Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 5 U 62/00
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 32/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wird jemand während seiner versicherten Tätigkeit Opfer eines Überfalls, wird die Unfallkausalität vermutet.
2. Für konkurrierende Ursachen – wie ein privates Tatmotiv – trägt die Beklagte die Beweislast.
2. Für konkurrierende Ursachen – wie ein privates Tatmotiv – trägt die Beklagte die Beweislast.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Dezember 2003 und der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2000 aufgehoben und es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 5. April 1998 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen einschließlich der Kosten des Vorverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 5. April 1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Der am 1967 geborene Kläger war als Aushilfe in der Vereinsgaststätte "R." beschäftigt. Am Abend des 4. April 1998 fand dort eine Tanzveranstaltung statt, die 1.00 Uhr am 5. April 1998 endete. Gegen 1.10 Uhr waren noch der Kläger, der Schankwirt und acht Gäste anwesend, als zwei maskierte Männer die Gaststätte betraten. Nachdem das Wort "Überfall" gerufen wurde, gaben diese sofort mehrere Schüsse aus einer mitgeführten Waffe in die Richtung des Schanktisches ab. Ein Schuss traf den Kläger, der hinter dem Schanktisch gestanden hatte. Der Kläger brach sofort zusammen. Unmittelbar nach der Schussabgabe verließen die Täter die Gaststätte in eine unbekannte Richtung. Der Kläger wurde mit dem Notarztwagen in das St. E.-Krankenhaus H. gebracht. Die unmittelbar nach dem Überfall eingeleitete polizeiliche Suche nach den Tätern wurde um 2.15 Uhr abgebrochen.
Der Durchgangsarzt Dr. W. (St. E.-Krankenhaus) berichtete am 7. April 1999, der Kläger habe durch den Überfall eine Schussverletzung am linken Oberarm und der linken Thoraxhälfte erlitten. Im Brustraum habe sich Blut befunden. Außerdem habe eine Querschnittssymptomatik der unteren Extremitäten vorgelegen. Die Röntgenuntersuchung habe in Höhe des neunten Brustwirbelkörpers (BWK) ein liegendes Projektil gezeigt. Stationäre Behandlungen des Klägers erfolgten anschließend im Klinikum der M.-L.-U. H.-W. und im Berufsgenossenschaftlichen Klinikum B. H ... Die Querschnittslähmung besteht weiterhin.
Die Beklagte ließ sich durch die Staatsanwaltschaft laufend über das aufgenommene Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen 6 Js 21986/98) unterrichten. Aufgrund der am 2. September 1998 erfolgten Einsichtnahme in die Handakte der Staatsanwaltschaft und einem Gespräch mit dem zuständigen Staatsanwalt hielt ein Mitarbeiter der Beklagten in einem Aktenvermerk fest, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erfolgten in verschiedene Richtungen (privater Bereich - Eifersucht; Schutzgelderpressung; Racheakt eines Gastes, dem der Führerschein nach einem Gaststättenbesuch weggenommen worden sei; mögliche Tatbeteiligung von Gästen an Einbruchsdelikten). Der Kläger schweige vollkommen über den Tathergang.
Am 19. November 1998 fand ein Gespräch zwischen einem Mitarbeiter der Beklagten und Dr. R. statt, der den Kläger zu diesem Zeitpunkt ambulant im Klinikum B. H. behandelte. Dabei teilte Dr. R. mit, das passive Verhalten des Klägers stehe im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unfallereignis und den Unfallfolgen. Der Kläger sei noch nicht in der Lage, die Folgen zu akzeptieren und zu verarbeiten. Er beziehe eine Schutzhaltung und möchte von dem Unfall nichts wissen. Mit Schreiben vom 29. November 1998 teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe keine Erinnerungen an den Unfallhergang. Die Täter und das Tatmotiv seien ihm nicht bekannt, auch seien in der Vergangenheit gegen ihn keine Bedrohungen ausgesprochen worden.
Am 25. Februar 1999 nahm ein Mitarbeiter der Beklagten Einsicht in die zum damaligen Zeitpunkt siebenbändige Akte der Staatsanwaltschaft, führte mit dem zuständigen Kriminaloberkommissar ein Gespräch und hielt daraufhin Folgendes fest: Die anfänglichen Verdachtsrichtungen hätten keine greifbaren Anhaltspunkte ergeben. Lediglich der Verdacht auf ein Eifersuchtsmotiv bestehe noch, diesbezüglich werde noch ermittelt. Aus der Ermittlungsakte zog die Beklagte den Sachstandbericht vom 27. Mai 1998 bei. Danach seien zehn Tatzeugen vernommen worden. Ein Zeuge habe nach der Schussabgabe die Worte "schnell weg" gehört. Die Täter hätten kein Geld gefordert und sich nicht zur Kasse bewegt. Befragungen des Klägers zum Tathergang sowie zu seinem Bekannten- und Freundeskreis, seinen persönlichen Verhältnissen, Feinden, Streitigkeiten u.ä. hätten keine Schlussfolgerungen auf ein Motiv erlaubt. Auch seien Befragungen und Zeugenvernehmungen im Freundes- und Bekanntenkreis sowie bei Familienangehörigen des Klägers durchgeführt worden. Danach könne der Kläger als ruhig, verschlossen, kontaktarm, friedfertig und jedem Streit aus dem Wege gehend eingeschätzt werden. Er habe keine Schulden oder Verbindlichkeiten gegenüber anderen Personen gehabt. Ermittlungen gegenüber mehreren konkret Tatverdächtigen seien erfolglos geblieben. Insgesamt ließen die geführten Ermittlungen den Schluss zu, dass es sich nicht um einen Raubüberfall, sondern um eine gezielte Aktion gegen den Geschädigten oder die Gaststätte "R." gehandelt habe. Letzte Zweifel an einem missglückten Raubüberfall könnten jedoch nicht ausgeschlossen werden. Hinweise dafür, dass die Schussabgabe im Zusammenhang mit dem Betreiber der Gaststätte stehe, gebe es nicht. Außerdem zog die Beklagte aus der Ermittlungsakte