L 12 B 106/08 KA ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 21 KA 1082/07 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 B 106/08 KA ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 17.12.2007 wird zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.



Gründe:

Der Antragsteller und Beschwerdeführer streitet im Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug seiner Zulassungsentziehung. Dem liegt der Vorwurf zugrunde, der Antragsteller habe in seiner Praxis eine große Zahl junger und jugendlicher Patientinnen sexuell belästigt.
Im Sommer 2006 waren gegen den Beschwerdeführer aufgrund von Strafanzeigen polizeiliche Ermittlungen u.a. wegen sexueller Nötigungen von Patientinnen durchgeführt worden. Am 28.11.2006 hatte daraufhin das Amtsgericht R. einen Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft angeordnet; am 30.11.2006 war der Haftbefehl jedoch unter Auflagen außer Vollzug gesetzt und am 06.12.2006 schließlich aufgehoben worden. Auch die zugrunde liegende Anklageschrift ist sodann von der Staatsanwaltschaft zurückgezogen worden.
Gestützt auf die dabei zugrunde liegenden Informationen hat der Zulassungsausschuss mit Schreiben vom 05.02.2007 dem Antragsteller und Beschwerdeführer mitgeteilt, er prüfe, ob dieser weiterhin für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet sei. Nach Eingang einer Stellungnahme des Bevollmächtigten des Antragstellers hat ihm der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 18.04.2007 die Zulassung als Vertragsarzt entzogen und den sofortigen Vollzug dieser Entziehung angeordnet.
Der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 18.04.2007 gibt in der Begründung dreizehn Schilderungen von früheren Patientinnen des Beschwerdeführers aus den polizeilichen Vernehmungen wieder - darunter fünf von in Heroin-Substitutionsbehandlung gewesenen Patientinnen -, die sexuelle Belästigungen vorbringen, und erwähnt sodann, dass es noch weitere 28 ähnliche, in den polizeilichen Ermittlungsakten dokumentierte Fälle gebe. Die geschilderten Vorgänge erstrecken sich über einen Zeitraum von etwa sieben Jahren, mehrere der Patientinnen waren seinerzeit minderjährig.
Mit Schriftsatz vom 16.04.2007 hatte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Strafverfahren gegenüber der Staatsanwaltschaft R. ausführlich vorgetragen, dass die Aussagen der Zeuginnen sämtlich falsch seien; die Motive dafür lägen zum Teil darin, dass die Zeuginnen sich damit bei der Polizei nützlich machen wollten, weil sie sich dadurch wegen eigener Strafverfahren Vorteile erhofften, oder dass sie sich beim Antragsteller rächen wollten, weil er die Substitutionsdosis nicht erhöhen wollte oder die Therapie abbrach, weil die Patientin die Medikamente an andere Personen weitergegeben oder sich in anderer Form nicht an die Erfordernisse der Therapie gehalten habe, oder auch, weil der Antragsteller ein Arbeitsverhältnis mit einer Praxishilfe nicht verlängern wollte.
Mit Schriftsatz vom 07.12.2007 legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Kopien von Zeugenaussagen anderer Personen vor, die ebenfalls vor der
Polizei gemacht worden waren, und mit deren Hilfe die den Antragsteller belastenden Aussagen entkräftet werden sollten. Außerdem legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Kopie einer psychologischen Stellungnahme vom 07.12.2007 vor zur Frage, inwieweit die Aussagen von acht der Belastungszeuginnen glaubhaft seien.
Mit der Einlegung des Widerspruchs gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses hat der Beschwerdeführer zugleich beim zuständigen Sozialgericht die Aufhebung des Sofortvollzuges beantragt. Das Sozialgericht hat dem Antrag entsprochen, weil der Zulassungsausschuss nicht die Kompetenz habe, einen Sofortvollzug anzuordnen, sondern erst der Berufungsausschuss.
Hiergegen hat der Berufungsausschuss Beschwerde eingelegt, sodass die Frage, ob der bereits vom Zulassungsausschuss angeordnete Sofortvollzug zu Recht erfolgt ist, nunmehr Gegenstand des Parallelverfahrens vor dem Bayerischen Landessozialgericht (L 12 B 650/07 KA ER) ist.
