Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 881/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 5534/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. September 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin vom 01. Mai 2005 bis 30. April 2008 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.
Die am 1956 in der Türkei geborene Klägerin erlernte nach ihren Angaben in ihrem Herkunftsland keinen Beruf. Ende 1975 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über und kümmerte sich zunächst um die Kindererziehung (insgesamt sechs Kinder). Von 1991 bis 1998 war sie in der Z.-klinik in S. B. als Zimmermädchen und Küchenhilfe und von November 2002 bis 30. September 2004 (Kündigung durch den Arbeitgeber) in einem Alten- und Pflegeheim als Küchenhilfe beschäftigt, zuletzt vier Stunden täglich (fünf Tage pro Woche). Vom 25. Juli bis 19. September 2003 wurde die Klägerin im Psychiatrischen Zentrum N. wegen einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode) behandelt (Entlassungsbericht des Dr. Ö. vom 16. September 2003). Zusammenfassend wurde eine gute Besserung und Stabilisierung der depressiven Symptomatik festgestellt. Seit 19. April 2004 ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt und bezog ab dem 01. Juni 2004 Krankengeld. Vom 01. Juni bis 12. August 2004 wurde sie im Zentrum für Psychiatrie R. stationär wegen einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig schwere Episode) und Verdacht auf Dysthymia behandelt, wobei sie insgesamt eher wenig vom stationären Aufenthalt profitiert habe (Entlassungsbericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sc. vom 31. August 2004).
Am 08. Oktober 2004 beantragte die Klägerin bei der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg, der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagte), Rente wegen Erwerbsminderung, nachdem sie bereits in den Jahren 1998 und 2001 Rentenanträge erfolglos gestellt hatte. Die Beklagte zog zahlreiche Arztberichte bei und ließ die Klägerin begutachten. Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. V. erstattete das Gutachten vom 22. November 2004. Sie diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig leichte Episode ICD-10: F 32.0). Die Klägerin, die in einer traditionellen Familie lebe und finanzielle Probleme habe, sei noch in der Lage, sechs Stunden und mehr eine Tätigkeit auszuüben, wobei Überforderungen zu vermeiden seien und Rücksicht auf die Migrationsproblematik mit mangelhaften deutschen Sprachkenntnissen genommen werden müsse. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen seien jedoch sechs Stunden und mehr möglich. Als Haus- und Küchenhilfe könne die Klägerin aber nur noch drei bis unter sechs Stunden arbeiten. Ärztin B. diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 29. November 2004 zusätzlich zur rezidivierenden depressiven Störung noch einen Diabetes mellitus Typ II ohne Komplikationen, eine medikamentös gut eingestellte arterielle Hypertonie, ein ausgeprägtes Übergewicht sowie eine rechtsbetonte Varikosis beider Beine mit leichtem Unterschenkelödem rechts. Sie folge der Leistungsbeurteilung der Dr. V ... Die Klägerin könne jedoch keine Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck und mit Nachtarbeit ausführen.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege (Bescheid vom 10. Dezember 2004). Die Widerspruchstelle der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2005). Der Widerspruchsausschuss sei aufgrund der durchgeführten Ermittlungen zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne, sodass ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht bestehe, zumal sie aufgrund ihrer zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden könne.
Hiergegen erhob die Klägerin am 10. März 2005 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Im Vordergrund stehe eine schwere rezidivierende und medikamentös behandelte depressive Störung mit stets wiederkehrenden schweren depressiven Episoden und stationären Aufenthalten. Es bestünden wiederholt Suizidgedanken, wobei es vor vier bis fünf Jahren zu einem Suizidversuch gekommen sei. Die Beklagte bagatellisiere dieses Krankheitsbild. Sie sei auch nicht in der Lage, ihren Haushalt zu führen. Dies müssten ihre Töchter übernehmen. Zudem leide sie an Diabettes mellitus Typ II b. Zur weiteren Begründung legte die Klägerin einen Brief des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 14. April 2005 vor, wonach er die Klägerin seit 04. April 2002 kontinuierlich psychiatrisch behandle. Seit mehreren Wochen sei sie schwerst depressiv, sodass er der Überzeugung sei, dass sie mittlerweile erwerbsunfähig sei. Er habe Zweifel daran, ob sie auch bei einer leichten Beschäftigung ohne Zeitdruck zwei Stunden am Tag einsetzbar sei.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG hörte die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Dr. R. teilte mit, die Klägerin könne weniger als drei Stunden (wenn überhaupt) arbeiten (Auskunft vom 10. Juni 2005). Internist K. gab an (Auskunft vom 19. September 2005), die Zuckerkrankheit habe sich kontinuierlich verschlechtert, weshalb große Mengen Insulin injiziert werden müssten. Die Depression verlaufe in typischen Hochs und Tiefs mit Verschlechterung durch äußerliche Einflüsse, wie z.B. berufliche und familiäre Probleme. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin eine körperlich leichte Tätigkeit mit sechs Stunden und mehr ausüben.
