Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AL 58/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen 2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Bemessung des Arbeitslosengeldes.
Der am 20.5.1950 geborene Kläger ist seit 1974 Mechaniker und Modellbauer bei der Fa. N. in B ... Das Arbeitsverhältnis ist ungekündigt. Seit 3.10.2006 ist der Kläger durchgängig arbeitsunfähig. Bis zur Aussteuerung (3.4.2008) bezog er Krankengeld. Im Anschluss daran beantragte er Arbeitslosengeld. Nach der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers war der Bruttolohn in den Lohnabrechnungszeiträumen 1.7.2005 bis 31.12.2006 stark schwankend, vor allem wegen Unterbrechungen der Arbeitsentgeltzahlung durch Arbeitsunfähigkeitszeiten über den Lohnfortzahlungszeitraum hinaus und Zeiten mit Übergangsgeldbezug. Für durchgehend mit Lohn belegte Monate sind Bruttolöhne zwischen 2.492 und 2.937 EUR bescheinigt, im Juli und Dezember 2005 unter Berücksichtigung von Einmalzahlungen 4.127,85 und 4.340,86 EUR.
Die Beklagte errechnete in dem der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde liegenden, auf zwei Jahre erweiterten Bemessungszeitraum vom 4.4.2006 bis 3.4.2008 (nur) 133 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Sie bemaß das Arbeitslosengeld deshalb nicht nach dem tatsächlich erzielten Lohn, sondern stufte den Kläger fiktiv in die Qualifikationsgruppe 3 (Arbeitnehmer mit abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf) nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) ein. So ermittelte sie ein der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legendes Bemessungsentgelt von 66,27 EUR täglich und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld auf dieser Berechnungsgrundlage (Bescheid vom 17.4.2008, Hinweisschreiben vom 16.4.2008).
Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, er sei seit Jahrzehnten in die Lohngruppe 10 des Metall-Tarifvertrages eingruppiert. Diese müsse deshalb auch der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt werden. Die von der Beklagten vorgenommene fiktive Bemessung mindere seinen durch jahrzehntelange Beitragszahlung erworbenen Besitzstand. Die fiktive Bemessung nach § 132 Abs. 2 SGB III diene nach den Gesetzesmaterialien der Arbeitserleichterung bei der Bundesagentur; dies rechtfertige aber einen solchen Eingriff nicht, insbesondere nicht beim Kläger, bei dem die Ermittlung des real erzielten Entgelts problemlos möglich sei. Dieses habe brutto 2.653,44 EUR (also täglich 88,45 EUR) betragen.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 29.5.2008).
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Wortlaut des 2005 eingeführten Gesetzes spreche für die Auffassung der Beklagten. Jedoch bedürfe das Gesetz der Nachbesserung. Der Sinn der fiktiven Bemessung liege darin, die Berechnung zu vereinfachen um personelle Kapazitäten freizusetzen, die für die Vermittlung benötigt werden. Dies sei gerechtfertigt, wenn unübersichtliche Versicherungsverhältnisse mit großen Lücken vorliegen, dies treffe aber auf den Fall des Klägers nicht zu. Es müsse für Fälle, in denen der Grundlohn einfach zu berechnen sei, eine Ausnahme von der fiktiven Berechnungsweise gelten. Der Kläger habe 30 Jahre Beiträge nach seinem höheren Lohn gezahlt und dürfe nun, da er auf die Leistung angewiesen sei, nicht fiktiv herabgestuft werden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung der Bescheide vom 17.04. bzw. 21.05.2008 Arbeitslosengeld auf der Basis eines Bemessungsentgeltes von 2.653,44 Euro monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach den gesetzlichen Vorschriften sei die von ihr vorgenommene Bemessung des Arbeitslosengeldes rechtmäßig.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte hat das Arbeitslosengeld des Klägers zutreffend berechnet. Die von der Beklagten angewandten Vorschriften über die fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes geben auch keinen Anlass zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht.
Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Arbeitslosengeld. Arbeitslosigkeit können Arbeitnehmer beanspruchen, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (§ 118 Abs. 1 SGB III). Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit) (§ 119 Abs. 1 SGB III).
