L 14 R 269/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 R 432/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 269/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12. Februar 2007 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 28. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2004 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1962 geborene Klägerin war beruflich in verschiedenen Stellungen als angelernte Näherin, Wäscherin, Küchenhilfe, Kettlerin in einer Strickerei und zuletzt bis Mitte 2002 als Ladnerin in einer Reinigung tätig. Seitdem ist sie arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.

Ihren am 03.04.2003 mit "psychische Erkrankung, HWS-Leiden" begründeten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.11.2003 ab. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei zwar durch "Recessusstenose L 5 rechts, Zustand nach Dekompression in Höhe von L 5 rechts am 30.07.2003, Knochensmarködem in med. Tibiaplateau links, Zustand nach AM-Resektion linkes Kniegelenk, anam. Zustand nach Cage 3/03, psychovegetative Erschöpfung und rez. Gastritiden" beeinträchtigt; sie könne jedoch noch 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Vorangegangen waren bei der Klägerin verschiedene operative Eingriffe an Wirbelsäule und Kniegelenken sowie medizinische Reha-Maßnahmen bzw. Anschluss-Heilverfahren in den Jahren 1999, 2001, im Mai/Juni 2003 sowie im August/September 2003.

Laut Entlassungsbericht der Reha-Klinik Sch. vom 27.06.2003 war die Klägerin hier mit den Diagnosen "Zustand nach ventraler Nukleotomie C5/6 mit Spondylodese mittels P-Cage am 18.03.2003 bei NPP C 4/5, C 6/7 mit sensibl. D., Zust. n. Nukleotomie L 3/4 und L 4/5 am 11.07.02 mit Restschmerzsymptomatik und sensibl. ohne motor. Defizite, Zustand nach IM-Teilresektion linkes Knie 9/02 ohne funktionelle Defizite, Verdacht auf posttraumat. Belastungsstörung" im Hinblick auf die letzte Tätigkeit als Ladnerin als arbeitsunfähig entlassen worden, jedoch mit der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit für leichte, gelegentlich auch mittelschwere Tätigkeiten in konsequentem Wechselrhythmus zwischen überwiegendem Gehen und gelegentlichem Sitzen und Stehen ohne dauerndes Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne ständiges Bücken und einseitige Körperhaltungen sowie ständige Überkopftätigkeit ohne ungünstige klimatische Verhältnisse (Zugluft, Kälte, Nässe).

Laut Entlassungsbericht der Rheuma-Klinik F. (Anschluss-Heilbehandlung vom 19.08.-23.09.2003 nach LWS-OP; Diagnosen: "Recessus-Stenose L 5 rechts, Zustand nach. Dekompression in Höhe von L 5 re. am 30.07.2003, Knochenmarksödem im med. Tibiaplateau links, Zustand nach AM-Resektion linkes Kniegelenk, anamn. BSV HWK 3/4, 4/5 und 5/6, anamn. Zustand nach Cage 3/03") war die Klägerin ebenfalls als arbeitsunfähig, aber mit der Einschätzung eines vollschichtigen Leistungsvermögens für leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen (u.a. leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen) entlassen worden.

Mit ihrem Widerspruch gegen diesen Bescheid brachte die Klägerin unter Beifügung verschiedener ärztlicher Befunde vor, sie sei nach zwei Knieoperationen, zwei Lendenwirbelsäulen- und einer Halswirbelsäulen-Operation erheblich beeinträchtigt und wegen eines chronischen Schmerzsyndroms und eines depressiven Syndroms nicht mehr in der Lage, einer Tätigkeit nachzugehen.

Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Arzt für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. B. am 23.02.2004 untersuchen und begutachten. Dieser erhob die Diagnosen: "Post-laminektomie-Syndrom nach ventraler Nukleotomie C 5/6 3/2003 und Fusionsoperation (Spondylodese) sowie Cage-Anlage; Kreuzschmerzen nach Bandscheibenoperationen
L 3/L4 und L 4/5 7/2002; Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenkes bei Zustand nach Innenmeniskus-Teilresektion (9/2002) und Tibiakopfanbohrung (26.01.2004) wegen Knochenmarködem am Tibiakopf".
In seiner sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung bejahte Dr. B. ein verbliebenes Leistungsvermögen für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überwiegend im Sitzen, mit gelegentlichem Gehen und Stehen täglich sechs Stunden und mehr. Eine neuropsychiatrische Begutachtung hielt Dr. B. wegen des psychisch unauffälligen Zustandes der Klägerin nicht für erforderlich.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.04.2004 zurück.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie fügte aktuelle Atteste der behandelnden Ärzte Dr. R., Orthopäde, ("kein überwiegendes Sitzen"), Dr. P., Psychiater und Psychotherapeut, ("chronisches Schmerzsyndrom und depressive Erkrankung mit hoher Chronifizierungstendenz, keine
6-stündige Erwerbstätigkeit mehr") und Dr. Sch., Allgemeinarzt, ("keine kontinuierliche Arbeitstätigkeit von mehr als drei Stunden wegen krankhafter Veränderungen von WS und Hüftgelenken") bei. Außerdem wurde der Entlassungsbericht der Klinik Johannesbad vom 11.08.2004 über eine konservative stationäre Therapie ("therapieresistentes exacerbiertes PNS mit L 5-Reizung bds. bei BSV L 4/5, Cervikobrachialgie links ..., Reizknie links ...") vorgelegt.

Das SG beauftragte im Rahmen der Beweisaufnahme die Sachverständigen Dr. G,
Dr. F., Dr. M. und Dr. S. mit der Erstellung von Gutachten auf nervenärztlichem und auf orthopädischem Fachgebiet.

Der Neurologe und Psychiater Dr. G diagnostizierte in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 31.01.2005 auf psychiatrischem Gebiet eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzistischen und dependenten Anteilen sowie eine depressive Symptomatik mit endogenen Anteilen und reaktiven Momenten, auf neurologischem Gebiet ein chronifiziertes HWS- und LWS-Syndrom mit sensiblen Wurzelreizerscheinungen.
Nach seinen Ausführungen machten die seit 2003 vorliegenden neurologischen Gesundheitsstörungen lediglich qualitative Leistungseinschränkungen erforderlich; auf psychiatrischem Gebiet schränke die seit 1999 mehr und mehr im Vordergrund stehende depressive Symptomatik bei kombinierter Persönlichkeitsstörung die Leistungsfähigkeit dagegen teilweise auch zeitlich ein. Die Symptomatik sei hinsichtlich der Psychopathologie und Behandlungsproblematik bereits in einem Heilverfahrens-Entlassungsbericht vom 08.11.1999 zutreffend gewürdigt worden.
(Anmerkung: psychosomatisches Heilverfahren in der 1-Klinik S. nach traumatischen Erlebnissen im Rahmen der zweiten, inzwischen geschiedenen Ehe der Klägerin, damalige Entlassung mit den Diagnosen: "kombinierte Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und narzistischen Anteilen, reaktive Depression, HWS- und LWS-Syndrom" als arbeitsunfähig als Kettlerin, aber vollschichtig leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei Arbeiten ohne zu langes Sitzen).

Insgesamt vertrat der Gutachter Dr. G die Auffassung, es seien der Klägerin weiterhin leichte und nur gelegentlich mittelschwere Arbeiten abwechselnd im Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen ohne schweres Heben und Tragen und ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit möglich. Gestützt auf die Angaben der Klägerin, dass es ihr in den Wintermonaten ab Mitte Dezember immer besonders schlecht gehe, nahm Dr. G allerdings seit Herbst 2004 bis zum zu erwartenden Abklingen der - grundsätzlich durch Antidepressiva behandelbaren - depressiven Symptomatik im Frühjahr 2005 ein nurmehr 4-stündiges tägliches Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt an; danach sei wieder von einem Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr auszugehen.