Nachdem im Verfahren über den Widerspruch gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses sodann auch der Berufungsausschuss - der sieben Patientinnen selbst gehört hat - die Zulassungsentziehung bestätigt, deren sofortigen Vollzug angeordnet und somit den Widerspruch des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses zurückgewiesen hat, hat der Antragsteller und Beschwerdeführer - neben einer Klageerhebung in der Hauptsache - gegen die Anordnung des sofortigen Vollzuges der Entziehung der Zulassung das Sozialgericht um einstweiligen Rechtsschutz gebeten.
Die hier relevanten Vorgänge in der Schilderung der vom Berufungsausschuss gehörten sieben Zeuginnen sind im Wesentlichen folgende:
- Die Zeugin S. sei vom Antragsteller aufgefordert worden, ihre Dosis Subutex beim Antragsteller an der Pferderennbahn A-Stadt abzuholen. Außerdem solle ihr der Antragsteller EUR 50.00 angeboten habe, wenn sie ihm einen "runterhole". Zudem habe er in seiner Praxis von der Patientin gefordert, sie möge sich vollständig ausziehen, damit er sie am Herzen untersuchen könne. Es sei auch vorgekommen, dass der Beschwerdeführer - ihr gegenüber sitzend - sie an Brust, Schenkeln und zwischen den Beinen berührt habe, und dass er ihr an die Brust gegriffen habe, weil er angegeben habe, untersuchen zu müssen, ob sie einen Knoten in der Brust habe. Zu ihrer Aussage sei sie durch Herrn L., den sie durch ihre Mutter kenne, bestärkt worden.
- Die Zeugin S. hat angegeben, der Antragsteller habe sie u.a., als sie als 14- bis 16-jährige Patientin zu ihm kam, eingeladen, mit ihm zu seiner Yacht nach Kroatien zu kommen und dort einen FKK-Strand zu besuchen.
- Die Zeugin K. hat berichtet, der Antragsteller habe ihr, als sie 12-jährig zu ihm in die Behandlung gekommen sei, unvermittelt unter der Kleidung an die Scheide gegriffen.
- Die Zeugin S. hat angegeben, der Antragsteller habe sie aufgefordert, zum Zwecke des Abhorchens bei Grippe und Husten ihren Büstenhalter zu öffnen, was sie aber abgelehnt habe. Dasselbe habe sich bei mehreren Terminen zugetragen. Außerdem habe er sie anlässlich eines Behandlungstermins als "geile Drecksau" tituliert, sie auch gefragt, ob sie einen Freund habe, ob sie ihr "erstes Mal" bereits gehabt habe und wann dies gewesen sei. Zudem hätte der Antragsteller sie am Ende eines jeden Arztbesuchs aufgefordert, ihn aufzusuchen, wenn ihr langweilig sei.
- Die Zeugin Z. hat berichtet, anlässlich ihrer Substitutionsbehandlung habe sie die Praxis des Antragstellers täglich aufgesucht, um ihre Subutex-Tablette abzuholen. Dabei habe er sie regelmäßig eine Stunde oder länger warten lassen, obwohl er gewusst habe, dass sie berufstätig sei. Der Antragsteller habe ihr dazu nur gesagt, dies sei ihm egal, sie wisse schon, was sie tun müsste, um nicht so lange warten zu müssen. Zu Beginn dieser Behandlung habe der Antragsteller eine Ganzkörperuntersuchung vorgenommen und ihr gesagt, sie sei zwar recht dünn, aber sie hätte schon was, das ihm gefallen würde.
- Die Zeugin O. hat geschildert, dass auch sie sich anlässlich ihrer Substitutionsbehandlung einer Ganzkörperuntersuchung zu unterziehen hatte, sowie, dass sie aus Unachtsamkeit des Antragstellers eine Überdosis Subutex erhalten habe.
