L 6 R 5862/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 4029/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 R 5862/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15.08.2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1950 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit 1969 überwiegend in Deutschland. Sie hat keinen Beruf erlernt und arbeitete hier nach ihren Angaben im Zeitraum März 1971 bis zur Krankschreibung im September 2000 mit Unterbrechungen als Versandarbeiterin, Maschinenbedienerin und Reinigungskraft. Die ersten beiden, noch bei der damaligen Landesversicherungsanstalt (LVA) gestellten Rentenanträge vom 09.01.1996 und 09.02.1999 blieben erfolglos (Bescheid vom 19.04.1996, Widerspruchsbescheid vom 07.08.1996; Bescheid vom 19.04.1999, Widerspruchsbescheid vom 08.07.1999; Klagerücknahme im Verfahren S 11 RJ 2360/99 vor dem Sozialgericht [SG]).

Den dritten Rentenantrag stellte die Klägerin am 10.07.2001. Die frühere LVA Baden-Württemberg gab diesen zuständigkeitshalber an die damalige LVA ab. Im Verwaltungsverfahren wurde das Gutachten der Ärztin B. vom 18.10.2001 mit dem Zusatzgutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. D. vom 28.09.2001 veranlasst. Die Ärztin für Sozialmedizin B. beschrieb eine Angst- und Panikstörung bei abhängiger Persönlichkeit, eine arterielle Hypertonie, wiederkehrende Wirbelsäulenbeschwerden mit derzeit endgradiger Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule (LWS) und freier Beweglichkeit der übrigen Wirbelsäule bei Hohlrundrücken und Verspannung der Nacken-Schultergürtelmuskulatur sowie ein Übergewicht. Die Klägerin könne leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne besonderen Zeitdruck und ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 10 kg ohne mechanische Hilfsmittel vollschichtig verrichten. Die LVA lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 30.10.2001 ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2002 zurück.

Das SG hörte im anschließenden Klageverfahren (S 9 RJ 1332/02) den Internisten Dr. B. und den Nervenarzt Dr. G. schriftlich als sachverständige Zeugen (Zeugenauskünfte vom 09.09. und 12.09.2002). Ferner erhob es das Gutachten des Chefarztes der Medizinischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Bad S., des Internisten Dr. L. vom 08.02.2003. Dieser diagnostizierte eine arterielle Hypertonie mit anamnestisch rezidivierenden hypertensiven Entgleisungen, eine Adipositas, einen Zustand nach helicobacterpositiver Gastritis und präpylorischen Ulcera ventriculi (1999), nach abdomineller Hysterektomie (vor fünf Jahren), nach Ovarektomie (vor fünf Jahren), nach Operation eines CTS rechts (Juni 1998), nach laparoskopischer Cholecystektomie (Januar 1999), nach Appendektomie (1979) und äußerte den Verdacht auf eine larvierte depressive Entwicklung mit Angststörung, Antriebslosigkeit, Schwindel und Schlaflosigkeit. Die Klägerin könne leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Heben und Tragen von leichten Gegenständen bis 5 kg, am günstigsten im Wechsel zwischen Gehen, Sitzen und Stehen, ohne Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeiten, ohne Arbeiten in Kälte, Nässe, im Freien, unter Wärmeeinfluss, unter Einwirkung von Staub, Gasen, Dämpfen, ohne Arbeiten mit starker Beanspruchung des Gehörs und des Sehvermögens sowie mit besonderer nervlicher Beanspruchung vollschichtig verrichten. Mittelschwierige und schwierige Tätigkeiten geistiger Art und Publikumsverkehr seien aufgrund der begrenzten Kenntnisse der deutschen Sprache eingeschränkt. Die Klägerin nahm die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2003 zurück.