Der Gutachter führte dazu weiter aus, die Einschränkung der vollschichtigen Leistungsfähigkeit sei im Februar 2003 (Gutachten Dr. B.) noch nicht vorhanden gewesen, es sei aber anzunehmen, dass die jetzige Symptomatik auch im Zeitraum von Oktober 2003 bis Januar 2004 vorgelegen habe.
Die Umstellungsfähigkeit der Klägerin auf andere Tätigkeiten zumindest einfacher Art bejahte der Gutachter.

Die Beklagte verwies in einer Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes darauf, dass nach der Leistungsbeurteilung des Dr. G von nur vorübergehender Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab Oktober 2003 auszugehen sei.

Auf Antrag der Klägerin erstellte der Arzt für psychotherapeutische Medizin Dr. F. gem. § 109 SGG das nervenärztliche Gutachten vom 01.08.2005.
Anders als Dr. G konnte Dr. F. auf neurologischem Gebiet keinen Befund erheben. Er sprach von einer unspezifischen Beschwerdesymptomatik, die allein dem Gelenk- und Bandapparat der Wirbelsäule sowie der Kniegelenke zuzurechnen sei, ohne dass neuronale Strukturen tangiert würden - wie dies auch die behandelnde Neurologin Dr. W. im Januar 2003 festgestellt habe.
Auch sichere depressive Phasen oder Störungen konnte Dr. F. nicht erheben.
Er diagnostizierte "ein dysphorisch klagsam-vorwurfsvolles Affekt-Syndrom, am ehesten im Sinne einer Dysthymie" mit wechselnden Beschwerden und Beeinträchtigung der psychischen und emotionalen Stabilität, der affektiven Kontrolle und Schwingungsfähigkeit, des Schmerzempfindens, der Herzfunktion (Herzrasen), des Bewegungsmusters beim Gehen. Anhaltspunkte für eine somatoforme autonome Schmerzstörung sah der Gutachter (noch) nicht.
Er führte u.a. dazu aus, die Klägerin sehe sich in vielfältiger Hinsicht als Opfer ihrer Lebensumstände, sie erfahre dadurch einen sekundären Krankheitsgewinn, eine Veränderungsmotivation bestehe letztlich nicht.

Auch Dr. F. hielt regelmäßige Arbeitsleistungen für möglich, allerdings eingeschränkt auf leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen, möglichst in geschlossenen Räumen und abwechselnd im Gehen, Stehen und Sitzen in einem Umfang von 4-6 Stunden und mit zusätzlichen Arbeitspausen von 2 x 1/4 Stunde pro Arbeitstag; eine darüber hinausgehende Arbeitsleistung von mehr als 6 Stunden sei wegen der körperlichen und mentalen Funktionsbeeinträchtigungen nicht möglich.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31.10.2005 zu den unterschiedlichen diagnostischen und prognostischen Einschätzungen in den beiden nervenärztliche Gutachten blieb der Vorgutachter Dr. G bei seiner bisherigen Auffassung; im Zeitpunkt seiner Untersuchung im Dezember 2004 habe wegen des Vorliegens einer depressiven Verstimmung eine deutliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf etwa 4 Stunden tgl. vorgelegen, mit deren Abklingen im Frühjahr 2005 mit der Folge einer zeitlich nicht mehr eingeschränkten Leistungsfähigkeit zu rechnen gewesen sei.

Im Hinblick auf die unterschiedliche Einschätzung der beiden nervenärztlichen Gutachten beauftragte das SG die Ärztin für Psychiatrie/Psychotherapie und Sozialmedizin Dr. M. mit der Erstellung des Psychiatrischen Gutachtens vom 17.03.2006.
Diese diagnostizierte nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Aktenvorgeschichte und den Angaben der Klägerin bei der Untersuchung "Dysthymie im Sinne einer chronisch depressiven Entwicklung, derzeit leicht- bis mittelgradige Episode, Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung, chronische Schmerzen der HWS bei Zustand nach OP wegen Bandscheibenprolaps C 5/6 (2003), chronische Schmerzen der LWS bei Zustand nach OP wegen Bandscheibenprolaps L 3/4 und L 4/5 (2002)".

