Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SB 1368/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2770/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. April 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers von zuletzt 20 auf mehr als 40 zu erhöhen ist.
Bei dem 1943 geborenen Kläger wurde zuletzt mit Bescheid vom 22. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2003 ein GdB von 20 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt: 1. Wirbelsäulenverformung, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, 2. Sehminderung beidseitig. Dem lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. S. vom 13. Juni 2003, der die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 1 mit einem Teil-GdB von 20 und die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 2 mit einem Teil-GdB von 10 bewertet hatte, zu Grunde.
Am 4. November 2004 beantragte der Kläger unter Vorlage der betriebsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 13. Oktober 2004 die Erhöhung des GdB wegen einer Verschlimmerung des Bandscheibenschadens sowie Kreislauf- und Darmbeschwerden. Dr. W. beschrieb in den letzten Monaten aufgetretene, gravierende Schwindelanfälle, Schmerzen im Lendenwirbelsäulen-(LWS)Bereich mit Einschießen vor allem in das rechte Bein, eine chronische Entzündung der Sehnenansätze im Bereich des rechten Ellenbogens, eine Nachtblindheit und einen im März 2003 diagnostizierten Darmtumor. Hierzu wurde der Arztbrief von Dr. Z. (Facharzt für Innere Medizin, Gastroentrologie) vom 7. März 2003 beigefügt, der zwei Rektumpolypen und Polypenknospen diagnostiziert und abgetragen bzw. biopsiert hatte. Ferner wurde der Arztbrief von Dr. T. vom 11. September 2003 über die am Tag zuvor durchgeführte Kernspintomographie der LWS beigefügt.
Mit Bescheid vom 23. November 2004 stellte das Versorgungsamt Ulm (VA) ab dem 4. November 2004 einen GdB von 40 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest: 1. Wirbelsäulenverformung, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, 2. Bluthochdruck, funktionelle Kreislaufstörungen, Schwindel, 3. Sehminderung beidseits, Nachtblindheit, 4. Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenks. Dem lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Gottmann vom 18. November 2004 zu Grunde, der die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 1 mit einem Teil-GdB von 30, die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 2 mit einem Teil-GdB von 20 und die übrigen Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von jeweils 10 bewertet hatte.
Hiergegen legte der Kläger am 13. Dezember 2004 mit der Begründung, Dr. W. erachte einen GdB von 50 als angemessen, Widerspruch ein. Allein der Umstand, dass eine karzinombehaftete Polypenentfernung vorliege, rechtfertige einen GdB von 50. Hierzu führte Dr. Z. für den versorgungsärztlichen Dienst aus, das attestierte Karzinoma in situ bedinge keinen GdB, da die Polypektomie eine kurative Behandlung darstelle. Darauf gestützt wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2005 den Widerspruch zurück.
Deswegen erhob der Kläger am 17. Mai 2005 beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage. Er verwies auf sämtliche bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen. Der bei ihm diagnostizierte Darmtumor habe vor allem im Hinblick auf seine familiäre Vorbelastung zu einer traumatischen psychischen Belastung geführt. Das SG holte die schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. F. vom 20. Juni 2005, der seinem Antwortschreiben u.a. den Entlassbericht der Rehabilitationsklinik St. M., Bad Soden-Salmünster, vom 16. Oktober 2002 beifügte, und des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. T. vom 25. Juli 2005 ein. Letzterer beschrieb rezidivierende, mittelgradige LWS-Beschwerden bei degenerativer Bandscheibenerkrankung L4/S1, die unter konservativen Behandlungsmaßnahmen zeitgerecht abgeheilt seien.
Das SG holte das orthopädische Gutachten von Dr. E. vom 21. November 2005 ein. Dr. E. diagnostizierte eine fortgeschrittene Osteochondrose L5/S1 mit Bandscheibenprotrusion und chronifiziertem Wurzelreizsyndrom, eine chronisch-therapieresistente Epikondylitis, eine initiale Coxarthrose links mehr als rechts, eine Chondropathie und einen Verdacht auf eine Außenmeniskusläsion am linken Kniegelenk sowie ein Cervicalsyndrom. Es liege eine funktionelle Versteifung der LWS und eine geringgradige Einschränkung der Halswirbelsäulen-(HWS)Funktion vor. Die Einschränkung der LWS sei als besonders schwer, die an der HWS als leicht einzustufen. Für die Einschränkung an der LWS sei ein GdB von 50, für die Epikondylitis und für die initiale Coxarthrose von jeweils 10 in Ansatz zu bringen. Die übrigen Funktionsbeeinträchtigungen bedingten keinen messbaren GdB. Insgesamt schätzte er den GdB auf dem orthopädischen Fachgebiet auf 50. Entgegen der Einschätzung von Dr. T. liege ein besonders schweres, fortgeschrittenes degeneratives Wirbelsäulenleiden vor. Dem Gutachten von Dr. E. hielt Medizinaldirektor Deppisch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16. Januar 2006 entgegen, eine zweifellos schwere Funktionseinschränkung an der LWS bedinge nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) lediglich einen GdB von 30.
