L 31 U 360/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 497/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 U 360/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe einer Verletztenteilrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im weiteren Text: BK Nr. 2301).

Der am 24. Februar 1938 geborene Kläger war nach einer Ausbildung zum Zimmerer von Juli von 1953 bis 1956 in diesem Beruf bei verschiedenen Arbeitgebern, zuletzt von 1978 bis Februar 2003 als Polier, tätig.

Eine Auskunft des Technischen Dienstes der Beklagten vom 16. März 1989 ergab, dass aufgrund von Messungen in vergleichbaren Fällen damit zu rechnen sei, dass der Kläger bei seinen Tätigkeiten als Zimmerer, Einschaler beziehungsweise Polier durchschnittlichen Lärmbelästigungen von 85 bis 88 dB (A) ausgesetzt gewesen sei.

Aufgrund einer ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit des Dr. G vom 10. November 1988 wegen einer beidseitigen Hörminderung aufgrund einer Innenohrschwerhörigkeit, zog die Beklagte Audiogramme vom 26. Februar 1973, 26. Februar 1974, 30. März 1978, 20. Oktober 1978, 21. Dezember 1987, 9. Februar 1988 und 22. September 1988 bei. Des weiteren veranlasste die Beklagte die Begutachtung des Klägers durch den Chefarzt der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik im Krankenhaus N Prof. Dr. N. Dieser hatte in seinem Gutachten wegen des Verdachtes einer endogenen Schwerhörigkeit u. a. vorgeschlagen, die MdE zunächst "auszusetzen" und die Entscheidung darüber von einer weiteren Untersuchung nach Verringerung der Lärmbelastung durch konsequentes Tragen von Gehörschutz abhängig zu machen. Die Beklagte erkannte nach Auswertung dieses Gutachtens mit Bescheid vom 15. August 1989 das Vorliegen einer Hörstörung, die durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sei, an, lehnte jedoch die Anerkennung einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab und verpflichtete den Kläger bei lärmeinwirkender Tätigkeit statt der bisher benutzten Gehörstöpsel Gehörschutzkappen zu verwenden. Den Widerspruch des Klägers vom 31. August 1989 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 1989 zurück; die hiergegen am 14. Dezember 1989 eingegangene Klage wies das Sozialgericht Berlin nach Einholung eines Gutachtens des Leiters der Hals-Nasen-Ohrenklinik des
Universitätsklinikums St Professor Dr. Sch sowie einer ergänzenden Stellungnahme hierzu mit durch Rücknahme der Berufung rechtskräftig gewordenem Urteil vom 16. April 1991 ab.

Im Juli 1992 veranlasste die Beklagte die Nachuntersuchung des Klägers durch Prof. Dr. N und erkannte nach Auswertung seines Gutachtens vom 12. November 1992 mit Bescheid vom 28. Juli 1993 eine Lärmschwerhörigkeit, d.h. eine gering bis mittelgradige
Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits, links stärker als rechts, als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 der BKV an und gewährte dem Kläger ab 27. Mai 1989 eine Dauerrente nach einer MdE von 20 v.H ...

Auf einen Hinweis des Arbeitsmedizinischen Dienstes der Beklagten vom 5. Januar 2000, dass es seit Dezember 1997 zu einer Befundzunahme im Tieftonbereich beidseits gekommen sei, veranlasste die Beklagte eine Nachbegutachtung der anerkannten Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit des Klägers durch den Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. K. Dieser führte in seinem Gutachten vom 12. April 2000 unter anderem aus, es sei zu einer Zunahme des gesamten Hörverlustes auf 30 v.H. gegenüber dem von Professor Dr. N gefundenen Befund gekommen. Diese Zunahme sei nicht als lärmbedingt anzusehen, da die Anzeichen für einen weiteren, über den damaligen mit 20 v.H. bewerteten Innenohrschaden in der jetzigen Untersuchung nicht hätten bestätigt werden können. Die Zunahme um 10 v.H. der Gesamt-MdE auf 30 v.H. könne nur einer endogenen Hörverschlechterung zugeordnet werden. Mit Bescheid vom 02. Mai 2000 teilte die Beklagte dem Kläger unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. K mit, es werde weiterhin ein Verletztenrente nach eine MdE von 20 v. H. gezahlt.

