L 6 SB 3311/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 1344/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3311/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 23. Mai 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger der Grad der Behinderung (GdB) wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse nunmehr mit 50 festzustellen ist.

Auf den Erstantrag des 1941 geborenen Klägers hatte das frühere Versorgungsamt Freiburg - Außenstelle Radolfzell (VA) den GdB mit Bescheid vom 19. Juni 2000 mit 20 seit 16. März 2000 festgestellt. Dabei wurden als Gesundheitsstörungen Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule (Teil-GdB 20) und des rechten Kniegelenks (Teil-GdB 10) berücksichtigt. Den am 2. August 2001 gestellten Antrag auf Erhöhung des GdB lehnte das umzugsbedingt zuständig gewordene frühere Versorgungsamt Rottweil mit Bescheid vom 3. Dezember 2001 und der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung lägen nicht vor. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen (Schulterbeschwerden, Refluxösophagitis, beginnende Gon- arthrose links, Silikose) bedingten keine Funktionsbeeinträchtigung bzw. einen Einzel-GdB von wenigstens 10 und stellten daher keine Behinderung im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) dar.

Am 11. Juli 2002 beantragte der Kläger erneut die Erhöhung des GdB und machte als neu aufgetretene Behinderungen die nachfolgenden Gesundheitsstörungen geltend: Staublunge, Kniearthrose, Taubheit der Beine, Rückenleiden, Schlafapnoe. Seinem Antrag fügte er die Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 5. Dezember 2001 und 7. Juni 2002 bei. Das frühere Versorgungsamt Rottweil zog von dem behandelnden Arzt Dr. L. und dem Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. St. zahlreiche Arztbriefe bei und erhob den Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Dr. E. vom 20. Dezember 2002. Das umzugsbedingt wiederum zuständig gewordene VA zog noch die Akten der damaligen Steinbruchs-Berufsgenossenschaft (BG) bei, die mit Bescheid vom 25. November 1988 die Anerkennung der Lungenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit abgelehnt hatte, weil die festzustellenden Lungenveränderungen noch keine messbare leistungsmindernde Einschränkung der Herz-, Kreislauf- oder Lungenfunktion bedingten und trotz beruflicher Einwirkung somit (noch) keine Berufskrankheit vorliege. In dem aktenkundigen, für die BG erstatteten internistisch-pneumologischen Gutachten des Chefarztes der Reha-Klinik I. Dr. R., Fachklinik für Rehabilitation und Anschlussheilbehandlung in Bad Dürrheim, vom 18. September 2001 wurde das Vorliegen von Lungenfunktionseinschränkungen verneint und damit auch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen der Lungenerkrankung. Das VA holte die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme der Dr. K. vom 23. Juli 2003 ein, die den GdB beim Kläger mit 40 bewertete. Dabei wurden die folgenden Behinderungen berücksichtigt:

- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom Teil-GdB 20 - Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Arthrose beider Kniegelenke, Polyneuropathie Teil-GdB 20 - Schlafapnoe-Syndrom, Steinstaublunge (Silikose) Teil-GdB 20.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2003 hob das VA den Bescheid vom 19. Juni 2000 gemäß § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) auf und stellte den GdB ab 11. Juli 2002 mit 40 fest. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, ohne diesen zu begründen. Das VA holte die vä Stellungnahme des Dr. K. vom 29. März 2004 ein, der die bisherige Bewertung für zutreffend erachtete. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2004 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 14. Juni 2004 beim Sozialgericht Konstanz (SG) mit dem Begehren Klage, die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen. Er machte geltend, die der Bewertung des GdB zugrunde gelegten Unterlagen seien veraltet, selbst die jüngsten Befunde seien bereits zwei Jahre alt. Seine Lungenfunktion sei inzwischen so stark eingeschränkt, dass er beim Treppensteigen sowie bereits bei kleinen Steigungen sehr starke Atembeschwerden habe. Die Rückenbeschwerden hätten zugenommen; er habe jetzt andauernd starke Schmerzen im Rücken. Auch die Kniebeschwerden seien stärker geworden, wobei er des Öfteren schmerzbedingt überhaupt nicht mehr gehen könne. Die Schmerzen zögen linksseitig von der Hüfte bis in den Fuß. Im linken Bein habe er auch ständig ein taubes Gefühl. Hinzu komme ein hirnorganisches Psychosyndrom und eine Schwerhörigkeit. Auch leide er an ständigen Kopfschmerzen. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage seiner Verwaltungsakten und unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes entgegen. Er legte die vä Stellungnahmen des Dr. W. vom 29. Juli 2005 und 3. März 2006 sowie des Dr. G. vom 19. Dezember 2005 und 21. Februar 2007 vor. Zwar sei als weitere Behinderung eine Schwerhörigkeit beidseits zu berücksichtigen, die nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) mit einem Teil-GdB von 15 (formal aufgerundet auf den vollen Zehnergrad von 20) zu berücksichtigen sei, jedoch resultiere daraus bei integrativer Betrachtung keine Erhöhung des Gesamt-GdB. Das SG hörte den Facharzt für Hautkrankheiten Dr. L. unter dem 29. November 2004, den Facharzt für Orthopädie Dr. P. unter dem 1. Dezember, den Facharzt für Allgemeinmedizin B. unter dem 3. Dezember 2004, den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. unter dem 7. April 2005, Dr. L. unter dem 12. Oktober 2005 sowie den HNO-Facharzt Dr. T. unter dem 29. November 2005 schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. L. sah auf seinem Fachgebiet keine Funktionsbeeinträchtigung. Der Allgemeinmediziner B. berichtete von drei Vorstellungen des Klägers in Vertretung für Dr. L. (wegen Laryngopharyngitis, Rezeptur wegen Refluxoesophagitis, postoperative WundkonT.e nach Herniotomie). Dr. P. teilte als Diagnosen eine mittelgradige mediale Gonarthrose beidseits, ein degeneratives mittleres HWS-Syndrom sowie ein beginnendes degeneratives BWS-Syndrom mit, ferner einen Fersensporn links und eine Spreizfußdeformität. Zur Höhe des hierdurch bedingten GdB äußerte er sich nicht. Im Rahmen seiner Auskunft vom 7. April 2005 bewertete Dr. K. die angegebene Lumboischialgie/Polyneuropathie mit einem Einzel-GdB von 20 sowie das Schlafapnoesyndrom, das mit einer schwer einstellbaren obstruktiven und zentralen Komponente mit anhaltender Tagesmüdigkeit und einem organischen Psychosyndrom im Sinne einer leichten bis mittelschweren hirnorganischen Beeinträchtigung einhergehe, mit einem Einzel-GdB von 40, ferner einen Zustand nach Leistenbruchoperation links und einen Zustand nach Lipom links mit einem Einzel-GdB von 10. Dr. L. berichtete von einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit in fast allen, insbesondere den großen Gelenken und schätzte den hierdurch bedingten GdB auf "an die 100%". Weiter berichtete er von einem starken Schlafapnoesyndrom und einer hierdurch bedingten Tagesmüdigkeit des Klägers, durch die er dazu neige, einzuschlafen. An das ihm verordnete Beatmungsgerät habe er sich nicht gewöhnen können. Dr. T. beschrieb eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit mit einem prozentualen Hörverlust von 35% rechtsseitig und 30% linksseitig nach dem Tonaudiogramm sowie 80% beidseitig nach dem Sprachaudiogramm, woraus sich nach den Tabellen von Boenninghaus und Röser ein GdB von 35 ergebe. Das SG zog von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg die über den Kläger geführte Rentenakte bei und hörte schriftlich als sachverständige Zeugen nochmals Dr. T. unter dem 20. September 2006 und Dr. L. unter dem 19. Oktober 2006. Mit Urteil vom 23. Mai 2007 änderte das SG die angefochtenen Bescheide ab und verurteilte den Beklagten beim Kläger ab 11. Juli 2002 einen GdB von 50 anzuerkennen. Zur Begründung führte es aus, aus den beim Kläger zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen, die der Beklagte mit zutreffenden Teil-GdB-Werten bemessen habe, resultiere im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ein GdB von 50, da wesentliche Überschneidungen der einzelnen Behinderungen nicht vorlägen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Beklagten am 20. Juni 2007 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.

