L 11 KR 3295/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 647/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3295/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen auch die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selber trägt.

Der Streitwert wird endgültig auf 26.515,51 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten streitig, ob der Beigeladene in Bezug auf seine (Haupt-)Beschäftigung bei der Klägerin zu 3 in der Zeit vom 01. Juni 2002 bis zum 31. Dezember 2004 in der gesetzlichen Rentenversicherung der Versicherungspflicht unterlag.

Die Klägerin zu 3 ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Gesellschafter die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 sind. Der am 01. Oktober 1957 geborene Beigeladene ist der Ehemann der Klägerin zu 1. Der Beigeladene ist Steuerfachgehilfe. Mit Arbeitsvertrag vom 01. Januar 1990 verpflichtete er sich, in dem Steuerbüro seiner Ehefrau, der Klägerin zu 1, als Steuerfachgehilfe/Büroleiter bei einem Bruttogehalt 3.200,- DM und einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden mitzuarbeiten.

Mit Beschluss vom 15. Mai 2002 bestellte der Aufsichtsrat der F. Verwaltungs-Aktiengesellschaft (AG) den Beigeladenen mit Wirkung zum 01. Juni 2002 zum Vorstand im Nebenerwerbsverhältnis. In dem daraufhin geschlossenen Vorstandsvertrag vom gleichen Tag wurde ein Jahresgehalt von 250,- EUR vereinbart. Gegenstand des Unternehmens mit einem Stammkapital von 50.000,- EUR ist die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Vermögens- und Anlageberatung, die Verwaltung eigenen Vermögens und die Beteiligung an anderen Unternehmen zu diesem Zweck. Zum Zeitpunkt der Bestellung des Beigeladenen umfasste der Vorstand der AG 13 Mitglieder.

Ab dem 01. Juni 2002 führte der inzwischen als "F. & B. Steuerberatung" firmierende Arbeitgeber des Beigeladenen für diesen keine Beiträge mehr zur Rentenversicherung ab.

Am 03. Juni 2002 änderten der Beigeladene und die Klägerin zu 1 den Arbeitsvertrag vom 01. Januar 1990 dahingehend ab, dass ihm die Nebenerwerbstätigkeit bei der F. Verwaltungs-AG genehmigt wurde. Ferner kamen beide überein: "Unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Nebenerwerbstätigkeit als AG-Vorstandsmitglied eine Änderung des Umfangs seiner Sozialversicherungspflicht als Arbeitnehmer in diesem Arbeitsverhältnis bewirkt hat, werden die freigewordenen Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Rentenversicherung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls dieser Versicherungspflicht in Form einer Bruttolohnerhöhung an den Arbeitnehmer ausgekehrt."