Am 12.02.2004 stellte sie den vierten, dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegenden Rentenantrag. Der Beklagten lagen u. a. das Attest von Dr. G. vom 29.01.2004 (die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei ernsthaft gefährdet) und das MDK-Gutachten von Dr. Sch. vom 19.11.2003 vor. Dieser nannte die Diagnosen eines Schwindels bei leichter Vertebralinsuffizienz, einer larvierten Depression mit Somatisierung, einer arteriellen Hypertonie, einer Epicondylitis humeri ulnaris links und Gonalgien beidseits. Die Klägerin könne körperlich leichte Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, ohne Überkopfarbeiten, ohne Schichttätigkeit, ohne Zeitdruck, ohne erhöhte Anforderung an die Konzentration, ohne Knien und Hocken und ohne monotone oder stärkere Belastung des linken Armes vollschichtig verrichten. Die Beklagte veranlasste das Gutachten der Ärztin B. vom 28.04.2004, die eine arterielle Hypertonie, eine Somatisierungsstörung mit multiplen körperlichen Beschwerden, eine rezidivierende Epicondylitis beider Ellenbogen, ein rezidivierendes Cervical- und Lumbalsyndrom mit leichter Bewegungseinschränkung ohne neurologische Ausfälle bei Fehlhaltung der Wirbelsäule und Verspannung der paravertebralen Muskulatur, Belastungsbeschwerden der Kniegelenke bei Chondropathia patellae und ein ausgeprägtes Übergewicht diagnostizierte. Die Klägerin könne noch sechs Stunden und mehr körperlich leichte Tätigkeiten in beheizten Räumen, in wechselnder Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne Überkopfarbeiten, ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Arbeiten mit besonderem Zeitdruck, mit psychischer Belastung, mit Wechsel- oder Nachtschicht und mit erhöhter Anforderung an das Konzentrations- und Umstellungsvermögen ausüben. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 18.05.2004 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2004 zurück.

Am 16.11.2004 erhob die Klägerin Klage beim SG. Die Beklagte trat der Klage entgegen. Das SG hörte Dr. G., Dr. B. und die Chefärztin der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses R., W., schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. G. vertrat unter dem 02.06.2005 die Auffassung, durch die somatisierte Depression sei die Erwerbsfähigkeit auf weniger als drei Stunden eingeschränkt. Dr. B. nahm in der schriftlichen Zeugenaussage vom 10.06.2005 aufgrund der Schwindelattacken, hervorgerufen durch instabile Blutdruckverhältnisse, und der Ellenbogenschmerzen ein unter dreistündiges Leistungsvermögen an. Die Chefärztin W. teilte im Schreiben vom 01.09.2005 mit, dass die Klägerin im Zeitraum Januar bis Dezember 2004 in der Rheumatologischen Ambulanz behandelt worden sei, und beschrieb eine Spondylarthritis mit peripherer Gelenkbeteiligung, eine arterielle Hypertonie und eine Depression. Unter Berücksichtigung der erhobenen Untersuchungsbefunde sei eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Heben und Tragen von Lasten über 2 kg in wechselnder Körperhaltung drei bis sechs Stunden möglich.

Das SG erhob das Gutachten des Chefarztes der Abteilung für Innere Medizin/Rheumatologie der S.-Klinik Bad B. PD Dr. St. vom 19.01.2006. Dieser äußerte den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung oder Somatisierungsstörung mit einem klinisch der Fibromyalgie ähnlichen Beschwerdebild sowie multiplen Beschwerden in mehreren Organsystemen. Hinweise für entzündlich-rheumatische Erkrankungen oder für degenerative Gelenkerkrankungen von Krankheitswert bestünden nicht. Aus rheumatologischer Sicht könne die Klägerin regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Jedoch liege möglicherweise auf psychiatrischem Fachgebiet eine Einschränkung vor. Aufgrund der angegebenen Schokoladen- und Stauballergie sollten keine Arbeiten unter Einwirkung von Staub, insbesondere Schokoladenstaub erfolgen. Das SG veranlasste außerdem das Gutachten der Psychiaterin Ö. vom 20.02.2007, die eine symptomatisch wechselnde chronische Somatisierungsstörung und eine anankastisch-histrionische Persönlichkeitsstörung mit schwerer Beziehungsstörung