Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 5009/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 930/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung des am 1934 geborenen und am 2005 verstorbenen Versicherten E. L. (folgenden: V) hat, den sie am 22.10.2004 geheiratet hatte.
V bezog von der Beklagten Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres in Höhe von monatlich ca. 1.200,-EUR. Im Juni 2004 wurde bei ihm ein Rectumkarzinom (hepatogen metastasiert, Tumorstadium pT3pN2M1G12) diagnostiziert. Nach anteriorer Rectumresection mit AP-Anlage am 2.7.2004 und einer Port-Anlage Ende August 2004 erfolgte am 1.9.2004 erneut die stationäre Aufnahme zur Einleitung einer palliativen Chemotherapie (vgl. Arztbrief des Kreiskrankenhauses N. vom 3. September 2004), die insgesamt in 14-tägigem Abstand in 10 Zyklen bis Februar 2005 durchgeführt wurde; ab dem 7. Zyklus wurde die Dosis wegen einer Blutbildungsstörung auf 80% reduziert. Auf Grund der Chemotherapie zeigte sich im November 2004 eine partielle Remission, der Tumormarker war von CEA 32,3 ng/ml auf 1,2 ng/ml gesunken, die Metastase im L.en Leberlappen hatte sich etwa um die Hälfte - auf nur noch max. 1 cm - verkleinert (s. Arztbrief vom 16.9.2005). Auf Wunsch des V wurde die Chemotherapie - nach Durchführung des 11. Zyklus mit weiterer Dosisreduktion auf 66% wegen der Blutbildungsstörung - abgebrochen und am 11.4.2005 der Anus Praeter zurückverlagert. Im Juli 2005 wurde V wegen Exsikkose und zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustands (Gewichtsverlust von ca. 15 kg) und im August 2005 wegen Tumoranämie und Exsikkose stationär aufgenommen; beides Mal kam es nach parenteraler (unter Umgehung des Verdauungstraktes) Ernährung und Flüssigkeitssubstitution über den Port zur Besserung des Allgemeinzustands. Am 16.9.2005 erfolgte die stationäre Aufnahme in präfinalem Zustand, V verstarb noch am selben Tag
Am 4.10.2005 beantragte die Klägerin, die nach dem vorletzten Ehegatten eine Hinterbliebenenrente von der Deutschen Rentenversicherung Unterfranken in Höhe von 152,- EUR bezieht und seit 1992 als Altenpflegerin selbständig tätig ist, die Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung des V. Auf Anfrage der Beklagten teilte Dr. D. unter Übersendung diverser Arztbriefe des Klinikums K. mit, V selbst sei "letztlich" nicht über die Schwere und ungünstige Prognose seiner Erkrankung informiert gewesen; noch weniger seine Ehefrau. Mit Bescheid vom 16.1.2001 lehnte die Beklagte den Witwenrentenantrag der Klägerin mit der Begründung ab, es sei davon auszugehen, dass eine Versorgungsehe bestehe, da bereits die Einleitung der Chemotherapie nicht unter kurativer, sondern nur palliativer Zielsetzung erfolgt sei, sodass zum Zeitpunkt der Eheschließung von einer sehr ungünstigen Prognose auszugehen gewesen sei. Im Widerspruchsverfahren teilte das Klinikum K. entsprechende Anfrage mit, selbstverständlich würden alle Patienten vor einer geplanten palliativen Chemotherapie sehr ausführlich über ihr Krankheitsbild und die entsprechende Prognose informiert; dies sei am 27.8.2004 (s. Formular Aufklärungsgespräch/Einwilligung) auch bei V geschehen. Mit Widerspruchsbscheid vom 20.6.2006 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die zusätzliche Befragung des Klinikums habe ergeben, dass V über sein Krankheitsbild und die entsprechende Prognose informiert gewesen sei; das von der Klägerin geschilderte Gefühl der Genesung sei nach der ausführlichen Aufklärung der Klinik kaum nachvollziehbar.