Fachfremd erwähnte die Gutachterin einen Zustand nach wiederholten Knieoperationen bds., zuletzt 12/2005 mit Außenmeniskusteilresektion rechts, aktuelle Beschwerden vorwiegend im rechten Knie.

Eine wesentliche Änderung in der Befunderhebung gegenüber den Vorgutachten von
Dr. G und Dr. F. sah die Gutachterin nicht. Sie vertrat die Auffassung, die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden tgl. körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Ausgangsposition ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit (Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht), ohne schweres Heben und Tragen und ohne Zwangshaltungen durchführen.
Wegen der im Februar 2003 und sechs Monate danach bestehenden ausgeprägten halswirbelsäulenabhängigen Beschwerden und der im März 2003 folgenden Bandscheibenoperation C 5/6 habe Arbeitsunfähigkeit bestanden, von einer dauerhaften erheblichen Minderung der Leistungsfähigkeit sei insoweit aber nicht auszugehen.

Dr. M. empfahl eine orthopädische Begutachtung der Klägerin.

Dieses Gutachten erstattete der Orthopäde und Rheumatologe Dr. S. am 05.05.2006.
Die Klägerin legte zuvor weitere Unterlagen über inzwischen erfolgte erneute Untersuchungen und operative Eingriffe vor (Außenmeniskusteilresektion rechts am 09.12.2005, OP einer Bakerzyste rechtes Knie und Knorpelglättung rechts sowie eines schnellenden Fingers rechts am 23.03.2006).

Dr. S. erhob auf orthopädischem Gebiet "ein sekundäres fibromyalgisches Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Ursachen, eine Bewegungseinschränkung der HWS und LWS nach doch sehr eingreifender Operation im HWS-Bereich, eine Schultergelenkserkrankung sowie eine doppelseitige Kniegelenksarthrose mit Knorpelschädigung". Hinzugekommen seien seit der Vorbegutachtung im Rentenverfahren eine Tietze´sche Erkrankung, eine endgradige Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenkes und das Impingementsyndrom beider Schultern.
Die Körperfunktionen seien durch diese Gesundheitsstörungen deutlich eingeschränkt. Es könnten nur mehr leichte - keinesfalls auch mittelschwere - Tätigkeiten abwechselnd im Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen ohne schweres Heben und Tragen verrichtet werden.
Der zeitliche Umfang des Leistungsvermögens sei bei Berücksichtigung der Summation der psychischen und somatischen Veränderungen ab dem Untersuchungszeitpunkt auf unter 6 Stunden (5 Stunden) abgesunken anzusehen. Eine Besserung sei bei geeigneter orthopädischer und psychosomatischer Behandlung innerhalb von zwei Jahren möglich.

Nach Einwendungen des Ärztlichen Dienstes der Beklagten (Stellungnahmen Dr. L. bzw. Dr. LX vom 31.05.2006, 09.08.2006 und 21.01. 2007), dass aus orthopädischer Sicht eine Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens an Hand der erhobenen Befunde nicht begründbar und mangels eines neuen psychopathologischen Sachverhalts von der von Dr. M. unter Berücksichtigung eines Schmerzsyndroms vorgenommenen Leistungsbeurteilung auf diesem Gebiet auszugehen sei, blieb Dr. S. in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 15.07.2006 und 29.08.2006 bei seiner Einschätzung. Er verwies u.a. auf eine organisch bedingte gesteigerte Schmerzempfindlichkeit bei der Klägerin; es sei eine Synthese der leistungsmindernden Krankheitserscheinungen auf nervenärztlichem Gebiet und den somatisch fassbaren Veränderungen am Bewegungssystem erforderlich.

Die Beklagte hielt die Leistungseinschätzung weiterhin für nicht nachvollziehbar. Trotz des "Syntheseprinzips" ergebe sich aus der gesamten medizinischen Dokumentation kein tragfähiger Befund am Stütz- und Bewegungsapparat, der eine zeitliche Leistungsminderung begründen könne.