Mit Schreiben vom 16. August 2004 beantragte der Kläger eine Höherbewertung der MdE und fügte ein Audiogramm des Arztes für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. Ge vom 27. Juli 2004 bei. Die Beklagte veranlasste daraufhin die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Dr. B. Dieser führte in seinem Gutachten vom 16. November 2004 unter anderem aus, die Erkrankung habe sich seit der letzten maßgeblichen Feststellung im Jahr 2000 wesentlich verschlechtert. Dies zeige sich in einer Verschlechterung des Audiogramms auch und besonders im Frequenzbereich der höheren Frequenzen und einer Verschlechterung des Sprachverstehens im Sprachaudiogramm. Die Änderungen hätten sich bis zum Ende der Lärmbelastung am 28. Februar 2003 entwickelt. Zurzeit bestehe eine Schwerhörigkeit beiderseits, die zum Teil durch den berufsbedingten Lärm ausgelöst worden sei. Der berufsbedingte Schadensanteil sei mit einer MdE von 30 v.H. einzuschätzen. Die gesamte Schwerhörigkeit werde mit einer MdE von 50 v.H. eingeschätzt. Unabhängig von der Berufskrankheit scheine eine altersbedingte und eine durch Herz-Kreislauf-Probleme bedingte Durchblutungsstörung vorzuliegen, die zu einer Minderdurchblutung zentral und im Innenohr geführt habe. Eine Nachuntersuchung sei nicht mehr erforderlich, da keine Lärmbelastung mehr vorliege. Des weiteren holte die Beklagte ein erneutes Gutachten des Prof. Dr. N vom 3. Februar 2005 nach Aktenlage ein, der die Hörverschlechterung des Klägers von Juli 2002 zu November 2004 als nicht lärmbedingt einstufte. Mit Bescheid vom 26. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2005 lehnte die Beklagte daraufhin die Erhöhung der Rente ab.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin die Klage durch Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2006 abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, eine Verschlechterung eines durch berufliche Lärmexposition zumindest wesentlich mitverursachten Körperschadens des Klägers, die als wesentliche Verschlimmerung der mit Bescheid vom 28. Juli 1993 bereits als Folge einer BK Nr. 2301 anerkannten MdE von 20 v.H. mindestens eine MdE von 30 v.H. begründen müsste, lasse sich auf der Grundlage der von der Beklagten umfassend durchgeführten Ermittlungen nicht begründen. Gerade die massive
Verschlechterung des Hörvermögens des Klägers spreche in Verbindung mit der Tatsache, dass die Hörminderung auch die tiefen und mittleren Frequenzen in einem erheblichen Ausmaß betreffe, gegen eine Verursachung durch (berufliche) Lärmexpositionen.

Gegen diesen seinem Bevollmächtigten am 28. Dezember 2006 zugegangenen Gerichtsbescheid richtet sich die am 23. Januar 2007 eingegangene Berufung des Klägers. Zur Begründung führt er unter anderem aus, er gehe weiterhin davon aus, dass die Verschlimmerung
seines Hörvermögens überwiegend auf dem eingetretenen Baulärm beruhe. Dies habe sein behandelnder Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. G bestätigt. Professor Dr. N sei davon ausgegangen, dass er bei Stemmarbeiten und bei dem Lauf der Kreissäge einen Helm mit Hörschutzkappen getragen habe. Er habe nicht berücksichtigt, dass er als Polier und Bauleiter auf den Baustel-len tätig gewesen sei und hierbei überwiegend Gespräche habe führen müssen, bei denen es unmöglich gewesen sei, Hörschutzkappen zu tragen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 02. Mai 2000 aufzuheben und ihm wegen einer Verschlimmerung der als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anerkannten Lärmschwerhörigkeit spätestens seit dem 1. Januar 2000 eine höhere Rente auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 30 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und das Gutachten des Professor Dr. J.