Die Klägerin hat am 7.7.2006 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und geltend gemacht, sie habe V 1998 kennen gelernt. Nach zunächst nur lockerer Freundschaft habe sich die Beziehung rasch so weit vertieft, dass die Wochenenden im Wechsel - mal bei ihr, mal bei V - verbracht worden seien, sodass eine "nichteheliche Lebensgemeinschaft auf Entfernung" bestanden habe. Im Zusammenhang mit einem beruflichen Ortswechsel ihrer Tochter und wegen ihrer gefestigten Beziehung zu V sei sie dann - auf dessen Vorschlag hin - zu V gezogen und habe mit ihm am 22.10.2004 die Ehe geschlossen. Sie habe gewusst, dass V im Juni 2004 wegen einer Krebserkrankung im Krankenhaus untersucht worden sei, eine genaue Diagnose sei ihr nicht mitgeteilt worden. Im Zeitpunkt der Eheschließung habe die Chemotherapie bereits Erfolge gezeigt, sodass V und sie von einer baldigen Genesung ausgegangen seien; keiner hätte mit einem baldigen Ableben gerechnet, was auch der Hausarzt bestätigt habe. Erst im Juli 2005 habe sich der Zustand des V dramatisch verschlechtert. Unabhängig davon müsse die vergleichsweise lange Dauer des ehelichen Zusammenlebens (nahezu 11 Monate) die Vermutungswirkung des § 46 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) abschwächen. Gegen eine Versorgungsehe spreche auch, dass sie sich vor und nach der Heirat mühelos habe selbst unterhalten können. Des weiteren habe sie dem V im April 2005 ein Navigationsgerät geschenkt und sie hätten gemeinsam eine neue Couch erworben; beides mache keinen Sinn, wenn man einen nahen Tod annehme. Das SG hat Dres. R./E. und K./R. (alle Klinikum K.) und D. (behandelnder Allgemeinarzt) als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Erstere haben unter dem 26.1.2007 ausgesagt, über die von Beginn an palliativ konzipierte Chemotherapie (bei multipler Lebermetastasierung habe mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit keine Heilungschance bestanden), die insgesamt nur mäßig vertragen worden sei (Magen-Darmbeschwerden mit Durchfall) und in deren Verlauf die Blutbildung gestört gewesen sei, sei V in einem ausführlichen Gespräch am 27.8.2004 aufgeklärt worden. Dr. D. hat in seiner Aussage angegeben, nach Mai 2004 habe V - wie bei Karzinomerkrankungen üblich - an Gewicht verloren. Bis Herbst 2004 sei eine zunehmende Besserung eingetreten (Abfall des Tumormarkers) und die Krankenhausärzte hätten die Möglichkeit des dauerhaften Stillstands der Erkrankung immer als realistisch dargestellt. Dres. K./R. haben in ihrer Aussage vom 11.6.2007 den Zustand des V im Zeitraum von Mai bis Oktober als altersentsprechend gut beschrieben, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass nach der Operation (2.7.2005) eine Heilungschance nicht mehr gegeben gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung vom 24.1.2008 hat das SG Dr. E. und den Arzt L. als Zeugen gehört; zum Inhalt ihrer Aussage wird auf die Niederschrift Bezug genommen (S. 163 bis 166 SG-Akte) Mit Urteil vom selben Tag hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klägerin habe die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht zu widerlegen vermocht. Es seien keine Umstände im Vollbeweis nachgewiesen,, die trotz der kurzen Ehedauer belegen könnten, dass die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt sei. Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei V bewusst gewesen, dass er an einer unheilbaren und tödlich verlaufenden Erkrankung leide; das ergebe sich deutlich aus den vorgelegten Behandlungsunterlagen, die die Aufklärungsgespräche über die Behandlung dokumentierten, sowie aus der Aussage des Zeugen Dr. E ... Die Einlassungen des Dr. D., V und die Klägerin seien letztlich nicht über Schwere und schlechte Prognose informiert gewesen und die Krankenhausärzte hätten den dauerhaften Stillstand der Erkrankung als realistische Möglichkeit dargestellt, sei nicht nachvollziehbar, nachdem Dr. D. nicht an den Gesprächen beteiligt gewesen sei. Die Kammer sei auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin selbst nichts