L 13 R 58/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 R 4311/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 58/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28. November 2007 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
3. August 2004 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Mai 2004 eine Altersrente unter Berücksichtigung des im Zeitraum vom 1. Februar bis 30. April 2004 erzielten tatsächlichen Arbeitsentgelts in Höhe von 11.603,00 EUR unter Anrechnung der gezahlten Rente zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Höhe der seit 1. Mai 2004 bezogenen Altersrente.

Der 1943 geborene Kläger war bei der Firma E. Deutschland GmbH beschäftigt. Er schloss am 19. November 2001/26. Februar 2002 mit der Arbeitgeberin einen Arbeitsvertrag für verblockte Altersteilzeit. Das bestehende Vollzeitarbeitsverhältnis wurde mit Wirkung ab 1. Mai 2002 als Altersteilzeitarbeitsverhältnis fortgeführt und endete am 30. April 2004. Er stellte am 2. Februar 2004 bei der Beklagten einen Antrag auf Versichertenrente nach Altersteilzeitarbeit und Vollendung des 60. Lebensjahres. In dem Formularantrag erklärte sich der Kläger einverstanden, dass der Rentenversicherungsträger zur Beschleunigung des Rentenverfahrens die bis zum Ende des Vormonats des Rentenbeginns maßgeblichen beitragspflichtigen Einnahmen im Voraus anfordert und der Rentenberechnung zugrunde legt. Sollten die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen von dem vorausbescheinigten Betrag abweichen, könnten diese erst bei einer später zu zahlenden Rente berücksichtigt werden. Der Kläger legte eine Entgeltbescheinigung der Arbeitgeberin vom 28. Januar 2004 für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Januar 2004 sowie eine Entgeltvorausbescheinigung für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2004 in Höhe von 11.413 EUR vor.

Mit Rentenbescheid vom 22. März 2004 bewilligte die Beklagte ab 1. Mai 2004 eine auf der Grundlage des vorausbescheinigten Arbeitsentgelts berechnete Altersrente in Höhe von monatlich 1.436,64 EUR brutto.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger eine tarifliche Gehaltserhöhung ab 1. März 2004 und somit höhere Beitragsabgaben durch die Arbeitgeberin für die Monate März und April 2004 gegenüber der Entgeltvorausbescheinigung geltend. Die Arbeitgeberin bescheinigte am 12. Mai 2004, dass sich das effektive Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 1. Februar bis 30. April 2004 auf 11.603,00 EUR belaufen habe. Zum Zeitpunkt der Ausstellung der Entgeltvorausbescheinigung am 28. Januar 2004 sei eine Tariferhöhung noch nicht bekannt gewesen. Der Tarifabschluss sei erst am 16. Februar 2004 erfolgt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2004 zurück. Die Vorausbescheinigung sei im Zeitpunkt der Ausstellung richtig im Sinne des § 70 Abs. 4 S. 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) gewesen. Es könne somit keine Neufeststellung der Altersrente vorgenommen werden.

Mit der Klage zum Sozialgericht Augsburg begehrte der Kläger die Auszahlung der Altersrente unter Berücksichtigung des tatsächlichen Entgelts. Die gesetzliche Regelung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und stelle einen Gesetzesmissstand dar.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. November 2007 ab. Gemäß § 70 Abs. 4 S. 2 SGB VI habe die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme für die gewährte Rente bei Vorlage einer Vorausbescheinigung außer Betracht zu bleiben, auch wenn sie vom vorausbescheinigten Entgelt abweiche. Das vorausbescheinigte Arbeitsentgelt sei für diese Rente wegen Alters endgültig. Eine Neufeststellung sei lediglich dann vorzunehmen, wenn die Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt für den Arbeitnehmer falsch sei. Vorliegend sei die Bescheinigung jedoch zutreffend gewesen, da zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung die eingetretene Änderung aufgrund der erst zum 1. März 2003 erfolgten Tariferhöhung nicht bekannt gewesen sei. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bestehe nicht. Im Übrigen habe sich der Kläger in seinem Rentenantrag ausdrücklich mit der Verwendung der Vorausbescheinigung einverstanden erklärt. Schließlich ergebe sich nur eine Erhöhung der monatlichen Bruttorente um 0,17 EUR.