Der als Sachverständiger bestellte Prof. Dr. J hat in seinem Gutachten vom 16. Juli 2008 unter anderem ausgeführt, der zeitliche Verlauf der Hörstörung zeige deutlich, dass bei dem Kläger eine endogene Schwerhörigkeit vorliege. Eine möglicherweise initial bestehende
lärminduzierte Teilkomponente der Schwerhörigkeit sei nicht auszuschließen. Diese lärminduzierte Teilkomponente der Schwerhörigkeit mache allenfalls einen sehr geringen Anteil der Schwerhörigkeit aus. Die Verschlimmerung der Schwerhörigkeit sei durch endogen-degenerative Vorgänge bedingt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht durch eine im Berufsleben stattgehabte Lärmbelastung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Betei-ligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. ) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein werden.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, rechtmäßig ist und den Kläger nicht beschwert. Der Kläger hat aufgrund der anerkannten BK Nr. 2301 keinen Anspruch auf Feststellung einer höheren MdE und dementsprechend keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Verletztenrente.

Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt; eine solche ist vorliegend nicht gegeben. Eine solche
wesentliche Änderung ist im Hinblick auf den Verwaltungsakt vom 28. Juli 1993 vorliegend nicht eingetreten. Auch der bestandskräftige Bescheid vom 2. Mai 2000 ist rechtmäßig (§ 44 SGB X).

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII), Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehört nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV die Lärmschwerhörigkeit.

Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in Form einer adäquaten Lärmexposition gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit, d.h. eine
Innenohrschwerhörigkeit bzw. ein Tinnitus, vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität). Danach müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit ausreicht (siehe hierzu Nr. 4.1 der "Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit" – "Königsteiner Merkblatt" – 4. Aufl. 1995, abgedruckt etwa bei Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung). Der Versicherungsfall ist nach Nr. 4.3.3 Abs. 2 des "Königsteiner Merkblatts", dann eingetreten, wenn eine lärmbedingte Hörstörung objektiv messbar ist, auch ohne dass ein messbarer Grad der MdE vorliegt.

Vorliegend hat die Beklagte bei dem Kläger mit Bescheid vom 28. Juli 1993 eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 anerkannt und diese mit einer MdE von 20 v. H. bewertet, jedoch mit Bescheid vom 26. April 2005 die Anerkennung einer MdE von mehr als 20 v. H. abgelehnt.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bezeichnet den durch die körperlichen, seelischen und geistigen Folgen des Versicherungsfalles bedingten Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII). Steht die unfallbedingte Leistungseinbuße fest, so ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben auswirkt (BSG, Urteil vom 29. November 1956, Az: 2 RU 121/56, BSGE 4, 147, 149; Urteil vom 27. Juni 2000, Az: B 2 U 14/99 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 7; Urteil vom 02. Mai 2001, Az: B 2 U 24/00 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Dabei sind die medizinischen und sonstigen Erfahrungssätze ebenso zu beachten wie die Gesamtumstände des Einzelfalles (vgl. BSG, Urteil vom 02. Mai 2001, Az. B 2 U 24/00, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Wie weit die Unfallfolgen bzw. die Folgen der anerkannten Berufskrankheit die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten beeinträchtigen, beurteilt sich in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Um die MdE einzuschätzen sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Auch wenn diese Erfahrungssätze das Gericht im Einzelfall nicht binden, so bilden sie doch die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985, Az: 2 RU 60/84, SozR 2200 § 581 Nr. 23; Urteil vom 26. November 1987, Az: 2 RU 22/87, SozR 2200 § 581 Nr. 27; Urteil vom 30. Juni 1998, Az: B 2 U 41/97 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 SGB VII Rn. 10.3). Sie sind in Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien begutachtet und beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000, Az: B 2 U 49/99 R, HVBG-INFO 2001, 499, 500 ff.).