Der Kläger war arbeitslos gemeldet, aber bei Arbeitslosengeld-Antragstellung nicht arbeitslos, weil nach arbeitsamtsärztlicher Feststellung sein berufliches Leistungsvermögen gesundheitsbedingt aufgehoben war und es deshalb an der Verfügbarkeit fehlte. Dennoch hatte der Kläger Anspruch auf Arbeitslosengeld, denn Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist (§ 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Die Feststellung, ob verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, trifft der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies war bei Arbeitslosengeld-Antragstellung noch nicht der Fall.
Der Kläger hat auch die Anwartschaftszeit erfüllt, denn er hat in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden (vgl. § 123 SGB III): Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III). Der Kläger hat die letzten beiden Jahre vor dem Beginn seines Arbeitslosengeld-Bezuges durchgehend Krankengeld, Übergangsgeld oder Lohn erhalten, demnach die gesamte Rahmenfrist mit Versicherungspflichtverhältnissen belegt.
Die Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat die Beklagte der Berechnung des Arbeitslosengeldes das zutreffende Bemessungsentgelt zugrunde gelegt. Das Arbeitslosengeld beträgt nach § 129 SGB III für Arbeitslose mit berücksichtigungsfähigen Kindern 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz), für die übrigen Arbeitslosen 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 SGB III). Er umfasst also im vorliegenden Fall die Zeit vom 4.4.2007 bis 3.4.2008. In dieser Zeit liegen beim Kläger keine Zeiten mit versicherungspflichtigen Beschäftigungen, denn er hat Krankengeld bezogen.
Der Bemessungsrahmen wird aber auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum - wie hier - weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130 Abs. 3 Nr. 1 SGB III), er umfasst deshalb hier die Zeit vom 4.4.2006 bis 3.4.2008. Dadurch reicht er bis in die aktive Arbeitszeit des Klägers zurück. Da aber auch in der Zeit vom 4.4.2006 bis 31.12.2006 immer wieder Zeiten lagen, in denen wegen Ablaufs des Lohnfortzahlungszeitraums oder Zahlung von Übergangsgeld keine versicherungspflichtige Beschäftigung bestand, hat der Kläger auch im erweiterten Bemessungsrahmen nur 133 Tage mit Beschäftigungszeiten belegt. Damit scheidet der tatsächlich im Beschäftigungsverhältnis erzielte Lohn als Anknüpfungspunkt für die Bemessung des Arbeitslosengeldes aus: Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 SGB III).
Für die Festsetzung des demnach hier zugrunde zu legenden fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Das ist bei Beschäftigungen, die - wie die letzte Tätigkeit des Klägers - eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (Qualifikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße. Diesen Betrag hat die Beklagte - ausgehend von einer Bemessung im Jahr 2008 - richtig mit täglich 66, 27 EUR ermittelt. Damit entspricht die Bemessung des Arbeitslosengeldes durch die Beklagte den gesetzlichen Vorschriften und ist - da im übrigen Berechnungsfehler weder geltend gemacht werden noch erkennbar sind - das Arbeitslosengeld der Höhe nach zutreffend festgesetzt.
Das Gericht kann von diesen gesetzlichen Vorgaben ebenfalls nicht abweichen. Die Kammer sieht darüber hinaus keinen Anlass, den Rechtsstreit zum Zwecke einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht auszusetzen (Art. 100 GG), da sie nicht davon überzeugt ist, dass die fiktive Bemessung nach § 132 SGB III im Falle des Klägers Verfassungsrecht verletzt.
Der Kläger sieht Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) und das Sozialstaatsprinzip verletzt, weil in seinem Fall über einen langen Zeitraum Beiträge nach dem höheren Tarifgehalt eingezogen und abgeführt wurden, während im Leistungsfall dann ein Entgelt zugrunde gelegt wird, das erheblich unter dem Tarifgehalt liegt.