Der Beklagte hat dagegen am 4. Juli 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, die Gesamtbeeinträchtigung des Klägers erreiche nicht das Ausmaß einer Schwerbehinderung mit einem GdB von 50. Die Bildung des Gesamt-GdB durch das SG entspreche nicht den Regelungen der AHP. Für die Schwerhörigkeit werde ein Teil-GdB von 20 nur wegen Nr. 17 Abs. 2 der AHP erreicht, wonach GdB-Werte nach Zehnergraden abgestuft festzustellen sind. Die deshalb vorgenommene Aufrundung des tatsächlichen GdB von 15 sei, wie sich aus dem vorgelegten "Beiratsprotokoll vom 31. Oktober 1989" ergebe, auch bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen. Daneben sei die Bewertung des Wirbelsäulensyndroms und der Funktionsbeeinträchtigung der unteren Gliedmaße zu berücksichtigen, die eher weitreichend sei. Ungünstige Wechselwirkungen zwischen den insoweit genannten Behinderungen bestünden im Übrigen nicht. Der Beklagte legte die vä Stellungnahme des Dr. W. vom 25. Juni 2007 vor.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 23. Mai 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Das SG habe aus den zutreffend zugrunde gelegten Teil-GdB-Werten für die zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen in nicht zu beanstandender Weise und in freier richterlicher Beweiswürdigung unter zutreffender Gewichtung des aufgerundeten Wertes von 20 für die Schwerhörigkeit die Schwerbehinderteneigenschaft als erreicht angesehen. Die AHP und das vom Beklagten herangezogene Beiratsprotokoll seien für das SG nicht verbindlich.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit eine Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist auch begründet.

Das SG hätte die angefochtenen Bescheide nicht abändern und den Beklagten nicht verurteilen dürfen, den GdB beim Kläger mit 50 festzustellen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 29. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der GdB beim Kläger ist nicht mit mehr als 40 festzustellen und erreicht daher nicht die Schwerbehinderteneigenschaft.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs im Einzelnen dargelegt und ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Gesamt-GdB beim Kläger aus den Funktionsbeeinträchtigungen zu bilden ist, wie sie im Wesentlichen bereits vom Beklagten in dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt wurden, einschließlich der erst im Klageverfahren bekannt gewordenen Schwerhörigkeit. Neben dieser Beeinträchtigung auf HNO-ärztlichem Fachgebiet ist bei der Bewertung daher eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit degenerativen Veränderungen einschließlich eines Schulter-Arm-Syndroms, eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Arthrose und Polyneuropathie sowie ein Schlafapnoe-Syndrom und eine Steinstaublunge (Silikose) zu berücksichtigen. Hierfür hat das SG Teil-GdB-Werte von dreimal jeweils 20 zugrunde gelegt sowie für die Schwerhörigkeit einen auf 20 aufgerundeten, nach den AHP ermittelten Wert von 15. Diese Teil-GdB-Werte hält auch der Senat für angemessen und legt sie daher seiner Beurteilung zugrunde. Auch die Beteiligten selbst haben diese Werte für angemessen erachtet. Insoweit verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen daher auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG). Streitig ist im Berufungsverfahren allein, ob durch die Gesamtheit dieser Beeinträchtigungen die Schwerbehinderteneigenschaft begründet wird, oder ob die Bewertung mit einem GdB von 40 den Beeinträchtigungen des Klägers hinreichend Rechnung trägt, wovon der Beklagte ausgeht.

Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den AHP, nunmehr Ausgabe 2008, niedergelegt sind (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 7. November 2001 – B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26). Die AHP haben zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind daher im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285, 286; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Sie ermöglichen somit eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB. Die AHP stellen dabei ein einleuchtendes, abgewogenes und geschlossenes Beurteilungsgefüge dar (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei dürfen die einzelnen Werte bei der Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (AHP, 19 Abs. 1, S. 24). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob und wie sich die Auswirkungen von einzelnen Beeinträchtigungen einander verstärken, überschneiden oder aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (AHP, 19 Abs. 3, S. 25). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass, von Ausnahmefällen abgesehen, leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP, 19 Abs. 4, S. 26).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50. Der Senat ist in Übereinstimmung mit der Auffassung des Beklagten zu der Überzeugung geL.t, dass die Gesamtheit der Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander nicht die Schwerbehinderteneigenschaft begründet. Der Senat berücksichtigt dabei zunächst, dass beim Kläger ausschließlich Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten sind, die keinen höheren GdB als 20 rechtfertigen und damit jeweils noch als leichtgradige Gesundheitsstörungen einzustufen sind. Mehrere leichtgradige Funktionsbeeinträchtigungen können bei Beachtung der Wertungen in den AHP nicht ohne Weiteres einen Gesamtbeeinträchtigungszustand begründen, der die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertigt. Dies kommt im allgemeinen nur dann in Betracht, wenn die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen einander derart verstärken, dass die Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwerwiegend sind, dass sie vergleichbar sind dem Verlust eines Beines im Unterschenkel, dem Verlust der ganzen Hand oder einer Erkrankung des Herzens mit einer Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (bspw. beim Spazierengehen), mithin bereits beim Auftreten von Beschwerden und pathologischen Messdaten bei einer Ergometerbelastung von lediglich 50 Watt. Der Senat vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger bei der Teilhabe am Leben in einem derartigen Ausmaß eingeschränkt ist. Der Senat teilt insbesondere nicht die Auffassung des SG, wonach sich die Beeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäule und der Kniegelenke gegenseitig negativ beeinflussen. Insoweit hat der Beklagte vielmehr zutreffend darauf hingewiesen, dass die von den Kniegelenken ausgehenden Einschränkungen in gewissem Maße in den Auswirkungen der Wirbelsäulenbeschwerden aufgehen, da die Bewegungsfähigkeit des Klägers bereits durch das Wirbelsäulenleiden limitiert ist. Damit ist bereits zweifelhaft, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, die genannten Beeinträchtigungen in einer Gesamtschau mit einem GdB von 30 zu bewerten. Jedenfalls ist es aber nicht gerechtfertigt, nunmehr sowohl im Hinblick auf das Schlafapnoesyndrom von einer wesentlichen Zunahme des Gesamtbeeinträchtigungszustandes auszugehen mit einer damit einhergehenden Erhöhung des Gesamt-GdB auf 40 und dies gleichermaßen erneut im Hinblick auf die Schwerhörigkeit anzunehmen, die ihrerseits lediglich eine Funktionsbeeinträchtigung zwischen einem GdB-Wert von 10 und 20 bedingt.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht im Hinblick auf den Umstand, dass der Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden bereits die Beeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäule, der Kniegelenke und des Schlafapnoesyndroms mit einem Gesamt-GdB von 40 bewertet hatte, ohne die später erst bekannt gewordene Schwerhörigkeit mit einem Teil-GdB von 15 bzw. aufgerundet 20 mitzubewerten. Denn der seinerzeit zugrunde gelegte GdB stellt sich nach Auffassung des Senats als überhöht dar, so dass dieser Wert von 40 ohne Weiteres auch noch dem Gesamtzustand des Klägers bei Mitberücksichtigung der Hörstörung Rechnung trägt.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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