Im Auftrag des SG erstattete Ärztin für Psychiatrie Öz. das Gutachten vom 18. Februar 2006. Sie diagnostizierte psychogene Anfälle von Besessenheit mit Hyperventilation (ICD-10: F 44.3 und F 45.33) bei Zustand nach posttraumatischer Belastungsreaktion (ICD-10: F 43.1), eine chronifizierte depressive Entwicklung (im Durchschnitt: rezidivierende mittelgradige Depression mit somatischen Symptomen; ICD-10: F 32.11) und eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10: F 62.0). Die Klägerin sei in sehr einfachen ländlichen Verhältnissen in der Türkei aufgewachsen, wobei ihr zweitjüngstes Kind, ein 1983 geborener Junge, im Alter von drei Wochen an einer zu spät erkannten Blinddarmentzündung verstorben sei. Die Klägerin fühle sich für den Tod des Kindes schuldig, zumal sie sich während der Schwangerschaft bereits zu einem Schwangerschaftsabbruch entschlossen hatte, diesen jedoch nicht durchgeführt habe. Die Schuldgefühle, die nach dem Tod des Kindes wegen des zwischenzeitlich geplanten Schwangerschaftsabbruchs aufgekommen seien, seien externalisiert worden, indem sie dem Teufel zugeschrieben worden seien. Die Klägerin sei zudem davon überzeugt, von bösen Geistern besessen zu sein. Die Gutachterin verneinte die Frage, ob die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustands in der Lage sei, regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie könne sich keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorstellen, in der sie die Klägerin mit den beschriebenen Schwierigkeiten sehen könne. Die Einschränkung bestehe bereits seit dem 01. Oktober 2004. Die Erkrankung habe symptomatisch 1991 begonnen, wobei davon ausgegangen werden müsse, dass die Erkrankung damals noch milder verlaufen sei als heute. Eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustands sei in absehbarer Zeit nicht zu erarten, allerdings gebe es die geringe Hoffnung, dass eine Rente zu einer leichten Besserung des Gesundheitszustands führen könne. Dr. V. habe sich in ihrer Beurteilung vor allem auf die mutmaßliche finanzielle Not der Klägerin, die sie zur Rente dränge, gestützt. Die Annahme halte diese nicht für überzeugend. Ärztin B. habe sich ohne weitere Begründung der Beurteilung von Dr. V. angeschlossen.
Für die Beklagte nahm Ärztin für Psychiatrie Dr. Ho. am 05. Juli 2006 zu dem Gutachten Stellung. Das Gutachten enthalte zwar viele und auch interessante kulturspezifische Informationen zum türkischen Brauchtum und zur Religion sowie polemische sozialkritische Ausführungen, allerdings kaum Angaben, aus denen ein Leistungsbild der Klägerin abgeleitet werden könne. Es seien zwar reichlich Informationen zur Lebensgeschichte der Klägerin und ihrer Familie vorhanden, allerdings seien die noch vorhandenen Fähigkeiten und die Alltagsgestaltung der Klägerin kaum beschrieben worden. Bei den von der Klägerin angegebenen optischen und akustischen Wahrnehmungsstörungen handle es sich um keine Halluzinationen, sondern um im Zusammenhang mit der kulturellen Herkunft entstandene Sinnestäuschungen. Es handle sich um kulturspezifische Phänomene im Sinne von "magischem Denken", die die Klägerin zum Teil durch ihr Leben begleitet hätten, ohne ihre Leistungsfähigkeit zu mindern. Eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung werde im ICD-10 etwa bei Erlebnissen in einem Konzentrationslager, bei Folter, Katastrophen oder bei andauernden lebensbedrohlichen Situationen angenommen. Dies treffe bei der Klägerin nicht zu. Eine Rehabilitationsmaßnahme sei allenfalls nach Abschluss des Rentenverfahrens denkbar. In diesem Zusammenhang legte die Beklagte den Bescheid vom 18. Juli 2006 vor, mit dem der Antrag der Klägerin vom 11. April 2006 auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation mit der Begründung abgelehnt wurde, dass während eines laufenden Klageverfahrens die Durchführung von medizinischen Rehabilitationsleistungen nicht erfolgversprechend sei.