Zur Begründung der Berufung hat der Kläger vorgebracht, er sei im Rahmen der Antragstellung nicht darauf hingewiesen worden, dass eine Ausnahme sich dann ergebe, wenn dem Rentenversicherungsträger noch vor Erteilung des Rentenbescheids auf Grundlage des vorausbescheinigten Arbeitsentgelts die abweichende tatsächliche Beitragseinnahme bekannt geworden wäre. Da der Tarifabschluss bereits am 16. Februar 2004 erfolgt sei und der Rentenbescheid vom 22. März 2004 datiere sowie sich seine neue Lohnabrechnung bereits Ende Februar 2004 auf seinem Konto ausgewirkt habe, hätte es ausgereicht, bei seiner Arbeitgeberin die tatsächliche Arbeitsentgeltbescheinigung anzufordern und der Beklagten zuzusenden, so dass eine Einarbeitung noch vor dem 22. März 2004 möglich gewesen wäre. Nach neuem Recht wäre der Auszahlungstermin der Rente erst am 31. Mai 2004 gewesen. Er sei nicht auf die Notwendigkeit einer gesonderten Benachrichtigung unter Darlegung des Änderungstatbestandes, wenn sich für den vorausbescheinigten Zeitraum Änderungen ergeben würden, hingewiesen worden. Er habe sich ferner zwangsläufig mit der Verwendung der Vorausbescheinigung einverstanden erklären müssen, um seine Rente zu erhalten. Schließlich habe der Gesetzgeber ab 1. Januar 2008 eine Hochrechnung der voraussichtlich beitragspflichtigen Einnahmen eingeführt und damit die bisherige Rentenberechnung für Dauerbeschäftigte mit Nachteil für die Rentner beseitigt.

Die Beklagte hat ausgeführt, dass die tatsächliche Beitragseinnahme vor Erteilung des Rentenbescheides nicht bekannt geworden sei. Darüber hinaus sei die den Kläger betreffende Entgeltvorausbescheinigung nicht falsch im Sinne des § 70 Abs. 4 SGB VI.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28. November 2007 aufzuheben sowie die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2004 zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 2004 eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung des im Zeitraum vom 1. Februar bis 30. April 2004 erzielten tatsächlichen Arbeitsentgelts in Höhe von 11.603,00 EUR unter Anrechnung der gezahlten Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie die Klage- und Berufungsakten verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Der Senat kann aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden.

Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG), gerichtet auf einen höheren Rentenbetrag, zulässig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rentengewährung in der Höhe, die sich unter Zugrundelegung des tatsächlich erzielten Bruttoarbeitsentgelts für die Monate Februar bis einschließlich April 2004 ergibt.

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden, § 64 SGB VI. Die Höhe der Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen, § 63 Abs. 1 SGB VI. Arbeitgeber haben auf Verlangen von Versicherten das voraussichtliche beitragspflichtige Arbeitsentgelt für die Zeit bis zum Ende der Beschäftigung bis zu drei Monaten im Voraus zu bescheinigen, wenn von den Versicherten für die Zeit danach eine Rente wegen Alters beantragt wird, § 194 Abs. 1 S. 1 SGB VI. Die Vorausbescheinigung soll ausschließlich eine beschleunigte Leistungsgewährung ermöglichen. § 194 Abs. 3 SGB VI bestimmt deshalb, dass die Beitragsberechnung nach der tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahme erfolgt. Ist allerdings für eine Rente wegen Alters eine beitragspflichtige Einnahme im Voraus bescheinigt worden (§ 194 SGB VI), sind für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der vorausbescheinigten ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht, § 70 Abs. 4 SGB VI. Nach dem Wortlaut des § 70 Abs. 4 SGB VI steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch deshalb nicht zu.