- Die Zeugin K. hat angegeben, der Antragsteller habe sie aufgefordert, sich ganz auszuziehen, nachdem sie über Magenprobleme geklagt habe. Außerdem habe er ihr an die Brüste gegriffen und erklärt, sie habe einen schönen Büstenhalter.
Das Sozialgericht hat zu den streitigen Anschuldigungen vier Zeuginnen vernommen. Für deren Aussagen wird insgesamt auf die gerichtliche Niederschrift vom 07.12.2007 Bezug genommen. Aus diesen sehr detaillierten, sorgfältig protokollierten Aussagen sei hier nur Folgendes festgehalten:
- Die Zeugin K. hat erklärt, dass sie sich nicht mehr genau erinnern könne, wie weit ihr der Antragsteller in die Hose gefasst habe. Dass sie ihn auch danach noch als Arzt in Anspruch genommen habe, hat sie damit erklärt, dass seine Praxis in der Nähe ihrer Wohnung liege und dass es ihr nach A-Stadt zu weit gewesen wäre.
- Die Zeugin S. hat im Wesentlichen ihre Angaben beim Berufungsausschuss bestätigt.
- Auch die Aussage der Zeugin S. hat im Wesentlichen das früher Angegebene bestätigt.
- Ähnliches gilt schließlich auch für die Aussage der Zeugin Z ...
Das Sozialgericht hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des vom Beschwerdeausschuss angeordneten Sofortvollzuges mit Beschluss vom 07.12.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Berufungsausschuss stelle eine Ermessensentscheidung dar, die nach Abwägung der widerstreitenden Interessen zu treffen sei. Dementsprechend habe auch der gerichtlichen Überprüfung eine solche Abwägung der beiderseitigen Interessen zugrunde zu liegen. Außerdem seien dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens in die Beurteilung einzubeziehen, denn an der Vollziehung eines (offensichtlich) rechtswidrigen Verwaltungsaktes bestehe kein legitimes Interesse. Die streitbefangene Entscheidung des Berufungsausschusses über den Entzug der Zulassung als Kassenarzt erweise sich nach der im Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung nicht als offensichtlich rechtswidrig. Denn der Antragsgegner - der Berufungsausschuss - habe den Sachverhalt aufgrund eigener Ermittlungen geprüft, insbesondere unter Beiziehung der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten und aufgrund von deren Auswertung. Er habe ferner sieben Patientinnen befragt. Dass er dabei die Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers nicht hinzugezogen habe, mache seine Entscheidung nicht rechtswidrig. Er habe auch eine mündliche Anhörung des Antragstellers durchgeführt. Vor diesem Hintergrund könnten - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers - die Erfolgsaussichten in der Hauptsache allenfalls als offen bezeichnet werden.
Das Gericht habe sodann selbst die vorliegenden Ermittlungsakten ausgewertet und habe ausführlich die vier Zeuginnen befragt, die auch der Antragsgegner vernommen habe. Daraus habe sich - für die Kammer eindeutig - ergeben, dass der Beschwerdeführer mehrere überwiegend minderjährige Patientinnen verbal und tätlich in sexueller Hinsicht mindestens beleidigt und bedrängt habe. Dabei habe er seine Stellung als behandelnder Arzt namentlich bei den im Heroin-Entzugs-programm stehenden Patientinnen ausgenutzt. Zwar seien die Aussagen nicht völlig widerspruchsfrei gewesen. Es sei ihnen jedoch zweifelsfrei zu entnehmen gewesen, dass es zu mehreren derartigen Vorfällen gekommen sei. Für eine aussagepsychologische Überprüfung der Zeuginnen sei im Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz kein Raum.