Mit Urteil vom 27. September 2006 hob das SG den Bescheid vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2005 auf und verurteilte die Beklagte, "der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem Leistungsfall am 08.10.2004 für die Zeit vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2008 zu gewähren". Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Erkrankungen nicht mehr in der Lage, täglich drei Stunden und mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich aus dem im Klageverfahren eingeholten Gutachten der Ärztin Öz ... Die Feststellungen der Gutachterin ließen sich auch mit den übrigen ärztlichen Äußerungen vereinbaren. Sie habe ausführlich und plausibel ihre von der Vorbeurteilung abweichende Auffassung dargelegt und die Klägerin in der türkischen Muttersprache begutachtet, wobei sie die kulturellen Unterschiede und Prägungen der Klägerin sowie die daraus resultierenden Einschränkungen der Leistungsfähigkeit dargelegt habe. Auch Dr. R., der die Klägerin regelmäßig psychiatrisch behandle, gehe von einem unter dreistündigem Leistungsvermögen der Klägerin aus. Eine Befristung der Rente sei auszusprechen gewesen, da die Gutachterin eine - wenn auch geringe - Hoffnung geäußert habe, dass es zu einer Besserung des Gesundheitszustands kommen könne.
Gegen das ihr am 30. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03. November 2006 Berufung eingelegt. Es stehe nicht fest, ob das in der Gerichtsakte enthaltene Gutachten unterschrieben sei. Falls dies nicht der Fall sei, könne es nicht als Entscheidungsgrundlage dienen. Es werde auf die Ausführungen in den Gutachten von Dr. V. und Ärztin B. verwiesen. Auch die Beurteilung durch Internist K. und die Darlegung der Dr. Ho. zeigten, dass eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bewiesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. September 2006 abzuändern, soweit sie hierdurch verurteilt wird, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. Mai 2005 bis zum 30. April 2008 zu gewähren und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf den Entlassungsbericht des Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Prof. Dr. Ha. (M.-B.-Klinik) vom 29. Februar 2008 über einen stationären Aufenthalt vom 27. Dezember 2007 bis 07. Februar 2008. Prof. Dr. Ha. hat eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode, ICD-10: F 33.1), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F 45.4), einen chronischen Nikotinabusus (ICD-10: F 17.2), einen Diabetes mellitus Typ II seit 1995 (ICD-10: E 11) und eine Adipositas Grad I (ICD-10: 66) diagnostiziert. Bei der Aufnahme hätten sich keine Hinweise auf psychotische Wahrnehmungsstörungen oder Sinnestäuschungen gezeigt. Suizidgedanken seien zwar erwähnt worden, aber ohne Umsetzungstendenzen. Die Klägerin sei aufgrund der körperlichen Beschwerden und der Depression weiterhin ambulant behandlungsbedürftig.
Der Berichterstatter hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Dr. R. hat angegeben (Auskunft vom 16. April 2007), der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich gegenüber seiner Auskunft für das SG nicht geändert, wobei er die Klägerin seit dem 17. Oktober 2005 nicht mehr gesehen habe, da sie seither bei einer Kollegin in Behandlung sei. Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. He. gab an (Auskunft vom 25. September 2007), sie behandle die Klägerin seit 10. Oktober 2005. Das Krankheitsbild habe sich nicht verbessert. Aus psychiatrischer Sicht sei die Klägerin aufgrund der langjährigen chronifizierten depressiven Symptomatik in ihrer Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit stark eingeschränkt und nicht mehr in der Lage, mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten. Assistenzarzt Dr. A. und Psychologischer Psychotherapeut Dr. Ki. haben angegeben (Auskunft vom 24. Juli 2008), die Klägerin sei vom 27. Dezember 2007 bis 07. Februar 2008 in der M.-B.-Klinik stationär behandelt worden. Sie würden sich der Beurteilung der Leistungsfähigkeit durch die Gutachterin Öz. anschließen. Sie gingen davon aus, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, eine verwertbare Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt auszuführen.
Für die Beklagte hat Dr. Ho. unter dem 04. Juni 2008 Stellung genommen und mitgeteilt, eine erneute, "wenn möglich aussagekräftigere psychiatrische Begutachtung mit sozialmedizinischem Aspekt" solle in Erwägung gezogen werden.
Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, dass das in der Klageakte befindliche Gutachten der Sachverständigen Öz. unterschrieben ist.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, auf die Gerichtsakte erster Instanz sowie auf die Senatsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. Mai 2005 bis zum 30. April 2008 zu gewähren.
1. Da nur die Beklagte Berufung eingelegt hat, ist im Berufungsverfahren nur darüber zu entscheiden, ob die Klägerin für die Zeit vom 01. Mai 2005 bis zum 30. April 2008 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat. Soweit das SG die Klage für den davor bzw. den danach liegenden Zeitraum abgewiesen hat, ist das Urteil des SG rechtskräftig. Deshalb kann im Berufungsverfahren auch nicht darüber entschieden werden, ob die Klägerin über den 30. April 2008 hinaus Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.
2. Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin voll erwerbsgemindert, da sie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Im Vordergrund stehen bei der Klägerin Beschwerden auf psychiatrischem Fachgebiet. Die Klägerin leidet an psychogenen Anfällen von Besessenheit mit Hyperventilation bei einem Zustand nach posttraumatischer Belastungsreaktion, an einer chronifizierten depressiven Entwicklung (im Durchschnitt: rezidivierende mittelgradige Depression mit somatischen Symptomen) und an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung. Der Senat stützt sich insoweit auf das im Klageverfahren eingeholte Gutachten der Sachverständigen Öz. vom 18. Februar 2006. Maßgeblich ist hierbei die chronifizierte depressive Entwicklung, die auch von allen behandelnden Ärzten bestätigt wurde. Prof. Dr. Ha., Dr. A. und Dr. Ki. konnten zwar keinen Hinweis auf eine psychotische Wahrnehmungsstörung oder Sinnestäuschung feststellen (vgl. Entlassungsbericht vom 29. Februar 2008 und Auskunft vom 24. Juli 2008). Dies mag daran liegen, dass die Klägerin während des stationären Aufenthalts vom 27. Dezember bis 07. Februar 2008 nicht an psychotischen Wahrnehmungsstörungen oder Sinnestäuschungen gelitten hat. Die Sachverständige Öz. hat jedoch ausführlich und für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass die Klägerin unter psychogenen Anfällen von Besessenheit mit Hyperventilation leidet.
Die Klägerin leidet auf internistischem Fachgebiet zudem an Diabetes mellitus Typ II, an Adipositas Grad I sowie an einer medikamentös eingestellten arteriellen Hypertonie. Dies ergibt sich aus den Gutachten der Ärztin B. von 29. November 2004 und der Auskunft des Dr. A. und des Dr. Ki. vom 24. Juli 2008.
Aufgrund der auf psychiatrischem Gebiet bestehenden Erkrankungen ist das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden eingeschränkt. Der Senat folgt - ebenso wie das SG - der Leistungsbeurteilung der Sachverständigen Öz., weil diese, aufbauend auf überzeugenden Befunderhebungen, schlüssig ist. Der Einwand der Beklagten, ein aussagekräftigeres neues psychiatrisches Gutachten sei notwendig, da die Sachverständige nicht hinreichend die vorhandenen Fähigkeiten und die Alltagsgestaltung der Klägerin beschrieben habe, greift im Ergebnis nicht durch. Denn aus der Gesamtschau aller vorliegenden medizinischen Unterlagen ergibt sich, dass bei der Klägerin eine erhebliche, die Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht beeinträchtigende Beschwerdesymptomatik besteht. Dies ergibt sich für den Senat bereits daraus, dass die Klägerin bereits seit 2003 wegen der depressiven Störung stationäre psychiatrische Behandlungen in Anspruch nehmen musste. Zuletzt wurde sie vom 27. Dezember 2007 bis 07. Februar 2008 in der M.-B.-Klinik erneut stationär behandelt. Die stationären Behandlungen führten zu keiner wesentlichen Besserung. Prof. Dr. Ha. hat in seinem Entlassungsbericht vom 29. Februar 2008 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin aufgrund der körperlichen Beschwerden und der Depression weiterhin ambulant behandlungsbedürftig ist. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang insbesondere nicht dargelegt, weshalb die massive Beschwerdesymptomatik, die von allen behandelnden Ärzten bestätigt wird, keine Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin haben soll. Sowohl Dr. R. als auch Dr. He., Dr. A. und Dr. Ki. sind zu der Leistungseinschätzung gelangt, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die von der Sachverständigen Öz. beschriebenen Beschwerden und die hieraus resultierenden Einschränkungen der Leistungsfähigkeit sind somit für den Senat nachvollziehbar und schlüssig, sodass auch kein Grund bestand, von Amts wegen ein weiteres psychiatrisches Gutachten einzuholen.
Soweit Dr. V. und Ärztin B. in ihren Gutachten davon ausgegangen sind, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr zu verrichten, überzeugt dies den Senat nicht. Denn in dem - sehr knappen - Gutachten der Dr. V. vom 22. November 2004 wurde als Diagnose lediglich eine rezidivierende depressive Störung bei einer gegenwärtig leichten Episode angegeben. Dr. V. konnte demnach psychogene Anfälle von Besessenheit mit Hyperventilation bei einem Zustand nach posttraumatischer Belastungsreaktion sowie eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung nicht diagnostizieren. Die hierdurch bedingten Beschwerden führen jedoch zu einer Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens der Klägerin, wie der Senat bereits dargelegt hat. Soweit Internist K. in seiner Auskunft vom 19. September 2005 ebenfalls von einem über sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ausgegangen ist, überzeugt auch diese Einschätzung nicht, da das maßgebliche Leiden der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet liegt.
Die Klägerin hat die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI jedenfalls zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 08. Oktober 2004 erfüllt. Im Zeitraum vom 01. Oktober 1999 bis 30. September 2004 hat die Klägerin für mehr als 36 Monate Pflichtbeiträge entrichtet (vgl. Versicherungsverlauf vom 10. Dezember 2004, Anlage zum Bescheid der Beklagten vom selben Tag).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin vom 01. Mai 2005 bis 30. April 2008 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.