von der tödlichen Erkrankung des V gewusst habe. Denn es sei nicht verständlich, warum V sie über das Ausmaß seiner Erkrankung im Unklaren gelassen haben sollte. Auch andere Gesichtspunkte sprächen nicht gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe: die Heiratsabsicht sei nicht schon vor Beginn der Erkrankung gefasst worden (Hinweis auf: jurisPK-SGB VI, § 46 Rdnr. 106), es liege keine langjährige eheähnliche Gemeinschaft vor (Hinweis auf: Bohlken, ebenda Rdnr. 115 ff.), auch die Sicherstellung der häuslichen Pflege habe im Zeitpunkt der Heirat keine erkennbare Rolle gespielt (Hinweis auf: BSG, Urteil vom 3.9.1986, 9a RV 8/84, BSGE 60, 204 ff); im Übrigen komme dem Umstand, dass dich die Klägerin selbst unterhalten könne, keine besondere Bedeutung zu (Hinweis auf: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.5.2006, L 17 R 2024/05).
Gegen das am 15.2.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.2.2008 Berufung eingelegt und an ihrem Begehren festgehalten. Ergänzend hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorgetragen, das SG habe es versäumt, Dr. D., der sich als einziger Arzt noch an V erinnern könne, als Zeuge zu hören und außerdem habe es das individuelle Urteilsvermögen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes - beide stammten aus einfachen Verhältnissen - nicht berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2008 sowie den Bescheid vom 16. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids 20. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 1. Oktober 2005 Witwenrente aus der Versicherung des am 16. September 2005 verstorbenen Versicherten E. L. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass an der Darstellung der Klägerin, die behandelnden Ärzte hätten nie eine Auskunft über eine bereits im Juni 2004 bestehende Lebermetastasierung gegeben, Zweifel bestünden, denn sie habe V zu dem Termin am 18.8.2004, bei dem es um die Anlage eines Venenports für die beabsichtigte Chemotherapie gegangen sei, begleitet, sodass es sehr wahrscheinlich sei, dass sie auf Grund der Teilnahme an dem Gespräch Kenntnis über die Diagnose erlangt habe. Auch sei zu beachten, dass die Klägerin Altenpflegerin sei und ihr auf Grund ihrer beruflichen Erfahrung die Schwere der Erkrankung bewusst gewesen sein dürfte.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung aus der Versicherung des V.
Das SG hat die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Witwenrente gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § Abs. 2a SGB VI zutreffend zitiert; hierauf nimmt der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, Bezug. Vorliegend kommt insbesondere auch nicht die Übergangsvorschrift des § 242a Abs. 3 SGB VI zur Anwendung, da die Ehe der Klägerin mit V nach dem 1.1.2002 (nämlich am 22.10.2004) geschlossen wurde. Die Regelung in § 46 Abs. 2a SGB VI entspricht den Regelungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die Anknüpfung des Gesetzgebers an eine Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war (Bundestagsdrucksache 14/4095 S. 44). Diese gesetzliche Vermutung ist widerlegbar. Die Vermutung ist dann widerlegt, wenn besondere Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen (Kassler Kommentar, § 46 SGB VI Rdnr. 46 b, § 65 SGB VII Rdnr. 15 ff.). Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe folgt einer Typisierung und verfolgt auch den Zweck, den Leistungsträger der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben. Dies gilt auch für die Widerlegung der Rechtsvermutung, so dass auch hier die außerhalb der Intimsphäre liegenden objektiven Umstände in einer typisierenden Betrachtungsweise zur Beurteilung heranzuziehen sind. Besondere Umstände sind alle Umstände des Einzelfalls, die nicht schon von der Vermutung erfasst und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen (vgl. BSGE 35, 272). Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert gem. § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Anspruch geltend macht, mithin die Witwe oder der Witwer.