Bei der auf dieser Grundlage vorzunehmenden Güterabwägung zur Frage des Sofortvollzugs stehe dem Interesse des Antragstellers und Beschwerdeführers an einer Fortsetzung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit der Schutz der Patientinnen vor derartigen sexuellen Übergriffen gegenüber. Dabei wiege der in Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 GG geregelte Anspruch auf Schutz der Patientinnen jedoch schwerer als der Schutz der Rechte des Beschwerdeführers an ungestörter Ausübung der Berufsfreiheit und dem Erhalt seines eingerichteten und ausgeübten Gewerbetriebes i.S.d. Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Namentlich der Schutz der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG überwiege die Interessen des Beschwerdeführers an ungehinderter Berufsausübung.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Bei dem angefochtenen Beschluss fehle es - so die Ausführungen in der Beschwerdeschrift - an einer ordnungsgemäßen Begründung. So fehle es schon an einer Darstellung der vom Gericht vorgenommenen Beweiswürdigung. Das Sozialgericht habe es unterlassen, die wesentlichen Grundlagen seiner Beweiswürdigung zum Ausdruck zu bringen, zumal die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen bestritten werde und deren Aussagen sich widersprächen. In den Gründen des angefochtenen Beschlusses fehle es auch an einem Abgleich der vor Gericht gemachten Aussagen mit bereits zuvor getätigten Aussagen vor der Polizei und vor dem Berufungssausschuss. Soweit sich das Sozialgericht mit einer Wertung der Aussagen der Zeuginnen befasst habe, sei die Würdigung widersprüchlich, unklar und lückenhaft. Zudem verstoße sie gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze. Auch fehle es in den Gründen des angefochtenen Beschlusses an einer umfassenden Gesamtwürdigung der Ergebnisse. Das Sozialgericht habe darüber hinaus auch nicht berücksichtigt, welche Belastungsmotive gegenüber den einzelnen Zeuginnen bestehen, namentlich gegenüber der selbst schwer belasteten, vom Erstgericht aber als Hauptbelastungszeugin angesehenen Zeugin S ...
Im Übrigen habe das Sozialgericht auch nicht zu den relevanten Rechtsfragen in ausreichender Weise Stellung genommen. Das Gleiche gelte für die gerügten formellen Mängel des Verfahrens vor dem Berufungsausschuss. Das Erstgericht habe es auch unterlassen, die genannten Entlastungszeuginnen - die Arzthelferinnen - zu vernehmen.
Das Sozialgericht habe schließlich eine fehlerhafte Ermessensabwägung getroffen. Auch in der Sache sei die Entziehung der Zulassung unrichtig, sie sei offensichtlich rechtswidrig. Sämtliche Einwendungen gegen den Beschluss des Sozialgerichts werden durch die Bevollmächtigten des Beschwerdeführers sodann auch ausführlich und im Einzelnen dargelegt.
Inhaltlich führen die Bevollmächtigten des Antragstellers und Beschwerdeführers zu den einzelnen Aussagen der Zeuginnen noch aus:
- Bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung habe die Zeugin Z. nur äußerst vage Angaben gemacht. Erst ein Jahr später, vor dem Berufungsausschuss, als sie über die langen Wartzeiten berichtete habe, sei sie etwas konkreter geworden; sie habe aber nie angegeben, dass sie sich bei einer Arzthelferin über die langen Wartezeiten beschwert habe. Die Zeugin habe bei ihrer ersten Vernehmung auch angegeben, dass sie nie sexuell belästigt, bedrängt oder betatscht worden sei. Vor dem Berufungsausschuss habe sie aber bezeugt, am Arm und an den Haaren angefasst worden zu sein. Vor dem Sozialgericht sei davon dann keine Rede mehr gewesen.
- Auch die Aussagen der Zeugin S. seien voller Widersprüche.
- Bei den Aussagen der Zeugin K. falle ebenfalls auf, dass sie Widersprüche enthielten, auch zu dem, was der angebliche Mitwisser M. S. dazu ausgesagt hat. Zudem erschienen die Angaben über die Anzahl ihrer Arztbesuche insbesondere in der Zeit nach dem angeblichen Übergriff durch den Antragsteller äußerst unglaubwürdig.
- Die Zeugin S. habe nachprüfbar unrichtig ausgesagt; sie sei auch die treibende Kraft hinter den Vorwürfen gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer gewesen.