Die am 1956 in der Türkei geborene Klägerin erlernte nach ihren Angaben in ihrem Herkunftsland keinen Beruf. Ende 1975 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über und kümmerte sich zunächst um die Kindererziehung (insgesamt sechs Kinder). Von 1991 bis 1998 war sie in der Z.-klinik in S. B. als Zimmermädchen und Küchenhilfe und von November 2002 bis 30. September 2004 (Kündigung durch den Arbeitgeber) in einem Alten- und Pflegeheim als Küchenhilfe beschäftigt, zuletzt vier Stunden täglich (fünf Tage pro Woche). Vom 25. Juli bis 19. September 2003 wurde die Klägerin im Psychiatrischen Zentrum N. wegen einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode) behandelt (Entlassungsbericht des Dr. Ö. vom 16. September 2003). Zusammenfassend wurde eine gute Besserung und Stabilisierung der depressiven Symptomatik festgestellt. Seit 19. April 2004 ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt und bezog ab dem 01. Juni 2004 Krankengeld. Vom 01. Juni bis 12. August 2004 wurde sie im Zentrum für Psychiatrie R. stationär wegen einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig schwere Episode) und Verdacht auf Dysthymia behandelt, wobei sie insgesamt eher wenig vom stationären Aufenthalt profitiert habe (Entlassungsbericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sc. vom 31. August 2004).
Am 08. Oktober 2004 beantragte die Klägerin bei der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg, der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich Beklagte), Rente wegen Erwerbsminderung, nachdem sie bereits in den Jahren 1998 und 2001 Rentenanträge erfolglos gestellt hatte. Die Beklagte zog zahlreiche Arztberichte bei und ließ die Klägerin begutachten. Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. V. erstattete das Gutachten vom 22. November 2004. Sie diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig leichte Episode ICD-10: F 32.0). Die Klägerin, die in einer traditionellen Familie lebe und finanzielle Probleme habe, sei noch in der Lage, sechs Stunden und mehr eine Tätigkeit auszuüben, wobei Überforderungen zu vermeiden seien und Rücksicht auf die Migrationsproblematik mit mangelhaften deutschen Sprachkenntnissen genommen werden müsse. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen seien jedoch sechs Stunden und mehr möglich. Als Haus- und Küchenhilfe könne die Klägerin aber nur noch drei bis unter sechs Stunden arbeiten. Ärztin B. diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 29. November 2004 zusätzlich zur rezidivierenden depressiven Störung noch einen Diabetes mellitus Typ II ohne Komplikationen, eine medikamentös gut eingestellte arterielle Hypertonie, ein ausgeprägtes Übergewicht sowie eine rechtsbetonte Varikosis beider Beine mit leichtem Unterschenkelödem rechts. Sie folge der Leistungsbeurteilung der Dr. V ... Die Klägerin könne jedoch keine Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck und mit Nachtarbeit ausführen.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege (Bescheid vom 10. Dezember 2004). Die Widerspruchstelle der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2005). Der Widerspruchsausschuss sei aufgrund der durchgeführten Ermittlungen zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne, sodass ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht bestehe, zumal sie aufgrund ihrer zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden könne.
Hiergegen erhob die Klägerin am 10. März 2005 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Im Vordergrund stehe eine schwere rezidivierende und medikamentös behandelte depressive Störung mit stets wiederkehrenden schweren depressiven Episoden und stationären Aufenthalten. Es bestünden wiederholt Suizidgedanken, wobei es vor vier bis fünf Jahren zu einem Suizidversuch gekommen sei. Die Beklagte bagatellisiere dieses Krankheitsbild. Sie sei auch nicht in der Lage, ihren Haushalt zu führen. Dies müssten ihre Töchter übernehmen. Zudem leide sie an Diabettes mellitus Typ II b. Zur weiteren Begründung legte die Klägerin einen Brief des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 14. April 2005 vor, wonach er die Klägerin seit 04. April 2002 kontinuierlich psychiatrisch behandle. Seit mehreren Wochen sei sie schwerst depressiv, sodass er der Überzeugung sei, dass sie mittlerweile erwerbsunfähig sei. Er habe Zweifel daran, ob sie auch bei einer leichten Beschäftigung ohne Zeitdruck zwei Stunden am Tag einsetzbar sei.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG hörte die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Dr. R. teilte mit, die Klägerin könne weniger als drei Stunden (wenn überhaupt) arbeiten (Auskunft vom 10. Juni 2005). Internist K. gab an (Auskunft vom 19. September 2005), die Zuckerkrankheit habe sich kontinuierlich verschlechtert, weshalb große Mengen Insulin injiziert werden müssten. Die Depression verlaufe in typischen Hochs und Tiefs mit Verschlechterung durch äußerliche Einflüsse, wie z.B. berufliche und familiäre Probleme. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin eine körperlich leichte Tätigkeit mit sechs Stunden und mehr ausüben.