u. a. Zeugenvernehmungsprotokolle sowie Vermerke über informatorische Befragungen bei. Danach hatte der Kläger am 9. April 1998 erklärt, von Mitte September bis Anfang Dezember 1997 ein Verhältnis mit einer Frau V. gehabt zu haben. Sie hätten sich gut verstanden und im Guten getrennt. Einen Zusammenhang zwischen dieser Beziehung und der Tat sehe er nicht. Während der informatorischen Befragung am 20. April 1998 hatte der Kläger mitgeteilt, als er das Verhältnis mit Frau V. gehabt habe, habe diese in einer festen Beziehung mit einem Herrn Z. gelebt. Dieser habe zwar von dem Verhältnis etwas mitbekommen, es sei ihm offenbar aber egal gewesen. Bei ihrer informatorischen Befragung vom 22. April 1998 hatte die 1959 geborene U. V. erklärt, sie habe den Kläger im September 1997 näher kennen gelernt. Sie lebe in Scheidung, habe aber zum damaligen Zeitpunkt bereits zwei Jahre mit Herrn Z. zusammengelebt. Sie und der Herr Z. hätten dem Kläger gesagt, er könne doch vorbeikommen. Der Kläger sei dann einfach gekommen und über Nacht geblieben. Von einer intimen Beziehung zum Kläger habe Herr Z. aber nichts gewusst. Im Januar 1998 hätten die Besuche des Klägers plötzlich aufgehört. Ausweislich der Ermittlungsakte hatte Herr Z. am 15. April 1998 erklärt, der Kläger habe ihn und Frau V. ca. ein halbes Jahr lang besucht. Er wisse mit Sicherheit, dass der Kläger kein Verhältnis mit der Frau V. gehabt habe.
Auf weitere Sachstandsanfragen der Beklagten bei der Staatsanwaltschaft am 14. April und 14. Juni 1999 teilte diese mit, es bestünden Anhaltspunkte für private Tatmotive. Am 25. Oktober 1999 zog die Beklagte erneut die Akte der Staatsanwaltschaft bei. Aus dieser geht hervor, dass gegen einen Tatverdächtigen (H.-U. G.) am 7. Juli 1999 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war. Nach einem Aktenvermerk vom 15. September 1999 hatte Herr Z. bei einer informatorischen Befragung angegeben, er halte einen Racheakt von Frau V. gegenüber dem Kläger für möglich, habe aber ansonsten keine Hinweise dafür. Bei einer am gleichen Tag erfolgten telefonischen Rückfrage bei Frau D., der Ehefrau des Gaststätteninhabers, habe auch diese bekräftigt, dass hinter der Straftat Frau V. stecken könne. Außerdem befand sich in der Ermittlungsakte ein Vermerk über ein Gespräch mit dem Kläger am 15. September 1999. Danach habe der Kläger, als ihm die mögliche Version einer Täterschaft von Frau V. dargelegt worden sei, eine starke Erregung nicht verbergen können. Zunächst habe er keine Gesprächsbereitschaft gehabt und wiederholt, dass er zum Tathergang nichts mehr wisse. Im weiteren Gespräch habe er dann später nickend zugestimmt, dass diese Version die richtige sei. Auf die Frage, "ob die Frau V. dahinter stecke", habe er zögernd mit "ja" geantwortet. Er habe gemeint, es sei zu klären, woher die Täter die Waffen gehabt hätten und warum die Tat erst nach vier Monaten erfolgt sei. Mit Schreiben vom 21. September 1999 hat die Staatsanwaltschaft Halle dem Kläger mitgeteilt, das Ermittlungsverfahren gegen den Tatverdächtigen G., der jegliche Beteiligung an der Tat in Abrede gestellt habe, sei eingestellt worden. Trotz umfangreicher und intensiver Ermittlungen sei es nicht gelungen, die maskierten Täter zu identifizieren.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 lehnte die Beklagte es ab, das Ereignis vom 5. April 1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und führte zur Begründung aus, für einen Raubüberfall oder einen Angriff, der mit der Gastwirtschaft zusammenhänge, gebe es keine Anhaltspunkte. Der Kläger habe auch nicht zur Sachaufklärung beigetragen. Außerdem habe er im Gespräch am 15. September 1999 erklärt, seine ehemalige Freundin könne hinter der Tat stecken. Da die Gründe des Überfalles ausschließlich im privaten Bereich zu finden seien, fehle es am haftungsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Überfall. Besondere Umstände der betrieblichen Tätigkeit, die den Überfall entscheidend begünstigt haben könnten, seien nicht ersichtlich; der Überfall sei während einer Tanzveranstaltung vor einer Vielzahl von Zeugen erfolgt.
Am 10. Januar 2000 erhob der Kläger Widerspruch und trug zur Begründung vor, nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen sei nicht mit Sicherheit auszuschließen, ob sich der Überfall auf die Gaststätte bezogen bzw. ein bewaffneter Raubüberfall vorgelegen habe. Zudem sei das Motiv für den Überfall nicht entscheidend. Maßgeblich sei, dass er während einer betrieblichen Tätigkeit verletzt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Am 29. März 2000 hat der Kläger beim Sozialgericht Halle Klage erhoben und beantragt, das Ereignis vom 5. April 1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm Leistungen, insbesondere Verletztenrente, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Er hat ergänzend vorgetragen, selbst bei rein persönlichen Gründen bestehe ein innerer Zusammenhang, sofern die besonderen Umstände, unter denen die versicherte Tätigkeit ausgeübt worden sei, oder die Verhältnisse am Arbeitsplatz den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt hätten. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, nach umfangreichen Ermittlungen und Ausschöpfung aller Beweismittel spreche nach allgemeinen Erfahrungswerten und Denksätzen mehr für ein persönliches Motiv, weniger dagegen für einen Raubüberfall. Den Kläger treffe die Beweislast für die Ursächlichkeit betriebsbezogener Umstände. Mit Beschluss vom 22. März 2001 hat das Sozialgericht das Land Sachsen-Anhalt nach §§ 75 Abs 1, 106 Abs. 3 Nr. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum Verfahren beigeladen.