Das Beschwerdegericht hat am 08.07.2008 einen Erörterungstermin durchgeführt, in welchem der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers eine synoptische Gegenüberstellung der zu verschiedenen Zeitpunkten gemachten Aussagen der einzelnen Zeuginnen zu den Akten gegeben hat. Außerdem hat der Antragsteller und Beschwerdeführer in diesem Termin angegeben, er sei das Opfer eines Komplotts. Denn ein Lokalpolitiker habe seine Tochter sexuell belästigt. Weil er sich deshalb an die Polizei gewandt habe, habe dieser aus Rache den ganzen Vorgang inszeniert.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer beantragt,
unter Aufhebung der zugrunde liegenden Entscheidungen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zulassungsentziehung im Bescheid des Beschwerdegegners vom 05.11.2007 aufzuheben, hilfsweise unter Auflagen.
Demgegenüber beantragt der Beschwerdegegner sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 15.02.2008 ist die Beigeladene zu 2. - die AOK - den Angriffen der Bevollmächtigten gegen die Verfahrensweise des Berufungsausschusses sowie gegen die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen entgegengetreten.
Zur Ergänzung der Darstellung des Sachverhalts, der Aussagen der gehörten Zeuginnen und der von den Beteiligten vorgetragenen Argumente und Überlegungen wird auf den Inhalt der Akten des Beschwerdegerichts und des Erstgerichts, des Berufungsausschusses und des Zulassungsausschusses sowie auf die Akten aus dem Strafverfahren gegen den Antragsteller Bezug genommen.

II.:
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht begründet. Die zugrunde liegende Entscheidung des Erstgerichts erscheint zutreffend. Die Ablehnung des Antrags, den vom Berufungsausschuss angeordneten sofortigen Vollzug aufzuheben, ist nicht zu beanstanden.
Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Beschwerdegericht gehalten ist, den Sachverhalt in eigener Verantwortung zu prüfen; ob und inwieweit vorangegangene Entscheidungen an etwaigen inhaltlichen Mängeln leiden, ist daher ohne Bedeutung. Einer Heilung etwaiger Mängel im vorangegangenen Verfahren bedarf es nicht.
Was die Rügen in Bezug auf das Verfahren des Berufungsausschusses angeht, teilt der Senat diese nicht; insoweit wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Es sprechen zahlreiche Hinweise dafür dass dem Antragsteller "gröbliche Pflichtverletzungen" i.S.d. § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V zur Last zu legen sind.
Zu Recht hat das Erstgericht versucht, hinsichtlich der Entscheidung in der Hauptsache eine Einschätzung der Aussichten des Antragstellers vorzunehmen, und sodann auf deren Grundlage die von den Vorgängen berührten Interessen gegeneinander abzuwägen. Der Senat stimmt insoweit der Einschätzung des Erstgerichts zu, dass der Fortbestand der Zulassung des Antragstellers und Beschwerdeführers in hohem Maß gefährdet erscheint. Die Ermittlungen in den vorangegangenen Verfahren - des Sozialgerichts, des Berufungsausschusses und der Zulassungsausschusses - veranlassen die Feststellung, dass der Beschwerdeführer über einen längeren Zeitraum hinweg und in nicht unerheblicher Anzahl junge Patientinnen mit eindeutig sexuell bestimmten Bemerkungen, Betrachtungen und Berührungen belästigt hat. Es bedarf keiner ausführlicheren Darlegung, dass dies mit den Pflichten eines Vertragsarztes im Sinne der genannten Vorschrift unvereinbar ist; die Träger des gesetzlichen Gesundheitswesens, namentlich die Krankenkassen, für die der Antragsteller im Rahmen des Sachleistungsprinzips tätig ist, brauchen nicht hinzunehmen, ihren (weiblichen) Versicherten Solches zumuten und dies dann auch noch von Gesetzes wegen bezahlen zu müssen. Die Vernehmungsprotokolle der Polizei, des Berufungsausschusses und des Sozialgerichts enthalten in diesem Zusammenhang zahlreiche, sehr konkrete Vorwürfe.