diagnostizierte. Außerdem bestünden Zusammenhänge zwischen dem psychischen Befinden der Klägerin und der Gastritis sowie der Verschlechterung der arteriellen Hypertonie im Sinne einer klassischen Psychosomatose. Zwar liege keine direkte Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Funktion vor, jedoch könne es wegen des psychischen Drucks, unter dem die Klägerin stehe, bei einer unerwarteten Belastungsreaktion jederzeit zu einer erneuten Verschlechterung des Bluthochdrucks kommen, die lebensbedrohliche Ausmaße annehmen könne. Die Frage, ob die Klägerin eine regelmäßige Erwerbstätigkeit ausüben könne, verneinte die Sachverständige. Die Nichtanerkennung der Schwere der psychischen und körperlichen Erkrankung der Klägerin führe dazu, das Krankheitsbild auf schlechterem Niveau aufrecht zu erhalten. Die Sachverständige sah keine Möglichkeit, die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder einzugliedern, da sie weder eine Berufsausbildung habe, noch über ausreichende Deutschkenntnisse und ausreichenden Bildungsstand verfüge, um an eine Umschulung denken zu können. Hierzu legte die Beklagte die Stellungnahme der Psychiaterin Ministerialdirektorin Dr. F. vom 17.04.2007 vor. Diese vertrat die Auffassung, eine richtungweisende Verschlechterung könne unter Berücksichtigung der nervenärztlichen Vorbegutachtungen nicht festgestellt werden. Das SG verurteilte die Beklagte mit Urteil vom 15.08.2007 zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.09.2004 bis 30.08.2009 aufgrund eines Leistungsfalls vom 12.02.2004. Das Gericht stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten der Psychiaterin Ö., nahm allerdings im Gegensatz zu deren Gutachten an, dass die volle Erwerbsminderung erst zum Zeitpunkt des Rentenantrags vom 12.02.2004 eingetreten war, da die Klägerin im Jahr 2001 zumindest halbtags als Reinigungskraft gearbeitet habe.

Gegen das ihr am 21.11.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.12.2007 Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, die Sachverständige habe die bei neurotischen Belastungs- und somatoformen Störungen zu berücksichtigenden Symptome nicht im notwendigen Umfang in ihre Beurteilung eingestellt. Bei der Klägerin liege eine depressive Störung vor, die ungenügend behandelt worden sei. Diese sei jedoch eher wechselhaft ausgeprägt, so dass weiterhin eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht nachweisbar sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15.08.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 11.07.2008 erhoben. Dieser hat eine Somatisierungsstörung, Angst und eine depressive Störung, gemischt, und einen Bluthochdruck diagnostiziert. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung, ohne Akkord- und Fließbandarbeiten und ohne Arbeiten in Wechselschicht unter Berücksichtigung der orthopädisch-rheumatologischerseits beschriebenen Leistungseinschränkungen sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche ausüben. Anhaltende, schwergradige psychische Funktionsstörungen, die die Feststellung einer quantitativen Leistungsminderung rechtfertigen würden, habe er weder bei der jetzigen Begutachtung erhoben, noch seien solche in früheren Beurteilungen nachvollziehbar dargestellt worden. In Bezug auf die Frage der zumutbaren Gehstrecke hat Dr. S. ausgeführt, die Klägerin sei nicht in der Lage, arbeitstäglich viermal 500 m in zumutbarem Zeitaufwand zurückzulegen. Sie könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Auf ergänzende Anfrage des Senats in Bezug auf die Wegefähigkeit hat Dr. S. unter dem 18.07.2008 klargestellt, dass ihm bei der Beantwortung der entsprechenden Beweisfrage ein Fehler unterlaufen sei. Die Klägerin könne arbeitstäglich vierfach eine Gehstrecke von 500 m und mehr zurücklegen und benötige für eine Gehstrecke von etwa 500 m weniger als 20 Minuten. Es gebe keine Befunde, die auch nur ansatzweise auf eine Einschränkung der Wegefähigkeit hinweisen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Prozessakten beider Rechtzüge sowie die Akten des SG S 11 RJ 2360/99 und S 9 RJ 1332/02 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig. Die Berufung ist auch begründet. Das SG hätte die Beklagte nicht zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit verurteilen dürfen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI. Sie kann nämlich noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit einigen qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich verrichten. Bei der Klägerin liegen im Wesentlichen Gesundheitsstörungen im orthopädischen, internistischen und nervenärztlichen Bereich vor. Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen ein Cervical- und Lumbalsyndrom mit leichter Bewegungseinschränkung ohne neurologische Ausfälle bei Fehlhaltung der Wirbelsäule und Verspannung der paravertebralen Muskulatur, Belastungsbeschwerden der Kniegelenke bei Chondropathia patellae und eine rezidivierende Epicondylitis beider Ellenbogen. Dies folgt aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten der Ärztin B. vom 28.04.2004 und dem MDK-Gutachten von Dr. Sch. vom 19.11.2003, die der Senat urkundenbeweislich verwertet hat. Die auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden Gesundheitsstörungen führen zu qualitativen Einschränkungen. So sind wegen der genannten Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, der Knie und der Ellenbogen häufiges Bücken, Überkopfarbeiten, Knien, Hocken, eine monotone oder stärkere Belastung des linken Armes, Arbeiten in einseitiger Körperhaltung, Heben und Tragen von Lasten von mehr als 10 kg ohne mechanische Hilfsmittel und ungünstige klimatische Bedingungen zu vermeiden. Die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet sind aber nicht so schwerwiegend, dass deshalb auch leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen nicht mehr sechs Stunden täglich zumutbar wären. Es handelt sich vielmehr um leichtere Gesundheitsstörungen, denen durch funktionelle Einschränkungen Rechnung getragen werden kann. Eine Erkrankung im rheumatologischen Bereich, die zu weitergehenden Einschränkungen führen könnte, liegt nach Auffassung des Senats nicht vor. Zwar beschrieb die Chefärztin der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses R. W. in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 01.09.2005 im rheumatologischen Bereich eine Spondylarthritis mit peripherer Gelenkbeteiligung. Aus dem durch das SG eingeholten Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. St. vom 10.01.2006 folgt aber, dass eine entzündlich-rheumatische Erkrankung oder eine degenerative Gelenkerkrankung von Krankheitswert nicht anzunehmen sind. Dr. St. hat weder klinisch, radiologisch, laborchemisch noch sonographisch einen Befund von Krankheitswert erhoben und die Beschwerden der Klägerin schlüssig mit dem Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung erklärt. Die von der Chefärztin W. aufgrund der Behandlungen im Jahr 2004 beschriebene Spondylarthritis mit peripherem Gelenkbefall konnte Dr. St. ausschließen. Die in der Zeugenauskunft angenommene Gewichtsbegrenzung auf 2 kg beim Bewegen von Lasten ist deshalb nicht begründbar. Aus dem Gutachten von Dr. St. ergibt sich lediglich eine zusätzliche qualitative Einschränkung in Bezug auf das Vermeiden von Arbeiten unter Einwirkung von Staub, insbesondere Schokoladenstaub, da die Klägerin eine Schokoladen- und Stauballergie angegeben hatte.

Auf internistischem Fachgebiet bestehen eine arterielle Hypertonie und ein Übergewicht, wie sich aus dem MDK-Gutachten von Dr. Sch. vom 19.11.2003 und dem Gutachten der Ärztin B. vom 28.04.2004 ergibt. Diese Gesundheitsstörungen begründen keine erhebliche Einschränkung der beruflichen Belastbarkeit. Soweit Dr. Sch. und der behandelnde Internist Dr. B. einen Schwindel beschrieben haben, ist festzustellen, dass dieser ebenfalls keine über die bereits beschriebenen qualitativen Einschränkungen wesentlich hinausgehende Funktionsbehinderung bedingt, allenfalls sind deshalb Arbeiten unter Absturzgefahr zu vermeiden. Die Ausführungen von Dr. B., aufgrund der Schwindelattacken und der Ellenbogenschmerzen könne die Klägerin nur weniger als drei Stunden arbeiten, ist nicht schlüssig begründet.