Mit Urteil vom 16. Dezember 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Überfälle stünden nur dann im inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit, wenn ein betrieblicher Bezug gegeben sei. Ein solcher Bezug sei hier nicht ersichtlich, insbesondere sei es den Tätern nicht um die Kasse oder das Geld der anwesenden Gäste gegangen. Auch habe nicht festgestellt werden können, ob der Inhaber der Gaststätte habe verletzt werden sollen. Dagegen sei nach den polizeilichen Ermittlungen von einem Motiv im sozialen Umfeld des Klägers auszugehen: Der Kläger habe eine Beziehung zu einer älteren, in Scheidung lebenden Frau gehabt, die auch einen Lebensgefährten gehabt habe. Diese Beziehung habe der Kläger beendet. Zudem habe der Kläger nicht zur Tataufklärung beigetragen. Der innere Zusammenhang zwischen der betrieblichen Tätigkeit und der Schussverletzung könne auch nicht durch die Beschaffenheit des Betriebes oder den Ort der Ausübung der Tätigkeit begründet werden. Der Betrieb liege nicht in einer Gegend, die besonders durch kriminelle Handlungen gefährdet sei. Auch die Nachtzeit spreche nicht für einen inneren Zusammenhang. Da die Beweiswürdigung kein klares Ergebnis gebracht habe und zu den anspruchsbegründenden Tatsachen auch der innere Zusammenhang gehöre, gehe dies nach den Regeln der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers.
Gegen das am 18. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. Januar 2004 Berufung eingelegt und sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrages weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Dezember 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2000 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom5. April 1998 ein Arbeitsunfall war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Dezember 2003 zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, unter Berücksichtigung des Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen fehle es am inneren Zusammenhang. So sei nicht erwiesen, dass der Kläger allein aus einer betrieblich bedingten Gefahr das Opfer einer Straftat geworden sei. Für betriebsbezogene Motive, wie Raub oder Erpressung, bestünden keine Anhaltspunkte. Dagegen seien private Motive für den Überfall nicht nur spekulativ. Die Beweislast für das Motiv des Überfalls trage der Kläger.
Das beigeladene Land hat unter dem 7. Mai 2004 mit Vorbehalts- und Teilbescheid nach § 22 Abs. 4 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) über den Versorgungsanspruch des Klägers nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) entschieden und die Akten des Amtes für Versorgung und Soziales vorgelegt. Der Beigeladene ist der Ansicht, der Kläger habe einen Arbeitsunfall erlitten. Alle Verdachtsmomente aus dem Umfeld des Klägers hätten zu keinem hinreichenden Tatverdacht und einer Anklageerhebung führen können. Es handele sich lediglich um Spekulationen. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Überfalls auf die Gaststätte einer im inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung nachgegangen. Die Beweislast für die anspruchsvernichtenden Tatsachen trage die Beklagte.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und des beigeladenen Landes verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung ist begründet. Denn die zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs 1 Nr. 1 SGG erhobene Klage ist begründet. Der Kläger hat am 5. April 1998 einen Arbeitsunfall erlitten.
Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich (auf eine Arbeitsschicht) begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Konkret bedeutet dies, dass die Verrichtung, die der Versicherte zur Zeit des Unfalls ausübt, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein muss (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass dieses Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht haben muss (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. nur Urteil vom 30. Januar 2007– B 2 U 23/05 R – zitiert nach Juris m.w.N.).
Diese Voraussetzungen zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls sind für das Ereignis vom 5. April 1998 erfüllt. Der Kläger war als Beschäftigter in der Gaststätte "R." bei der Beklagten gemäß § 2 Abs 1 Nr. 1 SGB VII gesetzlich unfallversichert (versicherte Tätigkeit). Zur Zeit des Überfalls (dem von außen wirkenden Unfallereignis) ist er einer versicherten Verrichtung (der Arbeit hinter der Theke) nachgegangen, sodass der sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses gegeben ist.
Auch die Unfallkausalität, also der Zusammenhang zwischen der Arbeit hinter der Theke (der Verrichtung zur Zeit des Unfalls) und dem Überfall (dem Unfallereignis) ist gegeben.
Wenn bei der Ausübung einer Verrichtung, die im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ein Unfallereignis eintritt, muss vom Vorliegen der Unfallkausalität ausgegangen werden, es sei denn, eine konkurrierende Ursache, wie z.B. eine innere Ursache oder eine eingebrachte Gefahr, ist feststellbar (dazu BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, a.a.O., Rn. 17). Für diese konkurrierende Ursache, die der vermuteten Unfallkausalität bei einer versicherten Tätigkeit (ausnahmsweise) entgegensteht, trägt demzufolge die Beklagte als diejenige, die sich auf eine konkurrierende Ursache beruft, auch die Beweislast (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, a.a.O., Rn. 15 ff.). Erst wenn eine konkurrierende Ursache feststeht, ist auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie aufbauend in einem zweiten Prüfungsschritt wertend zu entscheiden, ob die versicherte Ursache wesentlich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung ist (vgl. nur BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, a.a.O., Rn. 17).