Gemessen an diesen Kriterien hat das SG die Umstände des vorliegenden Einzelfalls gewürdigt und die gesetzliche Vermutung als (im Vollbeweis) nicht widerlegt angesehen. Nach eigener Prüfung schließt sich der Senat der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an, sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch das Vorbringen der Klägerin, der Zustand des V sei so stabil gewesen, dass sie mehrere kleine Reisen unternommen hätten, nicht zu einer anderen Entscheidung führen kann. Gerade wenn ihnen die Schwere der Erkrankung bewusst war, liegt es nahe, die "verbleibende Zeit" für gemeinsame Unternehmungen zu nutzen. Auch der Kauf neuer Möbel zwingt nicht zu dem Schluss, der Klägerin und V sei die schlechte Prognose seiner Erkrankung nicht bewusst gewesen. Die Beklagte weist auch zu Recht darauf hin, dass es kaum plausibel erscheint, dass die jahrelang im altenpflegerischen Bereich tätige Klägerin die Schwere der Erkrankung des V nicht erkannt haben will; das gilt selbst unter Berücksichtigung ihres Vortrags in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, sie sei keine gelernte Altenpflegerin oder Krankenschwester, zumal von ihr - wie sie angegeben hat - auch Krebspatienten betreut worden sind. Auch die finanziellen Verhältnisse der Klägerin schließen eine Versorgungsehe nicht aus. Sie ist zwar finanziell unabhängig von V gewesen, gleichwohl würde eine Hinterbliebenenrente aus dessen Versicherung ihre finanzielle Situation deutlich verbessern, weil sie um ein Mehrfaches höher läge als die Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres vorletzten Ehemanns.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung des am 1934 geborenen und am 2005 verstorbenen Versicherten E. L. (folgenden: V) hat, den sie am 22.10.2004 geheiratet hatte.
V bezog von der Beklagten Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres in Höhe von monatlich ca. 1.200,-EUR. Im Juni 2004 wurde bei ihm ein Rectumkarzinom (hepatogen metastasiert, Tumorstadium pT3pN2M1G12) diagnostiziert. Nach anteriorer Rectumresection mit AP-Anlage am 2.7.2004 und einer Port-Anlage Ende August 2004 erfolgte am 1.9.2004 erneut die stationäre Aufnahme zur Einleitung einer palliativen Chemotherapie (vgl. Arztbrief des Kreiskrankenhauses N. vom 3. September 2004), die insgesamt in 14-tägigem Abstand in 10 Zyklen bis Februar 2005 durchgeführt wurde; ab dem 7. Zyklus wurde die Dosis wegen einer Blutbildungsstörung auf 80% reduziert. Auf Grund der Chemotherapie zeigte sich im November 2004 eine partielle Remission, der Tumormarker war von CEA 32,3 ng/ml auf 1,2 ng/ml gesunken, die Metastase im L.en Leberlappen hatte sich etwa um die Hälfte - auf nur noch max. 1 cm - verkleinert (s. Arztbrief vom 16.9.2005). Auf Wunsch des V wurde die Chemotherapie - nach Durchführung des 11. Zyklus mit weiterer Dosisreduktion auf 66% wegen der Blutbildungsstörung - abgebrochen und am 11.4.2005 der Anus Praeter zurückverlagert. Im Juli 2005 wurde V wegen Exsikkose und zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustands (Gewichtsverlust von ca. 15 kg) und im August 2005 wegen Tumoranämie und Exsikkose stationär aufgenommen; beides Mal kam es nach parenteraler (unter Umgehung des Verdauungstraktes) Ernährung und Flüssigkeitssubstitution über den Port zur Besserung des Allgemeinzustands. Am 16.9.2005 erfolgte die stationäre Aufnahme in präfinalem Zustand, V verstarb noch am selben Tag