Der Kläger übersieht dabei, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht im unmittelbaren Anschluss an das Ende seines Beschäftigungsverhältnisses entstanden ist. Grundlage des Arbeitslosengeldanspruchs ist eine Risikoversicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit, keine Ansparversicherung mit garantierter Rentenzahlung nach Fälligkeit. Daraus folgt, dass bei erfüllter Anwartschaft die Dauer der Einzahlung von Beiträgen für den Arbeitslosengeldanspruch grundsätzlich ohne Bedeutung ist (vgl. z.B. § 127 SGB III: Für die Dauer des Arbeitslosengeld-Anspruchs sind nicht die Beitragsjahre, sondern das Lebensalter ausschlaggebend). Voraussetzung für den Leistungsanspruch ist vielmehr die Erfüllung der Anwartschaft, anders ausgedrückt: Wer Arbeitslosengeld erhalten will, muss bei Inanspruchnahme der Versicherung noch versichert sein. Voraussetzung hierfür ist, dass in den zwei Jahren vor Entstehung des Anspruchs mindestens 12 Monate ein Versicherungspflichtverhältnis bestanden hat (§§ 123, 124 SGB III). Ist dies nicht der Fall geht der Leistungsanspruch verloren, auch wenn zuvor jahrzehntelang eingezahlt wurde. Beim Kläger ist dies nur deshalb nicht geschehen, weil die Anwartschaft durch den Krankengeldbezug aufrecht erhalten wurde.
Allerdings trifft es zu, dass die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG auch die Anwartschaft auf durch eigene Beitragsleistung erworbene Sozialleistungsansprüche umfasst und dass deshalb die während des Erwerbs der Anwartschaft gezahlten Beiträge grundsätzlich die Leistungshöhe des Arbeitslosengeldes bestimmen müssen. Dies berücksichtigt der Gesetzgeber, indem er im Normalfall den während des Erwerbs der Anwartschaft erzielten Verdienst aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde legt (§ 131 SGB III). Der Vorverdienst ist allerdings nicht immer ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Arbeitslosengeld-Bemessung (BSG, Urt. v. 29.5.2008, B 11a AL 23/07 R). Wenn während des Erwerbs der Anwartschaft ein zu kurzer Zeitraum mit Beiträgen belegt ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Beitragszahlung allein als Kriterium nicht ausreicht, um die Leistungshöhe zu bestimmen, weil dann zufällige Schwankungen zu nicht gerechtfertigten Ausschlägen nach oben oder unten führen können und die mit Arbeitsentgelt belegten Tage das tatsächlich durch die Arbeitslosenversicherung abzusichernde Arbeitsentgelt nicht zuverlässig abbilden. Wenn ausreichende Anhaltspunkte für eine Bemessung nach dem tatsächlichen Arbeitsentgelt fehlen, ist es aber weder unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes noch des Sozialstaatsprinzips zu beanstanden, wenn die Anknüpfung an andere, in der Regel zuverlässigere Parameter erfolgt. Diesen Weg hat der Gesetzgeber gewählt, indem er in solchen Fällen die Bemessung des Arbeitslosengeldes an das Entgelt derjenigen Tätigkeiten anknüpft, in die der Berechtigte in erster Linie vermittelt werden kann. Dies ist zulässig, unabhängig davon, worauf die längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit jeweils beruht und auch wenn es zu einer niedrigeren Bemessung führt, als die Bemessung nach dem zuvor erzielten Arbeitsentgelt (BSG, Urt. v. 29.5.2008, B 11a AL 23/07 R - zu § 132 SGB III).
Der Gesetzgeber hat dabei durchaus erkannt, dass eine fiktive Bemessung im Einzelfall im Hinblick auf den im Berufsleben bereits erreichten Status problematisch sein kann. Er hat gerade in dem vom Kläger angegriffenen Änderungsgesetz vom 23.12.2003 deshalb die Zeiten, die innerhalb der (allerdings ebenfalls verkürzten) Rahmenfrist mit Beiträgen aus Arbeitsentgelt belegt sein müssen, von 39 Wochen auf 150 Tage reduziert, um die Zahl der fiktiven Bemessungen zu verringern (BT-Drs. 15/1515, zu Nr. 71, § 130 Abs. 3, S. 85).
Es ist aber unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes nicht zu beanstanden, wenn ein Zeitraum von 150 Tagen in einer auf zwei Jahre angelegten Anwartschaftszeit als Minimum angesehen wird, um eine zuverlässige Bemessung nach der Beitragsleistung zu ermöglichen. Der Kläger unterliegt insoweit in doppelter Hinsicht einer fiktiven Bemessung: Zum einen wird im Rahmen der Bewilligung des Arbeitslosengeldes zu seinen Gunsten unterstellt, dass der Kläger das Entgelt nach der Qualifikationsstufe 2 noch erzielen kann, obwohl nach amtsärztlicher Feststellung sein berufliches Leistungsvermögen erloschen ist. Diese Fiktion greift zugunsten des Klägers aufgrund der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III) ein, die verhindern soll, dass ein krankheitsbedingter Übergang vom Arbeitsleben zur Erwerbsminderungsrente zur Inanspruchnahme von staatlichen Fürsorgeleistungen (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II) zwingt.