Das SG verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 12.02.2007, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit für die Zeit vom 01.12.2006 bis 30.11.2008 dem Grunde nach zu zahlen. Es stützte sich auf die Gutachten der Dres. M. und S. und führte - ohne nähere Beweiswürdigung oder Auseinandersetzung mit den Einwendungen des Ärztlichen Dienstes der Beklagten - aus, die Klägerin könne seit 05.05.2006 nur noch leichte Arbeiten in wechselnder Position in geschlossenen Räumen ohne schweres Heben und Tragen etwa 5 Stunden täglich verrichten.

Mit der Berufung bringt die Beklagte unter Hinweis auf die bisherigen Stellungnahmen ihres Ärztlichen Dienstes gegen dieses Urteil vor, es verstoße gegen § 128 SGG, denn es enthalte keine ausreichende Würdigung der im Rahmen des qualifizierten Parteivorbringens vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen. Die gutachtlichen Ausführungen des Dr. S. seien nach wie vor nicht nachvollziehbar. Aus der gesamten medizinischen Dokumentation ergebe sich kein tragfähiger Befund des Stütz- und Bewegungsapparates, der eine zeitliche Leistungsminderung begründen könne. Zumindest leichte körperliche Arbeiten mit gewissen Funktionseinschränkungen könne die Klägerin auch bei Berücksichtigung der laut Dr. S. vorhandenen fibromyalgisch gefärbten Schmerzkrankheit mit depressiver Komponente noch verrichten.

Mit Beschluss vom 24.04.2007 setzte der Senat die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz aus.

Während des Berufungsverfahrens bewilligte die Beklagte auf Antrag der Klägerin medizinische Leistungen zur Rehabilitation in F., die die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen jedoch dreimal nicht antrat. Die Beklagte sah den Bewilligungsbescheid vom 02.04.2007 danach als gegenstandslos an.

Der Senat holte aktuelle Befundberichte und ärztliche Unterlagen der behandelnden Ärzte Dr. Sch., Dr. GX. und Dr. P. ein, ferner eine umfangreiche Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der Beklagten (Dr. LX vom 28.01.2008) dazu. Für Dr. LX ergab sich auf Grund der zahlreichen neuen Unterlagen kein grundsätzlich neuer medizinischer Sachverhalt, an der Leistungsbeurteilung der Gutachterin Dr. M. habe sich nichts geändert; im Falle einer erneuten Beweisaufnahme empfahl er jedoch Begutachtungen auf nervenärztlichem und chirurgisch-orthopädischem Gebiet.

Der Senat teilte der Klägerseite mit Schreiben vom 07.02.2008 mit, dass er das nervenärztliche Gutachten der Dr. M. weiterhin für aussagekräftig halte, aber eine orthopädische Begutachtung beabsichtige.

Der mit der erneuten Feststellung der Gesundheitsstörungen der Klägerin seit Antragstellung im Februar 2003 beauftragte Orthopäde Dr. H. fand auf Grund seiner Untersuchung der Klägerin und Befundung des von dieser zur Untersuchung mitgebrachten neuen bildtechnischen Materials (Aufnahmen des rechten Ellenbogens in zwei Ebenen vom 14.03.2008, Papierkopien eines Ganzkörper-Skelett-Szintigrammes vom 11.10.2007) keine wesentlichen Befundänderungen gegenüber der Vorbegutachtung durch Dr. S. im erstinstanzlichen Verfahren im Mai 2006.
Er diagnostizierte ein "ortsständiges Cervikal- und Lumbalsyndrom sowie operativ gesicherte mäßige Verschleißerscheinungen an beiden Kniegelenken". Hierdurch seien leichte Bewegungseinschränkungen des Achsorgans bedingt, an den größeren und kleineren Gelenken und im Kniegelenksbereich seien dagegen keine zuzuordnenden Funktionseinschränkungen festzustellen. Die vorausgegangenen Wirbelsäulenoperationen hätten keine erkennbar gravierenden Folgen hinterlassen, zudem blieben leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus auf Grund dieser Operationen regelmäßig möglich.