Am 4.10.2005 beantragte die Klägerin, die nach dem vorletzten Ehegatten eine Hinterbliebenenrente von der Deutschen Rentenversicherung Unterfranken in Höhe von 152,- EUR bezieht und seit 1992 als Altenpflegerin selbständig tätig ist, die Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung des V. Auf Anfrage der Beklagten teilte Dr. D. unter Übersendung diverser Arztbriefe des Klinikums K. mit, V selbst sei "letztlich" nicht über die Schwere und ungünstige Prognose seiner Erkrankung informiert gewesen; noch weniger seine Ehefrau. Mit Bescheid vom 16.1.2001 lehnte die Beklagte den Witwenrentenantrag der Klägerin mit der Begründung ab, es sei davon auszugehen, dass eine Versorgungsehe bestehe, da bereits die Einleitung der Chemotherapie nicht unter kurativer, sondern nur palliativer Zielsetzung erfolgt sei, sodass zum Zeitpunkt der Eheschließung von einer sehr ungünstigen Prognose auszugehen gewesen sei. Im Widerspruchsverfahren teilte das Klinikum K. entsprechende Anfrage mit, selbstverständlich würden alle Patienten vor einer geplanten palliativen Chemotherapie sehr ausführlich über ihr Krankheitsbild und die entsprechende Prognose informiert; dies sei am 27.8.2004 (s. Formular Aufklärungsgespräch/Einwilligung) auch bei V geschehen. Mit Widerspruchsbscheid vom 20.6.2006 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die zusätzliche Befragung des Klinikums habe ergeben, dass V über sein Krankheitsbild und die entsprechende Prognose informiert gewesen sei; das von der Klägerin geschilderte Gefühl der Genesung sei nach der ausführlichen Aufklärung der Klinik kaum nachvollziehbar.
Die Klägerin hat am 7.7.2006 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und geltend gemacht, sie habe V 1998 kennen gelernt. Nach zunächst nur lockerer Freundschaft habe sich die Beziehung rasch so weit vertieft, dass die Wochenenden im Wechsel - mal bei ihr, mal bei V - verbracht worden seien, sodass eine "nichteheliche Lebensgemeinschaft auf Entfernung" bestanden habe. Im Zusammenhang mit einem beruflichen Ortswechsel ihrer Tochter und wegen ihrer gefestigten Beziehung zu V sei sie dann - auf dessen Vorschlag hin - zu V gezogen und habe mit ihm am 22.10.2004 die Ehe geschlossen. Sie habe gewusst, dass V im Juni 2004 wegen einer Krebserkrankung im Krankenhaus untersucht worden sei, eine genaue Diagnose sei ihr nicht mitgeteilt worden. Im Zeitpunkt der Eheschließung habe die Chemotherapie bereits Erfolge gezeigt, sodass V und sie von einer baldigen Genesung ausgegangen seien; keiner hätte mit einem baldigen Ableben gerechnet, was auch der Hausarzt bestätigt habe. Erst im Juli 2005 habe sich der Zustand des V dramatisch verschlechtert. Unabhängig davon müsse die vergleichsweise lange Dauer des ehelichen Zusammenlebens (nahezu 11 Monate) die Vermutungswirkung des § 46 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) abschwächen. Gegen eine Versorgungsehe spreche auch, dass sie sich vor und nach der Heirat mühelos habe selbst unterhalten können. Des weiteren habe sie dem V im April 2005 ein Navigationsgerät geschenkt und sie hätten gemeinsam eine neue Couch erworben; beides mache keinen Sinn, wenn man einen nahen Tod annehme. Das SG hat Dres. R./E. und K./R. (alle