Mit Urteil vom 21. April 2006 verurteilte das SG den Beklagten, beim Kläger einen GdB von 50 festzustellen. Dr. E. habe nachvollziehbar eine besonders schwere Einschränkung der LWS beschrieben. Das Beschwerdebild des Klägers sei mit der in den AHP beispielhaft genannten Versteifung großer Teile der Wirbelsäule vergleichbar. Diese müsse sich nicht auf mehrere Wirbelsäulenabschnitte beziehen. Auf den weiteren Inhalt des Urteils wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 3. Mai 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30. Mai 2006 beim Landessozialgericht unter Hinweis auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 23. Mai 2006 Berufung eingelegt. Dr. W. hat ausgeführt, es liege allenfalls eine schwere Funktionsminderung in einem Wirbelsäulenabschnitt vor. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom könne aus dem Gutachten von Dr. E. nicht abgeleitet werden. Es bestünden auch keine sensomotorischen Defizite. Ein GdB von 50 sei nicht zu vertreten. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18. Oktober 2006 führt Dr. G. ergänzend aus, soweit Dr. E. in der im Berufungsverfahren eingeholten, ergänzenden Stellungnahme eine funktionelle Versteifung der Brustwirbelsäule (BWS) angebe, sei dies durch die Befunderhebung bei der Begutachtung nicht nachzuvollziehen. Zudem stelle die Begutachtung nur eine Momentaufnahme dar. Das langfristige Beschwerdebild sei mit einzubeziehen. Bislang seien nur LWS-Beschwerden aktenkundig. Hinsichtlich des ebenfalls im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. H. hat Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24. Juli 2007 die Auffassung vertreten, auch ein Teil-GdB von 40 sei für das Wirbelsäulenleiden nach den objektiv fassbaren Befunden nicht nachzuvollziehen. In dem Gutachten werde auf erkennbare Verdeutlichungstendenzen hingewiesen. Im Interesse einer Gleichbehandlung dürften nur die objektiv fassbaren Befunde der Bewertung des GdB zu Grunde gelegt werden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. April 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt zur Erwiderung vor, zum Schluss des Termins beim SG sei vom Vertreter des Beklagten - wenn auch nicht als wirksamer Rechtsmittelverzicht - mitgeteilt worden, es werde keine Berufung eingelegt. Zwischenzeitlich habe er sogar einen befristeten Schwerbehindertenausweis erhalten. Das Verhalten des Beklagten könne allein deswegen nicht nachvollzogen werden. Im Übrigen sieht er sich durch die Stellungnahmen von Dr. E. bestätigt. Dr. T. habe eingeräumt, ihn wegen der Wirbelsäulenbeschwerden nie behandelt zu haben. Es sei ein Obergutachten einzuholen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, der Schwerbehindertenausweise sei ihm aufgrund einer persönlichen Vorsprache und seines Hinweises auf das Urteil des SGs ohne Erlass eines Ausführungsbescheids ausgestellt worden.
Der Senat hat Dr. E. um ergänzende Stellungnahme gebeten. Mit Schreiben vom 26. Juli 2006 hat er darauf hingewiesen, der Kläger habe eine massive Bewegungseinschränkung der gesamten Rumpfwirbelsäule, das bedeute der LWS und der BWS, beklagt und auf eine reduzierte Gehstrecke hingewiesen. Die LWS sei in der Seitneigung nach rechts und links versteift gewesen. Dies entspreche einer schweren Funktionseinschränkung. In seiner Stellungnahme vom 7. Januar 2008 hat er weiter ausgeführt, er müsse sich als Untersucher auf die Schmerzangaben des Klägers verlassen. Nach diesen Angaben sei auf ein sensibles Wurzelreizsyndrom bedingt durch die degenerativen Veränderungen der LWS zu schließen. Mit phasenweise unterschiedlichen Untersuchungsbefunden müsse beim Beschwerdebild des Klägers gerechnet werden. Eine weitere bildgebende Befundung sowie eine neurologische Untersuchung sei indiziert.
Der Senat hat Dr. F. und Dr. T. erneut schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. F. ging in seiner Aussage vom 20. November 2006 von mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (HWS und LWS) aus. Dr. T. teilte in seinem Antwortschreiben vom 12. Dezember 2006 mit, zu den Wirbelsäulenbeschwerden ab Juli 2005 könne er keine Aussagen machen, da der Kläger diesbezüglich nicht in seiner Behandlung gestanden habe.
Das LSG hat Dr. H. mit der Erstellung eines weiteren orthopädischen Gutachtens beauftragt. Er bewertete in seinem Gutachten vom 13. Juli 2007 ein chronisches Wirbelsäulenschmerzsyndrom mit belastungsabhängigen Missempfindungen und Gefühlsstörung im linken Bein bei diskreten bis mäßiggradigen Verschleißerscheinungen mit einem Teil-GdB von 40, belastungs- und druckabhängige Schmerzen im linken Ellenbogen im Bereich der Oberarmknorren ohne Bewegungseinschränkung des linken Ellenbogens, belastungsabhängige Knieschmerzen links sowie ein Raynaudsyndrom (Durchblutungsstörung der Fingerspitzen unter Kälteeinwirkung mit anschließender Gefühlsstörung) mit einem Teil-GdB von jeweils 10. Den Gesamt-GdB bewertete er mit 40.
Mit Schreiben vom 9. August 2007 lehnte der Kläger Dr. H. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Senat hat den ausführlich begründeten Antrag mit Beschluss vom 28. November 2007 (L 6 SB 3890/07 A), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, zurückgewiesen. Hierzu hatte der Senat die ergänzende schriftlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 13. September 2007 eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist statthaft und zulässig. Die Berufung ist auch begründet. Das SG hätte den Beklagten nicht zur Feststellung eines GdB von 50 verurteilen dürfen. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten erweist sich vielmehr als zutreffend.
Voranzustellen ist, dass der Kläger aus dem ohne Ausführungsbescheid ausgestellten Schwerbehindertenausweis vom 31. Mai 2006 keine Rechte herleiten kann. Der Ausweis, dem keine konstitutive Bedeutung für die verlautbarten Feststellungen zukommt (vgl. Hauck-Masuch, SGB IX, Rdz. 38 zu § 69), ist als lediglich vorsorglich ausgestellt anzusehen. Eine verbindliche Regelung wurde damit nicht getroffen. Soweit der Terminsvertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung angekündigt haben sollte, dass keine Berufung eingelegt werde, konnte sich der Kläger darauf nicht verlassen. Die Äußerung des Terminsvertreters wurde im Übrigen auch nicht als Rechtsmittelverzicht in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung protokolliert (vgl. § 160 Abs. 3 Nr. 9 der Zivilprozessordnung [ZPO] i. V. m. § 202 SGG). Der Kläger räumt selbst ein, in der Erklärung keinen wirksamen Rechtsmittelverzicht zu sehen.
Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs und die Bedeutung der AHP im Einzelnen dargelegt. Der Senat nimmt darauf Bezug. Zwar ist zum 1. Januar 2008 eine Neufassung der AHP herausgegeben worden. Für die Bewertung der hier streitgegenständlichen Funktionsbeeinträchtigungen haben sich dadurch jedoch keine Änderungen ergeben.
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten und Maßstäbe vermag sich der Senat keine Überzeugung davon verschaffen, dass beim Kläger Funktionsbeeinträchtigungen neu aufgetreten sind, die nunmehr nicht nur einen Gesamt-GdB von 40, sondern von 50 bedingen. Im Vordergrund stehen die Beschwerden des Klägers auf dem orthopädischen Fachgebiet, darunter insbesondere die Wirbelsäulenbeschwerden. Beim Kläger liegt ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit belastungsabhängigen Missempfindungen und Gefühlsstörungen im linken Bein vor bei diskreten bis mäßiggradigen Verschleißerscheinungen in sämtlichen lumbalen Bewegungssegmenten. Der Senat stützt sich dabei auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten von Dr. H., der hinsichtlich der Diagnosestellung auch nicht erheblich von der Auffassung von Dr. E. abweicht. Der Senat konnte sich, anders als das SG, nicht davon überzeugen, dass beim Kläger besonders schwere Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vorliegen. Das Beschwerdebild des Klägers ist nicht vergleichbar mit der in den AHP genannten Versteifung großer Teile der Wirbelsäule. Der Senat lässt offen, ob die Ansicht des SG, es reiche aus, wenn die Versteifung nur einen Wirbelsäulenabschnitt betrifft, zutrifft. Gegen diese Ansicht könnte sprechen, dass in den AHP als weiterer Beispielsfall für besonders schwere Beeinträchtigungen die Ruhigstellung durch eine Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst, genannt wird. Auch wenn bei der Versteifung nur von "großen Teilen" der Wirbelsäule die Rede ist, könnte daraus - in logischer Fortsetzung der vorangestellten Abstufungen der Schweregrade - geschlossen werden, dass zumindest zwei Wirbelsäulenabschnitte betroffen sein müssen. Dies kann, wie eben ausgeführt, dahingestellt bleiben. Für den Senat steht allerdings vor dem Hintergrund dieser Abwägungen fest, dass strenge Anforderungen an die Feststellung besonders schwerer Auswirkungen der Wirbelsäulenschäden zu stellen sind. Dafür spricht auch, dass die in den AHP als noch schwerwiegender beschriebene Fallgruppe der schwersten Belastungsinsuffizienz bereits in den Bereich der Geh- und Stehunfähigkeit weist.
Die beim Kläger bestehenden Wirbelsäulenschäden an der LWS haben schwere, aber keine besonders schweren Auswirkungen. Zwar haben sowohl Dr. E. als auch Dr. H. gravierende Einschränkungen der Wirbelsäulenbeweglichkeit beschrieben. Allerdings wies Dr. H. darauf hin, dass eine Einschränkung der Wirbelsäulenbeweglichkeit bzw. eine Fixierung bei Komplexbewegungen wie z. B. beim Hinsetzen oder Aufstehen aus dem Sitzen sowie beim Auskleiden nicht vorgelegen hat. Aus seiner - nachvollziehbaren - Sicht beruhten die Untersuchungsbefunde im Rahmen seiner Begutachtung teilweise erkennbar auf dem Bemühen des Klägers, seine Beschwerden zu verdeutlichen, um die Aufgabe des Gutachters - scheinbar - zu erleichtern. So ist bspw. nicht nachvollziehbar, dass der Kläger bei der Untersuchung eine Kopfdrehbewegung nach rechts und links von jeweils nur 10 Grad zuließ und dann die Bewegungen muskulär unter Verweis auf Nackenschmerzen abbremste, während er spontan Kopfdrehungen von 40 bis 60 Grad nach beiden Richtungen zeigte. Dass der Senat in den dementsprechenden Hinweisen des Sachverständigen keinen Grund für eine Besorgnis der Befangenheit sieht, hat er bereits im Beschluss vom 28. November 2007 dargelegt. Die dortigen Gründe sollen hier nicht wiederholt werden. Im Übrigen hat Dr. H. sogar ausdrücklich zugunsten des Klägers ausgeführt, die erkennbaren Verdeutlichungstendenzen sollten bei der gutachterlichen Bewertung zwar berücksichtigt werden, seien jedoch nicht als Hinweis zu werten, dass der Kläger seine Beschwerden prinzipiell vortäusche. Auch die Angaben, die der Kläger im Rahmen der sozialen Anamnese, der Beschreibung der häuslichen Verhältnisse, seiner Hobbys und der funktionellen Anamnese gemacht hat, sprechen gegen eine besonders schwere Beeinträchtigung der Wirbelsäule. Der Kläger arbeitet noch einen Tag pro Woche als Berater für seinen früheren Arbeitgeber. Einmal wöchentlich bewältigt er ausschließlich im Stehen eine 1,5-stündige Probe seines Jagdhornbläservereins, er versorgt zusammen mit seiner Ehefrau einen 700 qm großen Garten und kann zwei Stunden ohne Pause mit Automatikgetriebe Auto fahren, wobei sich beim Aussteigen Rückenschmerzen einstellen, die sich nach einigen Minuten jedoch langsam wieder legen. Der Senat verkennt ebenso wenig wie Dr. H. die Bedeutung dieser Wirbelsäulenbeschwerden. Allerdings hält er es zusammen mit Dr. H. für ausreichend, diese als schwer mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten, der freilich nur grenzwertig erreicht wird. Nach den AHP ist bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen. Mit dem GdB von 40 sind damit bereits, wie sich aus der von Dr. H. beschriebenen Diagnose ergibt, die Beeinträchtigung der gesamten Wirbelsäule und die vom Kläger angegebenen belastungsabhängigen Missempfindungen und Gefühlsstörungen berücksichtigt. Es bedurfte daher keiner weiteren Sachverhaltsermittlung durch Einholung neuer bildgebender Befunde und eines neurologischen Gutachtens. Maßgebend für die GdB-Bewertung sind funktionelle Einschränkungen und nicht morphologische Befunde. Im Übrigen hat Dr. H. im Rahmen seiner Begutachtung eine orientierte neurologische Untersuchung vorgenommen und - wie eben ausgeführt - Missempfindungen und Gefühlsstörungen in seine Bewertung einfließen lassen. Die von Dr. E. beschriebene funktionelle Versteifung, die auch er letztlich nicht auf einen entsprechenden degenerativen Befund zurückführt, konnte - wie bereits beschrieben - Dr. H. im Rahmen seiner Begutachtung, insbesondere im Hinblick auf die Spontanbewegungen, nicht in diesem Umfang nachvollziehen.