Im Auftrag des SG erstattete Ärztin für Psychiatrie Öz. das Gutachten vom 18. Februar 2006. Sie diagnostizierte psychogene Anfälle von Besessenheit mit Hyperventilation (ICD-10: F 44.3 und F 45.33) bei Zustand nach posttraumatischer Belastungsreaktion (ICD-10: F 43.1), eine chronifizierte depressive Entwicklung (im Durchschnitt: rezidivierende mittelgradige Depression mit somatischen Symptomen; ICD-10: F 32.11) und eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10: F 62.0). Die Klägerin sei in sehr einfachen ländlichen Verhältnissen in der Türkei aufgewachsen, wobei ihr zweitjüngstes Kind, ein 1983 geborener Junge, im Alter von drei Wochen an einer zu spät erkannten Blinddarmentzündung verstorben sei. Die Klägerin fühle sich für den Tod des Kindes schuldig, zumal sie sich während der Schwangerschaft bereits zu einem Schwangerschaftsabbruch entschlossen hatte, diesen jedoch nicht durchgeführt habe. Die Schuldgefühle, die nach dem Tod des Kindes wegen des zwischenzeitlich geplanten Schwangerschaftsabbruchs aufgekommen seien, seien externalisiert worden, indem sie dem Teufel zugeschrieben worden seien. Die Klägerin sei zudem davon überzeugt, von bösen Geistern besessen zu sein. Die Gutachterin verneinte die Frage, ob die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustands in der Lage sei, regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie könne sich keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorstellen, in der sie die Klägerin mit den beschriebenen Schwierigkeiten sehen könne. Die Einschränkung bestehe bereits seit dem 01. Oktober 2004. Die Erkrankung habe symptomatisch 1991 begonnen, wobei davon ausgegangen werden müsse, dass die Erkrankung damals noch milder verlaufen sei als heute. Eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustands sei in absehbarer Zeit nicht zu erarten, allerdings gebe es die geringe Hoffnung, dass eine Rente zu einer leichten Besserung des Gesundheitszustands führen könne. Dr. V. habe sich in ihrer Beurteilung vor allem auf die mutmaßliche finanzielle Not der Klägerin, die sie zur Rente dränge, gestützt. Die Annahme halte diese nicht für überzeugend. Ärztin B. habe sich ohne weitere Begründung der Beurteilung von Dr. V. angeschlossen.
Für die Beklagte nahm Ärztin für Psychiatrie Dr. Ho. am 05. Juli 2006 zu dem Gutachten Stellung. Das Gutachten enthalte zwar viele und auch interessante kulturspezifische Informationen zum türkischen Brauchtum und zur Religion sowie polemische sozialkritische Ausführungen, allerdings kaum Angaben, aus denen ein Leistungsbild der Klägerin abgeleitet werden könne. Es seien zwar reichlich Informationen zur Lebensgeschichte der Klägerin und ihrer Familie vorhanden, allerdings seien die noch vorhandenen Fähigkeiten und die Alltagsgestaltung der Klägerin kaum beschrieben worden. Bei den von der Klägerin angegebenen optischen und akustischen Wahrnehmungsstörungen handle es sich um keine Halluzinationen, sondern um im Zusammenhang mit der kulturellen Herkunft entstandene Sinnestäuschungen. Es handle sich um kulturspezifische Phänomene im Sinne von "magischem Denken", die die Klägerin zum Teil durch ihr Leben begleitet hätten, ohne ihre Leistungsfähigkeit zu mindern. Eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung werde im ICD-10 etwa bei Erlebnissen in einem Konzentrationslager, bei Folter, Katastrophen oder bei andauernden lebensbedrohlichen Situationen angenommen. Dies treffe bei der Klägerin nicht zu. Eine Rehabilitationsmaßnahme sei allenfalls nach Abschluss des Rentenverfahrens denkbar. In diesem Zusammenhang legte die Beklagte den Bescheid vom 18. Juli 2006 vor, mit dem der Antrag der Klägerin vom 11. April 2006 auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation mit der Begründung abgelehnt wurde, dass während eines laufenden Klageverfahrens die Durchführung von medizinischen Rehabilitationsleistungen nicht erfolgversprechend sei.