Demgegenüber kann sich der Beschwerdeführer nicht darauf berufen, dass diese Vorwürfe allesamt oder im Wesentlichen unglaubwürdig und unwahr seien. Wenn der Beschwerdeführer angibt, es handle sich dabei vor allem um mehrere Rauschgift-Entzugs-Patientinnen, die schon deshalb unglaubwürdig seien, so ist dem zunächst entgegen zu halten, dass von diesem Argument nur ein Teil der Zeuginnen betroffen ist und dass dieser Gesichtspunkt schon deshalb die Vorwürfe nicht insgesamt entkräften kann. Darüber hinaus erscheint es auch zu einfach, Patientinnen, die zum Zwecke eines Rauschmittelentzuges in ärztlicher Behandlung sind, generell und sämtlich als Lügnerinnen hinzustellen. Zwar hat der Beschwerdeführer dabei als Motive vortragen lassen, diese hätten sich durch ihre Aussagen ein Wohlwollen der Polizei erwerben wollen, oder sie hätten den Beschwerdeführer durch Erpressung zur Abgabe größerer Mengen an Medikamenten oder zur Gewährung sonstiger Vergünstigungen veranlassen wollen. Dieser Interpretation steht aber zum einen entgegen, dass durch die Ausführung einer solchen "Erpressung" deren Erfolg, nämlich die Erlangung solcher Vergünstigungen, vereitelt werden würde; die Drohung mit einer Anzeige wegen sexueller Belästigung zur Erlangung größerer Mengen an Medikamenten kann nur solange Erfolg haben, solange es bei einer bloßen Drohung bleibt. Zum anderen steht dem entgegen, dass nicht ersichtlich ist, zu welcher Art Wohlwollen solche Aussagen die Polizei veranlassen sollten. Sodann ist auch nicht ersichtlich, wie an einer derart motivierten Absprache, wie sie es nach der Darstellung des Beschwerdeführers hier gegeben haben soll, eine so ungewöhnlich große Zahl von Personen beteiligt gewesen sein soll. Darüber hinaus steht dieser Annahme des Beschwerdeführers entgegen, dass nach seiner Sichtweise dann auch nicht mehrere Heroin-abhängige Personen an einer solchen Absprache teilgenommen haben müssten, ohne dass dafür irgendein brauchbares Motiv ersichtlich wäre. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass der Beschwerdeführer dieser seiner Darstellung selbst den Boden entzogen hat, indem er im Erörterungstermin vor dem Bayerischen Landessozialgericht am 08.07.2008 behauptet hat, hinter dem Ganzen stehe der Racheakt eines Lokalpolitikers. Im Übrigen hat der Antragsteller und Beschwerdeführer zu dieser These auch keinerlei konkreten Anhalt geliefert. Es hätte beispielsweise nahe gelegen, dafür dem Gericht beispielsweise eine Erklärung seiner angeblich betroffenen Tochter, etwa in Form einer eidesstattlichen Versicherung, zu überlassen.
Der Senat ist auch aus weiteren Gründen nicht davon überzeugt, dass es sich bei den Aussagen der betroffenen Patientinnen um Erfindungen handelt. Denn mehrere der fraglichen Aussagen enthalten Details, die dritte Personen betreffen, oder Umstände, die den Inhalt der Aussage unterstreichen und die die Zeugin jeweils nur vom Antragsteller selbst gehört haben kann. Gerade die Einbeziehung Unbeteiligter und die damit verbundene Möglichkeit, unabhängig von einer der betroffenen Patientinnen den Wahrheitsgehalt der jeweiligen Aussage nachprüfen zu können, steht der Annahme, es handle sich um Erfindungen, entgegen. Denn in diesen Fällen hätten ansonsten die Zeuginnen das Risiko, der Unwahrheit überführt zu werden, grundlos in Kauf genommen.