Auch die Beschwerden im nervenärztlichen Bereich führen nicht zu einer Einschränkung der beruflichen Belastbarkeit auf unter sechs Stunden täglich. Der Senat geht davon aus, dass eine schwerwiegende Erkrankung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bei der Klägerin nicht vorliegt. Die insoweit geäußerten Beschwerden sind als Somatisierungsstörung mit multiplen körperlichen Beschwerden sowie Angst und eine depressive Störung zu erklären. Dies folgt aus dem MDK-Gutachten von Dr. Sch. vom 19.11.2003, dem Gutachten der Ärztin B. vom 28.04.2004 und dem Gerichtsgutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 11.07.2008. Diese Erkrankung führt ebenfalls dazu, dass die Klägerin bei einer beruflichen Tätigkeit qualitative Einschränkungen berücksichtigen muss. Schichtarbeiten, Arbeiten unter Zeitdruck, Arbeiten mit erhöhter Anforderung an das Konzentrations- und Umstellungsvermögen und Arbeiten mit sonstiger psychischer Belastung sind nicht zumutbar. Mit diesen Funktionseinschränkungen kann die Klägerin auch unter Berücksichtigung der auf dem nervenärztlichen Fachgebiet bestehenden Beschwerden sechs Stunden täglich arbeiten. Der Senat schließt sich insoweit der schlüssigen Beurteilung im MDK-Gutachten von Dr. Sch. und in den Gutachten der Ärztin B. sowie von Dr. S. an. Die abweichende Einschätzung des behandelnden Nervenarztes Dr. G. und der Psychiaterin Ö. überzeugte nicht. Dr. G. begründete seine Auffassung nicht. Die Sachverständige Ö. beschrieb ebenfalls eine symptomatisch wechselnde chronische Somatisierungsstörung, daneben eine anzunehmende anankastisch-histrionische Persönlichkeitsstörung mit schwerer Beziehungsstörung. Sie vermutete ferner Zusammenhänge zwischen körperlichen Beschwerden, insbesondere der Hypertonie, und dem psychischen Befinden der Klägerin. Wie Dr. S. jedoch zutreffend ausgeführt hat, muss ein Bluthochdruck internistisch adäquat behandelt werden. In diesem Fall droht selten Gefahr. Eine Leistungsminderung kann deshalb aus der Hypertonie nicht abgeleitet werden; im Übrigen erfolgte die Beurteilung durch die Sachverständige des SG insoweit fachfremd. Der Annahme einer Persönlichkeitsstörung durch die Psychiaterin Ö. konnte der Senat nicht folgen. Bei der Klägerin liegt eine etwas ins Histrionische gehende Wesensart vor, ohne dass selbst eine Persönlichkeitsakzentuierung bestehen würde. Wie Dr. S. zutreffend dargelegt hat, sind Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung im Unterschied zur Klägerin kaum in der Lage, über viele Jahre anhaltend in demselben Betrieb eine regelmäßige berufliche Tätigkeit auszuüben. Die abweichende Einschätzung der Psychiaterin Ö. lässt sich damit erklären, dass die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung häufig zu großzügig gestellt wird, worauf Dr. S. nachvollziehbar hingewiesen hat. Die weitere Begründung einer quantitativen Leistungsminderung, die Nichtanerkennung des Schweregrades der psychischen und körperlichen Erkrankung führe dazu, das Krankheitsbild auf schlechterem Niveau aufrecht zu erhalten, ist nicht ausreichend, um einen Rentenanspruch zu begründen. Eine Rente wegen Erwerbsminderung kann nicht deshalb gewährt werden, weil - wie die Psychiaterin Ö. ausführte - das Gefühl, endlich verstanden worden zu sein, der Klägerin eine gewisse Entlastung geben könnte. Entscheidend für einen Rentenanspruch ist vielmehr das Vorliegen einer wesentlichen Leistungsminderung. Eine direkte Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Funktionen durch die Gesundheitsstörungen auf ihrem Fachgebiet hat aber auch die Sachverständige Ö., die im Übrigen zwar eine ausführliche Lebensbiographie, jedoch keine anamnestischen Angaben zum Tagesablauf erhob, nicht beschrieben. Demgegenüber hat Dr. S. nach der im Einzelnen erhobenen Anamnese zur aktuellen Lebensgestaltung und zum Tagesablauf schlüssig keine schwerwiegende psychiatrische Erkrankung diagnostiziert. Insbesondere ergab sich weder eine Depression vom Ausmaß einer mittelgradigen oder schweren depressiven Episode noch eine eigenständige relevante Angsterkrankung wie z. B. eine Agoraphobie oder eine Panikstörung. Dr. S. erlebte die Klägerin durchaus energievoll und beschrieb deshalb keine relevante Antriebsstörung. Bei seiner Untersuchung war auch keine Beeinträchtigung von Konzentrationsvermögen oder Aufmerksamkeit zu objektivieren. Bei der bisher nicht adäquat behandelten Stimmungsabsenkung handelt es sich nicht um eine tiefe Deprimiertheit. Wesentliche soziale Störungen ergaben sich aus der Anamnese ebenfalls nicht. Die tatsächlich vorhandenen psychischen Störungen in den für eine Leistungserbringung relevanten psychischen Funktionsbereichen wie Antrieb, Stimmung, Denkvermögen, Intelligenz und Konzentrationsvermögen sowie Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kommunikation sind