Angesichts der beschriebenen Kompetenzen des Klägers hält es der Senat auch nicht für gerechtfertigt, entsprechend der ergänzenden Stellungnahme von Dr. E. vom 26. Juli 2006 eine weitere Erhöhung des GdB wegen eines außergewöhnlichen Schmerzsyndroms und chronifizierten Nervenwurzelschmerzen anzunehmen. Diese Schmerzen sind bereits in dem Teil-GdB von 40 mit berücksichtigt. In seiner weiteren Stellungnahme vom 8. Januar 2008 räumt Dr. E. zudem letztlich entsprechend den Einwendungen des versorgungsärztlichen Dienstes ausdrücklich ein, dass von einem phasenweisen Beschwerdeverlauf auszugehen ist. Er nimmt an, dass auch beschwerdearme Intervalle mit gering ausgeprägten Untersuchungsbefunden vorliegen. Auch dies spricht gegen das Vorliegen besonders schwerer Auswirkungen im Sinn der AHP. Denn Maßstab hierfür wäre eine Versteifung oder eine anhaltende Ruhigstellung, das heißt ein dauerhafter Zustand. Phasenweise Verläufe - wie beim Kläger - sind hingegen mit unterschiedlicher Ausprägung in den Fallgruppen der geringen bis schweren funktionellen Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden beschrieben.
Die Einschätzung von Dr. E. steht zudem im Widerspruch zu den sachverständigen Zeugenaussagen. Dr. T. teilte im Juli 2005 mit, die LWS-Beschwerden seien lediglich mittelschwer und hätten sich durch konservative Behandlungsmaßnahmen stets beseitigen lassen. Derartiges geht auch aus dem im SG-Verfahren beigezogenen Reha-Entlassungsbericht aus dem Jahr 2002 hervor. Zwar hat Dr. T. gegenüber dem Senat ausgeführt zu den Wirbelsäulenbeschwerden keine Aussage machen zu können, da er den Kläger diesbezüglich nicht behandelt hat. Seine Aussage gegenüber dem SG ist damit jedoch nicht hinfällig, denn er stützte sich dabei auf die Unterlagen seines Praxisvorgängers, der entsprechende Behandlungen vorgenommen hatte. Im Übrigen hat auch der behandelnde Hausarzt Dr. F. die Beschwerden lediglich als mittelgradig bis schwer in zwei Wirbelsäulenabschnitten beschrieben. Der Senat kann nachvollziehen, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers eingetreten ist, er hält es jedoch nicht für plausibel, dass aus den von Dr. T. noch als mittelgradig, von Dr. F. als mittelgradig bis schwer beschriebenen Beschwerden nunmehr Beschwerden besonders schweren Ausmaßes geworden sind.
Auf dem orthopädischen Fachgebiet liegen daneben in der Zusammenschau der Gutachten von Dr. E. und Dr. H. Beschwerden am linken Ellenbogen, an den Hüften und am linken Kniegelenk vor. Nach - im Einzelnen nicht gänzlich übereinstimmender - Auffassung beider Sachverständiger ist für diese Beschwerden allenfalls ein Teil-GdB von jeweils 10 in Ansatz zu bringen, der sich - nach übereinstimmender Auffassung beider Sachverständiger - nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirken würde.
Auf dem internistischen Fachgebiet liegt ein Bluthochdruck nebst funktionellen Kreislaufstörungen und Schwindel vor, der vom Beklagten, ohne dass dies vom Kläger angegriffen wurde, mit einem Teil-GdB von 20 bewertet wurde. Diesen Teil-GdB legt auch der Senat zu Grunde. Allerdings geht er davon aus, dass er sich im Hinblick auf den durch das Wirbelsäulenleiden nur grenzwertig erreichten GdB von 40 nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt. Nach den AHP Nr. 19 Abs. 4, S. 26 ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Zudem hält es der Senat für gerechtfertigt, bei der Prüfung, ob die Schwerbehinderteneigenschaft erreicht wird, einen strengen Maßstab anzulegen. Regelmäßig reicht dafür ein zusätzlicher Teil-GdB von 20 nicht aus. Ferner überschneiden sich nach Auffassung des Senats die funktionellen Auswirkungen der beiden Erkrankungen was die Beweglichkeit im Alltag anbelangt, zumindest teilweise. Eine beidseitige Sehminderung und Nachtblindheit, die mit einem Teil-GdB von 10 verbunden ist, führt ebenfalls nicht zur Erlangung der Schwerbehinderteneigenschaft. Ein maligner Darmtumor im Sinne der AHP Nr. 26.10 S. 80 liegt beim Kläger nicht vor, so dass entsprechend der Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes für das beschriebene Carcinoma in situ kein GdB zusätzlich zu berücksichtigen ist. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Hinblick auf die Sorgen des Klägers hinsichtlich dieser Erkrankung entsprechend der AHP Nr. 26.3 S. 48 ist nicht ersichtlich.