Die Bewertung von Hörverlusten richtet sich im Wesentlichen nach dem "Königsteiner Merkblatt" (BSG, Urteile vom 15. Dezember 1982, Az.: 2 RU 55/81, Meso B 40/24 und vom 02. Mai 2001, Az.: B 2 U 24/00 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; vgl. auch Keller, Erfahrungen mit antizipierten Sachverständigengutachten im Berufskrankheitenrecht, MED SACH 2006, 128, 130). Danach ist zur quantitativen Bewertung der Hörstörung aus den Daten der Hörprüfungen der prozentuale Hörverlust getrennt für jedes Ohr zu berechnen (Ziffer 4.2 des "Königsteiner Merkblatts"). Der prozentuale Hörverlust wird nach der Tabelle von Boenninghaus und Röser (1973) ermittelt (Ziffer 4.2.1 des "Königsteiner Merkblatts"). Hiernach ergibt sich der prozentuale Hörverlust aus dem Verhältnis des Gesamtwortverstehens zum 50%igen Verständnis für Zahlwörter in dB (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 430 Abbildung 8).

Vorliegend ergibt sich aus der Auskunft des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 16. März 1989 (Bl. 116 VA), dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeiten von 1953 bis 1989 einem Lärm ausgesetzt war, der 85 bis 88 dB (A) betrug. Als gehörschädigend wird teilweise lediglich ein Dauerlärm oberhalb von 90 dB (A) während des
überwiegenden Teils der Arbeitszeit angesehen (Schönberger u.a., a.a.O., Seite 417). Bei einem Beurteilungspegel von 85 - 90 dB (A) kommt lediglich bei langjähriger Exposition oder außergewöhnlich großer individueller Gehörsensibilität eine Lärmschädigung in Betracht (Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur BKV, Anmerkung Nr. 2 zum Merkblatt M 2301, S. 31 f). Die Beklagte hat den Lärm, dem der Kläger in seinem Berufsleben ausgesetzt war, daher zu Recht als grenzwertig hörschädigend eingestuft.

Jedenfalls kann die Ursächlichkeit der berufsbedingten Lärmexposition für eine Schwerhörigkeit des Klägers mit einer MdE von mehr als 20, die über die bereits durch Bescheid vom 28. Juli 1993 anerkannte, mit einer MdE von 20 v.H. bewertete und daher nicht mehr streitige beruflich bedingte geringe bis mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits, links stärker als rechts, hinausgeht, nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Das Gericht folgt den überzeugenden Darlegungen des von ihm bestellten Gutachters Prof. Dr. J. Dieser kam nach Auswertung sämtlicher seit 1973 angefertigter Ton- und Sprachaudiogramme zu dem Ergebnis, dass die beim Kläger vorliegende Schwerhörigkeit nur zu einem geringen Teil berufsbedingt ist. Bei dem Kläger besteht seit 2004 rechts eine hochgradige, links eine an Taubheit grenzende Hörminderung, die nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die Lärmbelastung am Arbeitsplatz von 85 bis 88 dB (A) zurückzuführen ist. Vielmehr liegt bei dem Kläger offensichtlich konkurrierend zur bereits anerkannten Lärmschwerhörigkeit eine endogene progressive Hörminderung vor. Für eine Lärmbelastung typische Audiogramme finden sich lediglich im Februar 1973, Februar 1974 und März 1978. Die danach aufgezeichneten Audiogramme sind für eine Lärmschädigung des Innenohres nicht mehr typisch, da eine erheblich zu starke Absenkung der Hörschwelle im Mittel- und Tieftonbereich beidseits besteht. Insbesondere bei der nur grenzwertig gehörschädigenden Lärmbelastung am Arbeitsplatz des Klägers sind solche Mitteltonhörschwellenabsenkungen nicht durch Lärm erklärlich. Es ist demgegenüber wahrscheinlicher, dass dieser Teil der Hörminderung endogen bedingt ist. Endogene Innerenohrhörstörungen haben vielerlei Ursachen, wobei die Zuordnung einer Ursache oft schwierig ist. Im Falle des Klägers besteht aber zumindest durch sein Übergewicht ein erheblicher Risikofaktor für eine von einer Lärmbelastung unabhängige zunehmende Hörminderung, denn als wesentlicher Faktor für eine Hörminderung wird neben Lärmbelastungen auch ein Übergewicht angesehen. Zwar sind die Pathomechanismen, die bei Übergewicht zu einer stärkeren Hörminderung führen noch unklar, es mehren sich aber die Anzeichen dafür, dass gerade das Übergewicht eine zentrale Bedeutung für die Entstehung von Schwerhörigkeit besitzen kann. Retrospektiv ist es nunmehr möglich, bei dem Kläger eindeutig zwischen einer endogenen Komponente der Hörstörung und einer lärmbelastungsinduzierten Komponente der Hörstörung zu unterscheiden. Insbesondere das Ausmaß der Hörstörung beidseits im Tief-Mitteltonbereich zeigt, dass bei dem Kläger eindeutig eine endogene Schwerhörigkeit und keine lärmbelastungsinduzierte Schwerhörigkeit überwiegt. Lärmschwerhörigkeiten bilden sich bei den für den Kläger ermittelten grenzwertig hohen Lärmbelastungen bis 88 dB (A) nie im Tief-Mitteltonbereich aus.