So hat die Zeugin S. einen Bekannten ihrer Mutter, Herrn L., als frühen Mitwisser in ihre Aussage einbezogen und sich damit dem Risiko einer Nachprüfbarkeit des Wahrheitsgehalts ihrer Aussage ausgesetzt. Dass auch Herr L. in das vom Beschwerdeführer behauptete Komplott oder eine Absprache oder ein Erpressungsgeschehen eingeweiht gewesen war und sich dem angeschlossen hätte, erscheint höchst unwahrscheinlich; zugleich erhöht dieser Umstand die Glaubwürdigkeit der Zeugin und steht zu der Behauptung, es beruhe dies alles nur auf einer Absprache, um den Antragsteller und Beschwerdeführer zu schädigen, in Widerspruch. Entsprechendes gilt für die Aussage der Zeugin O., wenn sie angibt, sie habe sich einem Drogenberater der Caritas anvertraut, der ihr zur Anzeige geraten habe. Des Weiteren hat diese Zeugin auch angegeben, dass sie die Auswirkungen der in der Praxis des Antragstellers verabreichten Überdosis Subotex im Beisein ihrer Mutter erlebt habe. Die Zeugin K. hat angegeben, sie habe den geschilderten Vorfall ihrem Cousin berichtet, durch den davon auch ihre Eltern erfahren hätten. Auch diese Darstellung steht im Widerspruch zu dem Verdacht, die Zeugin habe dies erfunden, und damit auch zu dem Vorwurf, es handle sich bei dem Ganzen um ein Komplott oder Ähnliches. Denn so wie sie den Vorgang geschildert hat, wäre es auch hier ein Leichtes, durch Befragung der übrigen daran Beteiligten den Wahrheitsgehalt zu überprüfen bzw. ihn zu widerlegen. Auch die Zeugin S. hat vor dem Sozialgericht angegeben, sie habe von ihrem Erlebnis bei dem Antragsteller ihren Eltern erzählt. Ähnliche Schlüsse lassen sich aus der Aussage der Zeugin S. ziehen. Diese nennt ein Detail aus dem Umfeld des Beschwerdeführers, das sie nur von ihm wissen konnte. Da dieses Detail - Besitzer einer Yacht in Kroatien - gut zu dem Kontext der in dieser Aussage berichteten Fakten passt, spricht auch dies für die Richtigkeit ihrer Aussage. Hinzu kommt, dass diese Zeugin dieses Detail nicht erfunden haben würde, wäre sie - wie vom Beschwerdeführer behauptet - an einem Komplott beteiligt gewesen. Denn auch sie würde damit das Risiko der Widerlegbarkeit ihrer Angaben erheblich vergrößert haben.
Auch der Gesichtspunkt, ein Teil der Betroffenen habe nach den beanstandeten Vorfällen noch die Praxis des Beschwerdeführers aufgesucht, widerlegt die erhobenen Vorwürfe nicht. Zum einen dürfte es gerade Substitutions-Patientinnen schwer fallen, kurzfristig und in räumlicher Nähe eine ausreichende Alternative zu finden. Zum anderen erscheint auch die Angabe, es sei wegen der großen Nähe am einfachsten gewesen, bei Bedarf weiterhin den Beschwerdeführer in Anspruch zu nehmen, plausibel, zumal die ihm zur Last gelegten Verhaltensweisen jeweils nicht übermäßig schwerwiegend waren. Nicht zuletzt beruht die Entziehung der Zulassung auf der großen Zahl der Vorgänge und der großen Zahl der davon betroffenen Patientinnen. Dies bedeutet, dass das Verhalten des Beschwerdeführers insgesamt nicht jede einzelne Patientin so sehr betroffen hat und von dieser als so schwerwiegend empfunden werden musste, wie es insgesamt in Wirklichkeit war.
Schließlich erscheint auch das Argument des Beschwerdeführers, die einzelnen Aussagen enthielten Ungenauigkeiten und Widersprüche, nicht überzeugend. Denn sowohl der Zeitablauf als auch die Tatsache, dass vielen Details - etwa, wer genau vor Jahren an einer zufälligen Besprechung teilgenommen hat, oder wann ein bestimmtes Ereignis genau stattgefunden hat - zwangsläufig nicht von vornherein die Bedeutung beigemessen worden ist, die ihnen jetzt zuzukommen scheint, erklärt dies zwanglos.