Die Beklagte führte für den Prüfzeitraum vom 01. Juni 2002 bis zum 31. Dezember 2004 eine Betriebsprüfung bei der dann als "F. & B. Steuerberatung GdbR" firmierenden Klägerin zu 3 durch. Nach vorangegangener Anhörung vom 01. Februar 2006 stellte die Beklagte mit Bescheiden vom 13. März 2006 fest, dass der Beigeladene über den 31. Mai 2002 hinaus der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliege. Denn die Bestellung zum Vorstand sei rechtsmissbräuchlich lediglich zur Umgehung der Rentenversicherungspflicht in dem weiteren Beschäftigungsverhältnissen erfolgt. Dies belege das niedrige Jahresgehalt des Beigeladenen in Höhe von 250,- EUR und der Umstand, dass es sich bereits um das 14. Vorstandsmitglied gehandelt habe. In der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) sei am 30./31. Oktober 2003 übereinstimmend der Standpunkt vertreten worden, in solchen Missbrauchsfällen könne eine Tätigkeit als Vorstand nicht zum Ausschluss der Rentenversicherungspflicht in einer daneben ausgeübten abhängigen Beschäftigung führen. Die Klägerin zu 3 habe daher Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Beigeladenen ab dem 01. Juni 2002 in Höhe von insgesamt 26.515,51 EUR nachzuleisten. Die Kläger zu 1 und 2 nehme sie als Gesamtschuldner in deren Eigenschaft als Gesellschafter der Kläger zu 3 in Anspruch.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machten die Kläger geltend, der Beigeladene sei vollständiger Vorstand der F. Verwaltungs-AG. Nach der zum Zeitpunkt der Gründung dieser AG maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung sei ein Vorstandsmitglied nicht nur in seiner Tätigkeit als Vorstand, sondern auch für daneben ausgeübte Tätigkeiten bei anderen Arbeitgebern rentenversicherungsfrei gewesen. Diese Vorschrift sei zwar nach dem 06. November 2003 abgeschafft worden, für den Beigeladenen gelte aber aufgrund seiner bereits am 15. Mai 2002 erfolgten Bestellung zum Vorstand die Rentenversicherungsbefreiung weiter. Diese Regelung könne nicht durch Hinweis auf das Ergebnis einer Besprechung - noch dazu rückwirkend - unangewendet bleiben. Davon abgesehen sei die Gründung der AG nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt. Es verstoße auch gegen den Gleichheitsgrundsatz, den Beigeladenen im Vergleich zu den anderen Vorstandsmitgliedern anders zu behandeln.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 19. Januar 2007 wies die Beklagte die Widersprüche mit der Begründung zurück, der Beigeladene sei rechtsmissbräuchlich zum Vorstand bestellt worden. Der Ausschluss der Vorstandsmitglieder aus der Solidargemeinschaft sei allein aufgrund deren herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung begründet. Das könne aber nicht für solche Aktiengesellschaften gelten, die allein zum Zwecke der Umgehung der Rentenversicherungspflicht gegründet worden wären. Indizien dafür seien die Ausübung der Beschäftigung in einem Unternehmen, das nicht Konzernunternehmen der Aktiengesellschaft sei, die Überbesetzung der Vorstandsebene, das geringe Grundkapital der Aktiengesellschaft sowie fehlende oder geringe Zahlung von Bezügen für die Vorstandstätigkeit. All diese Indizien seien bei dem Beigeladenen erfüllt. Er erhalte lediglich ein Jahresgehalt von 250,- EUR. Die Vorstandsebene sei mit 13 Mitgliedern überbesetzt gewesen. Auch das Grundkapital der Aktiengesellschaft mit 50.000,- EUR entspreche dem Mindestnennwert des Grundkapitals. Darüber hinaus werde die Beschäftigung in einem Unternehmen ausgeübt, das nicht Konzernunternehmen der Aktiengesellschaft sei. Es liege auch kein Ehegattenarbeitsverhältnis vor. Vielmehr sei ein Beschäftigungsverhältnis beabsichtigt und auch tatsächlich durchgeführt worden. Dies umso mehr, als regelmäßig Sozialversicherungsbeiträge infolge der vorgenommenen versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses abgeführt und Meldungen zur Sozialversicherung abgegeben worden wären.

Mit ihrer dagegen am 07. Februar 2007 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage haben die Kläger geltend gemacht, durch § 229 Abs. 1 a des Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei eine Übergangsregelung eingeführt worden, nach welcher der Versicherungsstatus nach altem Recht für solche Beschäftigungen fortgeführt werde, die am Stichtag bis zum 06. November 2003 mit der Vorstandstätigkeit zusammengetroffen seien. Da der Beigeladene bereits zum 01. Juni 2002 zum Vorstand bestellt worden sei, falle er unter diese Übergangsregelung. Die Verwaltungspraxis der Beklagten stehe im Übrigen nicht mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Einklang, wonach es allein auf die Erfüllung des formalen Merkmals der Zugehörigkeit zum Vorstand einer Aktiengesellschaft ankomme. Auch rechtfertigten die von der Beklagten angeführten Indizien nicht den Schluss auf ein missbräuchliches Verhalten. Auf die Zahl der Vorstände könne allein schon deswegen nicht abgestellt werden, weil das Aktiengesetz diese nicht beschränke. Gleiches gelte für das Grundkapital, das dem gesetzlichen Mindestnennwert entspreche. Auch die Vergütung sei kein geeignetes Indiz, weil die Vergütung für eine Vorstandstätigkeit anerkanntermaßen nicht den Hauptteil der Einnahme eines Vorstandes darstelle.

