S 37 AS 29504/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 29504/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.1.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2007 verurteilt, die Kaution als Darlehen und die Miete der vorherigen Wohnung für Januar 2007 als Wohnungs-beschaffungskosten zu übernehmen.

Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme von Kosten im Zusammenhang mit einem Wohnungswechsel.

Die Kläger, eine 2-Personen-Bedarfsgemeinschaft, beziehen seit 2005 Alg II. Sie bewohnten bei Eintritt in den Alg II-Bezug eine 72 qm große 3-Raum Wohnung zu einer monatlichen Miete von 462,92 EUR plus 94,88 EUR Heizkosten.

Im September 2006 erhielten sie eine Kostensenkungsaufforderung, der sie durch Abschluss eines neuen Mietvertrages am 8.11.2006 zum 1.1.2007 zügig nachkamen. Am 27.10.2006 hatten sie die alte Wohnung zum 31.1.2007 gekündigt.

Am 16.11.2006 sprach der Kläger zu 1) persönlich im Job Center vor und beantragte die Übernahme der Kaution und der Doppelmiete für Januar 2007. Als Grund für den raschen Mietvertragsabschluss gab er an, die im Erdgeschoß gelegene Wohnung sei wegen der Behinderung seiner Frau, der Klägerin zu 2), besonders geeignet gewesen.

Der Antrag wurde mit Bescheid vom 23.1.2007, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2007 mit der Begründung abgelehnt, es fehle an der notwendigen vorherigen Zusicherung, außerdem sei wegen des Mietvertragsschlusses vor Ablauf der 6monatigen Suchfrist nicht erwiesen, dass eine Doppelmiete unvermeidbar war.

Mit der am 15.11.2007 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage machen die Kläger geltend, über Kontakte mit der Kirchengemeinde eine günstige Wohnung gefunden zu haben, die bereits leer stand. Mit dem Mietbeginn 1.1.2007 sei der Vermieter bereits dem Drängen auf einen späteren Mietbeginn nachgekommen. Das Erfordernis einer vor Mietvertragsschluss einzuholenden Zustimmung sei ihnen, den Klägern, nicht bewusst gewesen.

Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23.1.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2007 zu verurteilen, die Kaution und die Doppelmiete für Januar 2007 zu übernehmen.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogene Leistungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Kammer geht nach Würdigung aller Einzelfall-umstände davon aus, dass die Kläger mit der raschen Organisation des Umzugs nur solche Folgekosten entstehen ließen, die unvermeidbar waren. Wohnungen, die ohne Kaution vermietet werden, sind selten oder in einem Zustand, der unzumutbar ist oder hohe Renovierungskosten bedingt, deren Übernahme nach § 22 SGB II umstritten ist.

Des Weiteren ist der Markt für Wohnungen mit der Richtwert-Gesamtmiete von 444,- EUR nicht so entspannt, dass die Kläger auch ohne Probleme eine andere, nach Lage und Mietpreis vergleichbare Wohnung zum 1.2. oder 1.3.2007 hätten anmieten können. Seinerzeit wurden Wohnungen im Richtwertsegment infolge der seit Mitte 2006 von den SGB II-Trägern umgesetzten Mietsenkung verstärkt nachgefragt, so dass auch nachvollziehbar ist, dass die Kläger den Mietvertragsschluss der neuen Wohnung nicht gefährden wollten. Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kläger wegen der Kontakte zum neuen Vermieter schon vor Abschluss des neuen Mietvertrages die alte Wohnung gekündigt hatten. Es ist sonst völlig üblich, erst dann zu kündigen, wenn eine neue Wohnung mit abschlussbereitem Vermieter gefunden wurde, weil anderenfalls die Gefahr droht, zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit die erstbeste Ersatzwohnung anmieten zu müssen.

Weder der Regelung des § 22 SGB II noch dem allgemeinen Grundsatz zur Vermeidung unnötiger Kosten gemäß § 2 SGB II kann die Forderung entnommen werden, dass Hilfe-bedürftige ihre Wohnung schon vor Auffinden einer neuen Wohnung kündigen müssen, um die bei Einhaltung von Mietkündigungsfristen regelmäßig entstehenden Überschneidungszeit-räume zu vermeiden oder sich auf solche Wohnungen bewerben müssen, die wegen der schlechten Vermietbarkeit auch erst zum Ablauf der Kündigungsfrist der innegehaltenen Wohnung angemietet werden können. Ein Überschneidungszeitraum von nur einem Monat entspricht einem kostenbewussten Verhalten, das üblicherweise auch Mietselbstzahler an den Tag legen.

Sofern der Beklagte einwendet, die Kläger hätten bei Ausnutzung der bis Ende März 2007 laufenden Suchfrist Doppelmieten vermeiden können, ist zu bedenken, dass dann zumindest 280,24 EUR Mehrkosten angefallen wären (Differenz zwischen der alten Miete von 580,12 EUR und der Neumiete von 440 EUR für die Monate Februar und März 2007), so dass der auch im SGB II zu respektierende Wunsch nach einer angemessenen Wohnung (§ 33 SGB I) zu keinen unverhältnismäßigen Mehrkosten geführt hat, zumal offen ist, ob bei fristgemäßer Kündigung zum 28.2. oder 31.3.2007 eine andere Wohnung zu einem Gesamtpreis von 440 EUR mit Mietbeginn 1.3. oder 1.4. zu bekommen gewesen wäre.

Dass der Antrag auf Übernahme der Kaution und der Doppelmiete für Januar erst nach Abschluss des neuen Mietvertrages gestellt wurde, steht einer Kostenübernahme nicht zwingend entgegen. Das erkennende Gericht folgt insoweit dem OVG Bremen (S 1 B 85/06 vom 16.3.2006) und dem LSG Schleswig-Holstein (L 11 B 479/06 AS PKH vom 19.1.2007), wonach zumindest in Fällen eines vom SGB II-Träger veranlassten Umzugs, wie hier, unver-meidbare Wohnungsbeschaffungskosten auch ohne vorherige Zusicherung zu übernehmen sind, weil sie nach § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II übernommen werden sollen (kein Ermessen, vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg vom 5.2.2008 – L 10 B 2193/07). Es wäre auch widersinnig, den raschen Wechsel in eine angemessene Wohnung damit zu gefährden, dass wegen der ausstehenden Kaution eine Kündigung erklärt wird und damit ein erneuter Wohnungswechsel anstehen könnte.

Nach Lage der Dinge ist nicht erkennbar, dass die Kläger inzwischen eine ratenweise Abzahlung der Mietkaution hätten bewerkstelligen können. Die alte Wohnung war kautionsfrei gemietet worden und die Kläger hatten außer dem Regelsatz kein Zusatzeinkommen, mit dem sie die Kaution ohne Einschränkung ihres Existenzminimums ratenweise hätten zahlen können. Es ist inzwischen geklärt, dass die Darlehenskaution nicht vom Regelsatz analog § 23 Abs. 1 SGB II einbehalten werden darf (LSG Hessen vom 19.6.2006 – L 7 AS 150/06 ER; vom 5.9.2007 – L 6 AS 145/07 ER; vom 16.1.2008 – L 9 SO 121/07 ER; LSG Baden-Württemberg vom 6.9.2006 – L 13 AS 3108/06 ER; LSG NRW vom 28.9.2007 – L 1 B 37/07 AS). Dies kann daher auch nicht von den Klägern mit dem Argument verlangt werden, dass sie einen vorherigen Antrag auf Kautionsübernahme versäumt haben.

Im Hinblick auf die festgestellte (vorübergehende) Erwerbsunfähigkeit des Klägers zu 1) und die Behinderung der Klägerin zu 2) ist auch mit einer Integration in den ersten Arbeitsmarkt nicht kurzfristig zu rechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Haupt- sache.
Rechtskraft
Aus
Saved