Die daran anschließende weitere Fiktion, dass das vom Kläger noch erzielbare Entgelt das eines gelernten Facharbeiters ist, spiegelt zwar im konkreten Fall den bis zur Erkrankung erworbenen sozialen Besitzstand nicht vollständig wieder. Die Bemessung des Arbeitslosengeldes des Klägers erfolgt vielmehr nach einem fiktiven niedrigeren Lohn als dem zuletzt konkret erzielten. Es wäre aber unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes und des Sozialstaatsprinzips möglicherweise schon nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber im Übergang zur Erwerbsminderungsrente die Bemessung des Arbeitslosengeldes im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung nach 78-wöchigem Krankengeldbezug generell abweichend von der Bemessung des Arbeitslosengeldes bei voraussichtlich nur vorübergehender Arbeitslosigkeit regeln würde.
Dies war nach der Gesetzesbegründung allerdings nicht das Ziel der durch Gesetz vom 23.12.2003 (Hartz III) eingeführten fiktiven Bemessung nach Qualifikationsstufen. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1515, zu Nr. 71, §§ 130 bis 134, S. 85) wird vielmehr darauf verwiesen, dass das Recht der Bemessung des Arbeitslosengeldes sich zu einem überaus komplexen Regelungssystem entwickelt habe, mit stark differenzierten Sonder- und Ausnahmeregelungen und in hohem Maß der Einzelfallgerechtigkeit verpflichtet. Die deshalb selbst für Fachleute nur noch schwer durchschaubaren Regelungen erforderten einen hohen Personal-, Sach- und Zeitaufwand. Insgesamt binde die Bewilligung des Arbeitslosengeldes deshalb Kapazitäten, die im Gesamtrahmen der Umgestaltung der Bundesagentur für Arbeit zu einem modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt für die Beratung und Betreuung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und die berufliche Wiedereingliederung Arbeitsloser dringend benötigt würden. Ziel der Gesetzesänderung - nicht nur des § 132 SGB III, sondern eines ganzen Bündels von Maßnahmen in der Gesamtschau - sei es deshalb, die Vielfalt und Komplexität der Regelungen zum Bemessungsrecht zurückzuführen und das Verwaltungsverfahren deutlich und nachhaltig zu vereinfachen. Verwaltungsvereinfachung sei aber nur zu erreichen, wenn detaillierte Einzelfallregelungen durch ein größeres Maß an Pauschalierung ersetzt und Ausnahmeregelungen beschränkt werden.
Die Zulässigkeit solcher typisierender Regelungen haben Bundessozialgericht und Bundesverfassungsgericht immer wieder bejaht. Speziell für die Bemessung nach Qualifikationsstufen im Rahmen des § 132 SGB III hat das Bundessozialgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Regelung eben nicht allein der Verwaltungsvereinfachung diene, sondern in einem größeren Kontext einen sinnvolleren Personaleinsatz und damit eine bessere Aufgabenerfüllung der Bundesagentur für Arbeit fördern solle (BSG, Urt. v. 29.5.2008, B 11a AL 23/07 R). Es hat deshalb diese Art der fiktiven Bemessung in einem anderen Zusammenhang (im Anschluss an Erziehungszeiten) ausdrücklich gebilligt. Es ist das Wesen pauschalierender Regelungen, dass sie den Einzelfall regelmäßig nicht genau treffen und dass sie natürlich auch Sachverhalte erfassen, die auch ohne Pauschalierung ohne großen Aufwand berechenbar wären. Es macht wenig Sinn, entsprechend dem Vorschlag des Klägers aus der pauschalierenden Regelung alle einfach zu behandelnden Sachverhalte herauszunehmen, weil die Grenze zu den dann einer Pauschalierung bedürfenden komplizierteren Sachverhalten kaum klar gezogen werden könnte und zu neuen personalbindenden Streitfragen führen würde. Der o.g. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts schließt sich die Kammer deshalb auch für den hier zu entscheidenden Sachverhalt einer fiktiven Bemessung nach (saldiert) mehr als 78-wöchiger Arbeitsunterbrechung aus gesundheitlichen Gründen an. Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung des Arbeitslosengeldes ist dann zutreffend.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Bemessung des Arbeitslosengeldes.