Mit Beschluss vom 16. März 2007 hat das SG den Beigeladenen zu dem Verfahren beigeladen und ihn in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 09. April 2008 persönlich angehört.

Mit Urteil vom selben Tag, den Klägern zugestellt am 16. Juni 2008, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Beigeladene sei mit der Klägerin zu 3 gegen Arbeitsentgelt beschäftigt und unterfiele daher in Bezug auf diese Tätigkeit der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese Versicherungspflicht sei auch nicht deshalb entfallen, weil der Beigeladene bei der F. Verwaltungs-AG zum Vorstand bestellt worden sei. Die versicherungsrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit bei der Klägerin zu 3 richte sich nach der vom 01. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung des Gesetzes. Denn seine Bestellung zum Vorstand sei mit Aufsichtsratbeschluss vom 15. Mai 2002 zum 01. Juli 2002 erfolgt, so dass seine nach den damals geltenden Regelungen vorzunehmende versicherungsrechtliche Einordnung auch über den 06. November 2003 bzw. 01. Januar 2004 hinaus maßgeblich bleibe. Bei dem Beigeladenen sei es danach so, dass er der Versicherungspflicht unterliege. Denn der Gesetzgeber habe zu der von ihm zum 01. Januar 2004 bewirkten Gesetzänderung erläutert, dass diese auch dazu diene, in letzter Zeit vermehrt bekannt gewordenen Missbrauchsfällen zu begegnen, in denen Aktiengesellschaften allein zu dem Zweck gegründet worden wären, den Vorstandsmitgliedern solcher Gesellschaften die Möglichkeiten zu eröffnen, in weiteren - auch nicht konzernzugehörigen - Beschäftigungen bzw. selbständigen Tätigkeiten nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung zu unterliegen. Der Missbrauch sei schon bei verfassungskonformer Auslegung des bisherigen Rechts unbeachtlich. Die neue Regelung bringe die insoweit erforderliche Klarstellung für die Praxis. Der Gesetzgeber sei damit davon ausgegangen, dass mit der Neuregelung lediglich eine deklaratorische Vorschrift geschaffen werde, die die bisherige Rechtslage nicht ändere, sondern lediglich klarstelle. Hierfür spreche auch die teleologische Auslegung. Denn der Schaffung einer Sonderregelung für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft liege die Erwägung zugrunde, diese bedürften bei typisierender Betrachtung wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung nicht mehr des Schutzes der gesetzlichen Sozialversicherung. Man habe bewusst eine typisierende Betrachtungsweise anlegen wollen. Dieser Grundsatz gelte jedoch nicht ausnahmslos. Denn die tragenden Gedanken griffen dann nicht, wenn aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles feststehe, dass eine Person ausschließlich zu dem Zweck zum Vorstand einer Aktiengesellschaft bestellt worden wäre, um einen Ausschluss aus der Versicherungspflicht zu erreichen und mit der Bestellung zum Vorstand keinerlei Stärkung ihrer Stellung einhergehe. So sei es bei dem Beigeladenen. Insofern könne dahingestellt bleiben, ob für eine solche Feststellung allein die von der Beklagten angeführten Indizien ausreichten. Jedenfalls habe das Gericht aufgrund der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass der Beigeladene mit seiner Bestellung zum Vorstand ausschließlich den Zweck verfolgt habe, der für seine Tätigkeit bei der Klägerin zu 3 an sich bestehenden Rentenversicherungspflicht zu entgehen. Er werde nur in einem geringen zeitlichen Rahmen für die Aktiengesellschaft tätig und verrichte dabei in keiner Weise Tätigkeiten, die für einen Vorstand typisch wären oder durch eine Bestellung zum Vorstand in irgendeiner Weise gefördert werden könnten. Für das von ihm bezogene Gehalt arbeite er etwa zwei bis drei Stunden und nutze seinen Eintritt in die Aktiengesellschaft, um diese als Plattform zur Verfügung zu haben, über die etwa eine Hotline zur Betreuung der Mandanten genutzt werden könne. Wann genau die Aktiengesellschaft eingetragen worden sei und ob er zumindest in früheren Zeiträumen über sie Provisionen erlangt habe, habe er auch nicht sagen können. Somit sei die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nicht gerechtfertigt. Dem stehe auch der Wortlaut des § 1 Satz 4 SGB VI nicht entgegen. Denn die Versicherungsfreiheit in anderen Tätigkeiten als denen eines Vorstandes sei durch den Wortlaut der alten Gesetzesfassung nicht zwingend angeordnet worden. Insofern handle es sich lediglich um eine weite Auslegung des Wortlauts durch die Rechtssprechung. Hiergegen spreche auch nicht die Entscheidung des BSG vom 26. März 1992. Denn der damals zu entscheidende Fall sei mit dem Beigeladenen nicht vergleichbar, der faktisch in keiner Weise als Vorstand tätig gewesen sei.