Klinikum K.) und D. (behandelnder Allgemeinarzt) als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Erstere haben unter dem 26.1.2007 ausgesagt, über die von Beginn an palliativ konzipierte Chemotherapie (bei multipler Lebermetastasierung habe mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit keine Heilungschance bestanden), die insgesamt nur mäßig vertragen worden sei (Magen-Darmbeschwerden mit Durchfall) und in deren Verlauf die Blutbildung gestört gewesen sei, sei V in einem ausführlichen Gespräch am 27.8.2004 aufgeklärt worden. Dr. D. hat in seiner Aussage angegeben, nach Mai 2004 habe V - wie bei Karzinomerkrankungen üblich - an Gewicht verloren. Bis Herbst 2004 sei eine zunehmende Besserung eingetreten (Abfall des Tumormarkers) und die Krankenhausärzte hätten die Möglichkeit des dauerhaften Stillstands der Erkrankung immer als realistisch dargestellt. Dres. K./R. haben in ihrer Aussage vom 11.6.2007 den Zustand des V im Zeitraum von Mai bis Oktober als altersentsprechend gut beschrieben, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass nach der Operation (2.7.2005) eine Heilungschance nicht mehr gegeben gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung vom 24.1.2008 hat das SG Dr. E. und den Arzt L. als Zeugen gehört; zum Inhalt ihrer Aussage wird auf die Niederschrift Bezug genommen (S. 163 bis 166 SG-Akte) Mit Urteil vom selben Tag hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klägerin habe die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht zu widerlegen vermocht. Es seien keine Umstände im Vollbeweis nachgewiesen,, die trotz der kurzen Ehedauer belegen könnten, dass die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt sei. Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei V bewusst gewesen, dass er an einer unheilbaren und tödlich verlaufenden Erkrankung leide; das ergebe sich deutlich aus den vorgelegten Behandlungsunterlagen, die die Aufklärungsgespräche über die Behandlung dokumentierten, sowie aus der Aussage des Zeugen Dr. E ... Die Einlassungen des Dr. D., V und die Klägerin seien letztlich nicht über Schwere und schlechte Prognose informiert gewesen und die Krankenhausärzte hätten den dauerhaften Stillstand der Erkrankung als realistische Möglichkeit dargestellt, sei nicht nachvollziehbar, nachdem Dr. D. nicht an den Gesprächen beteiligt gewesen sei. Die Kammer sei auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin selbst nichts von der tödlichen Erkrankung des V gewusst habe. Denn es sei nicht verständlich, warum V sie über das Ausmaß seiner Erkrankung im Unklaren gelassen haben sollte. Auch andere Gesichtspunkte sprächen nicht gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe: die Heiratsabsicht sei nicht schon vor Beginn der Erkrankung gefasst worden (Hinweis auf: jurisPK-SGB VI, § 46 Rdnr. 106), es liege keine langjährige eheähnliche Gemeinschaft vor (Hinweis auf: Bohlken, ebenda Rdnr. 115 ff.), auch die Sicherstellung der häuslichen Pflege habe im Zeitpunkt der Heirat keine erkennbare Rolle gespielt (Hinweis auf: BSG, Urteil vom 3.9.1986, 9a RV 8/84, BSGE 60, 204 ff); im Übrigen komme dem Umstand, dass dich die Klägerin selbst unterhalten könne, keine besondere Bedeutung zu (Hinweis auf: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.5.2006, L 17 R 2024/05).
Gegen das am 15.2.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.2.2008 Berufung eingelegt und an ihrem Begehren festgehalten. Ergänzend hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorgetragen, das SG habe es versäumt, Dr. D., der sich als einziger Arzt noch an V erinnern könne, als Zeuge zu hören und außerdem habe es das individuelle Urteilsvermögen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes - beide stammten aus einfachen Verhältnissen - nicht berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2008 sowie den Bescheid vom 16. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids 20. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 1. Oktober 2005 Witwenrente aus der Versicherung des am 16. September 2005 verstorbenen Versicherten E. L. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass an der Darstellung der Klägerin, die behandelnden Ärzte hätten nie eine Auskunft über eine bereits im Juni 2004 bestehende Lebermetastasierung gegeben, Zweifel bestünden, denn sie habe V zu dem Termin am 18.8.2004, bei dem es um die Anlage eines Venenports für die beabsichtigte Chemotherapie gegangen sei, begleitet, sodass es sehr wahrscheinlich sei, dass sie auf Grund der Teilnahme an dem Gespräch Kenntnis über die Diagnose erlangt habe. Auch sei zu beachten, dass die Klägerin Altenpflegerin sei und ihr auf Grund ihrer beruflichen Erfahrung die Schwere der Erkrankung bewusst gewesen sein dürfte.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung aus der Versicherung des V.
Das SG hat die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Witwenrente gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § Abs. 2a SGB VI zutreffend zitiert; hierauf nimmt der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, Bezug. Vorliegend kommt insbesondere auch nicht die Übergangsvorschrift des § 242a Abs. 3 SGB VI zur Anwendung, da die Ehe der Klägerin mit V nach dem 1.1.2002 (nämlich am 22.10.2004) geschlossen wurde. Die Regelung in § 46 Abs. 2a SGB VI entspricht den Regelungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die Anknüpfung des Gesetzgebers an eine Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war (Bundestagsdrucksache 14/4095 S. 44). Diese gesetzliche Vermutung ist widerlegbar. Die Vermutung ist dann widerlegt, wenn besondere Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen (Kassler Kommentar, § 46 SGB VI Rdnr. 46 b, § 65 SGB VII Rdnr. 15 ff.). Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe folgt einer Typisierung und verfolgt auch den Zweck, den Leistungsträger der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben. Dies gilt auch für die Widerlegung der Rechtsvermutung, so dass auch hier die außerhalb der Intimsphäre liegenden objektiven Umstände in einer typisierenden Betrachtungsweise zur Beurteilung heranzuziehen sind. Besondere Umstände sind alle Umstände des Einzelfalls, die nicht schon von der Vermutung erfasst und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen (vgl. BSGE 35, 272). Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert gem. § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Anspruch geltend macht, mithin die Witwe oder der Witwer.
Gemessen an diesen Kriterien hat das SG die Umstände des vorliegenden Einzelfalls gewürdigt und die gesetzliche Vermutung als (im Vollbeweis) nicht widerlegt angesehen. Nach eigener Prüfung schließt sich der Senat der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an, sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch das Vorbringen der Klägerin, der Zustand des V sei so stabil gewesen, dass sie mehrere kleine Reisen unternommen hätten, nicht zu einer anderen Entscheidung führen kann. Gerade wenn ihnen die Schwere der Erkrankung bewusst war, liegt es nahe, die "verbleibende Zeit" für gemeinsame Unternehmungen zu nutzen. Auch der Kauf neuer Möbel zwingt nicht zu dem Schluss, der Klägerin und V sei die schlechte Prognose seiner Erkrankung nicht bewusst gewesen. Die Beklagte weist auch zu Recht darauf hin, dass es kaum plausibel erscheint, dass die jahrelang im altenpflegerischen Bereich tätige Klägerin die Schwere der Erkrankung des V nicht erkannt haben will; das gilt selbst unter Berücksichtigung ihres Vortrags in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, sie sei keine gelernte Altenpflegerin oder Krankenschwester, zumal von ihr - wie sie angegeben hat - auch Krebspatienten betreut worden sind. Auch die finanziellen Verhältnisse der Klägerin schließen eine Versorgungsehe nicht aus. Sie ist zwar finanziell unabhängig von V gewesen, gleichwohl würde eine Hinterbliebenenrente aus dessen Versicherung ihre finanzielle Situation deutlich verbessern, weil sie um ein Mehrfaches höher läge als die Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres vorletzten Ehemanns.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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