Der am 20.5.1950 geborene Kläger ist seit 1974 Mechaniker und Modellbauer bei der Fa. N. in B ... Das Arbeitsverhältnis ist ungekündigt. Seit 3.10.2006 ist der Kläger durchgängig arbeitsunfähig. Bis zur Aussteuerung (3.4.2008) bezog er Krankengeld. Im Anschluss daran beantragte er Arbeitslosengeld. Nach der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers war der Bruttolohn in den Lohnabrechnungszeiträumen 1.7.2005 bis 31.12.2006 stark schwankend, vor allem wegen Unterbrechungen der Arbeitsentgeltzahlung durch Arbeitsunfähigkeitszeiten über den Lohnfortzahlungszeitraum hinaus und Zeiten mit Übergangsgeldbezug. Für durchgehend mit Lohn belegte Monate sind Bruttolöhne zwischen 2.492 und 2.937 EUR bescheinigt, im Juli und Dezember 2005 unter Berücksichtigung von Einmalzahlungen 4.127,85 und 4.340,86 EUR.
Die Beklagte errechnete in dem der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde liegenden, auf zwei Jahre erweiterten Bemessungszeitraum vom 4.4.2006 bis 3.4.2008 (nur) 133 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Sie bemaß das Arbeitslosengeld deshalb nicht nach dem tatsächlich erzielten Lohn, sondern stufte den Kläger fiktiv in die Qualifikationsgruppe 3 (Arbeitnehmer mit abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf) nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) ein. So ermittelte sie ein der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legendes Bemessungsentgelt von 66,27 EUR täglich und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld auf dieser Berechnungsgrundlage (Bescheid vom 17.4.2008, Hinweisschreiben vom 16.4.2008).
Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, er sei seit Jahrzehnten in die Lohngruppe 10 des Metall-Tarifvertrages eingruppiert. Diese müsse deshalb auch der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt werden. Die von der Beklagten vorgenommene fiktive Bemessung mindere seinen durch jahrzehntelange Beitragszahlung erworbenen Besitzstand. Die fiktive Bemessung nach § 132 Abs. 2 SGB III diene nach den Gesetzesmaterialien der Arbeitserleichterung bei der Bundesagentur; dies rechtfertige aber einen solchen Eingriff nicht, insbesondere nicht beim Kläger, bei dem die Ermittlung des real erzielten Entgelts problemlos möglich sei. Dieses habe brutto 2.653,44 EUR (also täglich 88,45 EUR) betragen.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 29.5.2008).
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Wortlaut des 2005 eingeführten Gesetzes spreche für die Auffassung der Beklagten. Jedoch bedürfe das Gesetz der Nachbesserung. Der Sinn der fiktiven Bemessung liege darin, die Berechnung zu vereinfachen um personelle Kapazitäten freizusetzen, die für die Vermittlung benötigt werden. Dies sei gerechtfertigt, wenn unübersichtliche Versicherungsverhältnisse mit großen Lücken vorliegen, dies treffe aber auf den Fall des Klägers nicht zu. Es müsse für Fälle, in denen der Grundlohn einfach zu berechnen sei, eine Ausnahme von der fiktiven Berechnungsweise gelten. Der Kläger habe 30 Jahre Beiträge nach seinem höheren Lohn gezahlt und dürfe nun, da er auf die Leistung angewiesen sei, nicht fiktiv herabgestuft werden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung der Bescheide vom 17.04. bzw. 21.05.2008 Arbeitslosengeld auf der Basis eines Bemessungsentgeltes von 2.653,44 Euro monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach den gesetzlichen Vorschriften sei die von ihr vorgenommene Bemessung des Arbeitslosengeldes rechtmäßig.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte hat das Arbeitslosengeld des Klägers zutreffend berechnet. Die von der Beklagten angewandten Vorschriften über die fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes geben auch keinen Anlass zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht.
Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Arbeitslosengeld. Arbeitslosigkeit können Arbeitnehmer beanspruchen, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (§ 118 Abs. 1 SGB III). Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit) (§ 119 Abs. 1 SGB III).