Nach alledem war der Berufung stattzugeben, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers von zuletzt 20 auf mehr als 40 zu erhöhen ist.
Bei dem 1943 geborenen Kläger wurde zuletzt mit Bescheid vom 22. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2003 ein GdB von 20 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt: 1. Wirbelsäulenverformung, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, 2. Sehminderung beidseitig. Dem lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. S. vom 13. Juni 2003, der die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 1 mit einem Teil-GdB von 20 und die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 2 mit einem Teil-GdB von 10 bewertet hatte, zu Grunde.
Am 4. November 2004 beantragte der Kläger unter Vorlage der betriebsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 13. Oktober 2004 die Erhöhung des GdB wegen einer Verschlimmerung des Bandscheibenschadens sowie Kreislauf- und Darmbeschwerden. Dr. W. beschrieb in den letzten Monaten aufgetretene, gravierende Schwindelanfälle, Schmerzen im Lendenwirbelsäulen-(LWS)Bereich mit Einschießen vor allem in das rechte Bein, eine chronische Entzündung der Sehnenansätze im Bereich des rechten Ellenbogens, eine Nachtblindheit und einen im März 2003 diagnostizierten Darmtumor. Hierzu wurde der Arztbrief von Dr. Z. (Facharzt für Innere Medizin, Gastroentrologie) vom 7. März 2003 beigefügt, der zwei Rektumpolypen und Polypenknospen diagnostiziert und abgetragen bzw. biopsiert hatte. Ferner wurde der Arztbrief von Dr. T. vom 11. September 2003 über die am Tag zuvor durchgeführte Kernspintomographie der LWS beigefügt.
Mit Bescheid vom 23. November 2004 stellte das Versorgungsamt Ulm (VA) ab dem 4. November 2004 einen GdB von 40 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest: 1. Wirbelsäulenverformung, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, 2. Bluthochdruck, funktionelle Kreislaufstörungen, Schwindel, 3. Sehminderung beidseits, Nachtblindheit, 4. Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenks. Dem lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Gottmann vom 18. November 2004 zu Grunde, der die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 1 mit einem Teil-GdB von 30, die Funktionsbeeinträchtigung Nr. 2 mit einem Teil-GdB von 20 und die übrigen Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von jeweils 10 bewertet hatte.
Hiergegen legte der Kläger am 13. Dezember 2004 mit der Begründung, Dr. W. erachte einen GdB von 50 als angemessen, Widerspruch ein. Allein der Umstand, dass eine karzinombehaftete Polypenentfernung vorliege, rechtfertige einen GdB von 50. Hierzu führte Dr. Z. für den versorgungsärztlichen Dienst aus, das attestierte Karzinoma in situ bedinge keinen GdB, da die Polypektomie eine kurative Behandlung darstelle. Darauf gestützt wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2005 den Widerspruch zurück.
Deswegen erhob der Kläger am 17. Mai 2005 beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage. Er verwies auf sämtliche bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen. Der bei ihm diagnostizierte Darmtumor habe vor allem im Hinblick auf seine familiäre Vorbelastung zu einer traumatischen psychischen Belastung geführt. Das SG holte die schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. F. vom 20. Juni 2005, der seinem Antwortschreiben u.a. den Entlassbericht der Rehabilitationsklinik St. M., Bad Soden-Salmünster, vom 16. Oktober 2002 beifügte, und des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. T. vom 25. Juli 2005 ein. Letzterer beschrieb rezidivierende, mittelgradige LWS-Beschwerden bei degenerativer Bandscheibenerkrankung L4/S1, die unter konservativen Behandlungsmaßnahmen zeitgerecht abgeheilt seien.
Das SG holte das orthopädische Gutachten von Dr. E. vom 21. November 2005 ein. Dr. E. diagnostizierte eine fortgeschrittene Osteochondrose L5/S1 mit Bandscheibenprotrusion und chronifiziertem Wurzelreizsyndrom, eine chronisch-therapieresistente Epikondylitis, eine initiale Coxarthrose links mehr als rechts, eine Chondropathie und einen Verdacht auf eine Außenmeniskusläsion am linken Kniegelenk sowie ein Cervicalsyndrom. Es liege eine funktionelle Versteifung der LWS und eine geringgradige Einschränkung der Halswirbelsäulen-(HWS)Funktion vor. Die Einschränkung der LWS sei als besonders schwer, die an der HWS als leicht einzustufen. Für die Einschränkung an der LWS sei ein GdB von 50, für die Epikondylitis und für die initiale Coxarthrose von jeweils 10 in Ansatz zu bringen. Die übrigen Funktionsbeeinträchtigungen bedingten keinen messbaren GdB. Insgesamt schätzte er den GdB auf dem orthopädischen Fachgebiet auf 50. Entgegen der Einschätzung von Dr. T. liege ein besonders schweres, fortgeschrittenes degeneratives Wirbelsäulenleiden vor. Dem Gutachten von Dr. E. hielt Medizinaldirektor Deppisch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16. Januar 2006 entgegen, eine zweifellos schwere Funktionseinschränkung an der LWS bedinge nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) lediglich einen GdB von 30.