Mit ihrer dagegen am 11. Juli 2008 eingelegten Berufung machen die Kläger geltend, es möge zwar richtig sein, dass die mit Wirkung zum 01. Januar 2004 erfolgte Gesetzesänderung den Zweck verfolgt habe, Missbrauchsfällen zu begegnen. Dies gelte aber für den Beigeladenen nicht, für den die Übergangsregelung des § 229 Abs. 1 a SGB VI gelte. Es sei deswegen auch unerheblich, ob der Beigeladene angegeben habe, nur in einem geringen zeitlichen Rahmen für die Aktiengesellschaft aufzutreten und in dieser Zeit keine typischen Vorstandstätigkeiten zu verrichten.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09. April 2008 sowie die Bescheide der Beklagten vom 13. März 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Januar 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt ergänzend vor, dass in den vier vom BSG am 09. August 2006 entschiedenen Fällen Vorstände einer Aktiengesellschaft im Gründungsstadium in einer neben dieser Vorstandstätigkeit ausgeübten abhängigen Beschäftigung rentenversicherungspflichtig gewesen wären. In diesem Verfahren seien die Aktiengesellschaften aber noch vor bzw. - in drei Fällen - am Stichtag selbst durch notariellen Vertrag errichtet worden. Weil die Übergangsvorschrift des § 229 Abs. 1 a SGB VI bereits aus diesem Grunde nicht zur Anwendung hätte gelangen können, habe das BSG die Problematik der "Rechtsmissbräuchlichkeit" offen gelassen, wobei es ausdrücklich ausgeführt habe, dass es die Annahme nicht für ausgeschlossen halte. Aus den angeführten BSG-Urteilen ließe sich daher die klägerische Rechtsauffassung nicht herleiten. Auch aus dem BSG-Urteil vom 26. März 1992 ergebe sich keine Änderung der Rechtsauffassung. Denn zu diesem Zeitpunkt seien keinerlei Missbrauchsfälle (wie sie seit ca. 2002 zunehmend zu beobachten gewesen wären) gegeben gewesen, so dass das BSG diesbezüglich keine Überlegungen hätte anstellen müssen.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da die Berufung einen Zeitraum von mehr als einem Jahr umfasst. Die damit insgesamt zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

Der Beigeladene ist in seiner (Haupt)Beschäftigung bei der Klägerin zu 3 weiterhin nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI rentenversicherungspflichtig. Er ist nicht wegen seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied am 1. Juni 2002 in dieser Beschäftigung von der Rentenversicherungspflicht ausgenommen.

