L 8 B 356/08 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 52 SO 490/07 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 B 356/08 SO ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

II. Auf die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird in Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 2007 die Antragsgegnerin verpflichtet, ab 1. November 2007 bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides monatlich 44,00 Euro zusätzlich zu leisten.

III. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin drei Viertel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.



Gründe:

I.
Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht München (SG) wegen der Übernahme der Kosten für eine Mietkaution für die ab 01.09.2007 gemietete Wohnung in der Athener Str. 11a in A-Stadt sowie weitere 44,00 Euro monatlich für die Kosten der Unterkunft.

Mit Beschluss vom 17.12.2007 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin die Kaution für die Wohnung Athener Str. 11 a in A-Stadt darlehensweise zu stellen und im Gegenzug die Antragstellerin verpflichtet, den Kautionsrückzahlungsanspruch an die Antragsgegnerin abzutreten. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt.

Zum 01.09.2007 bezog die am 19.10.1919 geborene Antragstellerin zusammen mit ihrem Sohn B. und ihrer Enkelin Irina B. eine Wohnung in A-Stadt. Zuvor bezog sie in Magdeburg bis zum 31.08.2007 Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Der Umzug wurde bei der Antragsgegnerin nicht vor Abschluss des Mietvertrages angezeigt. Die Grundmiete beträgt monatlich 890 Euro, die Nebenkosten 100 Euro, für Heizung und Warmwasser sind 100 Euro zu entrichten. Die Wohnungsgröße beträgt insgesamt 93 qm, die Antragstellerin hat einen Raum für sich zur Verfügung. Dazu erließ die Antragsgegnerin am 06.11.2007 einen Bescheid, mit dem sie der Antragstellerin Kosten der Unterkunft in Höhe von 228 Euro monatlich für Kaltmiete sowie 24,50 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 20,41 Euro für die Vorauszahlung für den Verbrauch von Heizung ohne Warmwasser gewährte. Der Antrag auf Übernahme der Kaution für die Wohnung wurde abgelehnt. Mit weiterem Bescheid vom 06.11.2007 erhielt die Antragstellerin Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von monatlich 811,19 Euro. Bei der Berechnung wurde ein Unterkunftsbedarf von 228 Euro monatlich zugrunde gelegt. Die Berechnung erfolgte aufgrund einer angemessenen Miete für drei Personen abzüglich des bei Sohn und Enkelin anerkannten Mietanteils. Zugrunde gelegt wurde dabei für diesen Dreipersonenhaushalt eine Wohnungsgröße von ca. 50 bis 75 qm mit monatlich 684 Euro. Nach dem aktuellen Mietspiegel für A-Stadt für das Jahr 2007 beträgt der Quadratmeter - Mietpreis für Wohnungen aus dem Baujahr 1967 bis 1977 bei 75 qm 9,53 Euro. Daraus ergibt sich eine Gesamtmiete bei 75 qm von 714,75 Euro.

Am 17.07.2007 bat die Antragstellerin um Zusendung der notwendigen Formulare. Am 27.08.2007 beantragte sie die Übernahme der Mietkaution für die Wohnung in der Athener Str. 11a und am 26.08.2007 die Anerkennung eines Mehrbedarfs nach § 30 SGB XII ab 01.09.2007.

Am 30.10.2007 hat die Antragstellerin beim SG eine einstweilige Anordnung auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zu Leistungen nach dem SGB XII für Kosten der Unterkunft und Heizung sowie die Mietkaution beantragt. Am 10.12.2007 hat der Sohn der Antragstellerin in einem Erörterungstermin erklärt, dass die Kaution für die Wohnung in der Athener Straße bislang noch nicht bezahlt worden sei.

Mit Beschluss vom 17.12.2007 hat das SG einen Anordnungsanspruch aus § 42 Nr. 5 i.V.m. § 34 Abs. 1 SGB XII für gegeben gehalten. Nachdem die Antragstellerin und deren Sohn bislang die Mietkaution nicht haben entrichten können, könne davon ausgegangen werden, dass die Übernahme der Kaution der Sicherung des neuen Mietverhältnisses diene. Die Kaution sei aber als Darlehen gegen Sicherheitsleistung (Abtretung des Kautionsrückzahlungsanspruchs) zu erbringen. Ein Anordnungsgrund sei gegeben, weil die Antragstellerin glaubhaft vorgetragen habe, über keine eigenen finanziellen Mittel zu verfügen. Hinsichtlich des Ausgleichs zu den vollen Mietkosten für einen Einpersonenhaushalt in der Wohnform einer Wohngemeinschaft sei die Rechtslage noch ungeklärt, da deswegen beim BSG eine Revision unter dem Aktenzeichen B 14/11 B AS 61/06 R anhängig sei. Insoweit sei der Antragstellerin ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zuzumuten.

Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 11.01.2008 Beschwerde eingelegt, die bis heute nicht begründet ist. Das SG hat die Vorgänge am 24.04.2008 dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) vorgelegt.

Am 19.05.2008 hat die Antragstellerin Anschlussbeschwerde eingelegt mit dem Antrag, ihr auch angemessene Leistungen für Unterkunft und Heizung sicherzustellen.

II.

Die form und fristgerechten Beschwerden sind zulässig, §§ 172, 173 SGG. Das SG hat ihnen nicht abgeholfen, § 174 SGG.

Insbesondere ist die Anschlussbeschwerde wie eine Anschlussberufung zulässig (Mayer-Ladewig, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, Rn. 4a vor § 172). Seit der Zivilprozreform von 2001 gibt es nur noch die unselbstständige Anschlussberufung. Diese ist an keine Fristen gebunden, es besteht auch keine Bindung des Gerichts an den Antrag des Berufungsführers; es kann zu seinen Ungunsten entscheiden und wird vom Verbot der reformatio in peius befreit (vgl. zu alldem Mayer-Ladewig, am angegebenen Ort 5 ff zu § 143).

Die Beschwerde ist nicht begründet; der Antrag der Beschwerdegegnerin ist zum Teil begründet.

Statthaft ist hier gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG eine sogenannte Vornahmesache zur Regelung eines zukünftigen vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis. Danach ist eine Anordnung des Gerichts zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Das ist dann der Fall, wenn der geltend gemachte Anspruch dem Beschwerdeführer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht (glaubhaft gemachter Anordnungsanspruch) und wenn ohne Eilrechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Rechtsverletzung droht (Anordnungsgrund) (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO), sowie bei besonderen Fallgestaltungen die Interessen des Ast. auch sonst überwiegen (im folgenden unter 3.).

Hinsichtlich der Anordnung des SG bezüglich der Mietkaution (Ziffer 1 des Beschlusses vom 17. Dezember 2007) wird der Sachdarstellung und Begründung voll beigetreten
(§§ 142 Abs. 1, 136 Absatz 2 und 3 SGG).

Die Anschlussbeschwerde hat zum Teil Erfolg.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde (dazu LSG Hessen, Beschluss vom 14.03.2006, Az.: L 7 SO 4/06 ER, juris Rdnr. 18; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.10.2007, Az.: L 28 B 1637/07 AS ER, juris Rdnr. 3; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rdnr. 42) besteht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anordnungsanspruch. Das BSG hat am 18. Juni 2008 in der Sache B 14/11b AS 61/06 R entschieden, dass die Auffassung des dort beklagten Grundsicherungsträgers, dass unabhängig vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft bei einem Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft vom Grundsicherungsträger nur die anteiligen Kosten der Unterkunft zu tragen seien, im Gesetz keine Grundlage finde. Die Vorinstanzen seien zu Recht davon ausgegangen, dass für eine alleinstehende Person wie den Kläger eine Wohnungsgröße von 50 qm als angemessen anzusehen sei, ohne dass es darauf ankomme, ob sie tatsächlich mit einer weiteren Person in einer Wohnung zusammen lebe.

Hinsichtlich der Differenzkosten für angemessene Kosten der Unterkunft in Höhe von 44,00 Euro ist damit ein positiver Ausgang des Hauptsacheverfahrens wahrscheinlich. Damit ist angesichts des Lebensstandardniveaus, mit dem die Antragstellerin zu Recht kommen muss, auch ein Anordnungsgrund glaubhaft.

Darüber hinaus erscheinen aber - wie das SG zu Recht ausführt - die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegten Höchstsummen für eine angemessene Unterkunft nicht nachvollziehbar, da sie keine Grundlage in dem Mietspiegel für A-Stadt aus dem Jahr 2007 finden. Als angemessen gelten Unterkunftskosten, welche den unteren Bereich der dafür vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsberechtigten marktübliche Wohnungsmieten nicht übersteigen.

Wegen des Verhältnisses von Obsiegen und Unterliegen hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin dreiviertel ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten (§ 193 SGG analog).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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