L 6 B 523/08 R ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 25 R 1334/08 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 B 523/08 R ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 21. Mai 2008 wird aufgehoben.

.II. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird abgelehnt.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine einstweilige Anordnung, mit der ihr aufgegeben wurde, für die Dauer des Klageverfahrens die dem Kläger und Beschwerdegegner bewilligte Altersrente ohne Abzug eines Rentenanspruchs gegen den rumänischen Versicherungsträger zu zahlen.
Der Beschwerdegegner ist deutscher Staatsangehöriger, anerkannter Vertriebener und hat bis April 1990 in Rumänien gelebt. Dort hat er Beitragszeiten in der Rentenversicherung von Januar 1962 bis April 1990 zurückgelegt.

Auf seinen Antrag vom 23.01.2008, mit dem er zugleich den Aufschub der rumänischen Leistung beantragt, einen Verzicht hierauf aber ausdrücklich nicht erklärt hat, gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 22.02.2008 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres in Höhe von brutto 881,04 Euro und netto 758,01 Euro. Diesen Rentenanspruch kürzte sie um die vom rumänischen Versicherungsträger für die- selben Versicherungszeiten voraussichtlich zu gewährende Rentenleistung in Höhe von 123,03 Euro in Anwendung der Ruhensvorschrift des § 31 FRG. Der Widerspruch war erfolglos.

Mit der Klageerhebung hat der Kläger im einstweiligen Rechtsschutz beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die mit Bescheid vom 31.03.2008 gewährte ungekürzte Rente bis zum Abschluss des Verfahrens weiter zu zahlen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 21.05.2008 der Antragsgegnerin aufgegeben, die mit Bescheid vom 22.02.2008 bewilligte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeit ohne Abzug der rumänischen Rente für die Dauer des Klageverfahrens zu gewähren, soweit dem Antragsteller keine Rente vom rumänischen Versicherungsträger gezahlt wird. Es hat in der Begründung im Wesentlichen darauf abgestellt, dass § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG nur Anwendung finde, wenn die rumänische Rente tatsächlich bezahlt werde. Eine besondere Verpflichtung des Antragstellers, die rumänische Rente zu beantragen, sei gesetzlich nicht vorgeschrieben.

Hiergegen hat die Beklagte Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, nach §§ 2, 31 FRG ergebe sich die Berechtigung, die nach dem FRG gewährte Rente in Höhe des ge-
gen den rumänischen Versicherungsträger zustehenden Anspruches auch dann zum Ruhen zu bringen, wenn der Versicherte einen Rentenantrag in Rumänien nicht gestellt habe.

Zum Verfahren beigezogen sind die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts im Verfahren über den einstweiligen Rechtsschutz.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Entscheidung der Beklagten und Beschwerdeführerin wirft eine Vielzahl von Rechtsfragen auf, deren vollständige Klärung im Eilverfahren nicht möglich ist. Es ist dem Kläger und Beschwerdeführer zuzumuten, bei der Höhe der gewährten Rente den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Eine besondere Dringlichkeit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist nicht zu erkennen, so dass kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist. Auch besteht im Rahmen der Güter- und Folgeabwägung kein überwiegendes Interesse des Klägers und Beschwerdegegners an der Anordnung einstweiliger Maßnahmen.

Für den Anspruch des Klägers und Beschwerdegegners hat das Sozialgericht richtigerweise auf die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG abgestellt. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sind (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m.
§ 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO). Die Glaubhaftmachung begnügt sich bei der Ermittlung des Sachverhalts als Gegensatz zum vollen Beweis mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dagegen dürfen die Anforderungen an die Erkenntnis der Rechtslage, d.h. die Intensität der rechtlichen Prüfung, grundsätzlich nicht herabgestuft werden. Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist grundsätzlich das materielle Recht, das vorher zu prüfen ist (s. etwa BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, NVwZ 2005, 927 ff. und Beschluss vom 25.07.1996, NVwZ 1997, 479 f.).
Ist dem Gericht im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich und können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, so verlangt der Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz eine Eilentscheidung anhand einer umfassenden Güter- und Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 a.a.O.).