Dementsprechend wird bei Unfällen infolge von Überfällen ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit vermutet, wenn die Tätlichkeit aus der Betriebszugehörigkeit unmittelbar hervorgegangen ist, ohne dass es eines betriebsbezogenen Motivs bedarf, sofern kein Tatmotiv aus dem persönlichen Bereich von Täter oder Opfer zum Überfall geführt hat (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – B 2 U 37/99, zitiert nach Juris m.w.N.). Bilden persönliche Feindschaften oder betriebsfremde Beziehungen zwischen dem Angreifer und dem Überfallenen den Beweggrund für den Überfall, dann handelt es sich lediglich um eine Gelegenheitsursache und nicht um eine wesentliche Mitursache des Unfallereignisses. Trotz eines persönlichen Tatmotivs besteht wiederum Unfallversicherungsschutz, wenn besondere Verhältnisse bei der versicherten Tätigkeit (Dunkelheit, Umgebung) den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000, a.a.O., m.w.N.).
Danach liegt hier die Unfallkausalität vor. Ein privates Überfallmotiv, das der vermuteten Unfallkausalität als konkurrierende Ursache für den Überfall entgegensteht, ist nicht bewiesen. Das geht zu Lasten der Beklagten. Die Staatsanwaltschaft hat trotz umfangreicher und intensiver Ermittlungen die maskierten Täter des Überfalls nicht identifizieren können. Die Ermittlungen gegen mehrere konkret Tatverdächtige sind erfolglos geblieben. Da keine Tatbeteiligung nachzuweisen war, bleibt auch das Motiv für den Überfall im Dunkeln. Denn nur über den Täter oder Tatbeteiligte (z.B. Anstifter) kann in der Regel auf die Beweggründe einer Tat geschlossen werden. Da hier aber die Straftat nicht aufgeklärt werden konnte, hat die Staatsanwaltschaft auch einen missglückten Raubüberfall, also ein betriebsbezogenes Motiv, letztlich nicht ausschließen können, obwohl die Täter sich weder zur Kasse bewegt noch Forderungen nach Geld gestellt haben.
Weitere Ermittlungsmöglichkeiten, um Täter und Tatbeteiligte (z. B. Anstifter) zu identifizieren, um einen Rückschluss auf ein Motiv ziehen zu können, hat der Senat auch unter Berücksichtigung der inzwischen vergangenen Zeit nicht gesehen. Die Staatsanwaltschaft hat in verschiedenen Richtungen ohne Erfolg ermittelt (privater Bereich - Eifersucht; Schutzgelderpressung; Racheakt eines Gastes, dem der Führerschein nach einem Gaststättenbesuch weggenommen worden ist; mögliche Tatbeteiligung von Gästen an Einbruchsdelikten). Alle Tatzeugen wurden polizeilich vernommen. Außerdem wurden der Kläger sowie zahlreiche Bekannte und Freunde u.a. zu den persönlichen Verhältnissen des Klägers, Feinden, Streitigkeiten u.ä. befragt. Nach den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft auf die Sachstandsfragen im April und Juni 1999 ist in diesem Zeitraum intensiv Anhaltspunkten für private Motive nachgegangen worden. Die persönliche Beziehung des Klägers zur Frau V., der ehemaligen Freundin des Klägers und Herrn Z., deren damaligen Lebensgefährten, war polizeilich bereits seit April 1998 bekannt. Auch war polizeilich bekannt, dass andere Personen (Herr Z., Frau D., der Kläger) Frau V. die Tat zugetraut haben. Dennoch konnte trotz umfangreicher Ermittlungen weder Frau V. noch einer anderen Person eine Tatbeteiligung nachgewiesen werden.
Der Grundsatz, wonach der fehlende Nachweis einer konkurrierenden Ursache und damit die Ungewissheit über das Motiv eines Überfalls während einer versicherten Tätigkeit zu Lasten der Beklagten geht (so auch Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 22. Juni 2006 – L 2 U 146/03, zitiert nach Juris), ist im vorliegenden Rechtsstreit auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger möglicherweise nicht im ausreichenden Maße an den Ermittlungen mitgewirkt hat, anzuwenden. Den umfangreichen Ermittlungsakten ist nicht zu entnehmen, dass dem Kläger die Täter bekannt waren, somit hat er die Motivaufklärung auch nicht erschwert oder vereitelt. Zudem hat der Kläger ausweislich der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft mehrfach an polizeilichen Vernehmungen teilgenommen und auch umfangreiche Aussagen getätigt. Zwar hat er am 15. September 1999 zu einer möglichen Tatbeteiligung von Frau V. keine "offizielle Aussage" machen wollen. Doch da Frau V. offensichtlich keiner der maskierten Täter des Raubüberfalls gewesen sein konnte, bleiben selbst bei einer unterstellten Tatbeteiligung von Frau V. die persönlichen Motive der maskierten Täter für den Überfall ungeklärt. Zudem hat der Kläger die Frage aufgeworfen, warum die Tat erst nach vier Monaten begangen worden sei. Dies verdeutlicht, dass auch ihm die Hintergründe der Tat nicht klar waren. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Dr. R. das passive Aufklärungsverhalten des Klägers im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unfallereignis und den Unfallfolgen erklärt hat. Dr. R. hat mitgeteilt, der Kläger sei noch nicht in der Lage, die Folgen des Unfalls zu akzeptieren und zu verarbeiten. Er beziehe eine Schutzhaltung und möchte von dem Unfall nichts wissen. Auch im Sachstandsbericht vom 27. Mai 1998 wurde der Kläger als ruhig und verschlossen beschrieben, sodass sein Aussageverhalten möglicherweise auch auf diese Umstände einschließlich der Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen ist.