Der Gutachter, der wegen der erhobenen Funktionsbefunde und der vorhandenen Unterlagen nach vielfältigen operativen Behandlungen auf erneute Röntgenaufnahmen verzichtete, vertrat im Gegensatz zu Dr. S. die Auffassung, die Klägerin könne leichten bis gelegentlich mittelschweren Arbeiten im Wechselrhythmus nachgehen, quantitative Einschränkungen seien dagegen nicht zu begründen. Zwar bestehe wohl auch die von Dr. S. berücksichtigte psychische Komorbidität, eine solche erfordere aber grundsätzlich eine entsprechende Exploration auf psychiatrischem oder psychotherapeutischem Fachgebiet, wie sie im vorliegenden Fall auch sehr ausführlich durch Dr. M. erfolgt sei. Dabei habe sich ein nicht eingeschränktes quantitatives Leistungsvermögen ergeben; für eine weitere diesbezügliche Begutachtung bestehe keinen Anlass.
Eine Einschränkung der Wegefähigkeit auf Grund der Funktionsbefunde der unteren Gliedmaßen sah der Gutachter nicht als gegeben an (Gutachten vom 04.06.2008).

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12. Feburar 2007 aufzuheben und die
Klage gegen den Bescheid vom 28. November 2003 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 6. April 2004 abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die nach ihrer Meinung zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Beklagtenakten, die Schwerbehindertenakten des Zentrums Bayern für Familie und Soziales, Region Niederbayern in A-Stadt, und die ebenfalls beigezogene Akte L 15 VG 19/07 des BayLSG Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig; sie erweist sich auch als begründet.

Das angefochtene Urteil ist nicht nur wegen des von der Beklagten zu Recht gerügten Verstoßes gegen § 128 SGG (fehlende bzw. nicht ausreichende Würdigung der Beweisaufnahme und des qualifizierten Parteivorbringens der Beklagten) unzulänglich, es kann auch in der Sache keinen Bestand haben.

Streitig ist in der Berufungsinstanz allein der vom Erstgericht zugesprochene Anspruch der Klägerin auf befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.12.2006 bis 30.11.2008 dem Grunde nach. Anschlussberufung hat die Klägerin nicht eingelegt.

Die Voraussetzungen einer vollen Erwerbsminderung nach § 43 Abs.2 S. 2 SGB VI (Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mehr unter drei Stunden täglich)
oder auch einer teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs.1 S. 2 SGB VI (Leistungsvermögen unter sechs Stunden täglich) liegen in dem genannten Zeitraum - ebenso wie in der gesamten Zeit seit Antragstellung im Februar 2003 - nicht vor.

Dies steht für den Senat auf Grund der Beweisaufnahme in beiden Instanzen fest.

Mit dem Erstgericht ist der Senat der Auffassung, dass hinsichtlich der psychischen Symptomatik bei der Klägerin im Wesentlichen auf das in sich schlüssige letzte nervenärztliche Gutachten der Dr. M. abzustellen ist, in welchem eine wesentliche Änderung in den Gesundheitsstörungen der Klägerin seit der Antragstellung nicht festgestellt werden konnte und ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen verneint wurde. Dagegen konnten weder das Gutachten des Dr. G noch das Gutachten des Dr. F., dessen Verdienst in dem Herausarbeiten der Hintergründe der Erkrankungen der Klägerin besteht, in den sozialmedizinischen Schlussfolgerungen (zeitliche Leistungseinschränkung wegen phasenhaft auftretender depressiver Verstimmung von Herbst 2005 bis Frühjahr 2006 und zuvor von Oktober 2003 bis Januar 2004 bei Dr. G, zeitliche Leistungseinschränkung, zusätzlich notwendige Arbeitspausen bei Dr. F.) nicht überzeugen. Bei den von Dr. G aufgeführten Zeiten ist mit dem Ärztlichen Dienst der Beklagten am ehesten von vorübergehender Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Im Gutachten des Dr. F. fehlt eine nachvollziehbare Begründung für die neben den von ihm aufgeführten qualitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit (leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Heben und Tragen von Lasten in geschlossenen Räumen) angenommene zusätzliche quantitative Leistungseinschränkung auf 4 bis unter 6 Stunden nebst zusätzlichen Arbeitspausen. Dies "in Übereinstimmung mit der Selbsteinschätzung der Klägerin" getroffene Beurteilung erschließt sich dem Senat auch nicht durch den Hinweis des Gutachters, es lägen neben den mentalen Funktionsbeeinträchtigungen auch körperliche Beeinträchtigungen auf orthopädisch-chirurgischem Gebiet vor.