Aus diesen Gründen sieht der Senat - auch vor dem Hintergrund der psychologischen Stellungnahme der Frau K. vom 07.12.2007 - keine Zweifel an der Richtigkeit des Kerns der fraglichen Angaben. Denn naturgemäß ist diese Stellungnahme viel zu vage, um daraus irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen zu können. Ähnliches gilt für die Angaben der als Entlastungszeugen bei der Polizei vernommenen weiteren Personen. Auch diese Mitteilungen enthalten nichts, was über die Sphäre des bloß Möglichen hinausginge.
Auch die Bestätigung des sofortigen Vollzugs durch das Erstgericht auf der Basis des § 97 Abs. 4 SGB V ist nicht zu beanstanden. Ein vorläufiges Berufsverbot hat zwar während seiner Dauer ähnlich folgenschwere und irreparable Wirkungen für die berufliche Existenz eines Betroffenen wie die endgültige Ausschließung - so das BVerfGE 44, 105, 118 ff. -, es weist aber die Besonderheit auf, dass die Maßnahme bereits aufgrund einer summarischen Prüfung ohne erschöpfende Aufklärung der Pflichtwidrigkeit der Rechtskraft der Verwaltungsentscheidungen ergeht. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes, das auch dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) eine hohe Bedeutung zuerkennt, kann für eine solche Situation nicht schon die hohe Wahrscheinlichkeit genügen, dass das Hauptsacheverfahren zum gleichen Ergebnis führen würde. Vielmehr setzt die Verhängung eines sofortigen Vollzugs vor dem Hintergrund der Wertung aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot die zusätzliche Feststellung voraus, dass ein Sofortvollzug schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist. Dies entspricht der Funktion von Präventivmaßnahmen, mit denen für eine Zwischenzeit ein Sicherungszweck verfolgt wird, der es ausnahmsweise rechtfertigt, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt. Befürchtungen, dass die Fortsetzung der Tätigkeit des Antragstellers und Beschwerdeführers auch künftig die konkrete Gefahr von verbalen Übergriffen mit sich bringt und damit die sexuelle Selbstbestimmung von Patientinnen beeinträchtigt und sie in ihrer Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt, sind hier aber begründet. Denn die Ermittlungen des Berufungsausschusses, die auf den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden beruhen, und die durch die Zeugenvernehmung des Erstgerichts bestätigt worden sind, haben ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht nur in zahlreichen Fällen junge oder jüngere Frauen in seiner Praxis durch Bemerkungen, eindeutige Aufforderungen, Berührungen oder Einladungen sexuell belästigt hat. Sie haben darüber hinaus auch ergeben, dass nicht erwartet werden kann, dass solches künftig unterbleibt. Denn eine irgendgeartete Einsicht in die Problematik seines Umgangs mit jungen Patientinnen ist nicht zu erkennen. Die damit verbundenen konkreten Gefahren für Patientinnen des gesetzlichen Gesundheitswesens machen daher ein sofortiges Tätigwerden der zuständigen Stellen notwendig. Es kann wie dargelegt den Patientinnen des gesetzlichen Gesundheitswesens auch künftig nicht zugemutet werden, unter diesen Umständen weiterhin den Beschwerdeführer zu Beratungen oder Behandlungen aufzusuchen. Es kann auch den Trägern des gesetzlichen Gesundheitswesens, namentlich den Krankenkassen, nicht zugemutet werden, den Kläger, der für sie als Arzt die Sachleistungspflicht gegenüber ihren Versicherten erfüllt, diesen anzubieten.
Eine Aufhebung des Sofortvollzuges der Entziehung unter Auflagen, etwa verbunden mit dem Verbot, Patientinnen anders als nur in Gegenwart dritter Personen zu behandeln, erscheint hier nicht ausreichend. Dies ist - namentlich angesichts der Vielzahl der betroffenen Patientinnen - schon deshalb der Fall, weil den Trägern des gesetzlichen Gesundheitswesens kein Mittel zur Verfügung steht, ein solches Verbot wirksam zu überwachen.

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus der Entscheidung in der Sache. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht vorgesehen (§ 177 SGG).

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Rechtskraft
Aus
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