Da nach alledem von der Unfallkausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis auszugehen ist und der Kläger durch das Unfallereignis ausweislich des Durchgangsarztberichtes von Dr. W. eine Schussverletzung am linken Oberarm sowie der linken Thoraxhälfte (also einen Gesundheitserstschaden) erlitten hat, liegen auch die weiteren Voraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfalls vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen einschließlich der Kosten des Vorverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 5. April 1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Der am 1967 geborene Kläger war als Aushilfe in der Vereinsgaststätte "R." beschäftigt. Am Abend des 4. April 1998 fand dort eine Tanzveranstaltung statt, die 1.00 Uhr am 5. April 1998 endete. Gegen 1.10 Uhr waren noch der Kläger, der Schankwirt und acht Gäste anwesend, als zwei maskierte Männer die Gaststätte betraten. Nachdem das Wort "Überfall" gerufen wurde, gaben diese sofort mehrere Schüsse aus einer mitgeführten Waffe in die Richtung des Schanktisches ab. Ein Schuss traf den Kläger, der hinter dem Schanktisch gestanden hatte. Der Kläger brach sofort zusammen. Unmittelbar nach der Schussabgabe verließen die Täter die Gaststätte in eine unbekannte Richtung. Der Kläger wurde mit dem Notarztwagen in das St. E.-Krankenhaus H. gebracht. Die unmittelbar nach dem Überfall eingeleitete polizeiliche Suche nach den Tätern wurde um 2.15 Uhr abgebrochen.
Der Durchgangsarzt Dr. W. (St. E.-Krankenhaus) berichtete am 7. April 1999, der Kläger habe durch den Überfall eine Schussverletzung am linken Oberarm und der linken Thoraxhälfte erlitten. Im Brustraum habe sich Blut befunden. Außerdem habe eine Querschnittssymptomatik der unteren Extremitäten vorgelegen. Die Röntgenuntersuchung habe in Höhe des neunten Brustwirbelkörpers (BWK) ein liegendes Projektil gezeigt. Stationäre Behandlungen des Klägers erfolgten anschließend im Klinikum der M.-L.-U. H.-W. und im Berufsgenossenschaftlichen Klinikum B. H ... Die Querschnittslähmung besteht weiterhin.
Die Beklagte ließ sich durch die Staatsanwaltschaft laufend über das aufgenommene Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen 6 Js 21986/98) unterrichten. Aufgrund der am 2. September 1998 erfolgten Einsichtnahme in die Handakte der Staatsanwaltschaft und einem Gespräch mit dem zuständigen Staatsanwalt hielt ein Mitarbeiter der Beklagten in einem Aktenvermerk fest, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erfolgten in verschiedene Richtungen (privater Bereich - Eifersucht; Schutzgelderpressung; Racheakt eines Gastes, dem der Führerschein nach einem Gaststättenbesuch weggenommen worden sei; mögliche Tatbeteiligung von Gästen an Einbruchsdelikten). Der Kläger schweige vollkommen über den Tathergang.
Am 19. November 1998 fand ein Gespräch zwischen einem Mitarbeiter der Beklagten und Dr. R. statt, der den Kläger zu diesem Zeitpunkt ambulant im Klinikum B. H. behandelte. Dabei teilte Dr. R. mit, das passive Verhalten des Klägers stehe im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unfallereignis und den Unfallfolgen. Der Kläger sei noch nicht in der Lage, die Folgen zu akzeptieren und zu verarbeiten. Er beziehe eine Schutzhaltung und möchte von dem Unfall nichts wissen. Mit Schreiben vom 29. November 1998 teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe keine Erinnerungen an den Unfallhergang. Die Täter und das Tatmotiv seien ihm nicht bekannt, auch seien in der Vergangenheit gegen ihn keine Bedrohungen ausgesprochen worden.
Am 25. Februar 1999 nahm ein Mitarbeiter der Beklagten Einsicht in die zum damaligen Zeitpunkt siebenbändige Akte der Staatsanwaltschaft, führte mit dem zuständigen Kriminaloberkommissar ein Gespräch und hielt daraufhin Folgendes fest: Die anfänglichen Verdachtsrichtungen hätten keine greifbaren Anhaltspunkte ergeben. Lediglich der Verdacht auf ein Eifersuchtsmotiv bestehe noch, diesbezüglich werde noch ermittelt. Aus der Ermittlungsakte zog die Beklagte den Sachstandbericht vom 27. Mai 1998 bei. Danach seien zehn Tatzeugen vernommen worden. Ein Zeuge habe nach der Schussabgabe die Worte "schnell weg" gehört. Die Täter hätten kein Geld gefordert und sich nicht zur Kasse bewegt. Befragungen des Klägers zum Tathergang sowie zu seinem Bekannten- und Freundeskreis, seinen persönlichen Verhältnissen, Feinden, Streitigkeiten u.ä. hätten keine Schlussfolgerungen auf ein Motiv erlaubt. Auch seien Befragungen und Zeugenvernehmungen im Freundes- und Bekanntenkreis sowie bei Familienangehörigen des Klägers durchgeführt worden. Danach könne der Kläger als ruhig, verschlossen, kontaktarm, friedfertig und jedem Streit aus dem Wege gehend eingeschätzt werden. Er habe keine Schulden oder Verbindlichkeiten gegenüber anderen Personen gehabt. Ermittlungen gegenüber mehreren konkret Tatverdächtigen seien erfolglos geblieben. Insgesamt ließen die geführten Ermittlungen den Schluss zu, dass es sich nicht um einen Raubüberfall, sondern um eine gezielte Aktion gegen den Geschädigten oder die Gaststätte "R." gehandelt habe. Letzte Zweifel an einem missglückten Raubüberfall könnten jedoch nicht ausgeschlossen werden. Hinweise dafür, dass die Schussabgabe im Zusammenhang mit dem Betreiber der Gaststätte stehe, gebe es nicht. Außerdem zog die Beklagte aus der Ermittlungsakte u. a. Zeugenvernehmungsprotokolle sowie Vermerke über informatorische Befragungen bei. Danach hatte der Kläger am 9. April 1998 erklärt, von Mitte September