leichtgradig. Die bestehende chronifizierte seelische Erkrankung einer Somatisierungsstörung und die Ängstlichkeit sowie die Neigung zur depressiven Verstimmung führen deshalb lediglich zu den beschriebenen qualitativen Einschränkungen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Klägerin während ihres Lebens erheblichen Belastungen insbesondere im Hinblick auf die familiäre Situation ausgesetzt war, wie sie die Sachverständige Ö. im Einzelnen darstellte. Allein aus der Lebensgeschichte der Klägerin kann jedoch bei Fehlen eines aktuellen schwerwiegenden psychiatrischen Krankheitsbildes keine Einschränkung der beruflichen Belastbarkeit in zeitlicher Hinsicht abgeleitet werden. Da die Klägerin somit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit den genannten qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich verrichten kann, hat sie keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI. Das Risiko, einen diesem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten, fällt gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI nicht in den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Die zu berücksichtigenden qualitativen Einschränkungen beinhalten auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, so dass die Benennung von Verweisungstätigkeiten im Hinblick auf einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI erforderlich wäre. Vielmehr handelt es sich um Einschränkungen, die überwiegend bereits vom Begriff der "leichten Tätigkeiten" auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfasst sind, wie das Vermeiden von Tätigkeiten mit häufigem Bücken, Überkopfarbeiten, Knien, Hocken, monotoner oder stärkerer Belastung des linken Armes und des Hebens und Tragens von Lasten über 10 kg. Die zusätzlichen Erfordernisse, dass nur Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und Tätigkeiten, die keine besonderen Anforderungen in psychischer Hinsicht stellen, verrichtet werden können, bedingen keine ungewöhnliche Leistungseinschränkung. Ungünstige klimatische Bedingungen bestehen bei den beschriebenen leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in der Regel ebenfalls nicht. Auf die ungenügende Beherrschung der deutschen Sprache kann sich die Klägerin nicht berufen, da dieses Risiko in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht versichert ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.1980 - 4 RJ 29/79 = SozR 2200 § 1246 Nr. 61). Die Klägerin kann einen Arbeitsplatz auch erreichen. Es liegt nämlich keine Einschränkung der Wegefähigkeit vor, wie Dr. S. in der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 18.07.2008 klargestellt hat.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Zur Feststellung des qualitativen Werts des bisherigen Berufs und damit zur Bestimmung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten hat das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in die Gruppen der Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion und der diesen gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiter, der Facharbeiter, die einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren, ausüben, der angelernten Arbeiter, die einen Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren ausüben, und der ungelernten Arbeiter untergliedert. Grundsätzlich darf nur auf Tätigkeiten der jeweils nächsten niedrigeren Gruppe verwiesen werden, soweit sie den Versicherten weder nach seinem beruflichen Können noch hinsichtlich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordern (vgl. Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rz. 24f). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen sind ungelernte Arbeiter und angelernte Arbeiter des unteren Bereichs. Für angelernte Arbeiter des oberen Bereichs und Facharbeiter ist das Vorhandensein von geeigneten Verweisungstätigkeiten zu prüfen. Angelernter Arbeiter des oberen Bereichs ist, wer eine Tätigkeit verrichtet, für die eine Anlernzeit von über einem Jahr erforderlich ist (vgl. BSG SozR 3 -2200 § 1246 Nr. 45). Maßgebend für die Bestimmung des bisherigen Berufs im Sinne des § 240 SGB VI ist grundsätzlich die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Ein früherer Beruf ist dann zu berücksichtigen, wenn er aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben werden musste (vgl. Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rz. 10, 23). Die Klägerin hat keinen Beruf erlernt und arbeitete zuletzt versicherungspflichtig als Reinigungskraft, somit als ungelernte Arbeiterin im Sinne des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts. Sie ist daher breit, das heißt auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar.

Auf die Berufung der Beklagten war deshalb das Urteil des SG vom 15.08.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved