige, insbesondere unabhängige Stu-dien zum Wirksamkeitsnachweis stünden noch aus.

Auch die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Be-schluss vom 06.12.2005 Az. 1 BvR 347/98 geforderten verfassungskonformen Auslegung der Bestimmungen zur gesetzlichen Krankenversicherung liegen nicht vor, da es sich bei der Fibromyalgie zwar möglicher Weise um eine schwerwiegende, aber weder um eine lebensbedrohliche noch um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt. Auch schwere Schmerzen, die zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität bis hin zur Erwerbsunfähigkeit oder suizidalen Gedanken führen, können für sich genommen diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Dies hat das Bundessozialgericht in ähnlich belas-tenden Situationen wie im vorliegenden Fall mehrfach entschieden (vgl. zu schmerzhaften Muskelversteifungen aufgrund MAD-Mangels, die zu Erwerbsfähigkeit geführt hatten: BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7 RdNrn. 31 ff.; zu Schlafstörungen bei Restless-Legs-Syndrom, die bis zum Suizidwunsch führten: BSG, Urteil vom 26.09.2006, Az.: B 1 KR 14/06 R, RdNrn. 11, 18; und zu einem chronischen Schmerz-Syndrom bei Querschnitts-lähmung: BSG, Urteil vom 27.03.2007, Az.: B 1 KR 30/06 R, RdNrn. 15, 19). Die von der Klägerin beschriebenen Schmerzen und ihre Folgen sind mit den vom Bundessozialge-richt entschiedenen Fällen vergleichbar.

Keine weiteren Erkenntnisse, die für die Entscheidung relevant wären, liefert das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. med. Josef Zacher vom 24.03.2006: Die dar-in bestätigte Unheilbarkeit der Erkrankung ist für sich genommen ohne Belang, da es nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts nicht um allein die Frage der Unheil-barkeit, sondern um die Schwere der Erkrankung geht.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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