Mit Urteil vom 27. September 2006 hob das SG den Bescheid vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2005 auf und verurteilte die Beklagte, "der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem Leistungsfall am 08.10.2004 für die Zeit vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2008 zu gewähren". Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Erkrankungen nicht mehr in der Lage, täglich drei Stunden und mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich aus dem im Klageverfahren eingeholten Gutachten der Ärztin Öz ... Die Feststellungen der Gutachterin ließen sich auch mit den übrigen ärztlichen Äußerungen vereinbaren. Sie habe ausführlich und plausibel ihre von der Vorbeurteilung abweichende Auffassung dargelegt und die Klägerin in der türkischen Muttersprache begutachtet, wobei sie die kulturellen Unterschiede und Prägungen der Klägerin sowie die daraus resultierenden Einschränkungen der Leistungsfähigkeit dargelegt habe. Auch Dr. R., der die Klägerin regelmäßig psychiatrisch behandle, gehe von einem unter dreistündigem Leistungsvermögen der Klägerin aus. Eine Befristung der Rente sei auszusprechen gewesen, da die Gutachterin eine - wenn auch geringe - Hoffnung geäußert habe, dass es zu einer Besserung des Gesundheitszustands kommen könne.
Gegen das ihr am 30. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03. November 2006 Berufung eingelegt. Es stehe nicht fest, ob das in der Gerichtsakte enthaltene Gutachten unterschrieben sei. Falls dies nicht der Fall sei, könne es nicht als Entscheidungsgrundlage dienen. Es werde auf die Ausführungen in den Gutachten von Dr. V. und Ärztin B. verwiesen. Auch die Beurteilung durch Internist K. und die Darlegung der Dr. Ho. zeigten, dass eine rentenrelevante Leistungsminderung nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bewiesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. September 2006 abzuändern, soweit sie hierdurch verurteilt wird, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. Mai 2005 bis zum 30. April 2008 zu gewähren und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf den Entlassungsbericht des Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Prof. Dr. Ha. (M.-B.-Klinik) vom 29. Februar 2008 über einen stationären Aufenthalt vom 27. Dezember 2007 bis 07. Februar 2008. Prof. Dr. Ha. hat eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode, ICD-10: F 33.1), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F 45.4), einen chronischen Nikotinabusus (ICD-10: F 17.2), einen Diabetes mellitus Typ II seit 1995 (ICD-10: E 11) und eine Adipositas Grad I (ICD-10: 66) diagnostiziert. Bei der Aufnahme hätten sich keine Hinweise auf psychotische Wahrnehmungsstörungen oder Sinnestäuschungen gezeigt. Suizidgedanken seien zwar erwähnt worden, aber ohne Umsetzungstendenzen. Die Klägerin sei aufgrund der körperlichen Beschwerden und der Depression weiterhin ambulant behandlungsbedürftig.
Der Berichterstatter hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Dr. R. hat angegeben (Auskunft vom 16. April 2007), der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich gegenüber seiner Auskunft für das SG nicht geändert, wobei er die Klägerin seit dem 17. Oktober 2005 nicht mehr gesehen habe, da sie seither bei einer Kollegin in Behandlung sei. Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. He. gab an (Auskunft vom 25. September 2007), sie behandle die Klägerin seit 10. Oktober 2005. Das Krankheitsbild habe sich nicht verbessert. Aus psychiatrischer Sicht sei die Klägerin aufgrund der langjährigen chronifizierten depressiven Symptomatik in ihrer Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit stark eingeschränkt und nicht mehr in der Lage, mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten. Assistenzarzt Dr. A. und Psychologischer Psychotherapeut Dr. Ki. haben angegeben (Auskunft vom 24. Juli 2008), die Klägerin sei vom 27. Dezember 2007 bis 07. Februar 2008 in der M.-B.-Klinik stationär behandelt worden. Sie würden sich der Beurteilung der Leistungsfähigkeit durch die Gutachterin Öz. anschließen. Sie gingen davon aus, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, eine verwertbare Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt auszuführen.
Für die Beklagte hat Dr. Ho. unter dem 04. Juni 2008 Stellung genommen und mitgeteilt, eine erneute, "wenn möglich aussagekräftigere psychiatrische Begutachtung mit sozialmedizinischem Aspekt" solle in Erwägung gezogen werden.
Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, dass das in der Klageakte befindliche Gutachten der Sachverständigen Öz. unterschrieben ist.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, auf die Gerichtsakte erster Instanz sowie auf die Senatsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. Mai 2005 bis zum 30. April 2008 zu gewähren.
1. Da nur die Beklagte Berufung eingelegt hat, ist im Berufungsverfahren nur darüber zu entscheiden, ob die Klägerin für die Zeit vom 01. Mai 2005 bis zum 30. April 2008 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat. Soweit das SG die Klage für den davor bzw. den danach liegenden Zeitraum abgewiesen hat, ist das Urteil des SG rechtskräftig. Deshalb kann im Berufungsverfahren auch nicht darüber entschieden werden, ob die Klägerin über den 30. April 2008 hinaus Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.
2. Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin voll erwerbsgemindert, da sie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Im Vordergrund stehen bei der Klägerin Beschwerden auf psychiatrischem Fachgebiet. Die Klägerin leidet an psychogenen Anfällen von Besessenheit mit Hyperventilation bei einem Zustand nach posttraumatischer Belastungsreaktion, an einer chronifizierten depressiven Entwicklung (im Durchschnitt: rezidivierende mittelgradige Depression mit somatischen Symptomen) und an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung. Der Senat stützt sich insoweit auf das im Klageverfahren eingeholte Gutachten der Sachverständigen Öz. vom 18. Februar 2006. Maßgeblich ist hierbei die chronifizierte depressive Entwicklung, die auch von allen behandelnden Ärzten bestätigt wurde. Prof. Dr. Ha., Dr. A. und Dr. Ki. konnten zwar keinen Hinweis auf eine psychotische Wahrnehmungsstörung oder Sinnestäuschung feststellen (vgl. Entlassungsbericht vom 29. Februar 2008 und Auskunft vom 24. Juli 2008). Dies mag daran liegen, dass die Klägerin während des stationären Aufenthalts vom 27. Dezember bis 07. Februar 2008 nicht an psychotischen Wahrnehmungsstörungen oder Sinnestäuschungen gelitten hat. Die Sachverständige Öz. hat jedoch ausführlich und für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass die Klägerin unter psychogenen Anfällen von Besessenheit mit Hyperventilation leidet.
Die Klägerin leidet auf internistischem Fachgebiet zudem an Diabetes mellitus Typ II, an Adipositas Grad I sowie an einer medikamentös eingestellten arteriellen Hypertonie. Dies ergibt sich aus den Gutachten der Ärztin B. von 29. November 2004 und der Auskunft des Dr. A. und des Dr. Ki. vom 24. Juli 2008.
Aufgrund der auf psychiatrischem Gebiet bestehenden Erkrankungen ist das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden eingeschränkt. Der Senat folgt - ebenso wie das SG - der Leistungsbeurteilung der Sachverständigen Öz., weil diese, aufbauend auf überzeugenden Befunderhebungen, schlüssig ist. Der Einwand der Beklagten, ein aussagekräftigeres neues psychiatrisches Gutachten sei notwendig, da die Sachverständige nicht hinreichend die vorhandenen Fähigkeiten und die Alltagsgestaltung der Klägerin beschrieben habe, greift im Ergebnis nicht durch. Denn aus der Gesamtschau aller vorliegenden medizinischen Unterlagen ergibt sich, dass bei der Klägerin eine erhebliche, die Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht beeinträchtigende Beschwerdesymptomatik besteht. Dies ergibt sich für den Senat bereits daraus, dass die Klägerin bereits seit 2003 wegen der depressiven Störung stationäre psychiatrische Behandlungen in Anspruch nehmen musste. Zuletzt wurde sie vom 27. Dezember 2007 bis 07. Februar 2008 in der M.-B.-Klinik erneut stationär behandelt. Die stationären Behandlungen führten zu keiner wesentlichen Besserung. Prof. Dr. Ha. hat in seinem Entlassungsbericht vom 29. Februar 2008 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin aufgrund der körperlichen Beschwerden und der Depression weiterhin ambulant behandlungsbedürftig ist. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang insbesondere nicht dargelegt, weshalb die massive Beschwerdesymptomatik, die von allen behandelnden Ärzten bestätigt wird, keine Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin haben soll. Sowohl Dr. R. als auch Dr. He., Dr. A. und Dr. Ki. sind zu der Leistungseinschätzung gelangt, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die von der Sachverständigen Öz. beschriebenen Beschwerden und die hieraus resultierenden Einschränkungen der Leistungsfähigkeit sind somit für den Senat nachvollziehbar und schlüssig, sodass auch kein Grund bestand, von Amts wegen ein weiteres psychiatrisches Gutachten einzuholen.
Soweit Dr. V. und Ärztin B. in ihren Gutachten davon ausgegangen sind, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr zu verrichten, überzeugt dies den Senat nicht. Denn in dem - sehr knappen - Gutachten der Dr. V. vom 22. November 2004 wurde als Diagnose lediglich eine rezidivierende depressive Störung bei einer gegenwärtig leichten Episode angegeben. Dr. V. konnte demnach psychogene Anfälle von Besessenheit mit Hyperventilation bei einem Zustand nach posttraumatischer Belastungsreaktion sowie eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung nicht diagnostizieren. Die hierdurch bedingten Beschwerden führen jedoch zu einer Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens der Klägerin, wie der Senat bereits dargelegt hat. Soweit Internist K. in seiner Auskunft vom 19. September 2005 ebenfalls von einem über sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ausgegangen ist, überzeugt auch diese Einschätzung nicht, da das maßgebliche Leiden der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet liegt.
Die Klägerin hat die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI jedenfalls zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 08. Oktober 2004 erfüllt. Im Zeitraum vom 01. Oktober 1999 bis 30. September 2004 hat die Klägerin für mehr als 36 Monate Pflichtbeiträge entrichtet (vgl. Versicherungsverlauf vom 10. Dezember 2004, Anlage zum Bescheid der Beklagten vom selben Tag).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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BWB
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