bis Anfang Dezember 1997 ein Verhältnis mit einer Frau V. gehabt zu haben. Sie hätten sich gut verstanden und im Guten getrennt. Einen Zusammenhang zwischen dieser Beziehung und der Tat sehe er nicht. Während der informatorischen Befragung am 20. April 1998 hatte der Kläger mitgeteilt, als er das Verhältnis mit Frau V. gehabt habe, habe diese in einer festen Beziehung mit einem Herrn Z. gelebt. Dieser habe zwar von dem Verhältnis etwas mitbekommen, es sei ihm offenbar aber egal gewesen. Bei ihrer informatorischen Befragung vom 22. April 1998 hatte die 1959 geborene U. V. erklärt, sie habe den Kläger im September 1997 näher kennen gelernt. Sie lebe in Scheidung, habe aber zum damaligen Zeitpunkt bereits zwei Jahre mit Herrn Z. zusammengelebt. Sie und der Herr Z. hätten dem Kläger gesagt, er könne doch vorbeikommen. Der Kläger sei dann einfach gekommen und über Nacht geblieben. Von einer intimen Beziehung zum Kläger habe Herr Z. aber nichts gewusst. Im Januar 1998 hätten die Besuche des Klägers plötzlich aufgehört. Ausweislich der Ermittlungsakte hatte Herr Z. am 15. April 1998 erklärt, der Kläger habe ihn und Frau V. ca. ein halbes Jahr lang besucht. Er wisse mit Sicherheit, dass der Kläger kein Verhältnis mit der Frau V. gehabt habe.
Auf weitere Sachstandsanfragen der Beklagten bei der Staatsanwaltschaft am 14. April und 14. Juni 1999 teilte diese mit, es bestünden Anhaltspunkte für private Tatmotive. Am 25. Oktober 1999 zog die Beklagte erneut die Akte der Staatsanwaltschaft bei. Aus dieser geht hervor, dass gegen einen Tatverdächtigen (H.-U. G.) am 7. Juli 1999 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war. Nach einem Aktenvermerk vom 15. September 1999 hatte Herr Z. bei einer informatorischen Befragung angegeben, er halte einen Racheakt von Frau V. gegenüber dem Kläger für möglich, habe aber ansonsten keine Hinweise dafür. Bei einer am gleichen Tag erfolgten telefonischen Rückfrage bei Frau D., der Ehefrau des Gaststätteninhabers, habe auch diese bekräftigt, dass hinter der Straftat Frau V. stecken könne. Außerdem befand sich in der Ermittlungsakte ein Vermerk über ein Gespräch mit dem Kläger am 15. September 1999. Danach habe der Kläger, als ihm die mögliche Version einer Täterschaft von Frau V. dargelegt worden sei, eine starke Erregung nicht verbergen können. Zunächst habe er keine Gesprächsbereitschaft gehabt und wiederholt, dass er zum Tathergang nichts mehr wisse. Im weiteren Gespräch habe er dann später nickend zugestimmt, dass diese Version die richtige sei. Auf die Frage, "ob die Frau V. dahinter stecke", habe er zögernd mit "ja" geantwortet. Er habe gemeint, es sei zu klären, woher die Täter die Waffen gehabt hätten und warum die Tat erst nach vier Monaten erfolgt sei. Mit Schreiben vom 21. September 1999 hat die Staatsanwaltschaft Halle dem Kläger mitgeteilt, das Ermittlungsverfahren gegen den Tatverdächtigen G., der jegliche Beteiligung an der Tat in Abrede gestellt habe, sei eingestellt worden. Trotz umfangreicher und intensiver Ermittlungen sei es nicht gelungen, die maskierten Täter zu identifizieren.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 lehnte die Beklagte es ab, das Ereignis vom 5. April 1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und führte zur Begründung aus, für einen Raubüberfall oder einen Angriff, der mit der Gastwirtschaft zusammenhänge, gebe es keine Anhaltspunkte. Der Kläger habe auch nicht zur Sachaufklärung beigetragen. Außerdem habe er im Gespräch am 15. September 1999 erklärt, seine ehemalige Freundin könne hinter der Tat stecken. Da die Gründe des Überfalles ausschließlich im privaten Bereich zu finden seien, fehle es am haftungsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Überfall. Besondere Umstände der betrieblichen Tätigkeit, die den Überfall entscheidend begünstigt haben könnten, seien nicht ersichtlich; der Überfall sei während einer Tanzveranstaltung vor einer Vielzahl von Zeugen erfolgt.
Am 10. Januar 2000 erhob der Kläger Widerspruch und trug zur Begründung vor, nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen sei nicht mit Sicherheit auszuschließen, ob sich der Überfall auf die Gaststätte bezogen bzw. ein bewaffneter Raubüberfall vorgelegen habe. Zudem sei das Motiv für den Überfall nicht entscheidend. Maßgeblich sei, dass er während einer betrieblichen Tätigkeit verletzt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Am 29. März 2000 hat der Kläger beim Sozialgericht Halle Klage erhoben und beantragt, das Ereignis vom 5. April 1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm Leistungen, insbesondere Verletztenrente, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Er hat ergänzend vorgetragen, selbst bei rein persönlichen Gründen bestehe ein innerer Zusammenhang, sofern die besonderen Umstände, unter denen die versicherte Tätigkeit ausgeübt worden sei, oder die Verhältnisse am Arbeitsplatz den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt hätten. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, nach umfangreichen Ermittlungen und Ausschöpfung aller Beweismittel spreche nach allgemeinen Erfahrungswerten und Denksätzen mehr für ein persönliches Motiv, weniger dagegen für einen Raubüberfall. Den Kläger treffe die Beweislast für die Ursächlichkeit betriebsbezogener Umstände. Mit Beschluss vom 22. März 2001 hat das Sozialgericht das Land Sachsen-Anhalt nach §§ 75 Abs 1, 106 Abs. 3 Nr. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum Verfahren beigeladen.
