L 17 U 235/08 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 339/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 235/08 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag der Beklagten, die Vollstreckung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 25.02.2008 auszusetzen, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

In der Hauptsache streiten die Beteiligten über die Anerkennung und Entschädigung des von der Ehefrau des Klägers zu 1. und Mutter der Kläger zu 2. bis 4. am 01.04.2005 erlittenen tödlichen Fahrradunfalls. Die Verunfallte war bei der Beklagten als selbstständige Krankengymnastin freiwillig versichert.

Der Kläger zu 1. hatte den Unfall seiner Ehefrau erst am 08.02.2006 gemeldet. Er gab an, bis zur Zusendung einer Beitragsrechnung der Beklagten nicht gewusst zu haben, dass seine Ehefrau bei der Beklagten freiwillig versichert gewesen sei. Zum Unfallhergang teilte er der Beklagten mit, seine Ehefrau habe am Unfalltag mit den Klägern zu 2. bis 4. mit den Fahrrädern zum Eisessen fahren wollen, zuvor habe sie noch Terminzettel verteilen und einen Hausbesuch machen wollen. Sie sei deshalb den Kindern vorausgefahren und dabei verunfallt.

Die Beklagte lehnte die Anerkennung und Entschädigung des Unfalls mit Bescheiden vom 25.07.2006 idF der Widerspruchsbescheide vom 06.11.2006 mit der Begründung ab, es habe nicht mit der erforderlichen Gewissheit geklärt werden können, ob die Versicherte zum Unfallzeitpunkt sich bei einer versicherten Tätigkeit befunden habe.

Das Sozialgericht (SG) G-Stadt hat die Beklagte mit Urteil vom 25.02.2008 verpflichtet, den Unfall vom 01.04.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und hieraus Leistungen zu gewähren. Das SG hat sein Urteil auf den für das Gericht glaubhaften und in sich widerspruchsfreien Vortrag des Klägers zu 2. gestützt, wonach seine Mutter mit ihm und seinen Geschwistern verabredet habe, dass sie mit dem Fahrrad vorausfahre und Terminzettel verteile sowie einen Hausbesuch bei der Patientin M. durchführen und sich erst danach mit ihren Kindern treffen wollte, um zu einer Eisdiele zu fahren.

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und sinngemäß beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Ferner hat sie beantragt, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das SG habe seine Entscheidung ausschließlich auf die Aussagen des Klägers zu 2. und der bei der Verunfallten beschäftigten Zeugin B. gestützt. Eine Auseinandersetzung der Argumente, die für oder gegen das Vorliegen eines Arbeitsunfalles sprächen, sei nicht erfolgt. Auf der Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG ergäben sich jedoch einige Ermittlungsansätze, denen noch nachgegangen werden sollte. Die Beklagte hat deshalb u.a. beantragt, Ermittlungen bei Dr.F. durchzuführen, ob zwischen dem 11.02.2005 und dem 31.03.2005 eine Folgeverordnung für die Behandlung der Patientin M. ausgestellt worden sei.

Der Kläger beantragt, den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung zurückzuweisen. Das Rechtsmittel der Berufung habe keine Aussicht auf Erfolg (Schriftsatz vom 30.04.2008).

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogene Unfallakte der Beklagten, die Akten des SG Az: S 5/U 339 – 342/06 sowie die Akte des Bayer. Landessozialgerichts Az: L 17 U 168/08 und die Akte im vorliegenden Verfahren Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 154 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bewirkt die Berufung eines Versicherungsträgers Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Keine aufschiebende Wirkung tritt dagegen kraft Gesetzes für die Zeit nach Erlass des Urteils ein, wenn ein Versicherungsträger verurteilt wurde, dem Kläger eine Rente zu zahlen. Der Versicherungsträger ist daher verpflichtet, die sog. "Urteilsrente" einzuweisen, die der Kläger aber wieder zu erstatten hat, wenn das Urteil des Erstgerichts auf die Berufung hin oder in einem eventuellen Revisionsverfahren aufgehoben wird.