Zu der vergleichbaren Regelung des § 123 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) hat das Bundessozialgericht (BSGE 77, 77) entschieden, dass der Rentenversicherungsträger auf der Grundlage einer Entgeltvorausbescheinigung die Höhe des Altersruhegeldes endgültig festsetzen darf. Zwar bestimmte § 123 Abs. 1 S. 3 AVG, dass ein von der Vorausbescheinigung abweichendes Einkommen für die Rentenberechnung nicht zu berücksichtigen ist. Das BSG hat jedoch entschieden, dass der Rentenversicherungsträger auf Verlangen verpflichtet, im Übrigen berechtigt ist, den Zahlbetrag insoweit abzuändern, wenn das tatsächlich erzielte Entgelt von dem vorausbescheinigten abweicht. Die bisherige Rechtsprechung (BSGE 45, 72) wurde dabei ausdrücklich aufgegeben. Sinn und Zweck des § 123 Abs. 1 S. 3 AVG sei es, das Verwaltungsverfahren zu beschleunigen und beim Altersruhegeld eine frühzeitige Antragstellung bzw. Rentengewährung zu ermöglichen. Der Normzweck sei zeitlich auf die Dauer des Verwaltungsverfahrens und inhaltlich auf den abschließenden Verwaltungsakt begrenzt.

In vorliegendem Fall ist, wie in dem vom BSG entschiedenen, die Entgeltvorausbescheinigung richtig gewesen. Die tarifvertragliche Rentenerhöhung vom 16. Februar 2004 erfolgte erst nach Ausstellung der Bescheinigung (28. Januar 2004) und ist erst zum 1. März 2004 in Kraft getreten. Sie war der Beklagten bei Erlass des Rentenbescheides am 22. März 2004 nicht bekannt. Eine bindende Wirkung der Entgeltvorausbescheinigung steht aber der Zugrundelegung der nachträglich eingetretenen realen Entwicklung nicht entgegen (BSGE 77, 77). § 70 Abs. 4 SGB VI ist nur ergänzend und präzisierend an die Stelle des § 123 Abs. 1 S. 3 AVG getreten (BSGE 77, 77). Auch hier ist Sinn und Zweck allein, dem Kläger einen zeitlich reibungslosen Übergang vom Arbeitsentgeltbezug zum Rentenbezug zu ermöglichen. Dies wird dadurch erreicht, dass der Rentenversicherungsträger die Höhe der Altersrente zunächst auf der Grundlage einer Vorausbescheinigung festsetzt. Unter Bezugnahme auf die dargelegte Rechtsprechung des BSG und im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG ist die Rente neu festzusetzen, wenn sich herausstellt, dass die beitragspflichtigen Einnahmen zu niedrig bescheinigt wurden. Ohne eine Angleichung wäre der Kläger ohne sachlichen Grund gegenüber der Gruppe der Rentner, bei denen die Rente nicht nach einer Vorausbescheinigung berechnet wurde, benachteiligt. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus dem Grundrecht auf Schutz des Eigentums nach Art. 14 GG. Auch die durch dieses Grundrecht geschützte Rentenanwartschaft verlangt eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung des § 70 Abs. 4 SGB VI, d.h. eine Rentengewährung in der Höhe, wie sie sich aus den Beiträgen gemäß dem tatsächlichen Arbeitsentgelt ergibt. Dies gilt jedenfalls für den auch hier vorliegenden Fall, dass der Rentenbescheid noch nicht bestandskräftig im Sinne des § 77 SGG ist (so auch: KassKomm-Polster, § 70 SGB VI Rdnr. 19). Dabei ist nämlich auch in prozessualer Hinsicht zu berücksichtigen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist.

In dem vom Kläger im Rentenantrag abgegebenen Einverständnis, dass die Beklagte das vorläufig bescheinigte Entgelt der Rentenberechnung zugrunde legt, ist entgegen der Ansicht des Sozialgerichts auch kein Verzicht im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) zu sehen. Diese Vorschrift erfasst nur Ansprüche auf Sozialleistungen, betrifft aber nicht die Berechnungsgrundlagen (BSG, a.a.O.).

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.



-
Rechtskraft
Aus
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