Mit Urteil vom 21. April 2006 verurteilte das SG den Beklagten, beim Kläger einen GdB von 50 festzustellen. Dr. E. habe nachvollziehbar eine besonders schwere Einschränkung der LWS beschrieben. Das Beschwerdebild des Klägers sei mit der in den AHP beispielhaft genannten Versteifung großer Teile der Wirbelsäule vergleichbar. Diese müsse sich nicht auf mehrere Wirbelsäulenabschnitte beziehen. Auf den weiteren Inhalt des Urteils wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 3. Mai 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30. Mai 2006 beim Landessozialgericht unter Hinweis auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 23. Mai 2006 Berufung eingelegt. Dr. W. hat ausgeführt, es liege allenfalls eine schwere Funktionsminderung in einem Wirbelsäulenabschnitt vor. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom könne aus dem Gutachten von Dr. E. nicht abgeleitet werden. Es bestünden auch keine sensomotorischen Defizite. Ein GdB von 50 sei nicht zu vertreten. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18. Oktober 2006 führt Dr. G. ergänzend aus, soweit Dr. E. in der im Berufungsverfahren eingeholten, ergänzenden Stellungnahme eine funktionelle Versteifung der Brustwirbelsäule (BWS) angebe, sei dies durch die Befunderhebung bei der Begutachtung nicht nachzuvollziehen. Zudem stelle die Begutachtung nur eine Momentaufnahme dar. Das langfristige Beschwerdebild sei mit einzubeziehen. Bislang seien nur LWS-Beschwerden aktenkundig. Hinsichtlich des ebenfalls im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. H. hat Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24. Juli 2007 die Auffassung vertreten, auch ein Teil-GdB von 40 sei für das Wirbelsäulenleiden nach den objektiv fassbaren Befunden nicht nachzuvollziehen. In dem Gutachten werde auf erkennbare Verdeutlichungstendenzen hingewiesen. Im Interesse einer Gleichbehandlung dürften nur die objektiv fassbaren Befunde der Bewertung des GdB zu Grunde gelegt werden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. April 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt zur Erwiderung vor, zum Schluss des Termins beim SG sei vom Vertreter des Beklagten - wenn auch nicht als wirksamer Rechtsmittelverzicht - mitgeteilt worden, es werde keine Berufung eingelegt. Zwischenzeitlich habe er sogar einen befristeten Schwerbehindertenausweis erhalten. Das Verhalten des Beklagten könne allein deswegen nicht nachvollzogen werden. Im Übrigen sieht er sich durch die Stellungnahmen von Dr. E. bestätigt. Dr. T. habe eingeräumt, ihn wegen der Wirbelsäulenbeschwerden nie behandelt zu haben. Es sei ein Obergutachten einzuholen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, der Schwerbehindertenausweise sei ihm aufgrund einer persönlichen Vorsprache und seines Hinweises auf das Urteil des SGs ohne Erlass eines Ausführungsbescheids ausgestellt worden.
Der Senat hat Dr. E. um ergänzende Stellungnahme gebeten. Mit Schreiben vom 26. Juli 2006 hat er darauf hingewiesen, der Kläger habe eine massive Bewegungseinschränkung der gesamten Rumpfwirbelsäule, das bedeute der LWS und der BWS, beklagt und auf eine reduzierte Gehstrecke hingewiesen. Die LWS sei in der Seitneigung nach rechts und links versteift gewesen. Dies entspreche einer schweren Funktionseinschränkung. In seiner Stellungnahme vom 7. Januar 2008 hat er weiter ausgeführt, er müsse sich als Untersucher auf die Schmerzangaben des Klägers verlassen. Nach diesen Angaben sei auf ein sensibles Wurzelreizsyndrom bedingt durch die degenerativen Veränderungen der LWS zu schließen. Mit phasenweise unterschiedlichen Untersuchungsbefunden müsse beim Beschwerdebild des Klägers gerechnet werden. Eine weitere bildgebende Befundung sowie eine neurologische Untersuchung sei indiziert.
Der Senat hat Dr. F. und Dr. T. erneut schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. F. ging in seiner Aussage vom 20. November 2006 von mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (HWS und LWS) aus. Dr. T. teilte in seinem Antwortschreiben vom 12. Dezember 2006 mit, zu den Wirbelsäulenbeschwerden ab Juli 2005 könne er keine Aussagen machen, da der Kläger diesbezüglich nicht in seiner Behandlung gestanden habe.
Das LSG hat Dr. H. mit der Erstellung eines weiteren orthopädischen Gutachtens beauftragt. Er bewertete in seinem Gutachten vom 13. Juli 2007 ein chronisches Wirbelsäulenschmerzsyndrom mit belastungsabhängigen Missempfindungen und Gefühlsstörung im linken Bein bei diskreten bis mäßiggradigen Verschleißerscheinungen mit einem Teil-GdB von 40, belastungs- und druckabhängige Schmerzen im linken Ellenbogen im Bereich der Oberarmknorren ohne Bewegungseinschränkung des linken Ellenbogens, belastungsabhängige Knieschmerzen links sowie ein Raynaudsyndrom (Durchblutungsstörung der Fingerspitzen unter Kälteeinwirkung mit anschließender Gefühlsstörung) mit einem Teil-GdB von jeweils 10. Den Gesamt-GdB bewertete er mit 40.
Mit Schreiben vom 9. August 2007 lehnte der Kläger Dr. H. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Senat hat den ausführlich begründeten Antrag mit Beschluss vom 28. November 2007 (L 6 SB 3890/07 A), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, zurückgewiesen. Hierzu hatte der Senat die ergänzende schriftlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 13. September 2007 eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist statthaft und zulässig. Die Berufung ist auch begründet. Das SG hätte den Beklagten nicht zur Feststellung eines GdB von 50 verurteilen dürfen. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten erweist sich vielmehr als zutreffend.
Voranzustellen ist, dass der Kläger aus dem ohne Ausführungsbescheid ausgestellten Schwerbehindertenausweis vom 31. Mai 2006 keine Rechte herleiten kann. Der Ausweis, dem keine konstitutive Bedeutung für die verlautbarten Feststellungen zukommt (vgl. Hauck-Masuch, SGB IX, Rdz. 38 zu § 69), ist als lediglich vorsorglich ausgestellt anzusehen. Eine verbindliche Regelung wurde damit nicht getroffen. Soweit der Terminsvertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung angekündigt haben sollte, dass keine Berufung eingelegt werde, konnte sich der Kläger darauf nicht verlassen. Die Äußerung des Terminsvertreters wurde im Übrigen auch nicht als Rechtsmittelverzicht in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung protokolliert (vgl. § 160 Abs. 3 Nr. 9 der Zivilprozessordnung [ZPO] i. V. m. § 202 SGG). Der Kläger räumt selbst ein, in der Erklärung keinen wirksamen Rechtsmittelverzicht zu sehen.
Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs und die Bedeutung der AHP im Einzelnen dargelegt. Der Senat nimmt darauf Bezug. Zwar ist zum 1. Januar 2008 eine Neufassung der AHP herausgegeben worden. Für die Bewertung der hier streitgegenständlichen Funktionsbeeinträchtigungen haben sich dadurch jedoch keine Änderungen ergeben.
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten und Maßstäbe vermag sich der Senat keine Überzeugung davon verschaffen, dass beim Kläger Funktionsbeeinträchtigungen neu aufgetreten sind, die nunmehr nicht nur einen Gesamt-GdB von 40, sondern von 50 bedingen. Im Vordergrund stehen die Beschwerden des Klägers auf dem orthopädischen Fachgebiet, darunter insbesondere die Wirbelsäulenbeschwerden. Beim Kläger liegt ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit belastungsabhängigen Missempfindungen und Gefühlsstörungen im linken Bein vor bei diskreten bis mäßiggradigen Verschleißerscheinungen in sämtlichen lumbalen Bewegungssegmenten. Der Senat stützt sich dabei auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten von Dr. H., der hinsichtlich der Diagnosestellung auch nicht erheblich von der Auffassung von Dr. E. abweicht. Der Senat konnte sich, anders als das SG, nicht davon überzeugen, dass beim Kläger besonders schwere Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vorliegen. Das Beschwerdebild des Klägers ist nicht vergleichbar mit der in den AHP genannten Versteifung großer Teile der Wirbelsäule. Der Senat lässt offen, ob die Ansicht des SG, es reiche aus, wenn die Versteifung nur einen Wirbelsäulenabschnitt betrifft, zutrifft. Gegen diese Ansicht könnte sprechen, dass in den AHP als weiterer Beispielsfall für besonders schwere Beeinträchtigungen die Ruhigstellung durch eine Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst, genannt wird. Auch wenn bei der Versteifung nur von "großen Teilen" der Wirbelsäule die Rede ist, könnte daraus - in logischer Fortsetzung der vorangestellten Abstufungen der Schweregrade - geschlossen werden, dass zumindest zwei Wirbelsäulenabschnitte betroffen sein müssen. Dies kann, wie eben ausgeführt, dahingestellt bleiben. Für den Senat steht allerdings vor dem Hintergrund dieser Abwägungen fest, dass strenge Anforderungen an die Feststellung besonders schwerer Auswirkungen der Wirbelsäulenschäden zu stellen sind. Dafür spricht auch, dass die in den AHP als noch schwerwiegender beschriebene Fallgruppe der schwersten Belastungsinsuffizienz bereits in den Bereich der Geh- und Stehunfähigkeit weist.
Die beim Kläger bestehenden Wirbelsäulenschäden an der LWS haben schwere, aber keine besonders schweren Auswirkungen. Zwar haben sowohl Dr. E. als auch Dr. H. gravierende Einschränkungen der Wirbelsäulenbeweglichkeit beschrieben. Allerdings wies Dr. H. darauf hin, dass eine Einschränkung der Wirbelsäulenbeweglichkeit bzw. eine Fixierung bei Komplexbewegungen wie z. B. beim Hinsetzen oder Aufstehen aus dem Sitzen sowie beim Auskleiden nicht vorgelegen hat. Aus seiner - nachvollziehbaren - Sicht beruhten die Untersuchungsbefunde im Rahmen seiner Begutachtung teilweise erkennbar auf dem Bemühen des Klägers, seine Beschwerden zu verdeutlichen, um die Aufgabe des Gutachters - scheinbar - zu erleichtern. So ist bspw. nicht nachvollziehbar, dass der Kläger bei der Untersuchung eine Kopfdrehbewegung nach rechts und links von jeweils nur 10 Grad zuließ und dann die Bewegungen muskulär unter Verweis auf Nackenschmerzen abbremste, während er spontan Kopfdrehungen von 40 bis 60 Grad nach beiden Richtungen zeigte. Dass der Senat in den dementsprechenden Hinweisen des Sachverständigen keinen Grund für eine Besorgnis der Befangenheit sieht, hat er bereits im Beschluss vom 28. November 2007 dargelegt. Die dortigen Gründe sollen hier nicht wiederholt werden. Im Übrigen hat Dr. H. sogar ausdrücklich zugunsten des Klägers ausgeführt, die erkennbaren Verdeutlichungstendenzen sollten bei der gutachterlichen Bewertung zwar berücksichtigt werden, seien jedoch nicht als Hinweis zu werten, dass der Kläger seine Beschwerden prinzipiell vortäusche. Auch die Angaben, die der Kläger im Rahmen der sozialen Anamnese, der Beschreibung der häuslichen Verhältnisse, seiner Hobbys und der funktionellen Anamnese gemacht hat, sprechen gegen eine besonders schwere Beeinträchtigung der Wirbelsäule. Der Kläger arbeitet noch einen Tag pro Woche als Berater für seinen früheren Arbeitgeber. Einmal wöchentlich bewältigt er ausschließlich im Stehen eine 1,5-stündige Probe seines Jagdhornbläservereins, er versorgt zusammen mit seiner Ehefrau einen 700 qm großen Garten und kann zwei Stunden ohne Pause mit Automatikgetriebe Auto fahren, wobei sich beim Aussteigen Rückenschmerzen einstellen, die sich nach einigen Minuten jedoch langsam wieder legen. Der Senat verkennt ebenso wenig wie Dr. H. die Bedeutung dieser Wirbelsäulenbeschwerden. Allerdings hält er es zusammen mit Dr. H. für ausreichend, diese als schwer mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten, der freilich nur grenzwertig erreicht wird. Nach den AHP ist bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen. Mit dem GdB von 40 sind damit bereits, wie sich aus der von Dr. H. beschriebenen Diagnose ergibt, die Beeinträchtigung der gesamten Wirbelsäule und die vom Kläger angegebenen belastungsabhängigen Missempfindungen und Gefühlsstörungen berücksichtigt. Es bedurfte daher keiner weiteren Sachverhaltsermittlung durch Einholung neuer bildgebender Befunde und eines neurologischen Gutachtens. Maßgebend für die GdB-Bewertung sind funktionelle Einschränkungen und nicht morphologische Befunde. Im Übrigen hat Dr. H. im Rahmen seiner Begutachtung eine orientierte neurologische Untersuchung vorgenommen und - wie eben ausgeführt - Missempfindungen und Gefühlsstörungen in seine Bewertung einfließen lassen. Die von Dr. E. beschriebene funktionelle Versteifung, die auch er letztlich nicht auf einen entsprechenden degenerativen Befund zurückführt, konnte - wie bereits beschrieben - Dr. H. im Rahmen seiner Begutachtung, insbesondere im Hinblick auf die Spontanbewegungen, nicht in diesem Umfang nachvollziehen.