Auf Antrag oder von Amts wegen kann jedoch der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats des Landessozialgerichts (LSG) gemäß § 199 Abs 2 Satz 1 SGG durch einstweilige Anordnung die Vollstreckung aus dem Urteil aussetzen, soweit die Berufung gemäß § 154 Abs 2 SGG keine aufschiebende Wirkung hat. Die Entscheidung gemäß § 199 Abs 2 SGG ergeht nach Ermessen. Dabei sind die schutzwürdigen Sicherungs- und Erhaltungsinteressen beider Beteiligter abzuwägen, insbesondere auf den voraussichtlichen Erfolg der Berufung Rücksicht zu nehmen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8.Aufl, § 199 RdNr 8). Die Aussetzung der Vollstreckung kommt nicht nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die Regelung des § 154 Abs 2 SGG, wonach die aufschiebende Wirkung von Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde für bestimmte
Fälle (zwingend) angeordnet ist, zwingt nicht zu der Schlussfolgerung, dass sonst im Einzelfall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Ein Regel-/Ausnahmeverhältnis kann dem Gesetz nicht entnommen werden (vgl. Zeihe in SGb 94, 505; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aao RdNr 8a unter Verweisung auf BSG Beschluss vom 06.05.1960 – BSGE 12, 138;
BSG Beschluss vom 05.09.2001 – B 3 KR 47/01 R -). Der Richter muss unerwünschte Folgen einer etwaigen Überzahlung verhindern, soweit ihm das Gesetz dies erlaubt. Das ist durch die klare Ermessensregelung in § 199 Abs 2 SGG der Fall (Zeihe aaO S 506). Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats ist auch in anderen Fällen als der offensichtlichen Erfolgsaussicht der Berufung die Aussetzung zulässig. Eine Bindung an eine feste Regel existiert nicht (ebenso Thüringer LSG, 6.Senat, Beschluss vom 14.09.2004, Az: L 6 Kr 621/04 ER, juris Recherche). Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels nicht überschaubar, kommt es auf die Abwägung der betroffenen Interessen unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung und Dringlichkeit sowie der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen späteren Rückgängigmachung des Anspruchs an. Dazu gehört auch die Aussicht des Leistungsträgers, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die gewährten Leistungen zurückzuerhalten (LSG Baden-Württemberg, 8. Senat, Beschluss vom 26.01.2006, Az: L 8 AS 403/06 ER mwN, juris Recherche).

Vorliegend überwiegt das Interesse der Kläger an der Vollziehung des Urteils das Interesse der Beklagten, nicht vor endgültiger Klarstellung der Sach- und Rechtslage keine Leistungen erbringen zu müssen. Bei der im Rahmen des Aussetzungsbegehrens gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht der Berufung erscheint ein Erfolg der Berufung wenig wahrscheinlich. Das Urteil des SG stützt sich u.a. auf die Aussage des Klägers zu 2. Das SG konnte zu der Überzeugung gelangen, dass sich der Sachverhalt wie vom Kläger zu 2. vorgetragen ereignet hat, weil es den Kläger zu 2. für glaubwürdig und seinen Vortrag als widerspruchsfrei erachtet hat. Die Beklagte hat keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit
des Klägers zu 2. geäußert. Das SG hat dessen Aussage nach Sachlage zu Recht für widerspruchsfrei gehalten. Die von der Beklagten beantragten weiteren Beweiserhebungen können aller Voraussicht nach die Plausibilität und Glaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen zu 2. nicht erschüttern. So weisen die Kläger bereits im Schriftsatz vom 07.03.2007 nachvollziehbar darauf hin, dass wenn eine Person
(wie Frau M.) in Dauerbehandlung ist, diese durchgehend behandelt wird, auch wenn ein neues Rezept noch nicht ausgestellt ist. Die Beweisanträge der Beklagten erscheinen insgesamt bei summarischer Prüfung unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses des SG als unbehelflich.

Diese Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs 2 Satz 3 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG in entsprechender Anwendung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 199 RdNr 7c).
Rechtskraft
Aus
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