Der Kläger war arbeitslos gemeldet, aber bei Arbeitslosengeld-Antragstellung nicht arbeitslos, weil nach arbeitsamtsärztlicher Feststellung sein berufliches Leistungsvermögen gesundheitsbedingt aufgehoben war und es deshalb an der Verfügbarkeit fehlte. Dennoch hatte der Kläger Anspruch auf Arbeitslosengeld, denn Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist (§ 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Die Feststellung, ob verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, trifft der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies war bei Arbeitslosengeld-Antragstellung noch nicht der Fall.
Der Kläger hat auch die Anwartschaftszeit erfüllt, denn er hat in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden (vgl. § 123 SGB III): Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III). Der Kläger hat die letzten beiden Jahre vor dem Beginn seines Arbeitslosengeld-Bezuges durchgehend Krankengeld, Übergangsgeld oder Lohn erhalten, demnach die gesamte Rahmenfrist mit Versicherungspflichtverhältnissen belegt.
Die Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat die Beklagte der Berechnung des Arbeitslosengeldes das zutreffende Bemessungsentgelt zugrunde gelegt. Das Arbeitslosengeld beträgt nach § 129 SGB III für Arbeitslose mit berücksichtigungsfähigen Kindern 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz), für die übrigen Arbeitslosen 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 SGB III). Er umfasst also im vorliegenden Fall die Zeit vom 4.4.2007 bis 3.4.2008. In dieser Zeit liegen beim Kläger keine Zeiten mit versicherungspflichtigen Beschäftigungen, denn er hat Krankengeld bezogen.
Der Bemessungsrahmen wird aber auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum - wie hier - weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130 Abs. 3 Nr. 1 SGB III), er umfasst deshalb hier die Zeit vom 4.4.2006 bis 3.4.2008. Dadurch reicht er bis in die aktive Arbeitszeit des Klägers zurück. Da aber auch in der Zeit vom 4.4.2006 bis 31.12.2006 immer wieder Zeiten lagen, in denen wegen Ablaufs des Lohnfortzahlungszeitraums oder Zahlung von Übergangsgeld keine versicherungspflichtige Beschäftigung bestand, hat der Kläger auch im erweiterten Bemessungsrahmen nur 133 Tage mit Beschäftigungszeiten belegt. Damit scheidet der tatsächlich im Beschäftigungsverhältnis erzielte Lohn als Anknüpfungspunkt für die Bemessung des Arbeitslosengeldes aus: Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 SGB III).
Für die Festsetzung des demnach hier zugrunde zu legenden fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Das ist bei Beschäftigungen, die - wie die letzte Tätigkeit des Klägers - eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (Qualifikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße. Diesen Betrag hat die Beklagte - ausgehend von einer Bemessung im Jahr 2008 - richtig mit täglich 66, 27 EUR ermittelt. Damit entspricht die Bemessung des Arbeitslosengeldes durch die Beklagte den gesetzlichen Vorschriften und ist - da im übrigen Berechnungsfehler weder geltend gemacht werden noch erkennbar sind - das Arbeitslosengeld der Höhe nach zutreffend festgesetzt.
Das Gericht kann von diesen gesetzlichen Vorgaben ebenfalls nicht abweichen. Die Kammer sieht darüber hinaus keinen Anlass, den Rechtsstreit zum Zwecke einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht auszusetzen (Art. 100 GG), da sie nicht davon überzeugt ist, dass die fiktive Bemessung nach § 132 SGB III im Falle des Klägers Verfassungsrecht verletzt.
Der Kläger sieht Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) und das Sozialstaatsprinzip verletzt, weil in seinem Fall über einen langen Zeitraum Beiträge nach dem höheren Tarifgehalt eingezogen und abgeführt wurden, während im Leistungsfall dann ein Entgelt zugrunde gelegt wird, das erheblich unter dem Tarifgehalt liegt.