Mit Urteil vom 16. Dezember 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Überfälle stünden nur dann im inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit, wenn ein betrieblicher Bezug gegeben sei. Ein solcher Bezug sei hier nicht ersichtlich, insbesondere sei es den Tätern nicht um die Kasse oder das Geld der anwesenden Gäste gegangen. Auch habe nicht festgestellt werden können, ob der Inhaber der Gaststätte habe verletzt werden sollen. Dagegen sei nach den polizeilichen Ermittlungen von einem Motiv im sozialen Umfeld des Klägers auszugehen: Der Kläger habe eine Beziehung zu einer älteren, in Scheidung lebenden Frau gehabt, die auch einen Lebensgefährten gehabt habe. Diese Beziehung habe der Kläger beendet. Zudem habe der Kläger nicht zur Tataufklärung beigetragen. Der innere Zusammenhang zwischen der betrieblichen Tätigkeit und der Schussverletzung könne auch nicht durch die Beschaffenheit des Betriebes oder den Ort der Ausübung der Tätigkeit begründet werden. Der Betrieb liege nicht in einer Gegend, die besonders durch kriminelle Handlungen gefährdet sei. Auch die Nachtzeit spreche nicht für einen inneren Zusammenhang. Da die Beweiswürdigung kein klares Ergebnis gebracht habe und zu den anspruchsbegründenden Tatsachen auch der innere Zusammenhang gehöre, gehe dies nach den Regeln der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers.
Gegen das am 18. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. Januar 2004 Berufung eingelegt und sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrages weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Dezember 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2000 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom5. April 1998 ein Arbeitsunfall war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Dezember 2003 zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, unter Berücksichtigung des Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen fehle es am inneren Zusammenhang. So sei nicht erwiesen, dass der Kläger allein aus einer betrieblich bedingten Gefahr das Opfer einer Straftat geworden sei. Für betriebsbezogene Motive, wie Raub oder Erpressung, bestünden keine Anhaltspunkte. Dagegen seien private Motive für den Überfall nicht nur spekulativ. Die Beweislast für das Motiv des Überfalls trage der Kläger.
Das beigeladene Land hat unter dem 7. Mai 2004 mit Vorbehalts- und Teilbescheid nach § 22 Abs. 4 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) über den Versorgungsanspruch des Klägers nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) entschieden und die Akten des Amtes für Versorgung und Soziales vorgelegt. Der Beigeladene ist der Ansicht, der Kläger habe einen Arbeitsunfall erlitten. Alle Verdachtsmomente aus dem Umfeld des Klägers hätten zu keinem hinreichenden Tatverdacht und einer Anklageerhebung führen können. Es handele sich lediglich um Spekulationen. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Überfalls auf die Gaststätte einer im inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung nachgegangen. Die Beweislast für die anspruchsvernichtenden Tatsachen trage die Beklagte.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und des beigeladenen Landes verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung ist begründet. Denn die zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs 1 Nr. 1 SGG erhobene Klage ist begründet. Der Kläger hat am 5. April 1998 einen Arbeitsunfall erlitten.
Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich (auf eine Arbeitsschicht) begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Konkret bedeutet dies, dass die Verrichtung, die der Versicherte zur Zeit des Unfalls ausübt, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein muss (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass dieses Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht haben muss (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. nur Urteil vom 30. Januar 2007– B 2 U 23/05 R – zitiert nach Juris m.w.N.).
Diese Voraussetzungen zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls sind für das Ereignis vom 5. April 1998 erfüllt. Der Kläger war als Beschäftigter in der Gaststätte "R." bei der Beklagten gemäß § 2 Abs 1 Nr. 1 SGB VII gesetzlich unfallversichert (versicherte Tätigkeit). Zur Zeit des Überfalls (dem von außen wirkenden Unfallereignis) ist er einer versicherten Verrichtung (der Arbeit hinter der Theke) nachgegangen, sodass der sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses gegeben ist.
Auch die Unfallkausalität, also der Zusammenhang zwischen der Arbeit hinter der Theke (der Verrichtung zur Zeit des Unfalls) und dem Überfall (dem Unfallereignis) ist gegeben.
Wenn bei der Ausübung einer Verrichtung, die im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ein Unfallereignis eintritt, muss vom Vorliegen der Unfallkausalität ausgegangen werden, es sei denn, eine konkurrierende Ursache, wie z.B. eine innere Ursache oder eine eingebrachte Gefahr, ist feststellbar (dazu BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, a.a.O., Rn. 17). Für diese konkurrierende Ursache, die der vermuteten Unfallkausalität bei einer versicherten Tätigkeit (ausnahmsweise) entgegensteht, trägt demzufolge die Beklagte als diejenige, die sich auf eine konkurrierende Ursache beruft, auch die Beweislast (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, a.a.O., Rn. 15 ff.). Erst wenn eine konkurrierende Ursache feststeht, ist auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie aufbauend in einem zweiten Prüfungsschritt wertend zu entscheiden, ob die versicherte Ursache wesentlich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung ist (vgl. nur BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, a.a.O., Rn. 17).
Dementsprechend wird bei Unfällen infolge von Überfällen ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit vermutet, wenn die Tätlichkeit aus der Betriebszugehörigkeit unmittelbar hervorgegangen ist, ohne dass es eines betriebsbezogenen Motivs bedarf, sofern kein Tatmotiv aus dem persönlichen Bereich von Täter oder Opfer zum Überfall geführt hat (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – B 2 U 37/99, zitiert nach Juris m.w.N.). Bilden persönliche Feindschaften oder betriebsfremde Beziehungen zwischen dem Angreifer und dem Überfallenen den Beweggrund für den Überfall, dann handelt es sich lediglich um eine Gelegenheitsursache und nicht um eine wesentliche Mitursache des Unfallereignisses. Trotz eines persönlichen Tatmotivs besteht wiederum Unfallversicherungsschutz, wenn besondere Verhältnisse bei der versicherten Tätigkeit (Dunkelheit, Umgebung) den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000, a.a.O., m.w.N.).
Danach liegt hier die Unfallkausalität vor. Ein privates Überfallmotiv, das der vermuteten Unfallkausalität als konkurrierende Ursache für den Überfall entgegensteht, ist nicht bewiesen. Das geht zu Lasten der Beklagten. Die Staatsanwaltschaft hat trotz umfangreicher und intensiver Ermittlungen die maskierten Täter des Überfalls nicht identifizieren können. Die Ermittlungen gegen mehrere konkret Tatverdächtige sind erfolglos geblieben. Da keine Tatbeteiligung nachzuweisen war, bleibt auch das Motiv für den Überfall im Dunkeln. Denn nur über den Täter oder Tatbeteiligte (z.B. Anstifter) kann in der Regel auf die Beweggründe einer Tat geschlossen werden. Da hier aber die Straftat nicht aufgeklärt werden konnte, hat die Staatsanwaltschaft auch einen missglückten Raubüberfall, also ein betriebsbezogenes Motiv, letztlich nicht ausschließen können, obwohl die Täter sich weder zur Kasse bewegt noch Forderungen nach Geld gestellt haben.
Weitere Ermittlungsmöglichkeiten, um Täter und Tatbeteiligte (z. B. Anstifter) zu identifizieren, um einen Rückschluss auf ein Motiv ziehen zu können, hat der Senat auch unter Berücksichtigung der inzwischen vergangenen Zeit nicht gesehen. Die Staatsanwaltschaft hat in verschiedenen Richtungen ohne Erfolg ermittelt (privater Bereich - Eifersucht; Schutzgelderpressung; Racheakt eines Gastes, dem der Führerschein nach einem Gaststättenbesuch weggenommen worden ist; mögliche Tatbeteiligung von Gästen an Einbruchsdelikten). Alle Tatzeugen wurden polizeilich vernommen. Außerdem wurden der Kläger sowie zahlreiche Bekannte und Freunde u.a. zu den persönlichen Verhältnissen des Klägers, Feinden, Streitigkeiten u.ä. befragt. Nach den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft auf die Sachstandsfragen im April und Juni 1999 ist in diesem Zeitraum intensiv Anhaltspunkten für private Motive nachgegangen worden. Die persönliche Beziehung des Klägers zur Frau V., der ehemaligen Freundin des Klägers und Herrn Z., deren damaligen Lebensgefährten, war polizeilich bereits seit April 1998 bekannt. Auch war polizeilich bekannt, dass andere Personen (Herr Z., Frau D., der Kläger) Frau V. die Tat zugetraut haben. Dennoch konnte trotz umfangreicher Ermittlungen weder Frau V. noch einer anderen Person eine Tatbeteiligung nachgewiesen werden.
Der Grundsatz, wonach der fehlende Nachweis einer konkurrierenden Ursache und damit die Ungewissheit über das Motiv eines Überfalls während einer versicherten Tätigkeit zu Lasten der Beklagten geht (so auch Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 22. Juni 2006 – L 2 U 146/03, zitiert nach Juris), ist im vorliegenden Rechtsstreit auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger möglicherweise nicht im ausreichenden Maße an den Ermittlungen mitgewirkt hat, anzuwenden. Den umfangreichen Ermittlungsakten ist nicht zu entnehmen, dass dem Kläger die Täter bekannt waren, somit hat er die Motivaufklärung auch nicht erschwert oder vereitelt. Zudem hat der Kläger ausweislich der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft mehrfach an polizeilichen Vernehmungen teilgenommen und auch umfangreiche Aussagen getätigt. Zwar hat er am 15. September 1999 zu einer möglichen Tatbeteiligung von Frau V. keine "offizielle Aussage" machen wollen. Doch da Frau V. offensichtlich keiner der maskierten Täter des Raubüberfalls gewesen sein konnte, bleiben selbst bei einer unterstellten Tatbeteiligung von Frau V. die persönlichen Motive der maskierten Täter für den Überfall ungeklärt. Zudem hat der Kläger die Frage aufgeworfen, warum die Tat erst nach vier Monaten begangen worden sei. Dies verdeutlicht, dass auch ihm die Hintergründe der Tat nicht klar waren. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Dr. R. das passive Aufklärungsverhalten des Klägers im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unfallereignis und den Unfallfolgen erklärt hat. Dr. R. hat mitgeteilt, der Kläger sei noch nicht in der Lage, die Folgen des Unfalls zu akzeptieren und zu verarbeiten. Er beziehe eine Schutzhaltung und möchte von dem Unfall nichts wissen. Auch im Sachstandsbericht vom 27. Mai 1998 wurde der Kläger als ruhig und verschlossen beschrieben, sodass sein Aussageverhalten möglicherweise auch auf diese Umstände einschließlich der Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen ist.
Da nach alledem von der Unfallkausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis auszugehen ist und der Kläger durch das Unfallereignis ausweislich des Durchgangsarztberichtes von Dr. W. eine Schussverletzung am linken Oberarm sowie der linken Thoraxhälfte (also einen Gesundheitserstschaden) erlitten hat, liegen auch die weiteren Voraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfalls vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
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