Angesichts der beschriebenen Kompetenzen des Klägers hält es der Senat auch nicht für gerechtfertigt, entsprechend der ergänzenden Stellungnahme von Dr. E. vom 26. Juli 2006 eine weitere Erhöhung des GdB wegen eines außergewöhnlichen Schmerzsyndroms und chronifizierten Nervenwurzelschmerzen anzunehmen. Diese Schmerzen sind bereits in dem Teil-GdB von 40 mit berücksichtigt. In seiner weiteren Stellungnahme vom 8. Januar 2008 räumt Dr. E. zudem letztlich entsprechend den Einwendungen des versorgungsärztlichen Dienstes ausdrücklich ein, dass von einem phasenweisen Beschwerdeverlauf auszugehen ist. Er nimmt an, dass auch beschwerdearme Intervalle mit gering ausgeprägten Untersuchungsbefunden vorliegen. Auch dies spricht gegen das Vorliegen besonders schwerer Auswirkungen im Sinn der AHP. Denn Maßstab hierfür wäre eine Versteifung oder eine anhaltende Ruhigstellung, das heißt ein dauerhafter Zustand. Phasenweise Verläufe - wie beim Kläger - sind hingegen mit unterschiedlicher Ausprägung in den Fallgruppen der geringen bis schweren funktionellen Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden beschrieben.
Die Einschätzung von Dr. E. steht zudem im Widerspruch zu den sachverständigen Zeugenaussagen. Dr. T. teilte im Juli 2005 mit, die LWS-Beschwerden seien lediglich mittelschwer und hätten sich durch konservative Behandlungsmaßnahmen stets beseitigen lassen. Derartiges geht auch aus dem im SG-Verfahren beigezogenen Reha-Entlassungsbericht aus dem Jahr 2002 hervor. Zwar hat Dr. T. gegenüber dem Senat ausgeführt zu den Wirbelsäulenbeschwerden keine Aussage machen zu können, da er den Kläger diesbezüglich nicht behandelt hat. Seine Aussage gegenüber dem SG ist damit jedoch nicht hinfällig, denn er stützte sich dabei auf die Unterlagen seines Praxisvorgängers, der entsprechende Behandlungen vorgenommen hatte. Im Übrigen hat auch der behandelnde Hausarzt Dr. F. die Beschwerden lediglich als mittelgradig bis schwer in zwei Wirbelsäulenabschnitten beschrieben. Der Senat kann nachvollziehen, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers eingetreten ist, er hält es jedoch nicht für plausibel, dass aus den von Dr. T. noch als mittelgradig, von Dr. F. als mittelgradig bis schwer beschriebenen Beschwerden nunmehr Beschwerden besonders schweren Ausmaßes geworden sind.
Auf dem orthopädischen Fachgebiet liegen daneben in der Zusammenschau der Gutachten von Dr. E. und Dr. H. Beschwerden am linken Ellenbogen, an den Hüften und am linken Kniegelenk vor. Nach - im Einzelnen nicht gänzlich übereinstimmender - Auffassung beider Sachverständiger ist für diese Beschwerden allenfalls ein Teil-GdB von jeweils 10 in Ansatz zu bringen, der sich - nach übereinstimmender Auffassung beider Sachverständiger - nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirken würde.
Auf dem internistischen Fachgebiet liegt ein Bluthochdruck nebst funktionellen Kreislaufstörungen und Schwindel vor, der vom Beklagten, ohne dass dies vom Kläger angegriffen wurde, mit einem Teil-GdB von 20 bewertet wurde. Diesen Teil-GdB legt auch der Senat zu Grunde. Allerdings geht er davon aus, dass er sich im Hinblick auf den durch das Wirbelsäulenleiden nur grenzwertig erreichten GdB von 40 nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt. Nach den AHP Nr. 19 Abs. 4, S. 26 ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Zudem hält es der Senat für gerechtfertigt, bei der Prüfung, ob die Schwerbehinderteneigenschaft erreicht wird, einen strengen Maßstab anzulegen. Regelmäßig reicht dafür ein zusätzlicher Teil-GdB von 20 nicht aus. Ferner überschneiden sich nach Auffassung des Senats die funktionellen Auswirkungen der beiden Erkrankungen was die Beweglichkeit im Alltag anbelangt, zumindest teilweise. Eine beidseitige Sehminderung und Nachtblindheit, die mit einem Teil-GdB von 10 verbunden ist, führt ebenfalls nicht zur Erlangung der Schwerbehinderteneigenschaft. Ein maligner Darmtumor im Sinne der AHP Nr. 26.10 S. 80 liegt beim Kläger nicht vor, so dass entsprechend der Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes für das beschriebene Carcinoma in situ kein GdB zusätzlich zu berücksichtigen ist. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Hinblick auf die Sorgen des Klägers hinsichtlich dieser Erkrankung entsprechend der AHP Nr. 26.3 S. 48 ist nicht ersichtlich.
Nach alledem war der Berufung stattzugeben, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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