Der Kläger übersieht dabei, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht im unmittelbaren Anschluss an das Ende seines Beschäftigungsverhältnisses entstanden ist. Grundlage des Arbeitslosengeldanspruchs ist eine Risikoversicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit, keine Ansparversicherung mit garantierter Rentenzahlung nach Fälligkeit. Daraus folgt, dass bei erfüllter Anwartschaft die Dauer der Einzahlung von Beiträgen für den Arbeitslosengeldanspruch grundsätzlich ohne Bedeutung ist (vgl. z.B. § 127 SGB III: Für die Dauer des Arbeitslosengeld-Anspruchs sind nicht die Beitragsjahre, sondern das Lebensalter ausschlaggebend). Voraussetzung für den Leistungsanspruch ist vielmehr die Erfüllung der Anwartschaft, anders ausgedrückt: Wer Arbeitslosengeld erhalten will, muss bei Inanspruchnahme der Versicherung noch versichert sein. Voraussetzung hierfür ist, dass in den zwei Jahren vor Entstehung des Anspruchs mindestens 12 Monate ein Versicherungspflichtverhältnis bestanden hat (§§ 123, 124 SGB III). Ist dies nicht der Fall geht der Leistungsanspruch verloren, auch wenn zuvor jahrzehntelang eingezahlt wurde. Beim Kläger ist dies nur deshalb nicht geschehen, weil die Anwartschaft durch den Krankengeldbezug aufrecht erhalten wurde.
Allerdings trifft es zu, dass die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG auch die Anwartschaft auf durch eigene Beitragsleistung erworbene Sozialleistungsansprüche umfasst und dass deshalb die während des Erwerbs der Anwartschaft gezahlten Beiträge grundsätzlich die Leistungshöhe des Arbeitslosengeldes bestimmen müssen. Dies berücksichtigt der Gesetzgeber, indem er im Normalfall den während des Erwerbs der Anwartschaft erzielten Verdienst aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde legt (§ 131 SGB III). Der Vorverdienst ist allerdings nicht immer ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Arbeitslosengeld-Bemessung (BSG, Urt. v. 29.5.2008, B 11a AL 23/07 R). Wenn während des Erwerbs der Anwartschaft ein zu kurzer Zeitraum mit Beiträgen belegt ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Beitragszahlung allein als Kriterium nicht ausreicht, um die Leistungshöhe zu bestimmen, weil dann zufällige Schwankungen zu nicht gerechtfertigten Ausschlägen nach oben oder unten führen können und die mit Arbeitsentgelt belegten Tage das tatsächlich durch die Arbeitslosenversicherung abzusichernde Arbeitsentgelt nicht zuverlässig abbilden. Wenn ausreichende Anhaltspunkte für eine Bemessung nach dem tatsächlichen Arbeitsentgelt fehlen, ist es aber weder unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes noch des Sozialstaatsprinzips zu beanstanden, wenn die Anknüpfung an andere, in der Regel zuverlässigere Parameter erfolgt. Diesen Weg hat der Gesetzgeber gewählt, indem er in solchen Fällen die Bemessung des Arbeitslosengeldes an das Entgelt derjenigen Tätigkeiten anknüpft, in die der Berechtigte in erster Linie vermittelt werden kann. Dies ist zulässig, unabhängig davon, worauf die längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit jeweils beruht und auch wenn es zu einer niedrigeren Bemessung führt, als die Bemessung nach dem zuvor erzielten Arbeitsentgelt (BSG, Urt. v. 29.5.2008, B 11a AL 23/07 R - zu § 132 SGB III).
Der Gesetzgeber hat dabei durchaus erkannt, dass eine fiktive Bemessung im Einzelfall im Hinblick auf den im Berufsleben bereits erreichten Status problematisch sein kann. Er hat gerade in dem vom Kläger angegriffenen Änderungsgesetz vom 23.12.2003 deshalb die Zeiten, die innerhalb der (allerdings ebenfalls verkürzten) Rahmenfrist mit Beiträgen aus Arbeitsentgelt belegt sein müssen, von 39 Wochen auf 150 Tage reduziert, um die Zahl der fiktiven Bemessungen zu verringern (BT-Drs. 15/1515, zu Nr. 71, § 130 Abs. 3, S. 85).
Es ist aber unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes nicht zu beanstanden, wenn ein Zeitraum von 150 Tagen in einer auf zwei Jahre angelegten Anwartschaftszeit als Minimum angesehen wird, um eine zuverlässige Bemessung nach der Beitragsleistung zu ermöglichen. Der Kläger unterliegt insoweit in doppelter Hinsicht einer fiktiven Bemessung: Zum einen wird im Rahmen der Bewilligung des Arbeitslosengeldes zu seinen Gunsten unterstellt, dass der Kläger das Entgelt nach der Qualifikationsstufe 2 noch erzielen kann, obwohl nach amtsärztlicher Feststellung sein berufliches Leistungsvermögen erloschen ist. Diese Fiktion greift zugunsten des Klägers aufgrund der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III) ein, die verhindern soll, dass ein krankheitsbedingter Übergang vom Arbeitsleben zur Erwerbsminderungsrente zur Inanspruchnahme von staatlichen Fürsorgeleistungen (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II) zwingt.