Auch der im Verwaltungsverfahren tätige Gutachter Prof. Dr. N hatte bereits in seinem zweiten Gutachten vom 03. Februar 2005 darauf hingewiesen, dass seine Beurteilung der Schwerhörigkeit anders ausgefallen wäre, wenn die entscheidende gutachtliche Untersuchung nur wenige Monate später durchgeführt worden wäre. Die Audiogramme lassen nämlich erkennen, dass bis November 1992 die MdE zwischen 15 und 20 v. H. gelegen hat, wenn man von den Werten aus Dezember 1987 und September 1988 einmal absieht. Im Januar 1993 lag die MdE dagegen bereits bei 40 v. H. und ab Oktober 1993 nicht mehr unter 50 v. H ... Eine derartig schnelle Verschlechterung des Gehörs wäre unter den genannten Lärmbelastungen -noch dazu mit persönlichem Lärmschutz – mit der Annahme eines beruflich bedingten Lärmschadens kaum zu vereinbaren gewesen.

Der Senat folgt damit dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Prof. Dr. J, das auch durch die Ausführungen der im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachter Prof. Dr. N und Dr. K gestützt wird. Auch diese beiden Gutachter haben den berufsbedingten Anteil der Schwerhörigkeit allenfalls mit einer MdE von 20 v. H. bewertet. Lediglich Dr. Berndt schätzte die berufsbedingte MdE mit 30 v. H. ein, verwies hierfür jedoch darauf, dass in einer für Lärm typischen Art und Weise die höheren Frequenzen stärker abgesunken seien als die tieferen. Diese Annahme hat der Gutachter Prof. Dr. Nitze aber bereits in seinem Gutachten vom 03. Februar 2005 widerlegt. Er hat dazu ausgeführt, dass bei einem Vergleich der Audio-gramme von Januar 1987 bis November 2004 das Hörvermögen für die 1-kHz-Frequenz und die 4-kHz-Frequenz in etwa gleichem Maße abgesunken ist. Ein schnellerer Abfall der hohen Frequenzen ist damit zumindest nicht eindeutig, links sogar überhaupt nicht, zu sehen.

Zur Überzeugung des Senats lässt sich auf eine berufsbedingte Lärmschädigung lediglich der Hörverlust des Klägers, der in den Audiogrammen vom 26. Februar 1973, 26. Februar 1974 und 30. März 1978 dokumentiert ist, zurückführen. Der darüber hinausgehende Hörverlust ist demgegenüber endogen bedingt und damit nicht Folge seiner Berufstätigkeit. Der berufsbe-dingte Anteil der Schwerhörigkeit rechtfertigt mithin jedenfalls keine MdE von mehr als 20 v. H ...

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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