Dr. M. kam nach kritischer Auseinandersetzung mit den Vorgutachten des Dr. G und des Dr. F. zu dem auch für den Senat überzeugenden Ergebnis, dass die Klägerin wegen einer Dysthymie und Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung jedenfalls noch leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Ausgangslage ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, insbesondere durch Zeitdruck und Schichtdienst, aber auch ohne Heben und Tragen von Lasten und Zwangshaltungen, mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne.

Durch die zu den Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet hinzutretenden Gesundheitsstörungen im orthopädischen Bereich, von Dr. H. zuletzt zusammengefasst als "Cervikal- und Lumbalsyndrom und mäßige Verschleißerscheinungen an den Kniegelenken", ergeben sich entgegen der Auffassung des Dr. S. keine zusätzlichen qualitativen Einschränkungen, insbesondere nicht in zeitlicher Hinsicht. Seine gegenteilige und sehr kontrovers diskutierte Auffassung, auf die sich das Erstgericht stützte, erschien dem Senat angesichts der vorangegangenen gründlichen Abklärung auf nervenärztlichem Gebiet durch Dr. M. ohne deren Feststellung eines zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens bereits an sich nicht nachvollziehbar, zumal Dr. S. eine entsprechende Darstellung der Wechselwirkung der Erkrankungen auf beiden Gebieten schuldig blieb. Tragfähige Befunde für die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung wurden letztlich nicht genannt.
Die Einschätzung des Dr. S. kann darüber hinaus aber auch nach der erneuten Beweisaufnahme im Berufungsverfahren durch die weitere orthopädischen Begutachtung durch Dr. H. keinen Bestand mehr haben. Nunmehr ist klargestellt, dass auch bei Berücksichtigung einer gewissen Komorbidität auf nervenärztlichem Gebiet von einem verbliebenen Leistungsvermögen von mindestens 6 Stunden täglich für leichte körperliche Arbeiten bei der Klägerin auszugehen ist.

Die in der Berufungsinstanz noch eingeholten ärztlichen Befundberichte ergeben trotz der aufgeführten vielfältigen Beschwerdesymptomatik keinen Anlass zu weiterer medizinischer Sachaufklärung. Auch Dr. H. hielt zuletzt keine weiteren Begutachtungen für erforderlich. Auffallend bleibt, dass auch die Vielzahl der erfolgten chirurgischen Eingriffe bei der Klägerin letztlich nie zu einer nachhaltigen Entlastung führte.

Die Tatsache, dass die Klägerin von den behandelnden Ärzten seit 2002 als arbeitsunfähig angesehen wird, widerspricht dem jetzt angenommenen 6-stündigen Leistungsvermögen für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht. Die Arbeitsunfähigkeit bezieht sich auf die letzte Tätigkeit als Ladnerin (Reinigung), die mit schwererem Heben und Tragen und vermutlich auch mit psychischer Belastung (Publikumsverkehr) verbunden war.

Bei dieser Sachlage war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 28.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2004 mit der Kostenfolge aus § 193 SGG abzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

-
Rechtskraft
Aus
Saved