Von der von der Beklagten gewährten Leistung fragt es sich, ob und inwieweit sie nach Art. 45 EWG-Verordnung 574/72 angefochten werden kann (vgl. EuGH SozR 6055 Art. 45 Nr. 1; zur Anwendbarkeit des Art. 45 EWG-Verordnung 574/72 bei FRG-Leistungen vgl. Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl., S. 339). Bei einer Anfechtbarkeit bezüglich der Anwendung einer nationalen Ruhensregelung stellt sich die Frage, ob diese mit Art. 46 EWG-Verordnung 1408/71 vereinbar ist (vgl. EuGH SozR 6050 Art. 46 Nr. 16) oder ob die Leistungen des Fremdrentenrechts insoweit überhaupt in den Anwendungsbereich des Art. 40 EWG-Verordnung 1408/71 fallen (vgl. Eichenhofer in Schulin, Handbuch des
Sozialversicherungsrechts, Rentenversicherungsrecht § 76 Rdnr. 54) Eine Klärung durch die Rechtsprechung oder eine einheitliche Rechtsmeinung hierzu sind nicht ersichtlich.

Gegen die Auslegung des § 31 FRG durch die Beklagte bestehen gewichtige rechtliche Bedenken, die sich auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Norm stützen können (vgl. stellvertretend Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts vom 02.07.2008, Az.: L 14 B 469/08 R ER). Entstehungsgeschichte und Wortlaut der Norm bieten jedoch auch Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte sie im vorliegenden Fall zutreffend anwendet.
Die vom Gesetzgeber als Vorgängervorschrift bezeichnete Norm des § 1 Abs. 5 FAG führte zu einem Erlöschen des Anspruchs, wenn und soweit dem Berechtigten für denselben Versicherungsfall von einem Versicherungsträger des Herkunftsgebietes eine Leistung gewährt wurde oder auf Antrag gewährt worden wäre. Eine solche Bezugnahme auf einen Antrag des Berechtigten enthält § 31 FRG nicht mehr, ohne dass die Gesetzesmaterialien einen Hinweis enthielten, dass der Gesetzgeber es nunmehr in das Belieben des Berechtigten stellen wollte, die Leistung des ausländischen Sozialversicherungsträgers zu beantragen. Die Gesetzesformulierung knüpft vielmehr nur noch an das Verhalten des vom Gesetzgeber als ursprünglich verpflichtet bezeichneten Versicherungsträgers des Herkunftsgebietes an (vgl. BT-Drs. III/1109 S. 38 zu § 11 und S. 46 zu 31).

Die Erfordernisse der Gewährung und der tatsächlichen Auszahlung knüpften ersichtlich an zwei bis dahin bestehende Rechtsprobleme an. Das eine war die Übernahme der Versicherungslast durch einen Versicherungsträger außerhalb der Bundesrepublik Deutsch-
land und Berlins. Das andere war die Frage, inwieweit die ausländische Leistung tatsächlich verfügbar sein musste, um zum Erlöschen des Anspruchs nach dem Fremdrentenrecht zu führen. Einen Hinweis darauf bietet der Bericht des Abgeordneten Schütz zur BT-Drs. III/1532 S. 2, wonach die Regelung des § 2 nur gelten könne, wenn der betreffende Staat die Leistungen nach seinen innerstaatlichen Vorschriften an Berechtigte in der Bundesrepublik Deutschland auch tatsächlich bewirke. In den Fällen, in welchen der betreffende Staat keine Leistungen in die Bundesrepublik Deutschland zulasse, müsse es möglich bleiben, eine Leistung nach dem Fremdrentengesetz zu gewähren. Der Ausschuss habe deshalb die Anwendung des vorerwähnten Grundsatzes auf das Recht solcher Staaten beschränkt, die aufgrund eines allgemeinen Abkommens die Gewährung von Leistungen in die Bundesrepublik Deutschland zuließen.
Bis dahin hatte sich das Problem ergeben, dass die betreffenden ausländischen Versicherungsträger sehr wohl Leistungen für bei ihnen zurückgelegte Versicherungszeiten erbracht hatten, dies aber in einzelnen Fällen in einer Weise, die den Berechtigten die Inanspruchnahme unzumutbar machten oder wegen der Auszahlung nur auf Sperrkonten, Devisenkonten oder im Ausland eine Verwendung der Rente zur Bestreitung des Lebensunterhaltes in der Bundesrepublik Deutschland erschwerten oder unmöglich machten (vgl. Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Fußnote 29 zu § 1 FAG; Hoernick/Jahn/Wickenhagen, Kommentar zum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz Stand 1956 Anm. 8 f. zu § 1 Abs. 1 FAG; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Stand September 1956 Nr. 294 d
VIII).
Es stellt sich also die Frage, ob in Auslegung des § 31 FRG wirklich gesagt werden kann, ein Träger der Sozialversicherung gewähre eine Rente nicht und zahle sie nicht aus, wenn der Berechtigte die für eine Inanspruchnahme notwendige Verfahrenshandlung unterlässt oder, wie im vorliegenden Fall, ausdrücklich nicht will.

Dem steht der das FRG beherrschende Eingliederungsgedanke nicht entgegen (so aber BayLSG a.a.O.). Es gibt keine Gesetzesvorschrift, nach der alle Lebensverhältnisse der Vertriebenen rechtlich so zu beurteilen wären, als hätten sie sich im Bundesgebiet abgespielt. Es wird jeweils nur für bestimmte Umstände, wie Versicherung, Beschäftigungsverhältnisse (§§ 15, 16 FRG) vorgeschrieben, dass und wie sie nach Bundesrecht zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 24.06.1965 Az.: 1 Ra 53/63). Es kann nicht ohne weiteres als dem Eingliederungsgrundsatz widersprechend angesehen werden, wenn der deutsche Rentenversicherungsträger bei der Anwendung des § 31 FRG unter Berück-

sichtigung der Leistung einer nach einem zwischenstaatlichen Abkommen gezahlten Rente noch so viel an Leistung auszahlt, dass der Betrag garantiert ist, der ohne die fremde Leistung zustünde. Da das Fremdrentenrecht weder der Regelung der Versicherungslast noch der Freistellung des ursprünglich verpflichteten Versicherungsträgers dient, fragt sich auch aus diesem Grunde, ob die Inanspruchnahme des ausländischen Versicherungsträgers zur Disposition des Versicherten steht.

Eine Rechtsprechung des BSG zu der hier streitigen Anwendung des § 31 FRG ist nicht ersichtlich. In den Entscheidungen SozR 5050 § 31 Nr. 1 und SozR 3-5050 § 31 Nr. 1 fehlte es schon an der Anwendbarkeit des Fremdrentenrechts. Eine Aussage zur Auslegung des § 31 FRG selbst, insbesondere zu der hier zu entscheidenden Fallgestaltung, enthalten die Entscheidungen nicht.

Bei dem nach summarischer Prüfung als offen zu bezeichnenden Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind beim Anspruch auf einstweilige Anordnung die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der Anspruch nicht besteht (siehe hierzu und den weiteren Abwägungskriterien Keller a.a.O. Rdnr. 29 a).
Hierbei ist im vorliegenden Fall dem Kläger nicht zuzumuten, die rumänische Versicherungsleistung in Anspruch zu nehmen, denn damit würde er zur einstweiligen Regelung der Verhältnisse sich des Hauptsacheanspruches endgültig begeben.
Der drohende Rechtsverlust besteht beim Kläger in einer zeitlich bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verzögerten Auszahlung des Rententeils, den die Beklagte zum Ruhen gebracht hat. Bei der Höhe der gewährten Rentenleistung und dem Fehlen sowohl von Anhaltspunkten als auch eines Sachvortrags für eine bleibende Schädigung der wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers und so für die Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher wirtschaftlicher Nachteile ist es ihm zuzumuten, den Ausgang der Hauptsache abzuwarten.

Diese Entscheidung ist mit Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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