Die daran anschließende weitere Fiktion, dass das vom Kläger noch erzielbare Entgelt das eines gelernten Facharbeiters ist, spiegelt zwar im konkreten Fall den bis zur Erkrankung erworbenen sozialen Besitzstand nicht vollständig wieder. Die Bemessung des Arbeitslosengeldes des Klägers erfolgt vielmehr nach einem fiktiven niedrigeren Lohn als dem zuletzt konkret erzielten. Es wäre aber unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes und des Sozialstaatsprinzips möglicherweise schon nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber im Übergang zur Erwerbsminderungsrente die Bemessung des Arbeitslosengeldes im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung nach 78-wöchigem Krankengeldbezug generell abweichend von der Bemessung des Arbeitslosengeldes bei voraussichtlich nur vorübergehender Arbeitslosigkeit regeln würde.
Dies war nach der Gesetzesbegründung allerdings nicht das Ziel der durch Gesetz vom 23.12.2003 (Hartz III) eingeführten fiktiven Bemessung nach Qualifikationsstufen. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1515, zu Nr. 71, §§ 130 bis 134, S. 85) wird vielmehr darauf verwiesen, dass das Recht der Bemessung des Arbeitslosengeldes sich zu einem überaus komplexen Regelungssystem entwickelt habe, mit stark differenzierten Sonder- und Ausnahmeregelungen und in hohem Maß der Einzelfallgerechtigkeit verpflichtet. Die deshalb selbst für Fachleute nur noch schwer durchschaubaren Regelungen erforderten einen hohen Personal-, Sach- und Zeitaufwand. Insgesamt binde die Bewilligung des Arbeitslosengeldes deshalb Kapazitäten, die im Gesamtrahmen der Umgestaltung der Bundesagentur für Arbeit zu einem modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt für die Beratung und Betreuung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und die berufliche Wiedereingliederung Arbeitsloser dringend benötigt würden. Ziel der Gesetzesänderung - nicht nur des § 132 SGB III, sondern eines ganzen Bündels von Maßnahmen in der Gesamtschau - sei es deshalb, die Vielfalt und Komplexität der Regelungen zum Bemessungsrecht zurückzuführen und das Verwaltungsverfahren deutlich und nachhaltig zu vereinfachen. Verwaltungsvereinfachung sei aber nur zu erreichen, wenn detaillierte Einzelfallregelungen durch ein größeres Maß an Pauschalierung ersetzt und Ausnahmeregelungen beschränkt werden.
Die Zulässigkeit solcher typisierender Regelungen haben Bundessozialgericht und Bundesverfassungsgericht immer wieder bejaht. Speziell für die Bemessung nach Qualifikationsstufen im Rahmen des § 132 SGB III hat das Bundessozialgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Regelung eben nicht allein der Verwaltungsvereinfachung diene, sondern in einem größeren Kontext einen sinnvolleren Personaleinsatz und damit eine bessere Aufgabenerfüllung der Bundesagentur für Arbeit fördern solle (BSG, Urt. v. 29.5.2008, B 11a AL 23/07 R). Es hat deshalb diese Art der fiktiven Bemessung in einem anderen Zusammenhang (im Anschluss an Erziehungszeiten) ausdrücklich gebilligt. Es ist das Wesen pauschalierender Regelungen, dass sie den Einzelfall regelmäßig nicht genau treffen und dass sie natürlich auch Sachverhalte erfassen, die auch ohne Pauschalierung ohne großen Aufwand berechenbar wären. Es macht wenig Sinn, entsprechend dem Vorschlag des Klägers aus der pauschalierenden Regelung alle einfach zu behandelnden Sachverhalte herauszunehmen, weil die Grenze zu den dann einer Pauschalierung bedürfenden komplizierteren Sachverhalten kaum klar gezogen werden könnte und zu neuen personalbindenden Streitfragen führen würde. Der o.g. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts schließt sich die Kammer deshalb auch für den hier zu entscheidenden Sachverhalt einer fiktiven Bemessung nach (saldiert) mehr als 78-wöchiger Arbeitsunterbrechung aus gesundheitlichen Gründen an. Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung des Arbeitslosengeldes ist dann zutreffend.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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