Die Herausnahme von Mitgliedern des Vorstands einer Aktiengesellschaft aus der Rentenversicherungspflicht geht auf § 3 Abs 1 a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zurück (vgl. zum Folgenden BSG, Urteil vom 09.08.2006, B 12 KR 3/06 R, SozR 4-2600 § 229 Nr. 1). Diese Vorschrift war durch Art. 1 § 2 Nr. 2 des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (3. RVÄndG) vom 28. Juli 1969 (BGBl I 956) mit Wirkung vom 1. Januar 1968 als Reaktion auf die Aufhebung der für die Pflichtversicherung von Angestellten geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze eingefügt worden. § 3 Abs. 1 a AVG bestimmte für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, die bis 1968 im Hinblick auf die Höhe ihrer Vorstandsvergütungen regelmäßig nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen hatten, dass sie nicht zu den versicherungspflichtigen Angestellten gehören. In Ergänzung hierzu legte § 2 Abs. 1 a AVG fest, dass sie auch nicht in anderen Rentenversicherungen versicherungspflichtig sind. Den mit dem 3. RVÄndG eingefügten Vorschriften lag die Erwägung zu Grunde, dass bei Mitgliedern des Vorstands einer Aktiengesellschaft wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung Schutz und Sicherheit durch die Rentenversicherung entbehrlich erscheinen (vgl. Urteil des BSG vom 22. November 1973, 12/3 RK 20/71, BSGE 36, 258, 260 = SozR Nr. 24 zu § 3 AVG, unter Hinweis auf das Urteil vom 18. September 1973, 12 RK 5/73, BSGE 36, 164, 167 = SozR Nr. 23 zu § 3 AVG; ferner Urteil vom 4. September 1979, 7 RAr 57/78, BSGE 49, 22, 24 = SozR 4100 § 168 Nr 10 S 12 f, und Urteil vom 31. Mai 1989, 4 RA 22/88, BSGE 65, 113, 118 = SozR 2200 § 1248 Nr 48 S 126 f). Diese Rechtslage galt bis zum 31. Dezember 1991. Als Nachfolgevorschrift des § 3 Abs. 1 a AVG bestimmte § 1 Satz 3 (später Satz 4) SGB VI (im Folgenden einheitlich: § 1 Satz 4 SGB VI a.F.) für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 2003, dass Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft nicht versicherungspflichtig sind. Eine sachliche Änderung brachte die mit dem Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 2261) - erst auf Veranlassung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss; vgl. BT-Drucks. 11/5490 S 12) - eingeführte Regelung nicht, denn mit ihr sollte das bis dahin geltende Recht (§ 2 Abs. 1a, § 3 Abs. 1 a AVG) aufrechterhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. 11/5530 S. 40).

Mit Wirkung vom 1. Januar 2004 ist § 1 Satz 4 SGB VI durch Art 1 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze (2. SGB VI ÄndG) vom 27. Dezember 2003 neu gefasst worden. Danach sind Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft "in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes als ein Unternehmen gelten" (§ 1 Satz 4 SGB VI n.F.). Nach dieser Bestimmung bleiben Mitglieder des Vorstands weiterhin von der Rentenversicherungspflicht ausgenommen, jedoch - in Anlehnung an § 27 Abs. 1 Nr. 5 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - beschränkt auf die Beschäftigung als Vorstand und - bei weiteren Beschäftigungen - auf konzernzugehörige Beschäftigungen. Im Gesetzgebungsverfahren ist dazu erklärt worden, mit der Einschränkung solle Missbrauchsfällen begegnet werden, in denen Aktiengesellschaften nur zu dem Zweck gegründet werden, den Vorstandsmitgliedern dieser Aktiengesellschaften die Möglichkeit zu eröffnen, in weiteren - auch nicht konzernzugehörigen - Beschäftigungen bzw. selbstständigen Tätigkeiten nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung zu unterliegen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss), BT-Drucks. 15/1893 S. 12). Die Gesetzesänderung solle für die Praxis klarstellend zum Ausdruck bringen, dass die Gründung einer solchen Aktiengesellschaft als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten einzustufen und schon bei verfassungskonformer Auslegung des bisherigen Rechts unbeachtlich ist. Aus Gründen des Vertrauensschutzes (vgl. BT-Drucks. 15/1893, a.a.O.) hat der Gesetzgeber § 1 Satz 4 SGB VI a.F. - ebenfalls mit Wirkung ab 1. Januar 2004 - die besondere Übergangsregelung des § 229 Abs. 1 a SGB VI an die Seite gestellt (Art. 1 Nr. 8 des 2. SGB VI ÄndG). Nach dessen Satz 1 bleiben Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, die am 6. November 2003 (Tag der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs des 2. SGB VI ÄndG im Deutschen Bundestag) in einer weiteren Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig waren, in dieser Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig. Eine Berufung auf die Übergangsregelung soll indessen ausgeschlossen sein, wenn es schon nach dem vor dem Stichtag anzuwendenden Recht rechtsmissbräuchlich war, einen Ausschluss der Rentenversicherungspflicht anzunehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1893, a.a.O.).

Bei solchen Vorstandsbestellungen wie beim Beigeladenen, nämlich bis zum 6. November 2003, gewährt die Übergangsregelung des § 229 Abs. 1 a SGB VI danach grundsätzlich einen Vertrauensschutz für das alte Recht. Über den 31. Dezember 2003 hinaus schreibt § 229 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI den Versicherungsstatus nach altem Recht für solche Beschäftigungen bzw. rentenversicherungspflichtige selbstständige Tätigkeiten fort, die am Stichtag mit der Vorstandstätigkeit zusammentrafen.

Der Beigeladene in seiner Beschäftigung bei der Klägerin zu 3 unterliegt indessen auch zur Überzeugung des Senats bereits deshalb - weiterhin - der Rentenversicherungspflicht, weil seine Bestellung zum Vorstandsmitglied "einzig zur Umgehung der Rentenversicherungspflicht" und damit "missbräuchlich" vorgenommen worden ist und § 229 Abs 1a SGB VI schon aus diesem Grunde nicht zur Anwendung kommt. Denn der Gesetzgeber wollte die Anpassung des § 1 Satz 4 SGB VI a.F. an die nach seinen Beobachtungen etwa seit Mitte des Jahres 2003 einsetzende "Missbrauchswelle" nicht allein mit seiner Neufassung der Vorschrift zum 1. Januar 2004 - also nur zukunftsgerichtet - vollziehen, sondern darüber hinaus, was aus dem Bericht des 13. Ausschusses folgt (BT-Drucks 15/1893 S 12: "Klarstellung" des bisherigen Rechts), rückwirkend über eine "Interpretationsvorgabe" für das bisherige Recht bewerkstelligt sehen. Dies hat das SG in Anwendung der juristischen Auslegungsregeln ausführlich begründet dargelegt, weswegen der Senat insoweit auf die Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. SGG Bezug nimmt, denen er sich ausdrücklich anschließt.

Zentraler Gesichtspunkt hierfür ist, dass mit der Bestellung des Beigeladenen zum Vorstand keinerlei Stärkung seiner Stellung einherging, wie dies insbesondere seine Angaben in der mündlichen Verhandlung beim SG belegen. Danach sollte er keinerlei Vorstandstätigkeit ausüben, jedenfalls hat er eine solche nicht beschrieben, sondern durfte lediglich die Plattform - etwa die Hotline - benutzen. Dass es eines weiteren Vorstandsmitglieds nicht bedurfte, die Bestellung des Beigeladenen vielmehr nur zu dem Zweck erfolgte, die damit verbundene Rechtsfolge einer Versicherungsfreiheit der eigentlichen Tätigkeit des Beigeladenen herbeizuführen, wird weiter dadurch bestätigt, dass er bereits das 14. Vorstandsmitglied war, mit nur 250,- EUR vergütet wurde, was sich sicherlich, auch wenn es sich nur um eine Nebentätigkeit handelt, weit außerhalb des Rahmens von Vorstandsbezügen bewegt, und auch über keinerlei besondere Qualifikation zur Führung eines Unternehmens verfügte, vielmehr bislang einfacher Steuerfachgehilfe war, was auch in seiner Entlohnung zum Ausdruck kommt. Einzelheiten des Unternehmens konnte er nicht schildern, wusste noch nicht einmal, wann der Handelsregistereintrag erfolgte. Der Beigeladene war somit tatsächlich gar nicht als Vorstand tätig.

Zwar konnte nach dem Urteil des BSG vom 26. März 1992 (11 RAr 15/91, BB 1993, 442) die Anwendung des § 3 Abs 1a AVG nicht deshalb unterbleiben, weil das Vorstandmitglied keine herausragende und starke wirtschaftliche Stellung hatte, sondern im Schwerpunkt seiner Tätigkeit Angestellter einer anderen Firma war. Dies schließt es jedoch nicht aus, den Abschluss des Vorstandsvertrages im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zu bewerten. Schließlich findet nach allgemeiner Auffassung der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch im öffentlichen Recht Anwendung.

Im vorliegenden Fall ist zudem die gesetzgeberische Wertung in § 5 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI, wonach geringfügig selbständig Tätige nur in dieser Tätigkeit versicherungsfrei sind, zu berücksichtigen. Sowohl Entlohnung wie die zeitliche Inanspruchnahme des Beigeladenen durch seine angebliche Vorstandstätigkeit waren in diesem Sinne geringfügig. Für diesen Personenkreis hat der Gesetzgeber weiterhin ein Schutzbedürfnis gesehen, da ein Rentenversicherungsschutz nicht mit dem geringfügigen Einkommen, sondern anderweitig aufgebaut werden muss. Genauso verhält es sich bei dem Beigeladenen, der aus seinen geringfügigen Vorstandsbezügen keine eigenständige Rentenversicherung aufbauen kann. Darin liegt auch der entscheidende Unterscheid zu der Entscheidung des BSG vom 26. März 1992. Es geht hier nicht um die Frage, ob der Beigeladene als Vorstandsmitglied eine starke oder weniger starke Stellung hatte und welche Bedeutung einer daneben ausgeübten Tätigkeit zukommt. Vielmehr geht es darum, welche rechtlichen Schlussfolgerungen sich aus dem erkennbaren Zweck der Bestellung zum Vorstandsmitglied sowie der Tatsache, dass der Beigeladene faktisch gar nicht als Vorstandsmitglied tätig war, ergeben.

Die Annahme von Rechtsmissbräuchlichkeit, die sich daraus ergibt, dass es bei der Bestellung des Beigeladenen zum Vorstandsmitglied der AG allein um den Ausschluss seiner Versicherungspflicht ging, wird schließlich durch den Zusatzvertrag vom 03. Juni 2002 über die Verwendung der frei gewordenen Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Rentenversicherung belegt, der die Verknüpfung der Vorstandsbestellung allein mit dem Zweck, eine Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erreichen, zum Ausdruck bringt.

Die Berufung der Kläger war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, nachdem es sich um abgelaufenes Recht handelt, der Rechtsstreit daher keine grundsätzliche Bedeutung mehr hat.

Der Streitwert wird im Hinblick auf die festgestellten Versicherungsbeiträge nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG endgültig auf 26.515,51 EUR festgesetzt.
Rechtskraft
Aus
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